Chronische Schmerzen sind ein häufiges Phänomen mit erheblichen psychosozialen und auch gesamtgesellschaftlich-ökonomischen Konsequenzen. Eine Datenerhebung für Europa ergab für Deutschland, dass etwa 11 Mio. Menschen unter chronischen Schmerzen leiden [3]. Meist bestanden die Schmerzen schon länger, bei jedem fünften Patienten mehr als 20 Jahre. Zu den häufigsten Schmerzarten zählten Schmerzen des muskuloskeletalen Systems inkl. chronischer Rückenschmerzen. Nur 2% der betroffenen Patienten wurden von Ärzten betreut, die sich auf dem Gebiet der Schmerztherapie spezialisiert hatten. Die Schmerzen führten beim überwiegenden Teil der befragten Patienten zu erheblichen Einschränkungen der Aktivitäten des täglichen Lebens, teilweise mit Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit [3].

Diese Zahlen aus dem europäischen Survey wurden im Wesentlichen von Wolff et al. [21] durch eine Datenbankanalyse bestätigt. Die Prävalenz lag in dieser Untersuchung nur geringfügig höher und wurde mit einem Anteil von 17% der deutschen Gesamtbevölkerung angegeben, wobei Rückenschmerzen besonders häufig vorkamen. Auffällig war hier, dass die eingesetzten Therapien überwiegend passiver Natur waren. Zu den am häufigsten eingesetzten Verfahren zählten orale Medikamente (54% der Patienten), Wärmebehandlungen (30%), Massage (53%) und Schlammpackungen (32%). Insgesamt wurden die bestehenden Behandlungen bzw. Behandlungsstrategien als unzureichend klassifiziert [21].

„Risikofaktor“ Kosten

Neben der medizinischen Behandlung sind auch ökonomische Aspekte in der Therapie chronischer Schmerzpatienten relevant. Am Beispiel von chronischen Rückenschmerzen konnte gezeigt werden, dass die durchschnittlichen Kosten pro Patient und Jahr in Deutschland bei etwa 1300 € liegen. Dabei beträgt der Anteil der sog. indirekten Kosten, zu denen etwa der schmerzbedingte Produktionsausfall zählt, 54% der Gesamtkosten. Mit steigendem Chronifizierungsstadium können sich die direkten und indirekten Kosten vervielfachen [20]. Auch führen Faktoren, die die Erkrankung komplizieren, z. B. eine neuropathische Schmerzkomponente beim chronischen Rückenschmerz oder komorbide psychische Erkrankungen, zu einem disproportionalen Anstieg der Gesamtkosten [2, 18]. Allein diese Zahlen verdeutlichen, dass in Deutschland ein hoher Bedarf an schmerztherapeutischen Einrichtungen und Therapieprogrammen besteht.

Monokausale Therapieansätze, wie aus dem europäischen Schmerzsurvey von Breivik et al. [3] sowie der Datenanalyse von Wolff et al. [21] ersichtlich, scheinen zu überwiegen, ohne dass aber deren Effektivität und der daraus zu erwartende Nutzen für viele Patienten nachgewiesen wurde. Niemier [14] konnte in einer aktuellen Untersuchung zeigen, dass etwa wiederholte „stationäre Komplexbehandlungen“ mit Schwerpunkt auf interventionellen Verfahren, z. B. periradikuläre Injektionen, zu keiner Verbesserung der Erkrankung führten. Vielmehr stiegen die Anzahl der schmerzhaften Regionen sowie der Analgetikabedarf und es wurde eine negative psychosoziale Entwicklung im Behandlungsverlauf beobachtet. Dagegen wurde die Effektivität multimodaler integrativer Therapieprogramme bereits vielfach in internationalen und nationalen Studien belegt [6, 7, 10, 15, 19]. In der aktuellen VersorgungsLeitlinie Kreuzschmerz wird dieser Ansatz mit hohem positivem Empfehlungsgrad aufgeführt [4]. Dabei zeigten sich die Effekte der multimodalen Therapie nicht nur in unterschiedlichen Items verschiedener standardisierter Schmerzfragebögen, sondern es konnte auch deren Kosteneffektivität nachgewiesen werden. Nagel u. Korb [12] erzielten bei berufstätigen Rückenschmerzpatienten einen Rückgang der Arbeitsunfähigkeitstage um etwa 75% und eine Halbierung der schmerzbedingten Behandlungen bzw. Arzttermine bei gleichzeitig deutlichen Effekten im Sinne einer Verbesserung der Lebensqualität und anderer Parameter. Dies führte bereits nach einem Jahr zu einer Einsparung der schmerzbedingten Kosten von 2000–6000 € für Patienten mit anfänglich höherer Beeinträchtigung.

