Kasuistik

Anamnese und klinischer Befund

Eine 74-jährige Patientin stellte sich wegen unklarer Gewichtsabnahme (ca. 11 kg) vor. Die Patientin berichtete ferner über zwischenzeitliche Blutabgänge mit dem Stuhl. Nachtschweiß oder Fieber wurden verneint. In der Vorgeschichte waren ein metabolisches Syndrom mit Diabetes mellitus II, Hyperlipidämie, Hyperurikämie sowie eine arterielle Hypertonie bekannt, ferner eine chronisch-obstruktive Lungenerkrankung bei Nikotinabsus (27 „packyears“), die zuletzt 2 Monate vor der aktuellen Aufnahme akut exazerbiert und therapiebedürftig war. Aus der Anamnese ergab sich zudem kein Hinweis auf eine maligne Vorerkrankung. Eine Immundefizienz oder die Einnahme immunsuppressiver Medikamente waren nicht bekannt.

Bei der körperlichen Untersuchung ergab sich kein richtungsweisender Befund. Laborchemisch fand sich der Hinweis auf eine mikrozytäreAnämie (Hb 12,3 g/dl, Erythrozytenzahl 5,2/pl, Hkt 38 %, MCV 73,1 fl), ferner war die Leukozytenzahl im Normbereich (5,3/nl). Der Wert für die Laktatdehydrogenase war mit 284 U/l grenzwertig erhöht. Die übrigen Parameter waren bis auf eine Erhöhung der Harnsäure (7,4 mg/dl) ebenfalls unauffällig.

Endoskopische und bildgebende Untersuchung

Die Ösophagogastroduodenoskopie wies keine Blutungsquelle auf. Hingegen zeigte sich bei der koloskopischen Untersuchung in der rechten Flexur ein exulzerierter Tumor, der etwa die halbe Zirkumferenz einnahm und nicht stenosierend war (Abb. 1). Aus diesem Areal wurden Biopsate für die histologische Untersuchung gewonnen. Hier fand sich lediglich hyperplastische Kolonmukosa mit Anteilen eines frischen Ulkus.

Abb. 1
figure 1

Endoskopische Aufnahme des Tumors im Kolon

In einer zusätzlich durchgeführten Computertomographie des Abdomens mit Kontrastmittel zeigte sich im Colon ascendens eine langstreckige Kolonwandverdickung. Ferner fanden sich bis 9 mm große lokoregionäre Lymphknoten (Abb. 2). In weiteren bildgebenden Verfahren (Sonographie Abdomen, Röntgen Thorax, CT Thorax) ergab sich kein Hinweis auf eine Tumormetastasierung. Der Fall wurde auf der interdisziplinären Tumorkonferenz besprochen, wobei eine operative Exploration festgelegt wurde. Daraufhin wurde eine Hemikolektomie rechts durchgeführt.

Abb. 2
figure 2

Computertomographischer Befund der Wandverdickung im Kolon

Pathologischer Befund

Das Operationspräparat wurde in 4 %igem Formalin fixiert. Makroskopisch fand sich im Colon ascendens ein 5,5 × 3 × 2 cm messender schüsselförmig gestalteter und zentral ulzerierter Tumor. Dieser zeigte eine weißliche Schnittfläche, das Tumorgewebe reichte bis in die Subserosa hinein (Abb. 3). Die histologische Aufarbeitung ergab einen diffus wachsenden Tumor mit einer gemischten lymphoiden Population, wobei sich neben Lymphozyten und Plasmazellen auch vermehrt und teilweise gruppiert angeordnete eosinophile Granulozyten nachweisen ließen. In Abschnitten war das Stroma kollagenfaserreich (Abb. 4). Dazwischen fanden sich einzeln gelegene prominente mononukleäre Zellen mit vergrößerten Kernen und prominenten eosinroten bzw. metachromatischen Nukleolen, ferner auch immer wieder mehrkernige Riesenzellen, mit teilweise spiegelbildlich angeordneten Zellkernen und wiederum prominenten Nukleoli (Abb. 5).

