Zu Beginn des 19. Jahrhunderts setzte sich die Ansicht durch, dass Glaukom eine zur Erblindung führende Augenerkrankung mit einem hohen intraokularen Druck sei. Die Entdeckung der Erblindungsursache gelang jedoch erst nach Einführung des Augenspiegels durch Helmholtz. Durch die damit möglich gewordene Untersuchung des lebenden Sehnervenkopfes fanden Jacobson (1853), Jaeger sowie von Graefe (beide 1854) Veränderungen der Papille beim Glaukom. Im Jahr 1861 beschrieb von Graefe das Offenwinkelglaukom, nachdem Donders von Patienten mit Sehverlust ohne Glaukomanfall berichtete, bei denen ein nur leicht erhöhter intraokularer Druck zu palpieren war.

Die Diagnose des Glaukoms anhand der Beurteilung der Papille durch einen erfahrenen Augenarzt bleibt weiterhin der beste Referenzstandard [1].

Die Diagnosestellung kann jedoch schwierig sein, v. a. bei Patienten mit frühem Glaukom mit noch sehr geringem Schaden des Sehnerven. Es lohnt sich jedoch, gerade diese Patienten herauszufiltern, da durch rechtzeitig begonnene, adäquate therapeutische Maßnahmen der resultierende Langzeitschaden reduziert werden kann [2]. Die genaue klinische Diagnose des Glaukoms durch Beurteilung der Papille wird durch die Subjektivität des Untersuchers, die Abhängigkeit von der Erfahrung des Arztes und die große Variation der Papillenmorphologie in der Bevölkerung eingeschränkt [3].

Selbstverständlich muss auch der Augeninnendruck zur Diagnosestellung beim Glaukom herangezogen werden, allerdings hat dieser außer bei extrem hohen Werten keine so starke Bedeutung wie der Sehnervenschaden. Dies wird im Praxisalltag leider nicht immer so berücksichtigt, weshalb in Deutschland eine große Überschneidung zwischen nichtbehandlungsbedürftigen Patienten mit gemessenem hohem Intraokulardruck (okuläre Hypertension, ohne Papillenschaden), echten Offenwinkelglaukompatienten und nicht behandelten Normaldruckglaukompatienten (gemessener Augeninnendruck immer kleiner als 21 mmHg und trotzdem ein Papillenschaden) besteht.

Darüber hinaus wird eine scheinbare Objektivität der Papillenbeurteilung durch die modernen computergestützten bildverarbeitenden Methoden wie die Scanning-Laser-Tomographie oder die optische Kohärenztomographie suggeriert. Diese Untersuchungsmethoden erheben sehr genaue Vermessungsdaten des Sehnervenkopfes. Fehlerquellen zur Detektion einer glaukomatösen Papillenveränderung sind die Qualität der Aufnahme, die Zuverlässigkeit der normativen Datenbank, mit der verglichen wird, und die Variabilität des „normalen“ Phänotyps [4]. Für Verlaufsbeobachtungen sind diese modernen Untersuchungsverfahren hervorragend geeignet, da sie die erhobenen Daten speichern und mit Folgeaufnahmen exakt vergleichen können und daher für Veränderungen sehr sensitiv sind [5]. Darüber hinaus stellen bildverarbeitende Methoden eine IGeL-Leistung dar. So hat nicht jeder Patient die finanzielle Möglichkeit, eine solche Untersuchung durchführen zu lassen.

Da es zur Vermeidung eines Glaukomschadens jedoch sehr wichtig ist, diesen bereits im frühen Stadium zu erkennen und einer passenden Therapie zuzuführen, ist es auch 155 Jahre nach der Beschreibung durch van Graefe weiterhin nötig, eine gute Untersuchung durch einen gut trainierten Untersucher durchführen zu können. Die Beurteilung der Papille ist nicht einfach. Zwei der Autoren, Detlev Spiegel und Ines Lanzl, hatten das Privileg, im Rahmen einer 1‑jährigen klinischen Schwerpunktausbildung Glaukom bei George Spaeth am Wills Eye Hospital in Philadelphia/USA zu arbeiten. Dabei war es selbstverständlich, dass der Assistenzarzt die Papillenexkavation schematisch zeichnete. Diese uns heute zum Teil altertümlich scheinende Übung führte jedoch zu einer exakteren Beobachtung der Papille, wollte man nicht vom begleitenden Lehrer bloßgestellt werden.