Was bedeutet „multimodale Schmerztherapie“?

Die multimodale integrative Schmerztherapie wurde von der Ad-hoc-Kommission „Multimodale interdisziplinäre Schmerztherapie“ der Deutschen Schmerzgesellschaft als „gleichzeitige, inhaltlich, zeitlich und in der Vorgehensweise aufeinander abgestimmte umfassende Behandlung von Patienten mit chronifizierten Schmerzsyndromen bezeichnet, in die verschiedene somatische, körperlich übende, psychologisch übende und psychotherapeutische Verfahren nach vorgegebenem Behandlungsplan mit identischem, unter den Therapeuten abgesprochenem Therapieziel eingebunden sind“ [1].

Dieses teamorientierte Vorgehen bedarf einer optimierten Organisationsstruktur. Im Sinne des Prozessmanagements lassen sich multimodale integrative Therapiemodelle als sog. horizontal ausgerichtete Gesamtprozesse darstellen. Das bedeutet, dass klassisch orientierte Organisationsformen, in denen verschiedene Behandlungsstrukturen parallel und nur mit gering ausgeprägter Kommunikation untereinander agieren, zugunsten einer engen zeitlichen, inhaltlichen sowie sektorenübergreifenden Ausrichtung aufgegeben werden [5]. Zur Basis der Implementierung optimierter Prozessabläufe in der Schmerztherapie zählen u. a. standardisierte und überprüfbare Struktur- sowie Prozessqualitätsmerkmale [17]. Diese wurden für die multimodale Schmerztherapie im Jahr 2009 in einem ersten Schritt definiert [1]. Betrachtet man die gegenwärtige Versorgungssituation der Schmerzmedizin in Deutschland, so fällt auf, dass eine Vielzahl von Einrichtungen unter dem Label „multimodale Schmerztherapie“ auftreten, ohne dass die geforderten Qualitätsmerkmale erkennbar erfüllt werden.

Ein Grund hierfür könnte darin bestehen, dass diese Qualitätsparameter nicht umsetzbar sind. Nagel et al. [13] zeigten jedoch in ihrer aktuellen Untersuchung anhand einer ausgewählten Stichprobe, dass die Qualitätsmerkmale durchaus zu erzielen sind. So wird z. B. von allen teilnehmenden Einrichtungen vor dem eigentlichen Therapieprogramm ein interdisziplinäres Assessment durchgeführt. Dies ist umso erfreulicher, als Rothman et al. [16] in einer Untersuchung an Patienten mit chronischen bewegungsassoziierten Schmerzen nachweisen konnten, dass allein die Durchführung eines multimodalen Assessments vor der Behandlung zu einem positiven und statistisch signifikanten Therapieeffekt hinsichtlich verschiedener Lebensqualitätsparameter und einer höheren Patientenzufriedenheit führte. Auch andere Strukturparameter, wie Raumstruktur, Gruppengrößen, Durchführung von regelmäßigen Teamsitzungen, Prozessparameter sowie der Anteil körperlich aktivierender Therapiebausteine, konnten in der weit überwiegenden Zahl der Einrichtungen in der Untersuchung von Nagel et al. [13] nachgewiesen werden. Dabei ist noch auf 2 Punkte besonders hinzuweisen: Es handelte sich bei den teilnehmenden Einrichtungen nicht nur um große Kliniken mit möglicherweise größeren Ressourcen, sondern teilweise auch um Einrichtungen, die sich in „kleineren“ Krankenhäusern in ländlicher Region etablieren konnten.

Mehr Bedeutung für das Teamwork

Ein weiterer Punkt, der zu beachten ist, betrifft die Qualifikation der Mitarbeiter. Alle multimodalen Programme wurden von Ärzten mit schmerztherapeutischer Zusatzqualifikation geleitet. Darüber hinaus wiesen aber bereits 56% der Einrichtungen die Zusatzqualifikation „spezielle Schmerzpsychotherapie“ für ihre Mitarbeiter nach, obwohl diese Zusatzqualifikation erst seit kurzer Zeit zu erlangen und bisher auch nicht in vollem Umfang in der Schmerzmedizin etabliert und implementiert ist [13].