Abb. 3
figure 3

Makroskopischer Befund mit der grauweißen homogenen Schnittfläche des Tumors

Abb. 4
figure 4

Histologische Übersicht mit Nachweis der Infiltration zwischen bestehenden glattmuskulären Strukturen (Pfeile, HE-Färbung, Vergrößerung 100-fach)

Abb. 5
figure 5

Detailaufnahme mit einer Hodgkin-Zelle (Pfeil) und einer mehrkernigen Reed-Sternberg-Zelle (Doppelpfeil), beide teilweise rosettenartig von Lymphozyten umgeben (HE-Färbung, Vergrößerung 400-fach, Balken entspricht 50 µm)

Aufgrund des konventionell-histologischen Befundes ergab sich somit der Hinweis auf klassische Hodgkin- und Reed-Sternberg-Zellen. Immunhistochemisch zeigten diese Zellen eine Positivität für CD30 (Abb. 6) und Negativität für CD45. Die Reaktion für CD15 fiel ebenfalls negativ aus. CD20 wurde arealweise schwach von den Hodgkin-Blasten exprimiert, wobei das Begleitinfiltrat sowohl B-Zell-reiche Abschnitte (CD20+) wie auch T-Zell-reiche Areale (CD3+) aufwies (letztere in unmittelbarer Nachbarschaft der Hodgkin- und Reed-Sternberg Zellen). Die weiterführende immunhistochemische Analyse im Rahmen der konsiliarischen Zweitbegutachtung in Kiel ergab die für Hodgkin-Lymphome typische schwache nukleäre Positivität für PAX-5 (Abb. 7) bei ansonsten stark herabreguliertem B-Zell-Immunphänotyp mit nur partieller schwacher Expression von CD20 sowie negativer Reaktion für CD19 und CD79a. Auch in der Untersuchung des Lymphomregisters konnte eine CD15-Expression nicht nachgewiesen werden. Darüber hinaus wurde in den Hodgkin-Blasten das Epstein-Barr-Virus (EBV) detektiert, sowohl mittels In-situ-Hybridisierung für EBV-kodierte RNA (EBER, Abb. 8) als auch über Nachweis einer Expression des LMP-Proteins. Abschließend wurde eine transmurale Infiltration der Kolonwand durch ein klassisches Hodgkin-Lymphom diagnostiziert.

Abb. 6
figure 6

Nachweis der CD30-Expression in Hodgkin- und Reed-Sternberg-Zellen (Peroxidasereaktion, Vergrößerung 400-fach)

Abb. 7
figure 7

Nachweis der PAX-5-Detektion mit typischer schwacher Kernanfärbung der Hodgkin- Blasten und der kräftigen Kernanfärbung der residuellen B-Lymphozyten (Peroxidasereaktion, Vergrößerung 400-fach)

Abb. 8
figure 8

EBV-Nachweis mittels In-situ-Hybridisierung (Peroxidasereaktion, Vergrößerung 400-fach). EBV EBV-kodierte RNA

Diagnose und Verlauf

Die weitere Untersuchung von 22 regionären Lymphknoten ergab keinen Lymphombefall. Auch in anschließenden Staginguntersuchungen konnte keine weitere Lymphominfiltration nachgewiesen werden. Somit ist der Befund abschließend als primäres Hodgkin-Lymphom des Kolons einzustufen. Postoperativ konnte die Patientin beschwerdefrei entlassen werden. Auf Empfehlung der GHSG-Studienzentrale Köln ist eine zusätzliche Gabe von 2 Zyklen ABVD-Chemotherapie (Adriamycin, Bleomycin, Vinblastin, Dacarbacin) ohne Bestrahlung aufgrund der vollständigen Tumorentfernung analog zur Niedrigrisikostratifizierung vorgesehen.

Diskussion

Der Anteil primärer Lymphome des Gastrointestinaltrakts an allen extranodalen Lymphomen beträgt 30–40 %. In der überwiegenden Mehrheit (bis zu 75 %) betreffen diese den Magen [2]. Primäre Lymphome des Kolons sind hingegen eine Seltenheit. In 2 nahezu zeitgleich erfolgten Analysen größerer Kohorten ergab sich ein Anteil der malignen Lymphome unter allen untersuchten Kolonneoplasien von lediglich 0,9 [4] bzw. 0,48 % [5]. Am häufigsten konnte ein Lymphombefall im Zökum dokumentiert werden (60 %), gefolgt von Colon ascendens mit rechter Flexur (27 %) und Sigma (13 %) [6]. Die weitaus überwiegende Mehrheit gehört zur Gruppe der Non-Hodgkin-Lymphome (NHL), während Hodgkin-Lymphome im Gastrointestinaltrakt viel seltener auftreten und speziell im Kolon bzw. Rektum nahezu ausschließlich in Form von Kasuistiken beschrieben wurden. Für die Diagnose eines primären kolorektalen Lymphoms gelten folgende Kriterien [10]:

  • keine vergrößerten superfiziellen Lymphknoten bei primärer Präsentation,

  • negativer Röntgen-Thorax-Befund insbesondere hinsichtlich mediastinaler Lymphknoten,

  • normaler Knochenmarkbefund, normale Leukozytenzahl,

  • bei der Laparotomie sind lediglich die regionären Lymphknoten auffällig,

  • Leber und Milz sind makroskopisch tumorfrei.

Neuerdings werden diese eher strikten Kriterien hinterfragt [10]. Im hier präsentierten Fall konnten jedoch alle Punkte bestätigt werden, was zur abschließenden Diagnose des Tumors als primäres Hodgkin-Lymphom des Kolons führte.

Bezüglich der klinischen Symptomatik ist auffallend, dass die Beschwerden unspezifisch sind, was mit einem prolongierten Krankheitsverlauf einhergehen kann [11]. Serologische Befunde, welche auf ein Lymphom hinweisen können, fehlen beim primären kolorektalen Lymphom häufig, sodass die klinische Diagnostik zusätzlich erschwert ist. Wie der vorliegende Fall zudem zeigt, können Biopsate auch, speziell wenn es sich um oberflächliche Proben aus exulzerierten Lymphomen handelt, falsch-negativ sein.

Wichtig für die Diagnosestellung des klassischen Hodgkin-Lymphoms sind die typische Histomorphologie mit Nachweis klassischer Hodgkin-Blasten, das typische gemischtzellige Begleitinfiltrat und der Nachweis des charakteristischen Immunphänotyps der Hodgkin-Zellen mit CD30-Expression, variabler Expression von CD15, variabler EBV-Assoziation sowie dem Nachweis eines „herabreguliertem“ B-Zell-Profils. Der B-Zell-Transkriptionsfaktor PAX-5 ist mit einer meist charakteristisch nukleären schwachen Anfärbung in fast allen Hodgkin-Lymphomen als Hinweis auf eine B-Zell-Differenzierung nachweisbar und dient auch der differenzialdiagnostischen Abgrenzung gegenüber anderen CD30-exprimierenden Neoplasien. Klassische B-Zell-Marker wie CD20 sind hingegen meist negativ oder nur schwach exprimiert. In den seltenen Fällen mit starker CD20-Expression müssen differenzialdiagnostisch das lymphozytenprädominante Hodgkin-Lymphom sowie andere B-NHLs ausgeschlossen werden [9]. Der hier publizierte Fall (CD30+, CD20−/+, EBV+, PAX-5 −/+, CD15−) erfüllte somit alle typischen Kriterien des klassischen Hodgkin-Lymphoms, hier EBV-assoziiert. Die fehlende Expression von CD15 ist kein Gegenargument und wird bei ca. 40 % sonst klassischer Hodgkin-Lymphome beobachtet [9].

Differenzialdiagnosen

Im hier vorliegenden sehr seltenen Fall eines primär intestinalen EBV-assoziierten Hodgkin-Lymphoms bei einer älteren Patientin sind 2 Differenzialdiagnosen näher zu diskutieren:

  • Abgrenzung gegenüber einer so genannten „EBV-assoziierten mukosalen Ulzeration“ [3],

  • Abgrenzung gegenüber einem „EBV-positiven diffus großzelligen Lymphoms des älteren Patienten“ [8].

