Zusammenfassung
Der Zusammenhang zwischen dem systematischen Krankenmord – von der NS-Ideologie als „Euthanasie“ verbrämt – und der deutschen Hirnforschung ist in den letzten 25 Jahren ausführlich und differenziert untersucht worden. Umstritten bleibt allerdings, inwiefern sich dieser verbrecherische Konnex auf die Selbst- und Fremdwahrnehmung sowie den Status der Neurologie als medizinische Fachdisziplin auswirkte.
Zwischen 1939 und 1945 waren vorrangig das Kaiser-Wilhelm-Institut (KWI) in Berlin-Buch, aber auch andere Forschungsstätten insofern in die „Euthanasie“-Aktionen eingebunden, als Gehirne ermordeter Patienten im Sinne einer „Begleitforschung“ seziert und auf diese Weise medizinische Erkenntnisse generiert wurden – vor allem zur „Oligophrenie“, frühkindlichen Hirnatrophie, zerebrale Kinderlähmung und Epilepsie. Dabei spielte nach aktuellem Forschungsstand ein kollegiales Netzwerk eine wichtige Rolle. Ferner entstanden am KWI neben den zivilen auch militärische Forschungsstellen, die ebenfalls neurologisches Wissen, z. B. zu Hirn- und Rückenmarksverletzungen, sammelten. Somit erscheint die wissenschaftshistorische These, NS-System und Medizin als „Ressourcen füreinander“ zu betrachten, zumindest teilweise auch auf die Neurologie anwendbar.
Abstract
The connection between systematic killing of the mentally ill and disabled, euphemistically called “euthanasia” in the National Socialism ideology, and German brain research has been thoroughly investigated and in detail; however, the impact of this criminal nexus on the image and self-perception of German neurologists as well as the status of neurology as a medical discipline is still the subject of controversial debates.
Between 1939 and 1945 the Kaiser Wilhelm Institute (KWI) in Berlin along with other research centres were insofar enmeshed in the “euthanasia” program as brains of killed patients were dissected in the guise of “concomitant research” in order to generate medical knowledge. Affected were mainly individuals suffering from oligophrenia, early childhood brain atrophy, cerebral palsy and epilepsy. According to current historical research, collegial networks were instrumental in receiving brains of killed patients. Furthermore, civil research units were supplemented by military ones at the KWI. These, too, were concerned with the collection of medical knowledge, for instance on injuries of the brain and spinal cord. The historical approach to consider the Nazi organizations and medicine as “resources for each other” seems, therefore, at least in part applicable to neurology.
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Martin, M., Karenberg, A. & Fangerau, H. Neurologie und Neurologen in der NS-Zeit: Hirnforschung und „Euthanasie“ . Nervenarzt 87 (Suppl 1), 30–41 (2016). https://doi.org/10.1007/s00115-016-0143-8
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DOI: https://doi.org/10.1007/s00115-016-0143-8
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- Geschichte der Neurologie
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- Geschichte der Euthanasie
- Geschichte der Hirnforschung
- Gesellschaft deutscher Neurologen und Psychiater