Liebe Leserin, lieber Leser,

die Hinweise verdichten sich, dass bereits im Jahr 2020 rund 20% aller älteren Krankenhauspatienten an einer Demenz leiden werden. Wie kommt es dazu? Entscheidend sind 3 Faktoren: die demographische Entwicklung, die zunehmende Komorbidität der Demenz mit somatischen Erkrankungen und – offensichtlich – die „Traumen“ der Intensivmedizin und chirurgischen Operationsverfahren. Diese scheinen über neuroinflammatorische Prozesse Delire zu triggern. Das Delir tritt aber nicht nur in der Akutversorgung, in der Notaufnahme sowie postoperativ auf, die Folgen bleiben, sie persistieren in Form von permanenten kognitiven Defiziten über Monate bis Jahre, und zwar irreversibel. Es kann heute die Aussage gelten: „Dementia follows delirium.“ Das „ungünstige“ Trio der o. g. 3 Faktoren zu Beginn der Krankenhausaufnahme sowie die Langzeitfolgen einer vorangegangenen Krankenhausbehandlung stellen international wichtige Forschungsschwerpunkte dar. Die Publikationsrate zu diesen Themen zeigt allein im Jahr 2012 einen Anstieg um etwa das 10-Fache.

Das Krankenhaus ist auf die initiale Versorgung von Menschen mit Demenz in der realen Aufnahmesituation im klinischen Alltag nicht eingestellt. Wegen einer akut einsetzenden körperlichen Erkrankung ins Krankenhaus eingewiesen, reagiert der Demenzkranke auf die fremde Umgebung, die Hektik der Notaufnahme, den gedrängten Zeitplan und unangenehme Untersuchungen häufig mit Angst, Unruhe und Wutausbrüchen. Wenn das Personal im Umgang mit Demenzkranken unerfahren ist, drohen unfreundliche Umgangsweisen, die zu noch größerer Verwirrung führen. So wie die moderne Medizin einerseits als „Verursacher“ dieser Phänomene gesehen werden kann, stellt sie andererseits keine Lösungen, z. B. in Form medikamentöser Behandlungen, zur Verfügung. Diese sind augenblicklich auch (noch) nicht in Sicht. Umso mehr sind nichtmedizinische Maßnahmen gefragt.

Eine genaue Frühdiagnose bereits beginnender Demenzsyndrome, frühzeitige und zuverlässige Diagnostik, Programme zur Vermeidung von Krankenhauseinweisungen, Schulung des Personals, organisatorische Anpassung von Abläufen (Vermeidung von krankenhausinternen Verlegungen), wohnliche Ausgestaltung der Umgebung zur Reizminderung und Delirprophylaxe, ehrenamtliche Begleitdienste u.v.a.m. haben sich bereits als sehr hilfreich erwiesen. Andererseits kann die Wirksamkeit vieler in der Praxis etablierter Ansätze und Interventionen aber noch nicht durch evidenzgestützte Daten belegt werden. Eine wichtige Ausnahme gibt es allerdings: Die Wirksamkeit der Frührehabilitation bei Demenz kann inzwischen, seit ca. 1 Jahr, als gesichert gelten – wichtig für die Etablierung und Weiterentwicklung entsprechender therapeutischer Programme [1].

Einige der Beiträge zu unserem interdisziplinär angelegten Themenschwerpunkt „Demenz im Akutkrankenhaus“ greifen wichtige Forschungslücken und Aspekte auf, die bislang noch zu wenig beachtet und nur vereinzelt in der Praxis verankert sind. Dabei geht es sowohl um die Sichtweise der professionellen Pflege als auch um die entsprechende Veränderung von Umgang und Kommunikation durch Schulung sowie um die Kooperation mit freiwillig und bürgerschaftlich Engagierten im Krankenhausalltag. Die Demenz wurde einmal als „demokratische“ Erkrankung bezeichnet, weil nicht nur jeder Mensch davon betroffen sein kann, sondern weil auch jeder in die Verpflichtung kommen kann, Betreuungsaufgaben zu übernehmen. Dabei sind bürgerschaftliches Engagement und ehrenamtliche Unterstützung unverzichtbare Bausteine eines guten Pflegemix. Diese Sichtweise mit all ihren Implikationen und Folgerungen bewährt sich mittlerweile in aufgeschlossenen Krankenhäusern, z. B. durch die Verankerung von Begleitdiensten wie Pflegebegleiter, Demenzbegleiter, Patientenbegleiter.

Aufgegriffen wird auch das bisher vernachlässigte Thema „Schmerz“ bei Demenz. Dabei wird die Bedeutung einer raschen und zuverlässigen Erkennung von Schmerzen bei Demenzkranken als eine sehr wesentliche Aufgabe in der Krankenhausbehandlung deutlich. Dies gilt umso mehr, als Zusammenhänge zwischen Delirentstehung und Schmerz gut belegt und unter forschungstheoretischen Gesichtspunkten bedeutsam sind. Aus verschiedenen fachlichen Perspektiven geht es aber auch um Interventionen und Maßnahmen, die den notwendigen Krankenhausaufenthalt für Menschen mit Demenz besser gestaltbar machen.

Die nichtmedizinischen, die „weichen“ und emotionalen Faktoren scheinen in der Betreuung ebenfalls sehr hilfreich und wichtig zu sein. So wie auch andere positive Erfahrungen aus der stationären Altenpflege erfolgreich in das Krankenhaus übertragen werden konnten, besteht beispielsweise auch in der tiergestützten Therapie mit einem Hund eine gute Option.

Den Herausgebern des Themenschwerpunkts ist es besonders wichtig, Sie nicht nur für das Thema „Demenz im Krankenhaus“ zu sensibilisieren, sondern Ihnen ebenso einen möglichst aktuellen Überblick zum aktuellen Forschungsstand zu geben sowie möglichst viele „praxistaugliche“ Hinweise für den Umgang mit der Demenz. Wir hoffen, dass wir diese Erwartungen erfüllen können, und wünschen Ihnen eine angenehme Lektüre.

Cornelia Kricheldorff

Werner Hofmann