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Ärztliche Schweigepflicht bei Kindeswohlgefährdung

Mehr Handlungssicherheit durch die neuen Kinderschutzgesetze?

Medical confidentiality and child abuse

Does new child protection law bring clear practical guidelines for medical professionals in Germany?

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Ethik in der Medizin Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassung

Die Schweigepflicht, einer der Grundpfeiler medizinischer Ethik, spielt in der aktuellen Diskussion um die Verbesserung des Kinderschutzes eine zentrale Rolle. Unklare und mehrdeutige gesetzliche Regelungen und Handlungsanweisungen, wie mit Anhaltspunkten für eine Kindeswohlgefährdung umzugehen ist, wenn die Sorgeberechtigten eine weitergehende Hilfe ablehnen, werden als Hindernis für einen wirksamen Kinderschutz betrachtet. Aus der schwer durchschaubaren Rechtslage resultieren für Angehörige der Gesundheitsberufe regelmäßig Handlungsunsicherheiten, die im Einzelfall notwendige Hilfe verzögern oder gar verhindern könnten. Neue Gesetze auf Länderebene haben deshalb im Sinne eines verbesserten Kinderschutzes eine Erhöhung der Rechtssicherheit sowie eine Förderung der Vernetzung der beteiligten Akteure zum Ziel. Wenn auch einigen der Gesetze ein gewisses Klarstellungspotenzial zugebilligt werden kann, ist doch im Augenblick ihr Beitrag zu mehr Rechtssicherheit im Umgang mit Kinderschutzfällen noch als sehr eingeschränkt zu betrachten. Ein Bundesgesetz, welches die Intention hatte, die heterogenen Landesnormen durch eine bundeseinheitliche Regelung zu ersetzen, ist wenigstens in der letzten Legislaturperiode gescheitert.

Abstract

Definition of the problem Medical confidentiality, which is one of the main pillars of medical ethics, has taken a decisive role in the latest discussions about the improvement of child protection laws. Inexplicit and plurivalent arrangements and procedures of how to legally handle child abuse cases when persons with legal custody refuse to take further support are seen as an obstacle for effective child protection. Arguments Non-specific legal regulations lead to task uncertainty and hesitation on the side of health care professionals, which can result in the delay or even prevention of necessary actions. Therefore, new laws on the federal level have been passed in order to establish certainty with regard to professional secrecy and in order to foster networking among the actors in the field of child protection. Conclusion The paper analyses and discusses these legal attempts at strengthening child protection. Although some of the federal laws have the potential of clarification, the great number of laws and their explication restricts their impact.

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Notes

  1. Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird auf die männliche Bezeichnung zurückgegriffen, gemeint sind aber stets beide Geschlechter.

  2. Eine Untersuchung zum institutionellen Umgang mit sexuell missbrauchten Kindern ergab beispielsweise, dass bei einem entsprechenden Verdacht die Kinder zwischen etwa sieben Stellen „weitergereicht“ und jedes Mal neu untersucht wurden, weil keine hinreichende Kommunikation zwischen den Beteiligten erfolgte [7].

  3. Betroffener bzw. Geheimnisträger ist in diesen Fällen das Kind. Grundsätzlich können auch Minderjährige eine wirksame Einwilligung abgeben (auch gegen den Willen des gesetzlichen Vertreters), soweit sie eine ausreichende Einsichtsfähigkeit besitzen. Dies wiederum ist nach den individuellen Gegebenheiten im Einzelfall und dem Reifungsgrad des Kindes zu beurteilen ([8], § 203 Rn 32).

  4. Ein entsprechendes – viel kritisiertes – Bundeskinderschutzgesetz scheiterte allerdings Ende Mai 2009 (vorerst) [5].

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Kemper, A., Kölch, M., Fangerau, H. et al. Ärztliche Schweigepflicht bei Kindeswohlgefährdung. Ethik Med 22, 33–47 (2010). https://doi.org/10.1007/s00481-009-0046-3

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