Die International Agency for Research on Cancer (IARC) legte mit dem GLOBOCAN-Report eine Schätzung der weltweiten Inzidenz und Mortalität von Krebserkrankungen für die kommenden Jahrzehnte vor [1]. Weltweit wird die Zahl der Menschen, die an Krebs erkranken, von 2012 bis 2035 um 108 % bei Menschen im Alter von 65 Jahren und älter und um 41 % bei Menschen, die jünger als 65 Jahre sind, zunehmen.

Für die Bundesrepublik Deutschland wird von 2012 bis 2035 mit einer Zunahme von 110.000 Personen gerechnet, bei denen eine neue Krebserkrankung diagnostiziert wird – derzeit sind es 495.000 Menschen. Zirka 70.000 Menschen werden zusätzlich an Krebs sterben, allein aufgrund des demographischen Wandels und ohne Änderung der Inzidenz- und Mortalitätsrate – derzeit sind dies 220.000 Menschen.

Während zurzeit 62 % der neu an Krebs Erkrankten 65 Jahre und älter sind, werden es dann 73 % sein. 84 % der Menschen, die aufgrund von Krebserkrankungen sterben, werden 65 Jahre und älter sein – im Gegensatz zu derzeit 76 %.

Die Nennung dieser Zahlen soll nichts Prophetisches haben. Natürlich kann sich an der Inzidenzrate durch gesündere Lebensweise, u. a. durch den Verzicht auf Nikotin, und an der Mortalität, z. B. durch therapeutische Fortschritte, etwas ändern. Aber man sollte sich auch darauf vorbereiten, dass dem nicht so ist und dass man immer mehr über 65-Jährige mit einer neu diagnostizierten Krebserkrankung behandeln muss. Auf diesen „Tsunami“ muss die Medizin vorbereitet sein.

Leider hat sich aber seit der Analyse von Laura Hutchins – lediglich 25% der in die Studien der South West Oncology Group (SWOG) eingeschlossenen Patienten waren älter als 65 Jahre [2] – in den letzten Jahren nichts geändert, wie Hurria et al. zeigten [3]. Dennoch hat es in der geriatrischen Onkologie Fortschritte gegeben, von denen ein Teil in diesen Leitthemen dargestellt werden soll: Exemplarisch wurden zwei bei alten Menschen häufig auftretende solide Tumoren, das kolorektale Karzinom (Wiegering et al.) und das Bronchialkarzinom (Steins und Vordermark), sowie zwei hämatologische Neoplasien, die chronisch-lymphatische Leukämie (Goede und Hallek) und das diffus-großzellige B-Zell-Lymphom (Hohloch et al.), ausgesucht.

Die Deutsche CLL-Studiengruppe war die erste große Studiengruppe, welche die Einteilung in fitte Patienten, Patienten mit Einschränkungen und solche mit hochgradigen Einschränkungen – und somit nicht mehr entsprechend dem chronologischen Alter – vorgenommen hat. Mittlerweile haben andere Studiengruppen dies aufgegriffen und in Therapieempfehlungen, z. B. für das multiple Myelom, integriert [4].

Internationale Fachgesellschaften und Studiengruppen haben den Stellenwert des geriatrischen Assessments im Rahmen der Betreuung alter Menschen mit Krebserkrankungen unterstrichen. Es kann in der praktischen onkologischen Versorgung hilfreich sein, da es Veränderungen entdeckt, die der klinischen Routine der Anamneseerhebung und körperlichen Untersuchung entgehen, denn es ist prädiktiv für das Auftreten schwerer Toxizität und für das Überleben und kann in einer Änderung der Therapieplanung resultieren.

Das geriatrische Assessment sollte folgende Bereiche umfassen:

  • den funktionellen Status,

  • die Komorbiditäten,

  • die kognitive Funktion,

  • den mentalen gesundheitlichen Status,

  • die Fatigue,

  • die soziale Situation und Unterstützung,

  • die Ernährungssituation und

  • das Vorliegen geriatrischer Syndrome [5].

Derzeit erscheint vielen das geriatrische Assessment als zu umfangreich und nicht in das praktische onkologische Vorgehen integrierbar. Attraktiv wirkt daher ein zweistufiges Vorgehen mit einem Screening zu Beginn (Wedding und Honecker).

Die Lebensqualität ist für alle Krebspatienten wichtig

Für alle Patienten mit Krebserkrankungen ist die Lebensqualität wichtig. Je älter die Patienten sind, desto mehr gewinnt die Lebensqualität gegenüber der Lebenslänge an Bedeutung. Daher ist die Kenntnis von geeigneten Instrumenten zur strukturierten Erfassung der Lebensqualität sowie von Einflussfaktoren auf die Lebensqualität, wie sie z. B. die meisten Bereiche des geriatrischen Assessments abdecken, bedeutsam (Wedding und Vordermark).

Psychoonkologische Versorgung ist in der Vergangenheit eher für junge Patienten, häufig Frauen mit Brustkrebserkrankung, etabliert worden. Heute sollten alle Patienten mit Krebserkrankungen, je nach Bedürfnis, psychoonkologische Versorgung erhalten. Was sind die spezifischen Bedürfnisse alter Patienten mit Krebserkrankungen? Gewiss ist jeder Patient einzigartig, dennoch gibt es typische Unterschiede zwischen alten und jungen Patienten (Köhler et al.).

Zu wünschen ist, dass die klinische Forschung ältere Patienten mit Krebserkrankungen mehr im Blick hat, dass ältere Patienten im Nationalen Krebsplan ein besonderes Augenmerk erfahren und dass die häufig geschehene Vernachlässigung der Belange alter Menschen mit Krebserkrankungen der zurückliegenden Jahrzehnte bald der Vergangenheit angehört.

Das vorliegende Leitthemenheft zeigt, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen, um der Flut an Bedürfnissen alter Menschen mit Krebserkrankungen künftig gerecht zu werden.

Für die Schriftleiter

U. Wedding

Für die Herausgeber

K. Höffken