Anamnese

Eine 67-jährige Patientin stellte sich zur Zweitmeinung bei Wundheilungsstörung nach Eviszeration vor. Anamnestisch beschrieb sie eine unbehandelte Netzhautablösung am rechten Auge vor 19 Jahren, die zu einer Phthise mit Schmerzen geführt hatte. Ex domo war aus diesem Grund 4 Monate zuvor eine Eviszeration mit einem Dermis-Fett-Implantat aus der Glutealregion erfolgt. Anschließend war es zu einer verzögerten Wundheilung mit Nahtdehiszenz gekommen, sodass eine mehrmalige Bindehautrevision durchgeführt worden war. Zum Zeitpunkt der Erstvorstellung applizierte die Patientin 3‑mal täglich Gentamicin Augensalbe. In der sonstigen ophthalmologischen Anamnese fanden sich neben einer Myopie mit Astigmatismus keine weiteren Vorerkrankungen. Allgemeinanamnestisch war lediglich eine gut eingestellte Hyperthyreose bekannt.

Klinischer Befund

Am rechten Auge zeigte sich eine stabil sitzende Illig-Schale, darunter jedoch eine dehiszente Bindehautnaht mit hervortretendem hellgelbem weichem Material. Der Befund erschien reizarm ohne eindeutige Entzündungszeichen. Der aktive Lidschluss war komplett möglich. Am linken Auge zeigte sich ein altersentsprechender Befund bei einem Visus von 0,8 unter maximaler Korrektur. Bei protrahiertem Heilungsverlauf mit fraglicher Infektion des Dermis-Fett-Implantats entschieden wir uns im beidseitigen Einverständnis zur Exploration und ggf. Enukleation mit Entfernung der verbliebenen Bulbusanteile.

Intraoperativer und makroskopischer Befund

Nach weiterer Eröffnung der Bindehaut entleerte sich gelblich-bräunliches, teilweise derbes inhomogenes Gewebe aus der offenen Sklerahülle, wovon auch ein Abstrich für die Mikrobiologie genommen wurde. Da sich das Innere der Sklera sehr unübersichtlich und nekrotisch zeigte, entschieden wir uns abschließend zur vollständigen Entnahme der Sklerahülle im Sinne einer Enukleation. Die Sklerahülle wurde freipräpariert und von Muskeln und N. opticus perforationsfrei abgetrennt. Nach ausgedehnter Blutstillung wurden die Muskeln und darüber die Bindehaut vernäht sowie eine Illig-Schale eingesetzt. Auf ein Implantat wurde aufgrund der Vorgeschichte verzichtet. Der Sklerainhalt (13 × 12 × 5 mm) und die Sklerahülle (14 × 20 × 15 mm) wurden zur histopathologischen Begutachtung gegeben.

Histopathologischer Befund

Der Sklerainhalt zeigte größtenteils nekrotisches, eingeblutetes Gewebe mit mehreren granulozytären Infiltraten (Abb. 1a). Vereinzelte grampositive Kettenkokken waren in der Gramfärbung zu identifizieren (Abb. 1b). Die Sklerahülle war als irregulär konfiguriertes Bindegewebe mit einigen anhaftenden quergestreiften Muskelfasern erkennbar. Im Bereich der apikalen Skleraöffnung zeigten sich vaskularisiertes Granulationsgewebe und nicht verhornendes Plattenepithel (Abb. 2a, b). Dieses kleidete teilweise ebenfalls die Innenseite der Sklerahülle aus und überzog dort auch das anhaftende Fettgewebe (Abb. 2a). Entlang des multifokal angeschnittenen polyfilen Nahtmaterials und einiger Gefäße fand sich eine chronische Entzündung mit etwas abseits gelegenen mehrkernigen Fremdkörperriesenzellen (Abb. 2c).

Abb. 1
figure 1

Histopathologischer Befund des Sklerainhalts. a Es zeigt sich größtenteils nekrotisches, teils eingeblutetes Gewebe (HE, Vergr. 100:1). Zudem finden sich mehrere granulozytäre Infiltrate (Inlay; HE, Vergr. 400:1). b Vereinzelte grampositive Kettenkokken sind zu identifizieren (Pfeil; Gram, Vergr. 400:1)

Abb. 2
figure 2

Histopathologischer Befund der Sklerahülle. a Man erkennt vaskularisiertes Granulationsgewebe (Pfeilkopf) und nicht verhornendes Plattenepithel (Pfeil), das teilweise die Innenseite der Sklerahülle und anhaftendes Fettgewebe (Stern) überzieht (HE, Vergr. 40:1). b Das Epithel weist keine Becherzellen auf (PAS, Vergr. 100:1), zeigt jedoch eine positive Reaktion mit CKpan (Inlay; Vergr. 400:1). c Entlang des multifokal angeschnittenen polyfilen Nahtmaterials (Inlay; HE + Polarisationsfilter: Doppelbrechung, Vergr. 100:1) und einiger Gefäße findet sich eine chronische Entzündung mit mehrkernigen Fremdkörperriesenzellen (Pfeil; HE, Vergr. 100:1)

Mikrobiologischer Befund

Der intraoperativ erfolgte Abstrich ergab eine Infektion der Wundhöhle mit Enterococcus faecalis.

