Seit Beginn der Industrialisierung war Deutschland in regelmäßigen Abständen das Ziel großer Migrationsbewegungen. Allein in der Nachkriegszeit gab es zwischen 1945 und 1949 mehr als 12 Mio. deutsche Flüchtlinge und Vertriebene, bis zum Bau der Berliner Mauer weitere 3,5 Mio. Menschen, die von Ost- nach Westdeutschland flohen, zwischen 1961 und 1973 eine Nettoeinwanderung von 3 Mio. sog. Gastarbeitern und von 1990 bis 2008 etwa 2,5 Mio. Spätaussiedler [1]. Im Vergleich zu diesen umfangreichen Migrationsbewegungen in der Vergangenheit erscheinen die gegenwärtigen Zahlen zur Nettozuwanderung von 1,1 Mio. Menschen im Jahr 2015 [2] vergleichsweise gering.

Trotzdem wird die gegenwärtige Situation von Teilen der Gesellschaft als herausfordernd und in Teilen auch als bedrohlich empfunden. Die Ursache für diese Wahrnehmung ist aus unserer Sicht, dass

  • die Migrationsbewegung sehr schnell und unerwartet begann,

  • viele Menschen in einem relativ kurzen Zeitraum kamen und

  • überwiegend Menschen aus vergleichsweise fremden Kulturen Deutschland erreichten.

Genau diese drei Charakteristika sind der Grund, warum der resultierende medizinische Versorgungsbedarf eine anspruchsvolle Aufgabe für das eigentlich gut aufgestellte deutsche Gesundheitssystem darstellt. Für in der Not- und Entwicklungshilfe tätige nationale und internationale Nichtregierungsorganisationen (NGOs) sind vergleichbare Situationen mit plötzlich auftretenden großen (psychosozialen) Bedarfen und gleichzeitig limitierten Ressourcen Normalität. Für ebensolche Szenarien sind von NGOs daher in den vergangenen Jahrzehnten zahlreiche psychosoziale Konzepte (z. B. Médecins sans frontiers: [3], UNICEF: [4], UNHCR: [5]) entwickelt worden, mit denen Menschen weltweit geholfen werden konnte.

Die Konzepte und Erfahrungen können vor dem Hintergrund der hohen Traumalast [6] und der angenommenen hohen Prävalenz psychiatrischer Erkrankungen [7] von Bedeutung sein. So konnten in ersten Erhebungen in kleineren Fallzahlen bei jeweils mehr als 40 % der Flüchtlinge affektive Störungen respektive Angsterkrankungen diagnostiziert werden [8]. Der Bedarf an psychosozialen Behandlungskapazitäten erscheint vor diesem Hintergrund evident [911] und vorhandene Angebote werden von Fachgesellschaften berechtigterweise hinsichtlich der Kapazitäten von Therapeuten (z. B. Bundespsychotherapeuten [12], European Psychiatric Association, EPA [13]), Sprachmittlern (Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde, DGPPN [14]) sowie auch der Kultursensibilität (World Association of Cultural Psychiatry, WACP [15]) als nicht ausreichend aufgestellt beurteilt. Zudem wird richtigerweise von Seiten von Fachgesellschaften und politischen Institutionen darauf hingewiesen, dass neben den klassischen psychiatrisch-psychotherapeutischen Maßnahmen andere (nichtmedizinische) Integrationsmaßnahmen einen hohen Stellenwert für die psychische Gesundheit haben [14].

Die gegenwärtige Situation in Deutschland ist natürlich nicht mit der in Anrainerstaaten von Bürgerkriegsregionen oder gar Bürgerkriegsregionen selbst vergleichbar. Unterschiede findet man z. B. in der hohen Anzahl an unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen [9], die einen besonders intensiven Unterstützungsbedarf aufweisen, in den intensiven Integrations- und Spracherwerbsbemühungen (z. B [16]), die man üblicherweise nicht in klassischen Flüchtlingssettings der Dritten Welt findet, oder in den schon vor Beginn der Migrationswelle vorhandenen sozialpsychiatrischen und transkulturellen Kompetenzen auf konzeptioneller [1214] und institutioneller Ebene, die ein überaus hilfreiches Fundament für notwendige Versorgungsstrukturen darstellen.

