Das letzte zum Thema Gruppenpsychotherapie herausgegebene Schwerpunktheft der Zeitschrift Psychotherapeut aus dem Jahr 2011 begann mit einem Aufsatz des Soziologen Oliver König mit dem Titel „Vom allmählichen Verschwinden der Gruppenverfahren“ (König 2011). Königs Thesen waren ebenso provokant wie pessimistisch für die Gruppenverfahren. Als Folge der Ausdifferenzierung des psychosozialen und des psychotherapeutischen Felds sei – so König – das Interesse an Gruppenverfahren zurückgegangen. Die Gruppenverfahren seien an ihrem Erfolg zugrunde gegangen, d. h., Gruppendynamik, selbst Psychodrama, hätten mittlerweile ebenso Eingang gefunden in viele Lebens- und Ausbildungsbereiche, was teilweise auch für die Gruppenpsychotherapie gelte, mit dem Unterschied, dass Gruppentherapien immer noch ein „Anhängsel der Einzelverfahren“ (König 2011, S. 289) seien. König sah weiter die Dominanz der Gruppenverfahren in den 1960ern und 1970ern als „historische Ausnahme und kulturelles Intermezzo“, die auch durch eine „Repositivierung“ der Forschung in diesem Bereich bedingt sei. Er meinte, dass Gruppenverfahren (einschließlich der Gruppentherapie) einerseits nicht in der Lage seien, sich den Erfordernissen veränderter gesellschaftlicher Bedingungen anzupassen, und dass andererseits die Gruppenverfahren im Rahmen eines Anpassungsprozesses an die Rahmenbedingungen Gefahr liefen, „gerade die Expertise zu verlieren, die sie von anderen Anbietern unterscheidet“ (2011, S. 292).

Fünf Jahre später stellt sich die Situation möglicherweise deutlich günstiger dar: Das Interesse an Gruppenverfahren scheint so gering gar nicht zu sein: In einer Repräsentativerhebung an über 2500 Bundesbürgern wurde kürzlich gezeigt, dass sich die Einstellung zu Gruppen in unterschiedlichen Lebensbereichen (Arbeit, Sport und Freizeit, Bildung, Selbsthilfe) als durchweg positiv erwies. Gruppenpsychotherapie hielten mehr als 70 % der Befragten für sinnvoll, 6 % hatten sogar bereits Erfahrungen mit irgendeiner Form von Gruppentherapie (z. B. in der Rehaklinik). Ein Drittel der Befragten schließlich würde einem guten Freund, der psychotherapeutische Hilfe benötigt, eher eine Gruppen- als eine Einzeltherapie empfehlen (Einzelheiten der Studie: Strauß et al. 2015).

Dass Gruppenpsychotherapie eher ein „Anhängsel“ der Einzelverfahren darstellt, scheint tatsächlich noch der Fall zu sein. Wie sonst wäre zu erklären, dass der Anteil der Gruppentherapien an den kassenfinanzierten Richtlinientherapien im niedrigen einstelligen Prozentbereich liegt (Strauß und Mattke 2013). Walendzik et al. (2011) zeigten, dass insgesamt 24,2 % aller psychologischen und ärztlichen Psychotherapeuten aufgrund ihrer Qualifikation eigentlich in der Lage wären, Gruppenbehandlungen mit den Krankenkassen abzurechnen, dass aber höchstens ein Drittel davon (also 7,7 % aller Psychotherapeuten) gruppentherapeutische Behandlungen tatsächlich anböten.

Dass sich dies vielleicht bald ändert, könnte durch die Initiative der aktuellen Bundesregierung bewirkt werden, deren erklärte Absicht es ist, die psychotherapeutische Versorgung zu verbessern. So findet sich im Koalitionsvertrag folgende Formulierung: „Wir wollen in der psychotherapeutischen Versorgung Wartezeiten reduzieren und mehr Betroffenen ein zeitnahes Angebot für Kurzzeittherapie eröffnen. Hierzu werden wir das Antrags- und Gutachterverfahren entbürokratisieren, die Gruppentherapie fördern und den Gemeinsamen Bundesausschuss beauftragen, in einer gesetzlich definierten Frist die Psychotherapierichtlinie zu überarbeiten“ (Koalitionsvertrag o. A. von CDU, CSU und SPD, „Deutschlands Zukunft gestalten“, S. 54).

Mit dieser doch sehr präzisen Feststellung im Koalitionsvertrag der aktuellen Bundesregierung sind Reformen angestoßen worden, die noch in der laufenden Legislaturperiode realisiert werden sollen. Mit einem speziellen Thema hatte sich der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) bereits in den letzten Jahren befasst, nämlich mit (neuen) Möglichkeiten der Kombination von Einzel- und Gruppenbehandlung im Rahmen der Richtlinienpsychotherapie, die zumindest in den psychoanalytisch begründeten Therapieverfahren nicht bzw. nur sehr eingeschränkt möglich waren.

