Zusammenfassung
Die Zukunft der ambulanten Versorgung bei Pflegebedürftigkeit im Alter bringt große Herausforderungen mit sich. Im vorliegenden Beitrag wird zunächst kursorisch zusammengefasst, welche Versorgungsprobleme aus Sicht der pflegebedürftigen Menschen und der pflegenden Angehörigen drängen. Diese sind sozial und regional ungleich verteilt und von Schnittstellenproblemen im fragmentierten Angebotssystem geprägt. Angesichts dessen sind die Forderungen nach einem tragfähigen „Hilfe- oder Pflegemix“ nicht neu, haben aber zuletzt unter dem Stichwort der „Sorgenden Gemeinschaften“ wieder an Aufmerksamkeit gewonnen. Mit diesem Modell, das u. a. von der Bundesregierung favorisiert und im 7. Altenbericht thematisiert wird, sollen Nachbarschaft und freiwillig Engagierte künftig eine tragendere Funktion in der Versorgung übernehmen. Mit Bezug auf die „Sorgenden Gemeinschaften“ wird außerdem eine Trennung von „cure“ und „care“ vorgeschlagen. Das Modell und die ihm zugrunde liegenden Annahmen über die Potenziale von Nachbarschaften und bürgerschaftlich Engagierten in der Pflege sowie seine Folgen für die Pflegeberufe werden analysiert und ihr möglicher Beitrag zur Lösung der skizzierten Probleme kritisch diskutiert.
Abstract
The future development of home care services for older people in need of care is associated with great challenges. This article begins with a brief summary of the most urgent care problems from the perspective of people requiring care and that of caring relatives. The problems exhibit social and spatial inequalities and are characterized by coordination problems within a fragmented organizational system. Calls for a viable “care mix” are nothing new but have recently gained considerable traction under the label of “caring communities”. This model is prioritized by the German government and addressed in its Seventh Report on Older People (Altenbericht). It seeks to assign neighbors and unpaid volunteers a more central role in the provision of care and assistance. In relation to “caring communities” a differentiation between cure and care is also proposed. The article discusses this model and the assumptions about the potential of neighborhood and civic engagement upon which it is based, and analyzes its impact on the nursing profession. It concludes with a critical discussion of the model’s prospects of contributing to a resolution of the outlined problems.
Notes
Damit sollen die vielfältigen Verdienste freiwilligen Engagements nicht geschmälert werden. Der Mechanismus zeigt sich jedoch gleichermaßen in anderen Engagementfeldern, beispielsweise den Lesepaten in Grundschulen (http.//www.lesepaten.net). Gelingt es einer Schule nicht, diese zu gewinnen, beispielsweise weil sie in einem sozialen Brennpunkt liegt, müssen die dort oft besonders auf Förderung angewiesenen SchülerInnen auf Leseförderung verzichten.
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J. Heusinger, K. Hämel und S. Kümpers geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Heusinger, J., Hämel, K. & Kümpers, S. Hilfe, Pflege und Partizipation im Alter. Z Gerontol Geriat 50, 439–445 (2017). https://doi.org/10.1007/s00391-017-1253-z
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