Vor allem wegen der umfangreichen Erfahrungen in Umgebungen mit eingeschränkten Ressourcen lohnt ist es aus unserer Perspektive darüber hinaus durchaus, die vielfältigen Erfahrungen und Konzepte [35] nationaler und internationaler Nichtregierungsorganisationen im Aufbau psychosozialer Strukturen zu betrachten und zu überprüfen, inwieweit sie in der aktuellen Situation in Deutschland Orientierung bieten können. In diesem Kontext können Erfahrungen wie z. B. der Jiyan-Foundation for Human Rights besonders wertvoll sein. In ihren langjährigen Erfahrungen konnten sie zeigen, dass eine adäquate psychosoziale Versorgung mit sozialarbeiterischen, niedrigschwelligen ressourcenorientierten Maßnahmen in Kombination mit Traumatherapien nicht nur zu einer relevanten Reduktion von Symptomen der posttraumatischen Belastungsstörung oder stressbezogener Erkrankungen führt, sondern auch mit einer Beschleunigung des Integrationsprozesses in die aufnehmende Gesellschaft einhergeht [17].

FormalPara Ziel der Arbeit.

Ziel dieser qualitativen Übersichtsarbeit ist es daher, Leitgedanken der Not- und Entwicklungshilfe vorzustellen und deren Bedeutsamkeit für die medizinische Versorgung von Flüchtlingen in Deutschland zu diskutieren. Die im Folgenden formulierten Handlungsprinzipien (siehe Infobox 1) basieren auf einem Konsensusprozess von mehr als hundert NGOs sowie akademischen und weiteren im humanitären Umfeld tätigen Akteuren, der von der Ständigen Interinstitutionellen Kommission (Inter-Agency Standing Committee, IASC [18]) – einer Organisation der Vereinten Nationen, deren Ziel die Koordination humanitärer Hilfe ist – zusammengefasst und 2007 publiziert worden ist. Aus unserer Sicht sind diese Handlungsprinzipien geeignet die anstehenden Aufgaben in der Versorgung von Flüchtlingen in Deutschland zu leiten und gleichermaßen auf potenzielle Hürden und Herausforderungen hinzuweisen.

FormalPara Infobox 1 Kernprinzipien nach IASC und deren Translation in die Versorgung von Flüchtlingen in Deutschland
  1. 1.

    Gleichheit: Die psychosoziale Versorgung der einheimischen Bevölkerung und die der Flüchtlinge sollte in gleicher Weise erfolgen

  2. 2.

    Partizipation: die Flüchtlingsgemeinschaft oder die der Bevölkerungsgruppe zugehörige Diaspora sollte in die Gestaltung psychosozialer Hilfsangebote einbezogen werden

  3. 3.

    Do-no-harm-Prinzip: Psychosoziale Maßnahmen für Flüchtlinge sollten immer auf mögliche unerwünschte Wirkungen überprüft werden

  4. 4.

    Ressourcenorientierung: Psychosoziale Maßnahmen für Flüchtlinge sollten eher ressourcen- als defizitorientiert sein

  5. 5.

    Integrierte Aktivitäten: Psychosoziale Maßnahmen für Flüchtlinge sollten aufeinander abgestimmt vorgehalten werden

  6. 6.

    Gestuftes Vorgehen: Psychosoziale Maßnahmen für Flüchtlinge sollten in einer Weise angeboten werden, in der die Behandlung zunächst immer mit der niedrigst möglichen, nach gegenwärtiger Evidenzlage wirksamen Intensität erfolgt

Kernprinzipien nach IASC

Gleichheit

Psychosoziale Versorgungsstrukturen sollen so ausgerichtet sein, dass sie für betroffene Gruppierungen unabhängig von Geschlecht, Alter, Sprache, ethnischer Zugehörigkeit und Unterkunftsort gleichermaßen zugänglich sind. Für die Situation in Deutschland bedeutet dies, dass Ungleichheiten im Zugang zum Gesundheitssystem aufmerksam erfasst werden sollten [19, 20] und es vermieden werden sollte, dass Versorgungsstrukturen geschaffen werden, die Flüchtlinge benachteiligen oder bevorzugen. Insbesondere von politischen Entscheidungsträgern muss vor diesem Hintergrund kritisch evaluiert werden, inwieweit vorgesehene medizinische Angebote auch schon für die einheimische Bevölkerung existieren. Dieser Vergleich ist sowohl in der Not- und Entwicklungshilfe als auch in der aktuellen Flüchtlingsversorgung in Deutschland wichtig, da eine Bevorteilung eine unnötig kritische Sicht der Allgemeinheit auf die hilfsbedürftigen Flüchtlinge zur Konsequenz haben kann.