Erst kürzlich (am 16.06.2016) hat der G‑BA nun einen umfassenden Vorschlag für eine Strukturreform der ambulanten Psychotherapie unterbreitet, der kommendes Jahr in Kraft treten soll. Unter anderem sind in diesem folgende Aussagen/Beschlüsse enthalten:

Die Gruppentherapie wird gestärkt und gilt als gleichwertige, in der Indikationsstellung zu berücksichtigende Anwendungsform. Um das Angebot von Gruppentherapien zu erleichtern und Anreize zu schaffen, wird in allen Verfahren die Mindestteilnehmerzahl auf drei Personen abgesenkt. Eine Änderung zielt darauf ab, dass die Gutachter von Anträgen zur Gruppentherapie auch über die Qualifikation zur Erbringung von Gruppentherapie verfügen müssen. Der Grund hierfür liegt darin, dass teilweise Gutachter zur Bewertung von Berichten für Gruppentherapie herangezogen wurden, die selber nicht über eine entsprechende Qualifikation verfügen und folglich nur eine eingeschränkte Bewertung vornehmen können. (G-BA 2016)

Die Zielsetzung einer Förderung der Gruppenpsychotherapie wurde vom G‑BA, in folgenden Regelungszusammenhängen zusammengefasst, aufgegriffen:

  • gleichberechtigte Darstellung der Einzel- und Gruppentherapie im Richtlinientext,

  • Anpassung der Gruppengröße (mindestens 3 Personen),

  • Vereinfachung der Änderung des Behandlungssettings,

  • Einführung der Kurzzeittherapie im Gruppensetting für die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie bei Kindern,

  • Wegfall eines Kontingentschritts bzw. Erhöhung des zweiten Kontingentschritts für Gruppentherapie,

  • Wegfall der Gutachterpflicht für Kurzzeittherapie im Gruppensetting und Begutachtung von Gruppentherapien ausschließlich durch Gutachter mit Qualifikation zur Gruppentherapie.

Auch wenn die erwähnten Schritte noch nicht realisiert und noch eine Reihe von Hindernissen bei deren Umsetzung zu erwarten sind, hat die Gesundheitspolitik zumindest einiges dafür getan, den „Anhängselcharakter“ (König 2011) der Gruppentherapie in den Psychotherapierichtlinien zu verändern.

Die von König (2011) bemühte „Repositivierung der Forschung“ – man mag dies vielleicht beklagen und um den breiten Anspruch von Gruppen in den früheren Jahrzehnten trauern – hat vermutlich auch positive Wirkungen, da mittlerweile, dies zeigt u. a. auch die Übersichtsarbeit von Strauß et al. im vorliegenden Heft, eine Fülle an Forschungsergebnissen vorliegt, die die Wirksamkeit der Gruppentherapien – auch im Vergleich zu Einzelpsychotherapien – deutlich nachweisen. Gruppentherapien sind also – positivistisch formuliert – evidenzbasierte Anwendungen von Psychotherapie.

Im Zuge der „Repositivierung“ haben sich die Gruppenverfahren durchaus den gesellschaftlichen (und wissenschaftlichen) Anforderungen angepasst, was gut an den psychodynamischen Gruppentherapieverfahren zu erkennen ist. War noch vor kurzer Zeit ein deutliches Forschungsdefizit in diesem Bereich zu konstatieren, gibt es jetzt doch eine bessere Forschungslage und insbesondere auch manualbasierte Behandlungskonzepte, die eine systematische Erforschung gruppenanalytischer/psychodynamischer Gruppenbehandlungen erst ermöglichen (Strauß 2016; Lorentzen 2014).

Mögen also einige Thesen Königs heute zu relativieren sein, gilt der Inhalt der 5. These vermutlich nach wie vor. Die spezifische Expertise von Gruppentherapeuten sollte die Kenntnis der Eigenheit der Gruppenpsychotherapie, insbesondere der Gruppendynamik, sein, die sowohl in der Anwendung von Therapiegruppen als auch in der Ausbildung immer noch eine geringe Rolle spielt und deren Bedeutungsverlust sich auch institutionell an der „Auflösung“ des Deutschen Arbeitskreises für Gruppenpsychotherapie und Gruppendynamik zugunsten einer neuen psychotherapeutisch-gruppenanalytischen Vereinigung ablesen lässt.

Vermutlich wird die Renaissance der Gruppenpsychotherapie noch einige Zeit brauchen. Eine Chance hat sie allemal, zumal die Voraussetzungen hierfür sowohl auf einer Einstellungsebene (der Anbieter und der „Konsumenten“) als auch auf gesundheitspolitischer und wissenschaftlicher Ebene durchaus günstig sind.

Vielleicht kann das vorliegende Heft der Zeitschrift Psychotherapeut ein wenig zur Renaissance der Gruppentherapie beitragen: Neben der bereits erwähnten Übersichtsarbeit zum aktuellen Stand der Gruppenpsychotherapieforschung – Befunde der Ergebnis- und Prozessforschung – finden die Leser nachfolgend 2 eher methodische Beiträge (von hohem praktischen Wert!), nämlich die Beschreibung eines Systems zur operationalisierten Basisdokumentation von Gruppenpsychotherapien (OBG) von Schubert et al. sowie die Übersetzung und Validierung eines Fragebogens zu Yaloms Wirkfaktoren in der Gruppentherapie von Mander et al. Schattenburg reflektiert in einem klinischen Beitrag über das Thema Theorietreue und Variationen im Kontext der stationären Gruppenpsychotherapie. Schließlich befasst sich Schreiber-Willnow mit einem im stationären Setting häufigen organisatorischen Behandlungsproblem und seinen Auswirkungen auf die Gruppe, nämlich dem Problem der Vertretungsbehandlung.

Mit großem Dank an alle Autorinnen und Autoren dieses Hefts wünsche ich den Leserinnen und Lesern viele Anregungen und vielleicht ja auch die Ermutigung, das Gruppensetting häufiger und intensiver zu nutzen.