Die „EBV-positive mukokutane Ulzeration“ ist eine relativ neu beschriebene Entität und entspricht einer EBV-assoziierten mukosalen Lymphoproliferation, welche histomorphologisch und auch immunhistochemisch Infiltraten eines klassischen Hodgkin-Lymphoms extrem ähnlich sein kann, häufig im Rahmen einer Immunsuppression auftritt und einen klinisch blanden, selbstlimitierenden Verlauf nimmt [3]. Allerdings ist diese Erkrankung definitionsgemäß als oberflächliche Schleimhautulzeration beschrieben, eine transmurale tumorbildende Infiltration wie im hier publizierten Fall ist mit dieser Diagnose nicht vereinbar. Da „EBV-positive mukokutane Ulzerationen“ häufiger im Rahmen einer Immunsuppression auftreten, ist es möglich, dass ein Teil der publizierten Fälle zu intestinalen Hodgkin-Lymphomen bei Patienten mit chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED), welche häufig unter immunsuppressiver Medikation stehen, eigentlich dieser erst kürzlich beschriebenen Entität zuzuordnen wären [3, 7]. Bei der hier beschriebenen Patientin war keine Immunsuppression im engeren Sinne bekannt und die Patientin litt auch nicht unter einer CED. Allerdings bestand bei der Patientin eine Reihe chronischer und therapiebedürftiger Grundleiden, sodass die Immunlage möglicherweise dennoch insgesamt eingeschränkt war und es denkbar ist, dass eine lokale EBV-Reaktivierung mit zur Pathogenese des Lymphoms beigetragen haben könnte. Die differenzialdiagnostische Abgrenzung gegenüber einem „EBV-assoziierten diffus großzelligen B-Zell-Lymphom des älteren Patienten“, für welches Hodgkin-ähnliche Merkmale beschrieben werden [8], gelingt im vorliegenden Fall über den stark herabreguliertem B-Zell-Phänotyp, fehlenden Nachweis von Nekrosen sowie die durchgängige Pauzizellularität des Infiltrats [1].

Aufgrund der abschließenden Staginguntersuchungen wurde der Befund als Stadium IE festgelegt. Die Therapie dieser Lymphomgruppe wird auch bei den kolorektalen Lymphomen kontrovers diskutiert. Belegt ist der positive Effekt operativer Eingriffe (chirurgische Resektion mit negativen Resektionsrändern). Während für das Stadium II der Nutzen einer adjuvanten Chemotherapie demonstriert wurde (117,4 vs. 47,9 Monate [5]), konnte dies für das auch hier vorliegende lokale Stadium nicht belegt werden [5, 6]. Zusammen mit der spezifischen Krankheitsgeschichte der hier beschriebenen Patientin (zahlreiche chronische Vorerkrankungen und fortgeschrittenes Alter) wurde daher zunächst auf eine systemische Therapie verzichtet, von der Studienzentrale jedoch abschließend eine Chemotherapie empfohlen. Aufgrund der extrem niedrigen Quoten primärer kolorektaler Hodgkin-Lymphome sind statistisch gesicherte Daten anhand größerer Kohorten nicht zu erwarten, sodass die Therapieentscheidung weiterhin primär fallbezogen bleiben dürfte und in Absprache mit einer Studienzentrale erfolgen sollte.

Fazit für die Praxis

  • Maligne Lymphome machen weniger als 1 % aller Kolonneoplasien aus; hierunter sind Hodgkin-Lymphome umso mehr als echte Raritäten einzustufen.

  • Der klinische Befund ist uncharakteristisch; bei exulzerierten Lymphomen können oberflächliche Biopsate u. U. keine definitive Diagnose erbringen.

  • Primär intestinale EBV-assoziierte Hodgkin-Lymphome sind insbesondere differenzialdiagnostisch von der „EBV-positiven mukokutanen Ulzeration“ abzugrenzen; dies kann aufgrund sehr ähnlicher histopathologischer Merkmale der Entitäten nur über eine klinisch-pathologische Korrelation erfolgen.

  • Für die Diagnose des klassischen HL allgemein sind neben der typischen Histomorphologie der immunhistochemische Nachweis von CD30 und PAX-5 bedeutsam, die Expression für CD15 kann hingegen (wie im vorliegenden Fall) fehlen.

  • Während der prognostisch positive Effekt der chirurgischen Resektion belegt ist, wird der Einsatz adjuvanter Chemotherapie bei rein lokalem Lymphombefall kontrovers diskutiert; da statistisch gesicherte Daten aufgrund der Seltenheit primärer kolorektale Hodgkin-Lymphome fehlen, sollte die Therapieentscheidung durch einen erfahrenen Onkologen bzw. in Absprache mit einer Studienzentrale fallbezogen erfolgen.