Im 150. Jahr des 1865 gegründeten Lehrstuhls für Pathologie der Universität Rostock verstarb der 9. Ordinarius, Professor Dr. med. Hartmut Schill, am 8. Juli 2015 im friesischen Jever. Wenige Tage vor seinem diesjährigen Geburtstag hatte ihn bei vorbestehenden früheren Herzoperationen während der Gartenarbeit ein plötzlicher Herzstillstand ereilt. Trotz zunächst erfolgreicher Wiederbelebung und intensivmedizinischer Behandlung verstarb er 6 Tage nach Vollendung seines 87. Lebensjahres, ohne das Bewusstsein wiedererlangt zu haben. Der Verstorbene ist seinen früheren Mitarbeitern, Fachkollegen und klinischen Partnern sowie zahlreichen Studentenjahrgängen in lebhafter Erinnerung. Sie schätzten ihn nicht nur wegen seiner das Gesamtfach umfassenden diagnostischen Kenntnisse, sondern besonders auch wegen seines liebenswerten ruhigen, ausgleichenden Wesens.

Hartmut Schill wurde am 2. Juli 1928 in der damaligen Freien Stadt Danzig als Sohn des Stabszahlmeisters Ewald Schill und dessen Ehefrau Edith geboren. Noch in Danzig wurde er eingeschult, jedoch gelangte die Familie im Gefolge des Zweiten Weltkrieges nach Mecklenburg, wo der junge Schill zunächst die Oberschule in Schönberg besuchte und dann 1948 in Schwerin an der Goethe-Oberschule das Abitur machte. Danach studierte er von 1948 bis 1954 Humanmedizin an der Universität Rostock. Die Pflichtassistentenzeit absolvierte er an der Kinderklinik sowie auch schon am Institut für Pathologie der Universität Rostock. Hier erlebte er den siebten Lehrstuhlinhaber Hermann Loeschcke (1882–1958) in seinem letzten Dienstjahr 1954/55, auf den unter anderem eine Stadieneinteilung der Lobärpneumonie sowie in der Sektionstechnik der sog. Loeschckesche Kragenschnitt (1914) als Eröffnungsschnitt bei der Leichenöffnung zurückgehen.

Seit 1955 war Hartmut Schill wissenschaftlicher Assistent am Rostocker Universitätsinstitut, in dem er insgesamt 37 Jahre bis zum Eintritt in den Ruhestand Ende 1992 erfolgreich und nachhaltig ärztlich, akademisch und wissenschaftlich tätig gewesen ist. 1958 wurde er mit einer Arbeit über „Die Osteochondrosis deformans juvenilis coxae“ zum Dr. med. promoviert. Nach Loeschckes Emeritierung war Schill unter Martin Meyer (1915–1977) tätig, der das Rostocker Institut von 1955 bis 1958 kommissarisch leitete und später zum ersten Anatomieordinarius nach Magdeburg berufen wurde. Durch Flucht in den Westen bedingter extremer Personalmangel Ende der fünfziger Jahre erforderte von Hartmut Schill, rasch alle im Institut in Diagnostik und Lehre anfallenden Aufgaben zu erlernen und zeitweise allein zu bewältigen. Klagen nachmaliger jüngerer Kollegen über vermeintliche Arbeitsbelastungen ließen ihn deshalb stets nur milde lächeln. 1958 wurde Alexander Bienengräber (1911–1991) als achter Lehrstuhlinhaber an das Rostocker Institut berufen. Unter seinem Direktorat wurde Hartmut Schill Facharzt (1958), Oberarzt (1959), Prosektor (1965) und stellvertretender Institutsdirektor. Er habilitierte sich 1966 mit der Arbeit „Experimentelle enzymhistochemische, fluoreszenz-, licht- und elektronenmikroskopische Untersuchungen zur Funktion der Zellorganellen der renalen Hauptstückepithelien bei der Rückresorption heterologer Substanzen“. 1967 erfolgte seine Berufung zum Hochschuldozenten und 1971 zum ordentlichen Professor für Pathologie.

Nach der Emeritierung Alexander Bienengräbers wurde Hartmut Schill 1976 der neunte Lehrstuhlinhaber der Rostocker Pathologie. Wissenschaftlich hat er über die experimentelle Saccharosenephrose (1965), die Pathomorphologie medikamentöser Nierenschädigungen (1983) sowie über die Kapillarosklerose des Ureters im Obduktionsgut als Beitrag zur Analgetikanephropathie im Norden der DDR (1989) gearbeitet. Er hat Diplomanden und Doktoranden betreut sowie zwei seiner Mitarbeiter zur Habilitation geführt. Alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben Hartmut Schill sehr geschätzt und gern unter ihm gearbeitet. Während seines Direktorats ausgebildete Fachärzte sind in Flensburg, Hamburg und Berlin sowie in Rostock, Güstrow und Stralsund als Chefärzte und niedergelassene Pathologen tätig oder tätig gewesen. Darüber hinaus sind von Schills ehemaligen Fachärzten heute mehrere in verantwortungsvollen Ämtern: einer ist Bundestagsabgeordneter, ein weiterer Landesärztekammerpräsident und ein dritter ist Landesvorsitzender des Bundesverbandes Deutscher Pathologen. Medizinstudenten erhielten mehr als 3 Jahrzehnte lang in wissenschaftlich aktuellen und praxisbezogenen Schillschen Vorlesungen und Kursen einen umfassenden Unterricht in Allgemeiner und Spezieller Pathologie.