Auf der anderen Seite muss aber auch die Frage ehrlich beantwortet werden, inwieweit in unserem Gesundheitssystem die angestrebte Gleichbehandlung unmittelbar umsetzbar ist oder ob vor dem Hintergrund aktuell fehlender und nicht schnell mobilisierbarer Ressourcen (z. B. muttersprachliches Fachpersonal in der Phase des Spracherwerbs [21]) eine vorübergehende Ungleichbehandlung von Flüchtlingen und einheimischer Bevölkerung akzeptiert werden muss. Ein ehrlicherer Umgang mit bestehenden Engpässen in der psychiatrischen [9] und psychotherapeutischen Versorgung [12] würde aus unserer Perspektive helfen, die Akzeptanz effektiver niedrigschwelliger psychosozialer Angebote (siehe „Gestuftes Vorgehen“, Infobox 1) zu erhöhen und bestehende Lücken in der psychiatrischen, psychotherapeutischen und sozialarbeiterischen Versorgung von Flüchtlingen [22] schneller zu schließen.

Eine Möglichkeit, dieses Prinzip zu adressieren, sind die Implementierung oder Überprüfung von Gesundheitsstrukturen, die gleichzeitig das Ziel verfolgen, Versorgungslücken zu schließen, die sowohl bei Flüchtlingen als auch bei der Allgemeinbevölkerung bestehen. So könnten, wie z. B. von der Bundespsychotherapeutenkammer gefordert, psychotherapeutische Kapazitäten ausgebaut [12] oder neue Versorgungsformen wie IT-basierte Verfahren eingesetzt werden [6].

Partizipation

Psychosoziale Versorgungsstrukturen sollten gemeinsam mit Betroffenen entwickelt werden. Im Kontext von Bürgerkriegen oder anders verursachten humanitären Krisen ist regelmäßig beobachtet worden, dass ein Teil der direkt Betroffenen und die dieser Bevölkerungsgruppe angehörigen Mitglieder der Diaspora in der Lage sind, spontan und mit viel Engagement psychosoziale Unterstützungs- und Behandlungsstrukturen aufzubauen [23]. In der Not- und Entwicklungshilfe, aber auch in der gegenwärtigen Situation in Deutschland sollte man diese Ressourcen nicht übersehen, da diese Menschen neben der intrinsischen Motivation ein oft viel besseres Wissen um die konkreten Bedürfnisse und kulturtypischen Krankheitskonzepte mitbringen [24]. Es ist anzunehmen, dass solche „Kulturmittler“ nicht nur als Beschleuniger des Integrationsprozesses fungieren, sondern auch in der Lage sind, die zahlreichen Barrieren zur Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen effektiv zu reduzieren und auf diesem Wege den allgegenwärtigen Akkulturationsstress von Flüchtlingen [24, 25] abzumildern.

Erste solche Ansätze verfolgenden Verfahren sind kürzlich auch für den bundesdeutschen Kontext vorgestellt worden und werden gegenwärtig hinsichtlich der Akzeptanz und Wirksamkeit überprüft [9, 11, 26]. In diesem Kontext ist noch unklar, inwieweit solche Verfahren in die allgemeine Versorgung integriert werden können.

Nichtschaden („do no harm“)

Jede Intervention, die einem hilfsbedürftigen Menschen angeboten wird, kann potenziell schaden [27]. Risikofaktoren für unerwünschte Wirkungen sind nach Ansicht der IASC

  • die Durchführung spezifischer Interventionen ohne fundierte Bedarfsanalyse,

  • die Implementierung von Maßnahmen ohne Qualitätssicherungs- und Evaluationsprozesse,

  • die unzureichende Berücksichtigung kultureller Besonderheiten der Zielgruppe sowie

  • das unzureichende Beachten existierender Evidenzen.

