Sehr geehrte Leserinnen und Leser,

Hirntumoren stellen etwa ein Viertel der Malignome im Kindesalter dar, wobei sich die pathologischen Entitäten und ihre Häufigkeiten stark von Hirntumoren des Erwachsenenalters unterscheiden. Selbst innerhalb des Kindesalters gibt es altersspezifische Unterschiede. Die heterogene Gruppe der ZNS-Tumoren sind die häufigsten soliden Tumoren im Kindesalter.

Die WHO-Klassifikation der ZNS-Tumoren erfasst eine Fülle verschiedener Subtypen, deren Gruppierung sich aufgrund ihrer teils historisch, teils nach ihrer Lokalisation und teils nach vermuteten phylogenetischen Gesichtspunkten strukturierte Ordnung für Nichtneuropathologen sich nicht auf den ersten Blick erschließt.

Für die definitive Diagnose wird heute in manchen Fällen auch die MRT-Bildgebung benötigt, um Faktoren wie die Kontrastmittelaufnahme und primäre Ausbreitung in die Diagnose einfließen lassen zu können.

Auch die Symptomatik der ZNS-Tumoren ist sehr heterogen. Neben unspezifischen Hirndruckzeichen (Abduzensparese, morgendliches Nüchternerbrechen, drückender Kopfschmerz, Elektrolytverschiebung) können spezifische Herdsyndrome auftreten. Die Anamnesedauer kann von wenigen Tagen bis zu einem Jahr betragen je nach Lokalisation und Wachstumstendenz des Tumors. Bei schnell wachsenden Medulloblastomen in loco typico manifestieren sich die Symptome sehr schnell, oft zeigen die kleinen Kinder eine akute Hemiparese und sind vital durch einen Verschlusshydrozephalus bedroht.

Gliome der Pons verursachen subakute bis schleichende zunehmende Hirnausfälle und motorische Defizite. Da Kleinkinder in der Regel nicht in der Lage sind, neu aufgetretene Doppelbilder oder neue koordinatorisch-motorische Defizite zu verbalisieren, werden diese erst bei Manifestation, z. B. bei einer Okulomotorius- oder Fazialisparese bemerkt, die von Bezugspersonen durch Schielstellungen und gestörte Mimik auffallen.

Supratentorielle Gliome manifestieren sich in Abhängigkeit von der Lokalisation durch Kopfschmerzen, Sehstörungen, Stauungspapillen und fokale oder generalisierte Krampfanfälle. Bei frontalen Tumoren kann auch eine schleichende Wesensänderung durch einen gestörten inadäquaten Effekt hinzukommen.

Hypophysäre Tumoren verursachen in der Regel hormonelle Ausfälle und einen Diabetes insipidus. Häufig treten auch Gesichtsfeldstörungen auf. Eine Sehschwäche ist oft das Leitsymptom des Optikusglioms.

Spinale Tumoren sind bei Kindern relativ selten. Die überwiegende Mehrheit dieser Tumoren sind Astrozytome und Ependymome. Auch hier ist die klinische Präsentation häufig unspezifisch. Neben länger bestehenden Rückenschmerzen oder einer progredienten Skoliose als erste Hinweise treten neurologische Ausfallerscheinungen wie Gangstörungen und progrediente Lähmungen meist zeitlich verzögert auf.

Pädiatrische Hirn- und spinale Tumoren sind im radiologischen Alltag eine seltene Entität. Zusätzlich findet ihre radiologische Diagnostik allein schon aus organisatorischen Gründen – wie der Möglichkeit zur überwachten Sedierung während der Untersuchung – häufig in spezialisierten Zentren statt, sodass sich Erfahrungen auf diesem Gebiet der Radiologie nur verhältnismäßig langsam sammeln lassen. Darüber hinaus werden in der neuroonkologischen Diagnostik immer mehr erweiterte MRT-Techniken, wie die MR-Spektroskopie, die MR-Perfusion und die -Diffusion zur Bildgebung angewendet. Die Beurteilung einer intrakraniellen Raumforderung im Kindesalter stellt daher nicht selten eine größere Herausforderung dar. Innerhalb der kooperativen Studien der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie wird daher die Bildgebung kranialer Raumforderungen bei Neuauftreten oder Therapie relevanter Veränderungen regelhaft durch eine Referenzneuroradiologie mitbeurteilt.

Neben dem Signalverhalten sind die Lokalisationen der Raumforderungen und das Alter des Kindes wichtige Faktoren für die Beurteilung pädiatrischer Tumoren. So sind supratentorielle Tumoren bis zum Alter von 2 Jahren häufig, nach diesem Alter treten hingegen infratentorielle Tumoren häufiger auf.

Der bildgebenden Verdachtsdiagnose schließt sich in der Regel die zeitnahe histologische Sicherung der Diagnose an, die je nach Lokalisation und Ausbreitung von der stereotaktischen Biopsie bis zur primären totalen Tumorresektion reichen kann.

In der Regel muss vor Beginn einer spezifischen Therapie eine Biopsie zur Bestimmung der Histologie erfolgen. Bei Ponsgliomen oder eindeutigen Optikusgliomen kann auf eine Biopsie verzichtet werden. Eine primäre komplette chirurgische Resektion kann nur dann angestrebt werden, wenn sie ohne relevanten Schaden möglich ist. Der Liquorzytologie kommt neben der spinalen Bildgebung die Funktion zu, Klarheit über den Ausbreitungsstatus der Erkrankung zu geben. Bei lokalisierten kraniellen, niedriggradigen Gliomen ist sie allerdings nicht zwingend notwendig.

Die Behandlung und die Betreuung kindlicher ZNS-Tumoren reichen von der reinen Beobachtungstherapie bei kleinen niedriggradigen Gliomen bis hin zur Hochdosistherapie mit autologer Stammzellenrückgabe und/oder kraniospinaler Bestrahlung. Diese Therapie ist oft nicht frei von Nebenwirkungen, so kann z. B. eine Chemo- und Strahlentherapie bei kleinen Kindern zu einer kognitiven Beeinträchtigung und Entwicklungsverzögerung führen.

Im Gegensatz zum Erwachsenenalter, in dem häufig ZNS-Metastasen auftreten, handelt es sich im Kindesalter fast ausschließlich um solitäre Hirntumoren, zerebrale Metastasen treten sehr selten auf. Für die Behandlung von Kindern mit ZNS-Tumoren existieren im Bereich der Gesellschaft für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie für alle diagnostischen und therapeutisch relevanten Ebenen Referenzstrukturen. Bei ihr werden die Informationen und die Erfahrung der ansonsten seltenen pädiatrischen ZNS-Erkrankungen gebündelt, um eine homogene Versorgung mit hoher Qualität zu ermöglichen.

Diagnostik und Therapie von Kindern mit ZNS-Tumoren dürfen deshalb nur an spezialisierten kinderonkologischen Zentren erfolgen.

Ihr

Prof. Dr. Wolfgang Reith