Vergleicht man die Schwangerenvorsorgeprogramme verschiedener europäischer Länder, fallen in erster Linie die teilweise erheblichen Unterschiede bei der Anzahl der Kontrolluntersuchungen auf. Belgien, Österreich und die Schweiz sind in der untersten Kategorie zu finden, während Deutschland oder Großbritannien eher im oberen Feld anzutreffen sind. Die Häufigkeit der Untersuchungen und ihre Anordnung während der Schwangerschaft wurden kürzlich von der Arbeitsgruppe Nicolaides infrage gestellt. Mit ihrem Konzept der Umkehr der Vorsorgepyramide empfehlen sie einen neuen Weg: weg von vielen Kontrollen am Ende der Schwangerschaft hin zu einer umfassenderen Kontrolle am Ende des ersten Trimesters mit gezielter Suche nach Aneuploidien und Fehlbildungen sowie einer Abschätzung der Risiken bezüglich Abort- und Totgeburt, Frühgeburt, Präeklampsie, Gestationsdiabetes und fetalen Wachstumsstörungen sowie einer darauf abgestützten Einteilung der Schwangeren in spezifische „low-risk“ und eine „high-risk“ Gruppen mit angepassten Kontrollintervallen. Beim genaueren Hinsehen wird trotz großen Aufwands jedoch nur ein Teil der jeweils betroffenen Frauen bzw. Feten entdeckt, und es fehlen auch bisweilen überzeugende therapeutische Optionen, um den Schwangerschaftsverlauf günstig zu beeinflussen.

In diesem Themenheft möchten wir nicht so sehr die Anzahl der Kontrolluntersuchungen und ihre zeitliche Anordnung in der Schwangerschaft beleuchten, sondern vielmehr die Ziele der Schwangerenvorsorge definieren und daraus möglichst evidenzbasierte Handlungskonzepte ableiten.

Zu definieren sind Vorsorgeziele und evidenzbasierte Handlungskonzepte

Je nach Land sind solche Screeningziele teilweise noch in Diskussion. Mit identisch strukturierten Tabellen gängiger Testverfahren möchten wir etablierte Tests zusammenfassen, aber auch aufzeigen, wo ggf. für individuelle Gesundheitsleistungen Platz sein könnte. Von Nicole Ochsenbein und Roland Zimmermann werden die Mehrlingsvorsorge und die hämatologische Vorsorge näher beleuchtet. Bei den Mehrlingen ist die frühe Festlegung des Plazentatyps zentral für die weitere Betreuung, bei der hämatologischen Vorsorge werden Anämie, transfusionsmedizinische Probleme, Rhesusprophylaxe, aber auch ein erhöhtes Blutungs- oder Thromboembolierisiko abgehandelt.

Olav Lapaire geht näher ein auf die gängigen, aber auch auf die neuen Frühgeburts- und Präeklampsievorsorgetests. Gerade bei der Frühgeburtsprophylaxe haben die Früherkennung einer abnormen vaginalen Bakterienbesiedelung und die sonographische Erfassung einer kurzen Zervix in der Schwangerschaftsmitte dank wirksamer prophylaktischer Maßnahmen an Bedeutung gewonnen.

Matthias Meyer-Wittkopf fasst die Ziele einer Infekt- und Fehlbildungsvorsorge zusammen. Während bei den Infektionen vieles gut etabliert ist, befinden wir uns betreffend genetischer Vorsorge zurzeit am Anfang einer kompletten Umstrukturierung, die neue Konzepte benötigt und auch eine kontinuierliche Auffrischung des aktuellen Wissens.

Die Themen fetale Versorgung und metabolische Vorsorge werden von Silvia Lobmaier und Katharina Quack Lötscher abgehandelt. Im Vordergrund stehen das frühzeitige Erkennen fetaler Wachstumsstörungen (zu viel und zu wenig) und deren Überwachung zum einen sowie die frühzeitige Erfassung und Behandlung von mütterlichen Fehl- und Mangelernährung zum anderen.

Ralf Schild schließlich thematisiert die nicht minder wichtige soziale Vorsorge und allgemeine Beratung, zur Sprache kommen dabei der Schutz am Arbeitsplatz, häusliche Gewalt, aber auch allgemeine Aspekte, wie Sport, Reisen oder Impfungen.

Das Fazit aus den verschiedenen Beiträgen: Viel wichtiger als die Anzahl der Kontrollen ist die Definition der Vorsorgeziele, bei welchen auch evidenzbasierte Handlungsweisen bestehen.

Effektivere Prophylaxeoptionen lassen Früherkennung noch relevanter werden

In diesem Sinne wünschen wir Ihnen beim Lesen viel Spaß und hoffen, dass Sie einiges davon im Alltag direkt anwenden können.

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Prof. Dr. Roland Zimmermann

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Prof. Dr. Ulrich Gembruch