Angewandt auf den Kontext des Aufbaus von Versorgungsstrukturen für Flüchtlinge in Deutschland bestehen mögliche Gefahren in einer übermäßigen Stigmatisierung einer möglicherweise relativ widerstandsfähigen Flüchtlingspopulation, einer zu starken Betonung der medizinisch hochrelevanten, aber möglicherweise weniger prävalenten posttraumatischen Belastungsstörungen und drittens dem Angebot von Hilfsmaßnahmen, die aufgrund unzureichender Kontext- und Kulturbezogenheit therapeutisch unwirksam sind und damit integrationshemmend wirken können [28]. Entsprechende Erfahrungen sind z. B. im Kontext von Naturkatastrophen beschrieben worden, als das breite Angebot des „debriefing“ zu einer Verschlechterung des Outcomes bei den Betroffenen geführt hatte [29]. Darüber hinaus muss die Belastung der in der Versorgung von Flüchtlingen Tätigen bedacht werden, wie z. B. mittels des von IsraAid in Deutschland implementierten „Staff Care Program“, welches auch versucht, den Belastungen aktiv entgegenzusteuern.

Ressourcenorientierung

Psychosoziale Interventionen sollen so ausgerichtet sein, dass sie Selbsthilfe unterstützen und bereits vorhandene Ressourcen stärken [30, 31]. Diese Selbsthilfeprozesse sollten entlang der gesamten Versorgungspyramide (siehe „Gestuftes Vorgehen“) gefördert werden und sich auf Individuen, Familien und gesellschaftliche Gruppierungen auf Regierungs- und Zivilgesellschaftsebene fokussieren. Für die Versorgung von Flüchtlingen in Deutschland bedeutet dies, dass nicht nur die Ressourcen innerhalb der Flüchtlingsgemeinschaft (siehe „Partizipation“) in die Entwicklung von Behandlungskonzepten einfließen sollten, sondern auch, dass solche therapeutischen Maßnahmen bevorzugt eingesetzt werden, um die vorhandenen individuellen Ressourcen der Individuen und Gruppen ins Zentrum stellen. Mögliche Beispiele stellen (auch in Deutschland einsetzbare) Verfahren wie die in Uganda eingesetzte EMPOWER-Intervention [32] oder weitere ressourcenorientierte Verfahren (Übersicht in [33]) dar.

Von besonderer Relevanz in diesem Kontext ist die Erfahrung aus der Not- und Entwicklungshilfe, dass es nicht nur um Maßnahmen gehen sollte, die auf die Behandlung klinischer Symptome ausgerichtet sind, sondern dass auch niedrigschwellige Angebote zum Empowerment spezifischer Gruppen mindestens ebenso notwendig sind (siehe auch „Gestuftes Vorgehen“).

Integrierte Aktivitäten

Psychosoziale Interventionen sollten abgestimmt sein. Ärzte ohne Grenzen z. B. definiert mentale Gesundheit als wichtigen Bestandteil der Allgemeingesundheit und achtet bei internationalen Projekten darauf, dass medizinische Angebote Hand in Hand mit psychosozialen Maßnahmen gehen. Auch innerhalb des Spektrums psychosozialer Angebote sollte auf eine Abstimmung der Angebote geachtet werden. So stellen spezialisierte Angebote wie die narrative Expositionstherapie [34, 35], Stressinokulationstraining [36] und prolongierte Expositionstherapie [37] zur Behandlung posttraumatischer Belastungsstörungen wichtige und wirksame Element in der Versorgung der Flüchtlinge dar [38], allerdings kann das Vorhalten dieser Verfahren als isolierte Angebot letztendlich zu einer ungünstigen Fragmentierung des Gesundheitssystems führen, da die Gefahr besteht, dass lediglich diejenigen Angebote in Anspruch genommen werden, die verfügbar sind, obgleich andere Interventionen sinnvoller eingesetzt werden können.

In Krisengebieten ebenso wie in Deutschland sollten Parallelstrukturen vermieden werden und medizinisch-psychologische Leistungen daher in bereits vorhandene Versorgungsstrukturen eingebettet werden, sodass Gesundheitsleistungen nachhaltig und in der Regel auch weniger stigmatisierend angeboten werden können. Besonders bedeutsam ist, dass das umfangreiche Wissen von NGOs, die in oder von Deutschland aus in der Not- und Entwicklungshilfe tätig sind, insbesondere im Bereich der niedrigschwelligen Angebote in ausreichendem Maße bei der Entwicklung integrierter Aktivitäten berücksichtigt wird. Die Umsetzung ist für Flüchtlinge ebenso wie in der allgemeinpsychiatrischen Versorgung schwierig [11], allerdings gibt es erste Vorschläge, die eine engere Vernetzung der einzelnen beteiligten Gesundheitsinstitutionen vorsehen [12].

