Kein Verfahren hat die pränatale Diagnostik in den letzten Jahren so blitzartig und unvorbereitet aufgewirbelt wie die Einführung der Nichtinvasiven Pränatalen Tests (NIPTs), die eine vorgeburtliche Feststellung spezifischer genetischer Eigenschaften des Feten aus einer Blutprobe der Mutter mit hoher Präzision ermöglichen. Bisher stützte sich die pränatale Diagnostik zur Erkennung von genetischen Erkrankungen auf die vorgeburtliche Ultraschalldiagnostik und die invasive Diagnostik. Diese klassische Methoden haben sich innerhalb der letzten Jahrzehnte weltweit etabliert, und ihre Effizienz konnte durch unzählige Publikationen und Studien belegt werden. Durch eine kontinuierliche und rasante Verbesserung der Gerätetechnik gelingt eine immer differenziertere und klarere Beurteilung des Feten und eine relativ sichere Vorhersage von Fehlbildungen oder Schwangerschaftskomplikationen. Auch die Untersucher und behandelnden Ärzte sind in vielen Ländern mittlerweile extrem hoch qualifiziert und spezialisiert. Sie sind in zahlreichen, gut aufgestellten nationalen wie internationalen Fachgesellschaften für Ultraschall in der pränatalen Medizin organisiert sowie aus- und weitergebildet.

Alle diese Voraussetzungen haben schon in den letzten Jahren vor der NIPT-Ära dazu geführt, dass viele fetale Fehlbildungen und Schwangerschaftskomplikationen heute schon sehr früh in der Schwangerschaft mit großer Genauigkeit vorhergesagt und erkannt werden. So ist es mittlerweile möglich, im Rahmen eines erweiterten Ersttrimesterscreenings Erkennungsraten für eine fetale Trisomie 21 von bis zu 96 % zu erreichen bei einer Falsch-positiv-Rate von etwa 2,5 %. Verglichen mit der Genauigkeit bei Betrachtung des reinen Altersrisikos, das noch vor nicht allzu langer Zeit im deutschsprachigen Raum als Basis für die Beratung verwendet wurde, sind diese Zahlen exzellent.

Für die definitive vorgeburtliche Abklärung einer schwerwiegenden Chromosomenstörung beim Feten stehen Methoden der invasiven Diagnostik mit einer nachfolgenden Karyotypisierung, FISH-Analyse oder Array-CGH zur Verfügung. Diese invasiven Verfahren stellen nicht zuletzt für die betroffenen Frauen eine erhebliche psychische und körperliche Belastung dar, sie bergen auch ein nicht unerhebliches Risiko für eine spontane Fehlgeburt von 0,5–1 % in sich. Die beschriebenen Entwicklungen der pränatalen Ultraschalldiagnostik konnten erheblich dazu beitragen, die Rate an überflüssigen invasiven Eingriffen dramatisch zu reduzieren. Ziel der Bemühungen ist es unverändert, die Rate unklarer Befunde aus der Ultraschalldiagnostik weiter zu minimieren, um damit auch die Rate von invasiven Eingriffen zu senken.

Ziel ist die Verringerung unnötiger invasiver Interventionen

Der skizzierte differenzierte Einsatz dieser klassischen Methoden hat allerdings auch zu erheblichen praktischen Problemen geführt, mit der jeder Frauenarzt und jede Frauenklinik zu kämpfen hat. So hat sich die pränatale Diagnostik immer weiter spezialisiert und zu einer quasi eigenständigen Disziplin herausgebildet. Dies erfordert einen immensen Trainings- und Ausbildungsaufwand für die durchführenden Ärzte, der schon heute in Deutschland innerhalb des klassischen universitären Ausbildungssystems nur noch wenig oder gar nicht mehr gewährleistet werden kann.

Heute ist die pränatale Diagnostik quasi eine eigenständige Disziplin

Ein weiteres Problem besteht in der immer kostspieligeren apparativen Ausstattung. Ob die Bereitstellung in Zukunft auch in wohlhabenden Ländern in der Fläche möglich wird, ist aufgrund des erheblichen Kostendrucks in den Gesundheitssystemen mehr als fragwürdig. In vielen Ländern fehlen schon heute eine flankierende und einheitliche Qualitätssicherung sowie Standards in der Umsetzung, um in der Fläche diese hoch qualifizierten Leistungen anbieten zu können.