Diagnose

Epithelinvasion nach Eviszeration mit verzögerter Wundheilung und Implantatinfektion.

Verlauf

Aufgrund der Infektion therapierten wir die Patientin mit einer systemischen und lokalen Antibiose gemäß dem Antibiogramm. Der weitere postoperative Verlauf gestaltete sich komplikationsfrei mit reizarmen, gut adaptierten Wundverhältnissen (Abb. 3a), sodass wir die zusätzliche Kortisontherapie rasch ausschleichen und die Patientin in die ambulante Nachkontrolle entlassen konnten. Vier Wochen nach der Entlassung konnte eine abschließende Prothesenanpassung erfolgen (Abb. 3b). Die Patientin zeigte sich mit dem ästhetischen Ergebnis sehr zufrieden. Weitere regelmäßige augenärztliche Kontrollen wurden angeraten, wobei sich bisher stets ein reizfreier Befund zeigte.

Abb. 3
figure 3

Klinischer postoperativer Befund. a Postoperativ zeigte sich ein reizarmer Befund mit gut adaptierten Wundverhältnissen. b Eine ästhetisch zufriedenstellende Prothesenanpassung konnte regelhaft nach 4 Wochen erfolgen

Diskussion

Die älteste schriftliche Überlieferung von kosmetischen Augenprothesen stammt aus dem 5. Jahrhundert vor Christus. Ägypter und Römer fertigten sie aus Ton und befestigten sie mittels klebender Substanz auf dem entstellten Bulbus, um diesen abzudecken [7]. Erst ab dem 16. Jahrhundert nach Christus gab es formale Beschreibungen der Operationstechniken einer Bulbusentfernung (Johannes Lange 1555 und George Bartisch 1583). Relativ zeitgleich wurden die ersten fornixfixierten Prothesen entwickelt – aus bemaltem Metall oder Glas [7]. In den folgenden 2 Jahrhunderten wurden die Operationstechniken stetig weiter ausgefeilt, erlebten jedoch erst mit der Einführung der kontrollierten generalisierten Anästhesie um 1847 eine entsprechende Verbreitung. Bis dato galt die Bulbusentfernung als eine der schlimmsten und abscheulichsten Operationen und wurde als inhuman betrachtet [4]. Die erste Aufzeichnung einer Eviszeration erfolgte im Jahr 1817 von James Bear, wurde jedoch erst Ende des 19. Jahrhunderts zu einem Routineeingriff. Dabei handelt es sich um die komplette Entfernung des Augeninhaltes über eine Öffnung in der Kornea oder der Sklera, wobei die Sklerahülle im Gegensatz zur Enukleation in der Augenhöhle verbleibt, jedoch je nach Operationstechnik längs oder zirkulär gespalten wird. Die Vorteile von Enukleation oder Eviszeration werden sehr kontrovers diskutiert. Die Eviszeration soll dabei weniger traumatisch sein und eine bessere postoperative Motilität liefern, jedoch besteht die Gefahr einer sympathischen Ophthalmie. Ein intraokularer Tumor muss zudem präoperativ ausgeschlossen werden können [4]. 1884 entwickelte Mules mit der sog. Mules-Kugel – eine hohle Glaskugel, die in die Sklerahülle oder Bulbushöhle vor Bindehautverschluss gesetzt wurde, um das orbitale Volumen wiederherzustellen und die postoperative Retraktion (Syndrom der anophthalmischen Höhle) [5] zu reduzieren – eines der ersten echten Implantate und revolutionierte damit die Versorgung der Patienten [2]. Komplikationen wie die Extrusion oder die Bruchgefahr bei plötzlichen Temperaturunterschieden machten jedoch eine Weiterentwicklung der Implantate nötig. Viele verschiedene Materialien wurden in den Folgejahrzehnten verwendet, darunter seit Anfang des 20. Jahrhunderts auch autologe Dermis-Fett-Implantate. Aufgrund der leichteren und schnelleren Operationstechnik werden seit 1985 immer häufiger moderne alloplastische Materialien (v. a. biokompatible poröse Implantate) verwendet. Die porösen Implantate zeigen eine gute postoperative Motilität und ein schnelles fibrovaskuläres Einwachsen, welches das Risiko der Extrusion und der Infektion reduzieren soll [1]. Neben den deutlich gesteigerten Kosten zeigen jedoch auch diese Implantate Limitationen (u. a. Extrusion, Langzeitverlauf, Infektion), sodass nicht nur die Weiterentwicklung von neuen Materialien, Umhüllungen oder Operationstechniken vorangetrieben, sondern auch die Rückbesinnung auf etablierte Verfahren kontrovers diskutiert wird [3, 4]. Je nach Operateur werden so beispielsweise autologe Dermis-Fett-Implantate nicht nur bei Zustand nach Abstoßung, Zustand nach Infektion, medizinischen Komorbiditäten oder Wundheilungsstörungen, sondern auch als primäre Versorgung eingesetzt, da Vorteile u. a. in der Verfügbarkeit, der Vermeidung von Fremdmaterial, der guten postoperativen Motilität und dem Volumeneffekt gesehen werden. Eine natürlicherweise vorkommende Volumenreduktion muss bei der Operation stets mit einkalkuliert werden [9, 10].