Gestuftes Vorgehen

Psychosoziale Interventionen sollten so organisiert sein, dass sie in einer abgestuften Weise den unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht werden. Im Kontext der Not- und Entwicklungshilfe werden im Allgemeinen vier gleich bedeutsame psychosoziale Versorgungsstufen definiert (Abb. 1):

  • basale Maßnahmen und Sicherheit (Sicherstellung der Befriedigung von Grundbedürfnissen inklusive Hilfestellungen bei der Inanspruchnahme von Gesundheitsleistungen),

  • Unterstützung von Familie und Gemeinde (Sicherstellung eines adäquaten Zugangs zum Bildungssystems, Unterstützung bei der Schaffung von sozialen Netzwerken durch Frauengruppen, Jugendclubs usw., Vermittlung basaler Copingstrategien),

  • fokussierte Maßnahmen durch Nichtspezialisten (wie z. B. Vermittlung von Stressmanagementtechniken durch Laien oder Sozialarbeiter),

  • Experteninterventionen (überwiegend Maßnahmen durch Psychiater und Psychotherapeuten).

Abb. 1
figure 1

Interventionspyramide für mentale Gesundheit und psychosoziale Unterstützung

Vor diesem Hintergrund ist beachtenswert, dass das deutsche Gesundheitssystem oft übermäßig auf die vierte Stufe der Versorgungspyramide ausgerichtet ist und dass einfach verfügbare, niedrigschwellige und in der Breite einsetzbare Interventionen aus den anderen drei Ebenen nicht koordiniert und nur unregelmäßig umgesetzt werden. Verwandte Versorgungsforschungskonzepte wie z. B. Stepped-and-Collaborative-Care-Modelle werden zwar für umschriebene Krankheitsbilder gegenwärtig überprüft [39], sind aber in der psychosozialen Versorgung von Flüchtlingen noch nicht verfügbar. Erste Ansätze, die aktuell noch im Kontext von Forschungsvorhaben umgesetzt werden (z. B. das MEHIRA-Projekt [40]), werden gegenwärtig hinsichtlich Machbarkeit und Wirksamkeit überprüft [11, 12].

Handlungsempfehlungen

Das Gesundheitssystem in Deutschland unterscheidet sich beträchtlich von dem in den gegenwärtig vom syrischen Bürgerkrieg am meisten betroffenen Ländern wie Jordanien, Libanon und der Türkei. Daher ist nicht jede der genannten sechs Prinzipien (Infobox 1) der Not- und Entwicklungshilfe für die Versorgungssituation in Deutschland gleichermaßen bedeutsam. Trotzdem sind die umfangreichen Erfahrungen von Nichtregierungsorganisationen, die seit Jahrzehnten psychosoziale Angebote aufbauen, und die hieraus abgeleiteten Kernprinzipien als Orientierungsrahmen für eine Bewertung psychosozialer Versorgungsmaßnahmen überaus wertvoll, da sie helfen, die Hilfsangebote von Flüchtlingen in Deutschland effektiver und realistischer zu organisieren. Konkret lassen sich für Deutschland aus unserer Perspektive die folgenden zwei Handlungsempfehlungen ableiten:

  • Gleichheit der Behandlung ist selbstverständlich erstrebenswert, aber gegenwärtig im heutigen Gesundheitssystem noch nicht existent. Daher sollten Wege gefunden werden, die Unterschiede rasch und wirksam zu überwinden: Ein gestuftes Versorgungsmodell [9], welches Patienten entsprechend der Bedarfe triagiert und welches isolierte Angebote verhindert, sowie ein Ansatz, welcher Flüchtlinge als aktive Akteure einbezieht [26], stellen hier vielversprechende Lösungsansätze dar.

  • Unerwünschte Konsequenzen sollten viel intensiver bedacht werden und jede Maßnahme daraufhin geprüft werden, ob sie die Ressourcen der Flüchtlinge ausreichend berücksichtigt. Auf diesem Wege könnte die übliche Richtung des Wissenstransfers umgekehrt werden und Handlungsmaxime, die oftmals in Entwicklungsländern eingesetzt werden, dabei helfen, die psychosoziale Versorgung in Deutschland insgesamt zu verbessern.