Aus der Erfahrung mit vielen Patienten und Schülern („fellows“) heraus entwickelte George Spaeth die Disc Damage Likelihood Scale (DDLS), die Roman Greslechner in diesem Themenheft erläutert. Sie beruht auf einer relativ einfachen, schrittweisen Beurteilung folgender Faktoren: 1) Identifikation der Papillenränder und Bestimmung der Papillengröße, 2) Beurteilung des neuroretinalen Randsaums, 3) Positionsänderungen der Gefäße, 4) Papillenrandblutungen, 5) parapapilläre Atrophie, 6) Nervenfaserbündeldefekte. Die erhobenen Befunde sollten in Form einer Papillenzeichnung dokumentiert werden.

Die systematische, klinische, qualitative sowie quantitative Untersuchung der Papille durch den geübten ärztlichen Untersucher im Hinblick auf glaukomatöse Veränderungen ist mit geringem Aufwand durchführbar und stellt nach wie vor die Grundlage der Diagnosestellung und des therapeutischen Managements der Glaukome dar.

Die häufigste therapeutische Maßnahme bei Glaukompatienten im Jahr 2014 war deutschlandweit die Verschreibung von lokal zu applizierenden Augentropfen. Die Ophthalmika stellten mit 669,78 Mio. € Bruttoumsatz den 18. Rang des kassenärztlichen Verordnungsvolumens dar [6]. Den Löwenanteil an der Gruppe der Ophthalmika machen wiederum Glaukommedikamente aus.

Deswegen ist es wichtig, sich mit den Möglichkeiten und Grenzen dieser Glaukomtherapie auseinanderzusetzen. Zwischen 15 und 35 % Drucksenkung vom Ausgangsdruck zu erreichen ist möglich. Allerdings spielt die Adhärenz bei der chronischen Erkrankung Glaukom eine wichtige Rolle, da nur ein korrekt applizierter Augentropfen auch die theoretisch mögliche Wirkung 24 Stunden am Tag über 365 Tage im Jahr gleichmäßig entfalten kann. Auf diese Aspekte und in Entwicklung befindliche Slow-release-Systeme gehen Lanzl et al. in ihrem Beitrag ein.

Kann medikamentös und/ oder laserchirurgisch kein befriedigender Zieldruck erreicht werden, sollte rechtzeitig eine drucksenkende Operation durchgeführt werden. Die Anzahl an stationären Glaukomoperationen hat in Deutschland von 2005 (27.208 Fälle) bis 2012 (40.865 Fälle) mit einer Steigerung um 50,2 % deutlich zugenommen (Prof. Norbert Pfeiffer, AAD 2016 Key note lecture). Der Hauptteil dieser stationären Glaukomoperationen 2012 waren mit 14.471 (35,3 %) Fällen filtrierende Operationen. Am zweithäufigsten wurden zyklodestruktive Eingriffe mit 12.345 Fällen (30,1 %) durchgeführt; 27,2 % (11.157 Fälle) der Glaukomoperationen waren Eingriffe zur Verbesserung der Kammerwasserzirkulation sowie mit 7,2 % (2083) andere nicht filtrierende Operationen. Die Trabekulektomien (TET) wurden im Jahr 2012 zu über 80 % mit intraoperativer Anwendung von Mitomycin C durchgeführt, was zu einer verbesserten Langzeitprognose der Drucksenkung durch die TET führte, allerdings auch im Langzeitverlauf mehr Nebenwirkungen hervorrufen kann. Auf diese Möglichkeiten und Grenzen der Trabekulektomie und der neueren Glaukomverfahren, bei denen häufig Implantate eingesetzt werden, geht Lukas Reznicek in seinem Beitrag ein.

Die Durchführung unserer diagnostischen und therapeutischen Vorgehensweise beruht heutzutage auf der Erfahrung, die auf die Erkenntnisse vieler großer, gut geplanter und durchgeführter Studien aufbaut. Es gibt jedoch immer wieder statistisch nicht korrekt durchgeführte Untersuchungen, die z. T. auch durch die Darstellung der Ergebnisse beim Leser einen Effekt suggerieren wollen, der bei exakterer Betrachtungsweise so nicht haltbar ist. In seinem Beitrag „Mit Statistik gemeistert: perfekte Augentropfen und idealer Screeningtest“ demonstriert Konstantin Kotliar die häufigsten Stolpersteine, die zu einer Fehlinterpretation der Daten führen und so unser tägliches Handeln unbewusst beeinflussen können. Wenn für Sie, wie für die meisten von uns, die Statistik ein trockener, unangenehmer Teil der Lektüre darstellt, empfehle ich Ihnen diesen Beitrag, bei dem auf die häufigsten Fehlerquellen mit einer Prise Humor eingegangen wird.

figure b

Prof. Dr. Ines Lanzl