Sehr geehrte Leserinnen und Leser,

die pränatale Diagnostik ist Teil der Pränatalmedizin, welche die Erkennung, Behandlung und auch Vorbeugung von Erkrankungen des Menschen vor seiner Geburt zum Ziel hat.

Der Einsatz des Ultraschalls als bildgebendes Verfahren in der Pränatalmedizin erfolgte bereits vor mehr als 50 Jahren. Die technologischen Entwicklungen in der Ultraschalldiagnostik ermöglichen es, Anomalien sowie Gefährdungssituationen von Schwangeren und Ungeborenen mit zunehmend größerer Genauigkeit und zu einem früheren Zeitpunkt der Schwangerschaft zu entdecken.

Da in der Schwangerschaft Leben und Gesundheit von schwangerer Frau und Ungeborenem in sehr engem Zusammenhang stehen, wird inzwischen auch von „fetomaternaler“ Medizin gesprochen.

Mit den vielfältigen Methoden der Diagnostik ergeben sich auch entsprechende Entwicklungen in der Pränatalmedizin, deren Folgen z. Z. weder überblickt noch beherrscht werden können. Die Möglichkeit einer missbräuchlichen Nutzung der Diagnostikergebnisse in Form einer Geschlechtsselektion war und ist aus anderen Ländern bekannt.

Mit der Möglichkeit, potenzielle Behinderungen vorgeburtlich zu erkennen und die betroffenen Schwangerschaften nicht auszutragen, fühlten und fühlen sich Behinderte in ihrem Recht auf Leben hinterfragt.

Der fetale Ultraschall ist aufgrund seiner Verfügbarkeit, seiner einfachen Anwendung und der Kosteneffizienz die Methode der Wahl für Routineuntersuchungen in der Schwangerschaft geworden. Die pränatale MRT-Diagnostik ist eine wichtige Ergänzungsmethode, um aus dem Ultraschall suspekte fetale Pathologien zu bestätigen, komplexe Pathologien auszuschließen sowie das Ausmaß von Malformationen abzuschätzen zu können, um daraus eine mögliche individuelle Prognose vorherzusagen sowie Therapieoptionen zu evaluieren. Die Beurteilung des fetalen Gehirns ist z. Z. eine der Hauptindikationen für eine pränatale MRT-Diagnostik, zunehmend werden aber auch die extrazerebralen Organe weiter in den Fokus kommen.

Spezielle Indikationen zur pränatalen MRT-Diagnostik sind der Verdacht auf zerebrale Malformationen wie Lisenzephalie, Ventrikulomegalie bzw. erworbene zerebrale Malformationen wie Ischämien und intrakranielle Hämorrhagien. Aber auch extrazerebrale Malformationen und Tumoren im Gesichts-/Halsbereich, Spaltbildung von Lippen/Kiefer/Gaumen oder Malformationen von Trachea und Ösophagus können diagnostiziert werden. Auch bronchogene Zysten, Lungenhypoplasien sowie Malrotationen des Darms und Atresien sind im MRT nachweisbar.

Die definitive Diagnose einer möglicherweise bestehenden fetalen Pathologie sollte so früh wie möglich gestellt werden, da in vielen Ländern ein legaler Schwangerschaftsabbruch lediglich bis zur 20. Schwangerschaftswoche (SSW) möglich ist. Obwohl es z. Z. keine Hinweise auf mögliche schädigende Effekte der fetalen MRT gibt, wird in der Regel diese Untersuchung nicht vor dem 2. Trimester durchgeführt. Neben angeborenen schädigenden Fehlbildungen können auch erworbene Schädigungen des Gehirns wie z.B. intrazerebrale Blutungen, die insbesondere bei frühgeborenen Kindern nachweisbar sind, bereits pränatal aufgedeckt werden.