Nach Nazizeit und Krieg war Hartmut Schill aus sozialem menschlichem Empfinden bereits als Student 1948 in die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands eingetreten, da diese ein besseres Deutschland aufzubauen versprach. Gleichfalls durch Schills humanistische Gesinnung erklärt sich sein Wirken für das Deutsche Rote Kreuz, dessen Bezirkskomitee Rostock er von 1983 bis 1990 leitete und dem er auch nach der Wende von 1990 bis 1995 als Mitglied des Landesverbandes Mecklenburg-Vorpommern angehörte. 1985 erhielt er das Ehrenzeichen des Deutschen und 1987 auch das des Polnischen Roten Kreuzes. Seit 1976 war er Träger der Hufeland-Medaille. In Parteifunktionen sowie als Prorektor für Medizin (1972–1976) und Dekan der Medizinischen Fakultät (1989–1990) hat Hartmut Schill durch eine sachliche medizinische, wissenschaftliche und akademische Arbeit das Ansehen der Medizinischen Fakultät in Rostock erhalten und gefestigt. Politische Indoktrinationen hat er im Rahmen seiner Möglichkeiten verhindert und sie insbesondere seinen Mitarbeitern erspart. In seinen Direktorenjahren sorgte er für ein angenehmes Arbeitsklima im Institut für Pathologie und gewährte uns dankenswerte Freiheiten für eine unbeschwerte berufliche Entwicklung.

Seit 1960 war Hartmut Schill Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Pathologie. Wenige Wochen vor dem Bau der Berliner Mauer hatte er auf der 45. Tagung in Münster 1961 über Prontosil-Schäden der Skelettmuskulatur vorgetragen. Sein Vortrag fand das Interesse des Münsteraner Genius loci und Entdeckers der kurativen Prontosil-Wirkung Gerhard Domagk (1895–1964), der zu Schills Vortrag eine längere Diskussionsbemerkung machte. Durch die Zeitläufte bedingt blieb dies der einzige DGP-Vortrag von Hartmut Schill. Infolge heute kaum noch vorstellbarer DDR-Zwangsvorschriften ließ er sich ab 1969 im DGP-Mitgliederverzeichnis nicht mehr führen. Als reaktiviertes Mitglied war er nach der Wiedervereinigung Deutschlands ab 1990 wie viele andere DDR-Kollegen wieder in den Verhandlungsbänden verzeichnet und verfolgte das Wirken der Gesellschaft bis in die jüngste Zeit. Eine eigenartige Fügung mag es sein, dass sein Rostocker Nachfolger 2001 die 85. Tagung der Deutschen Gesellschaft für Pathologie leiten durfte, die – 40 Jahre nach Schills Prontosil-Vortrag – erneut in Münster stattfand.

Hartmut Schill war Mitglied der Europäischen Gesellschaft für Pathologie und mehrerer medizinischer Fachgesellschaften. 1982 leitete er die 9. Tagung der Gesellschaft für Pathologie der DDR in Neubrandenburg, die vom Rostocker Institut ausgerichtet worden war. Hauptthema war die Pathologie des Magen-Darm-Traktes. Als namhafter Gast referierte Max Ratzenhofer (Graz) über die Karzinoide mit dem bemerkenswerten Untertitel: „Das Dilemma ihrer Pathogenese und ein Lösungsversuch.“ – Sieben Jahre später nahmen Mitarbeiter des Rostocker Institutes am 20. Wissenschaftlichen Colloquium der Gesellschaft für Pathologie der DDR teil, das in Schwerin von Günter Möbius (1921–2003) ausgerichtet worden war. Am 9./10. November 1989 wurden die Teilnehmer dort von der Nachricht der Öffnung der Berliner Mauer überrascht. Unvergessen ist das spontane enthusiastische Grußwort des Gastes Udo Löhrs (damals Lübeck), dessen Institut wir 1990 auf seine freundliche Einladung im Rahmen eines Fakultätsbesuchs kennenlernten. Hartmut Schill steuerte das Rostocker Institut besonnen und zukunftsorientiert über die ersten Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung. Schmerzlich war nach 1989 bei allgemeiner Personalkürzung die Halbierung der Gesamtmitarbeiterzahl und der Anzahl der Ärzte. Als erleichternd und bereichernd erwiesen sich die nun auch in den neuen Bundesländern zugängliche Immunhistologie und Computertechnik, die rasch am Institut eingeführt wurden.

Ende 1992 ging Hartmut Schill in den Ruhestand und zog später mit seiner Ehefrau Ursel geb. Jakubzick nach Jever in Friesland, wo deren jüngere Tochter als Kinderärztin tätig ist. Die ältere Tochter arbeitet als Internistin in Friedland in Vorpommern. In seinen ersten Ruhestandsjahren hat Hartmut Schill noch frühere Mitarbeiter in Rostocker Praxen in Urlaubszeiten vertreten. Die Freude an Frau und Kindern und Enkelkind sowie eine bis in jüngste Zeit genossene gemeinsame familiäre Reisetätigkeit bestimmten seine letzten Lebensjahrzehnte. Vom Fakultäts-, Klinik- und Institutsleben in Rostock ließ er sich aus jährlich wiederkehrenden Anlässen fernmündlich oder brieflich berichten. Die ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sowie Kollegen und Studenten trauern in dankbarer Erinnerung um Herrn Professor Hartmut Schill, der für alle, die ihn kannten, unvergessen bleiben wird.

Horst Nizze

Rostock

Abbildungslegende: Hartmut Schill

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