Nagel et al. [13] demonstrieren, dass das Attribut „multimodal“ durchaus im Sinne eines horizontalen Gesamtprozesses umsetzbar ist, und wenden sich zu Recht gegen eine inflationäre Nutzung dieses Begriffs, ohne dass entsprechende Merkmale hinterlegt sind. Dies ist auch im Kontext einer Diskussion um horizontale und vertikale Prozesse, wie sie aktuell wieder geführt wird, von großer Bedeutung. In dieser Kontroverse wird die Sinnhaftigkeit einer koordinierten Diagnostik und Betreuung durch ein multiprofessionelles Team zugunsten eines „umfassend ausgebildeten Schmerzmediziners …, der die schmerzmedizinische Kompetenz verschiedener Fachgebiete in sich vereint“ in Frage gestellt [11]. Dieser Schmerzmediziner solle „im Sinne eines Querschnittfaches ausgebildet“ sein [11]. Hier muss noch vor der Frage der Umsetzbarkeit (welche Qualifikationen sind beispielsweise erforderlich?) die Frage der Sinnhaftigkeit gestellt werden. Auch eine umfassende Ausbildung kann die in der multimodalen Therapie erforderliche interdisziplinäre Diskussion und v. a. den teamorientierten Therapieansatz nicht ersetzen.

Natürlich sind in der multimodalen integrativen Schmerztherapie noch viele wichtige Fragen unbeantwortet. So bedarf es der Etablierung und Anerkennung des multimodalen Assessments als eigenständiger Baustein. Darüber hinaus müssen die Kernprozesse, u. a. medizinische, psychologische und physiotherapeutische Therapieverfahren, noch definiert und evaluiert werden. Outcomeparameter sind zu definieren, beschreiben und untersuchen. Gerade diese scheinen von vielen Faktoren abhängig zu sein. Einen wichtigen Aspekt dabei stellt auf Seiten der Patienten die sog. Veränderungsmotivation dar. Die multimodale Schmerztherapie kann nur dann zu einer positiven Veränderung des Erlebens und Verhaltens führen, wenn bei den Patienten eine Bereitschaft zur Umsetzung eines selbstständigen aktiven Schmerzmanagements vorhanden ist. Küchler et al. [9] konnten anhand einer Stichprobe von 169 Patienten zeigen, dass es im Rahmen eines standardisierten multimodalen Therapieprogramms zu einer Änderung der Veränderungsmotivation zugunsten der Phase der Handlung, d. h. des aktiven strukturierten Verhaltens, sowie der Phase der Aufrechterhaltung, d. h. der Anwendung neuer Strategien und erlernter Fertigkeiten über einen längeren Zeitraum hinweg, kam. Auch konnten die Autoren zeigen, dass es nach einer Wiederholungswoche, wie sie in vielen Einrichtungen mittlerweile zum Standard gehört, zu einer Stabilisierung der Motivationsänderung gekommen war. Neben diesen durchaus positiven Effekten wiesen sie aber auch darauf hin, dass bei differenzierter Betrachtung Patientengruppen identifizierbar waren, bei denen keine Änderung der Motivation beobachtet werden konnte [9]. Dieser Aspekt führt neben der notwendigen Diskussion um Kernprozesse und Effektivitätsparameter der multimodalen Therapie auch zwangsläufig dazu, in Zukunft die Patientenpopulationen differenzierter zu betrachten. Nicht nur die Therapie ist komplex, auch die Patienten mit ihrem individuellen soziodemographischen und kulturell-lernbedingten Hintergrund sowie unterschiedlichen Krankheitsausmaß (z. B. Anzahl und Art komorbider Störungen) sind es.

Eine Unterscheidung in bestimmte Patientengruppen hinsichtlich patientenimmanenter Charakteristika und Verlaufsbesonderheiten wird helfen, die gewünschten Therapieeffekte besser abzubilden, aber v. a. auch die Kernprozesse, d. h. die eigentlichen Therapiebausteine, im Sinne einer subgruppenspezifischeren Behandlung auszurichten und sowohl die Passung zwischen Patient und Angebot als auch die Passung an den Schnittstellen der Zuweisung zu bestimmten Angeboten zu optimieren [8].

R. Sabatowski

U. Kaiser