In diesem Zusammenhang ist es wichtig, Kenntnisse über die „grobe Architektur“ der Hirnentwicklung in der Embryonal- und frühen Fetalperiode zu haben. Die Migration der neuronalen Zellen aus der Mittellinie zum zukünftigen Kortex prägt diesen Zeitraum bis zur 20./24. SSW; Störungen führen zu bestimmten Fehlbildungsmustern. Diese können genetisch bedingt sein oder erworben, z. B. infektiös-toxisch und hypoxisch-ischämisch. Bis zur 36. SSW stehen periventrikuläre Läsionen im Vordergrund, v. a. Läsionen der weißen Substanz in Form der periventrikulären Leukomalazie und Parenchymdefekten nach Blutungen oder hämorrhagischen Infarzierungen. Die pränatale MRT-Diagnostik ist hilfreich, kleine parenchymale Blutungen aufzuzeigen und auch zusätzliche Fehlbildungen aufzudecken. Aber auch vaskuläre Malformationen, wie z. B. die V. -Galeni-Malformation, können im Ultraschall und im MRT bereits pränatal entdeckt werden.

Wichtig zu wissen ist, dass bei allen Fällen vaskulärer Malformationen das klinische Symptom der venösen Kongestion auftreten kann, einhergehend mit einer Makrokranie, mentalen Retardationen oder kleinen Blutungsereignissen. Deswegen ist es notwendig, bei den vaskulären Malformationen frühzeitig eine entsprechende Therapie mit Verschluss der Kurzschlussverbindungen durchzuführen. Die fetale MRT ist hilfreich, die vaskuläre Malformation einzuordnen und die entsprechende weitergehende Maßnahme nach der Geburt, wie z. B. eine zerebrale Angiographie und Embolisation, frühzeitig in einem entsprechenden Zentrum zu planen.

Neben zerebralen Malformationen können aber auch in der fetalen Ultraschall- und MRT-Diagnostik thorakale und abdominelle Malformationen entdeckt werden. Speziell die anatomische Darstellung mittels fetaler MRT stellt einen wichtigen Beitrag zur Planung prä- oder häufiger postnataler chirurgischer Eingriffe dar.

Neben den üblichen Sequenzen haben auch in der pränatalen Bildgebung Techniken wie echoplanare und dynamische Sequenzen Eingang gefunden. Dynamische Sequenzen mit z. B. 4–6 Bildern/s geben Aufschluss über generelle fetale Bewegungen oder mögliche Bewegungsstörungen der Augenbewegungen, über die es möglich sein kann, indirekte Hinweise hinsichtlich des Hirnstamms zu bekommen; Atembewegung, Herzbewegung sowie Informationen über den Schluckakt können ebenfalls evaluiert werden. Aber auch die MR-Spektroskopie wird zunehmend häufiger eingesetzt, um entwicklungsbedingte bzw. die mit zunehmender Entwicklung/Gestationsalter auftretenden Verschiebungen der zerebralen Metaboliten aufzuzeigen. Es können Hinweise auf bei normaler morphologischer Entwicklung bestehende metabolische Veränderungen im Sinne metabolischer Erkrankungen gegeben werden.

Mit der fetalen MRT ist es neben der pränatalen Ultraschalldiagnostik möglich, zerebrale und extrazerebrale Pathologien nachzuweisen und aufzuzeigen und auch entsprechende intrauterine Operationsverfahren bzw. operative Planungen direkt nach der Geburt einzuleiten.

Die moderne Pränatalmedizin gibt die Möglichkeit, die Schwangerschaft, die Geburt und das Leben nach der Geburt sicherer zu gestalten. Es wird jedoch immer wieder grenzwertige Situationen geben, in denen klare, eindeutige Beurteilungen und Grenzziehungen nicht möglich sind. Beispiele hierfür sind der Wunsch nach einem Schwangerschaftsabbruch bei leichten Anomalien des Feten oder der Wunsch nach Reduktion bei höhergradigen Mehrlingsschwangerschaften.

Eine fortlaufende Diskussion im Zusammenhang mit neuen Möglichkeiten ist unumgänglich.

Dieses Heft soll Ihnen einen Überblick geben über die z. Z. zur Verfügung stehenden neueren Möglichkeiten der pränatalen MRT-Diagnostik.

Ihre

Prof. Dr. Wolfgang Reith

Prof. Dr. Christian Herold