Der Einsatz vorgeburtlicher genetischer Screeningtests wird darüber hinaus schon seit jeher in Deutschland und anderswo von einer leidenschaftlich und intensiv geführten gesellschaftlichen, sozialpolitischen und innerärztlichen Debatte und Kontroverse begleitet. Daher besteht nach wie vor kein Konsens im Sinne von allgemein akzeptierten Standards, die sinnvollen Indikationen, den Einsatz, die Art und den Umfang von vorgeburtlichen Screeninguntersuchungen auf genetische Erkrankungen in der Praxis regelt. Dazu kommt, dass diese Leistungen nicht Bestandteil des Leistungskataloges der gesetzlichen Krankenkassen im Rahmen der Mutterschaftsrichtlinien sind und damit in der Regel von den Patientinnen selber bezahlt werden müssen. Ein entsprechendes nationales und flächendeckendes Screening Programm, wie es z. B. in Dänemark über die Jahre aufgebaut wurde und aktiv gepflegt wird, wurde hierzulande bisher nicht etabliert.

Auf diese diffuse Gemengelage trifft jetzt eine neuartige Screeningmethode für die vorgeburtliche Erkennung genetischer Erkrankungen. Da diese Tests nicht aus den traditionellen akademisch-universitären Institutionen stammen und vorsichtig eingeführt werden konnten, sondern durch kommerziell agierende Biotechnologiefirmen mit teils erheblicher Aggressivität auf den Markt gebracht worden sind, sind Misstrauen sowie Berührungsängste bei allen Beteiligten – nicht zuletzt bei den beratenden und behandelnden Ärzten – nicht selten enorm ausgeprägt. Darüber darf allerdings auch nicht vergessen werden, dass diese Tests sehr effektiv sind und ein enormes Potenzial haben, dem eigentlichen Ziel jeder pränatalen Diagnostik – nämlich möglichst eindeutige Ergebnisse und die Verfügbarkeit risikoarmer Verfahren – einen bedeutenden Schritt näher zu kommen. Aufgrund der schnellen medialen Verbreitung und Bewerbung der neuen Methode im digitalen Zeitalter, werden NIPTs von jungen werdenden Müttern nicht selten aktiv angefordert und nachgefragt. Daher ist es wichtig und lohnend, sich mit diesen neuen Verfahren genauer auseinanderzusetzen.

Wie funktionieren diese Tests? Was können sie leisten? Wann und in welchem Kontext können sie zur Anwendung kommen? Was kosten die Tests? Wie und wann muss ich aufklären? Was ist bei der Interpretation zu beachten? Wann können diese Tests nicht angewandt werden?

Die Antworten auf diese Fragen sind nicht immer einfach und trivial, und abschließende Antworten lassen sich derzeit sicherlich nicht geben. Mit den Beiträgen in dieser Ausgabe möchten die Autoren dazu beitragen, Ihnen das nötige Fachwissen aus verschiedenen Perspektiven vermitteln, damit Sie sich selbst ein Bild machen können und in Gelassenheit zusammen mit Ihrer Patientin den richtigen und gewünschten Weg finden können, welche vorgeburtlichen Untersuchungen durchgeführt werden sollen und welche vielleicht auch nicht.

Eingebettet in eine vernünftige, auf Wissen basierende Aufklärung können NIPTs die Pränataldiagnostik und Schwangerenbetreuung mit Sicherheit verbessern und präzisieren, wenn dies gewünscht wird. Jeder Frauenarzt sollte aufgrund der raschen Fortschritte die Entwicklungen sowohl des medizinischen Fortschrittes als auch der gesellschaftlichen Diskussion und nicht zuletzt der rechtlichen Rahmenbedingungen aufmerksam und aufgeschlossen verfolgen. In diesem Kontext wird die Methode ihren berechtigten Platz in der vorgeburtlichen Diagnostik finden.

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Andreas Schröer