Es ist nicht so, dass das Thema Wundheilung – Wundauflagen – chronische Wunde nicht präsent wäre. Überall in Deutschland entstanden und entstehen interdisziplinäre interprofessionelle Wundzentren, die Deutsche Gesellschaft für Wundheilung mit ihrem offiziellen Organ Zeitschrift für Wundheilung hat sich etabliert, wissenschaftliche Fachgesellschaften wie die Deutsche Gesellschaft für Dermatologie oder die Deutsche Diabetologische Gesellschaft erstellten Leitlinien zur Behandlung chronischer Wunden, auf europäischer Ebene hat die „European Wound Management Association“ wichtige Positionspapiere erstellt, es gibt Pflegestandards für Dekubitalulzera, von den einschlägigen Herstellern werden uns zusammen mit ständig neuen Produkten zur Wundbehandlung zahlreiche Wundfibeln mit allen Informationen bis hin zu EBM-Ziffern und Abrechnungsmöglichkeiten überreicht etc.

Damit wird der steigenden Zahl der chronischen Problemwunden als Folge der höheren Lebenserwartung und dem hiermit verbundene Anstieg typischer Zivilisationskrankheiten wie Diabetes mellitus, Arteriosklerose und Adipositas Rechnung getragen. Immerhin wird die derzeitige Prävalenz auf 2,5% der Bevölkerung in Europa, Amerika und Japan geschätzt. Damit steigen auch die Kosten für die Behandlung chronischer Wunden, die Schätzungen belaufen sich hier auf 2–4% der gesamten Gesundheitsausgaben. Aber: Es wird auch das Fehlen von Evidenz festgestellt, ja von „Therapie-Voodoo“ (Prof. Stein-Strässer, Ruhr Universität Bochum) gesprochen.

In unserer Zeitschrift Der Unfallchirurg ist das Thema chronische Wunde, Pathophysiologie der Wundheilung, Wundauflagen und Wundverschluss selten explizit dargestellt worden. Wohl, weil die akute Defektwunde und ihr möglichst frühzeitiger plastisch-rekonstruktiver Verschluss naturgemäß im Fokus unseres Interesses stand und steht. Als ein Beispiel mag die Darstellung der VAC-Therapie in Der Unfallchirurg 110 (2007) dienen. Dabei sind wir in der Akutbehandlung von Defektwunden bei Patienten mit den oben genannten Grunderkrankungen oft mit chronischen Wundheilungsstörungen konfrontiert oder nehmen uns im Rahmen der topographischen Spezialisierung unseres Fachgebiets, z. B. als Fußchirurgen, auch des diabetischen Fußsyndroms und seiner chronischen Wunden an.

Es hat sich gezeigt, dass die Wundheilung ein sehr komplexes räumlich-zeitliches Geschehen darstellt

So kam die Idee auf, die rationale Anwendung von Wundauflagen bei akuten und chronischen Defektwunden als Leitthema zu wählen. Der Wunsch und Anspruch, eine nicht nur polypragmatische, sondern vernünftige phasenorientierte und ökonomisch gerechtfertigte Wundbehandlung durchzuführen, setzt zunächst ein naturwissenschaftliches Verständnis der Physiologie und Pathophysiologie der Wundheilung voraus, das heute wesentlich zellbiologisch, molekularbiologisch und biochemisch begründet ist. Es hat sich gezeigt, dass die Wundheilung ein sehr komplexes räumlich-zeitliches Geschehen darstellt, das an vielfältigen Stellen moduliert und eben auch behindert werden kann. Dabei muss gerade für neue, z. B. zellbasierte Therapieansätze noch besser verstanden werden, dass die chronische Wunde keine „verunglückte“ akute Wunde darstellt und warum und wann das eigentlich hilfreiche feuchte Wundmilieu nicht mehr heilungsförderlich ist (Beitrag Mutschler).

T. Horn stellt anschließend in gebotener Ausführlichkeit die heute verfügbare Palette an Wundauflagen vor, klassifiziert nach inaktiven, interaktiven und aktiven Wundauflagen und beschreibt jeweils deren Wirkungsweise und deren Anwendungsbereiche. In Abstimmung mit ihm hat T. Karl seinen Artikel erstellt, der einen umfangreichen Algorithmus zur Wundbehandlung chronischer Wunden inklusive chirurgischer Maßnahmen darstellt. Zwei Fallberichte, zum einen zur VAC-Anwendung bei akuten infizierten Weichteildefekten nach offenen Frakturen (H. Polzer) und zum anderen zur Verwendung semiokklusiver Verbände bei Fingerkuppenamputationen (H.A. Damert) sollen das Thema Wundauflagen bei akuten Defektwunden abrunden.

„Der Chirurg, der die Wundheilung überwacht, gleicht einem Gärtner. Beide pflegen ihren Rasen.“ So hat es Karl–Ludwig Schleich (1859–1922) in seinem Buch Neue Methoden der Wundheilung schon 1897 treffend formuliert. Beides ist noch heute gültig: Die Sorge des Chirurgen um seine Patienten mit schwierigen Wunden und die Pflege des Granulationsrasens mit dem Ziel des sekundären Wundverschlusses.

W. Mutschler