Viele Millionen Menschen in Deutschland leiden unter Augenerkrankungen, die das Sehen bedrohen. Der Wert, den die Menschen dem Sehen beimessen, ist hoch. Diese einfachen Fakten müssen wir als Augenärzte immer wieder herausarbeiten. Denn sie belegen den hohen Stellenwert, den eine gute und breite augenärztliche Versorgung hat. Die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (DOG) hat mit ihrem „Weißbuch zur Situation der ophthalmologischen Versorgung in Deutschland“ von 2012 [2] dazu einen Meilenstein gesetzt. Die Schaffung von Professuren für Ophthalmologische Epidemiologie und Versorgungsforschung zeigen weitere Anstrengungen auf diesem Gebiet.

Dennoch, saubere epidemiologische Erhebungen zur Häufigkeit von Augenerkrankungen in Deutschland sind dünn gesät. Wir Ärzte verbringen gefühlt die Hälfte unserer Arbeitszeit mit Formularen und Kodierungen. Was wird eigentlich aus diesen Unmengen an Daten? Eine so einfache Frage wie: „Wie viele Kataraktoperationen werden in Deutschland pro Jahr durchgeführt?“, sollte daraus doch wohl leicht zu beantworten sein. Sie kennen die Umfragen von DOG, BVA, DGII und BDOC an alle Kliniken und operativen Praxen zu den Häufigkeiten der Augenoperationen [1]. Daraus schätzen wir dann die Zahl der Kataraktoperationen nach Hochrechnungen aus dem Rücklauf – und das trotz verpflichtender millionenfacher Kodierungen.

Epidemiologie steht nicht immer im Zentrum des Interesses eines Klinikers, aber sie bietet wissenschaftlich enorme Möglichkeiten, Zusammenhänge zu erkennen, die an kleinen Kollektiven und Einzelfällen nicht offensichtlich sind, insbesondere wenn genetische Daten mit einbezogen werden. Andererseits aber ist Epidemiologie berufspolitisch eine Notwendigkeit und eine Chance für die Augenheilkunde. Nur so lässt sich die Bedeutung unseres Faches belegen und die Allokation der Ressourcen im Gesundheitswesen beeinflussen. Auf den Punkt gebracht: Epidemiologie sollte als Argument für die Entscheidung genutzt werden, wie viel Geld in die Augenheilkunde fließt.

Epidemiologie ist berufspolitisch eine Notwendigkeit und eine Chance für die Augenheilkunde

Krankenkassen und auch die Gesundheitsministerien sollten ein originäres Interesse daran haben, nicht nur zu wissen, welcher Bedarf an ärztlichen Leistungen in der Gegenwart besteht, sondern auch, wie sich dieser Bedarf in der Zukunft entwickeln wird. Klar ist, augenärztliche Leistungen werden in Zukunft vermehrt nachgefragt werden, allein durch die demografische Entwicklung, die eine massive Zunahme an alten Menschen mit alterskorrelierten Augenproblemen mit sich bringen wird.

Die häufigsten Erblindungsursachen in Deutschland sind die altersbedingte Makuladegeneration (AMD) und das Glaukom. Zu diesen beiden Erkrankungen finden Sie in diesem Heft Beiträge zur Epidemiologie (Brandl et al., Oberacher-Velten et al.). Dargestellt werden die vorhandenen internationalen Daten und insbesondere die Bemühungen in Deutschland. Beschrieben werden aber auch die Schwierigkeiten, die sich aus den unterschiedlichen Definitionen der Erkrankungen und der Rekrutierung und Datenerhebung bei diesen Probanden, die meist im höheren Lebensalter und nicht immer sehr mobil sind, ergeben. Für beide Erkrankungen sagen die Hochrechnungen eine Zunahme um ca. 15 % in den nächsten 20 Jahren voraus. Die Schwerbehindertenstatistik des Bundes geht schon jetzt von 350.000 Blinden und Sehbehinderten in Deutschland aus, was einer Prävalenz von ca. 0,4 % entspräche. Augenärzte erleben jeden Tag, wie häufig Augenkrankheiten sind. Auch unsere Patienten merken, wenn sie versuchen einen Facharzttermin zu bekommen, dass wir keine augenärztliche Überversorgung in Deutschland haben.

Wir Augenärzte müssen immer wieder betonen, wie häufig und wie wichtig die Bedrohung der Sehkraft der deutschen Bevölkerung durch die Volkskrankheiten am Auge ist.

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Prof. Dr. Horst Helbig