Die Komplikationsraten nach Enukleation bzw. Eviszeration variieren je nach Beschreibung. So wird beispielsweise die Häufigkeit der Extrusion von porösen Implantaten mit 2–10 % angegeben, was jedoch vermutlich nur die Spitze des Eisbergs darstellt [6]. Komplikationen können sehr unterschiedlich in Erscheinung treten. Sie können den Wundsitus, das Implantat oder auch die Augenhöhle betreffen und von Nahtdehiszenz über Lidfehlstellungen bis hin zur Implantatabstoßung führen. Stets muss auch mit Spätkomplikationen wie Implantatmigration, Motilitätseinschränkung oder Enophthalmus gerechnet werden. Letztere kann durch eine späte Volumenreduktion des Orbitainhalts entstehen, die über die Retraktion der Lider auch das Syndrom der anophthalmischen Höhle bedingt [3]. In unserer Kasuistik kam es entweder bereits während der Primärversorgung zu einer nosokomialen Infektion der Wundhöhle und anschließend zu einer Epithelinvasion oder zu einer Epithelinvagination und infolge dessen zu einer Infektion. Beiden Pathogenesen gemein ist, dass es zur Wundheilungsstörung mit Nahtdehiszenz, Extrusion und Implantatabstoßung kommen kann. Daraus entsteht ein Circulus vitiosus, den es zu durchbrechen gilt, was meist nur über eine Revision möglich ist [3]. Als milde Folge einer primären (intraoperativen) oder sekundären Epithelinvasion kann es selbst noch Jahre später zu einer subkonjunktivalen Zyste kommen, welche Schmerzen und einen schlechter Sitz der Prothese bedingen kann. Eine Aspiration-Inspiration-Therapie mit Trichloracetat ist hier neben der Revision als wirksam beschrieben worden [3, 8]. Um die Komplikationsraten möglichst gering zu halten, sind eine entsprechende Prophylaxe und Nachsorge unbedingt anzustreben. Zum akkuraten Wundverschluss, der eine entscheidende Rolle spielt, sollte vor der spannungsfreien Naht der Konjunktiva die Tenonkapsel dicht und sicher readaptiert werden. Ein angepasstes Implantat sollte genutzt werden – nicht zu groß wegen der Gefahr der Extrusion und nicht zu klein aufgrund des Syndroms der anophthalmischen Höhle. Weiter sollte die Prothese regelmäßig gereinigt und poliert werden, um Mikrotraumata zu vermeiden. Dem Patienten sind zudem regelmäßige Kontrollen nahezulegen, um frühzeitig Probleme zu erkennen und angehen zu können.

Fazit für die Praxis

  • Die Enukleation bzw. Eviszeration ist eine der einschneidendsten ophthalmologischen Eingriffe für den Patienten.

  • Auf die Wichtigkeit der postoperativen Nachsorge, Limitationen und Langzeitkomplikationen sollte hingewiesen werden.

  • Die Operationstechnik ist abhängig vom Befund, der Vorgeschichte und der Erfahrung des Operateurs.

  • Die fachgerechte Aufarbeitung von Komplikationen ermöglicht die Weiterentwicklung der Operationstechniken und der verwendeten Materialien.

  • In jedem Fall sollte der spannungsfreie Wundverschluss ohne Inkarzeration der Konjunktiva angestrebt werden.