Falldarstellung

Anamnese

Eine 15-jährige Patientin ohne Vorerkrankungen wird von der Kinderärztin eingewiesen, mit beidseits geschwollenen und geröteten Zehen und dem Verdacht auf „Coronavirus-disease-2019[COVID-19]-Zehen“ [1].

Vor 12 Tagen habe sie nach einer Fahrradtour eine Schwellung der Füße bemerkt. Am Tag der Fahrradtour sei es warm gewesen. Kurz darauf hätten sich eine Rötung und ein Brennen entwickelt. Schließlich wanderte der Fokus auf einzelne Zehen, die geschwollen und livide verfärbt waren. Mittlerweile mache ihr v. a. der Juckreiz an den betroffenen Zehen zu schaffen. Sie habe zu keiner Zeit ein allgemeines Krankheitsgefühl gehabt, auch habe sie keine Beteiligung an sonstigen Körperteilen bemerkt.

Sieben Tage vor Beginn der beschriebenen Symptomatik habe das Mädchen eine nichtfieberhafte grippale Infektion mit Halsschmerzen, einer milden Rhinorrhö und einem allgemeinen Krankheitsgefühl mit vermehrter Müdigkeit gehabt. Da am Arbeitsplatz des Vaters einige Personen positiv auf das „severe acute respiratory syndrome coronavirus 2“ (SARS-CoV-2) getestet worden waren und auch der Vater identische, nichtfieberhafte grippale Symptome gezeigt habe, bestehe der Verdacht auf eine durchgemachte SARS-CoV-2-Infektion. Die Mutter habe zeitgleich zu den grippalen Symptomen des Vaters über Geschmacksstörungen ohne weitere Symptomatik geklagt. Von keinem der Familienmitglieder sei zu dieser Zeit ein nasopharyngealer Abstrich zum SARS-CoV-2-Nachweis mithilfe der „reverse transcription polymerase chain reaction“ (rtPCR) entnommen worden.

Klinischer Befund

Die Patientin präsentierte sich in gutem Allgemein- und Ernährungszustand. Die Vitalparameter waren unauffällig. In der pädiatrisch-internistischen Untersuchung zeigten sich bis auf die Zehen keine pathologischen Befunde. Die Zehen IV rechts und II + IV links waren rötlich-livide verfärbt und dezent geschwollen (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Rötlich-livide Verfärbung und dezente Schwellung der Zehen

Laborbefunde

Das große Blutbild (Hämoglobin 13,4 g/dl, Referenzbereich 12,0–16,0 g/dl; Leukozyten 6,79 • 109/l; Referenzbereich 4,4–11,3 • 109/l) mit:

  • 58,5 % neutrophilen Granulozyten (Referenzbereich 40–75 %; absolute Neutrophilenzahl 3,97 • 109/l, Referenzbereich 2,0–7,5 • 109/l),

  • 30,8 % Lymphozyten (Referenzbereich 13–45 %; absolute Lymphozytenzahl 2,09 • 109/l, Referenzbereich 1,0–3,2 • 109/l),

  • 8,4 % Monozyten (↑; Referenzbereich 4–8 %; absolute Monozytenzahl 0,57 • 109/l, Referenzbereich 0,4–1,3 • 109/l) und

  • Thrombozyten 225 • 109/l (Referenzbereich 150–400 • 109/l),

Leberwerte:

  • Glutamat-Oxalacetat-Transaminase (GOT; Aspartat-Aminotransferase [AST]) 26 U/l (Referenzbereich 16–46 U/l),

  • Glutamat-Pyruvat-Transaminase (GPT; Alanin-Aminotransferase [ALT]) 11 U/l (Referenzbereich 8–45 U/l),

Nierenwerte:

  • Cystatin C 0,83 mg/l (Referenzbereich 0,59–1,38 mg/l),

  • Kreatinin 0,68 mg/dl (Referenzbereich 0,50–0,90 mg/dl),

  • Harnstoff 21 mg/dl (Referenzbereich < 50 mg/dl)),

Infektionsparameter:

  • C‑reaktives Protein (CRP < 0,6 mg/l, Referenzbereich (< 5,0 mg/l) und

  • Erythrozytensedimentationsrate (ESR, Blutkörperchensenkungsgeschwindigkeit [BSG] 9 mm/h)

Die Befunde in den globalen Gerinnungstests waren unauffällig.

  • Thromboplastinzeit (TPZ, Quick-Wert) 91 % (Referenzbereich 70–120 %),

  • aktivierte partielle Thromboplastinzeit (aPTT) 27 s (Referenzbereich < 36 s),

  • Thrombinzeit 17 s (Referenzbereich 16–20 s),

  • Antithrombin 104 % (Referenzbereich 83–118 %)

waren normwertig. Der Eiweiß-Kreatinin-Quotient im Urin war nicht pathologisch erhöht. Zusammengefasst fanden sich keine laborchemischen Auffälligkeiten, weder in den Routinelaborbestimmungen noch in der großzügig durchgeführten weiterführenden Labordiagnostik (antinukleäre Antikörper [ANA], „antineutrophil cytoplasmic antibodies“ [ANCA], dsDNA-Antikörper, Angiotensinkonversionsenzym [ACE], Kryoglobuline).

Ein naso-/oropharyngealer Abstrich für eine rtPCR auf SARS-CoV-2-RNA war, wie aufgrund des zeitlichen Abstands zur grippalen Symptomatik zu erwarten, negativ. Jedoch blieb auch ein Enzym-Immunoassay (ELISA) auf IgG/IgA gegen das virale Spike-Protein von SARS-CoV‑2 negativ, was bei der Anamnese überraschte. Auch die serologischen SARS-CoV-2-Untersuchungen der Eltern und der jüngeren Schwester verliefen negativ.

Wie lautet Ihre Diagnose?

Diagnose: primäre (idiopathische) Pernionen („Frostbeulen“)

Dermatologischer Befund

Der dermatologische Befund entsprach dem von Pernionen (umgangssprachlich „Frostbeulen“ oder englisch „chilblains“) und war klinisch nicht von in der Literatur beschriebenen „COVID-19-Zehen“ oder COVID-19-assoziierten Pernionen unterscheidbar [1].

Diskussion

Im vorliegenden Fallreport wird ein jugendliches Mädchen mit Pernionen während der SARS-CoV-2-Pandemie beschrieben. Sowohl die betroffene Familie, die behandelnde Kinderärztin als auch die in der Kindernotaufnahme tätigen Autoren waren, beeinflusst durch die mediale Präsenz von „COVID-Zehen“, zunächst davon überzeugt, diese Spätmanifestation der COVID-19-Erkrankung zu sehen. Erst serologische Untersuchungen aller Familienangehörigen konnten von dieser Verdachtsdiagnose abbringen und zur zutreffenden, wahrscheinlicheren Diagnose primärer oder idiopathischer Pernionen führen.

Die Diagnose der primären (idiopathischen) Pernionen wird in der Regel anhand der Anamnese und der klinischen Untersuchung gestellt. Bei typischen klinischen Zeichen und anamnestisch bestätigter Kälteexposition handelt es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um primäre (idiopathische) Pernionen. Die Behandlung der manifesten Erkrankung erfolgt durch Warmhalten der betroffenen Extremität und eine symptomatische Therapie. Bei rezidivierenden Verläufen kann eine Prophylaxe, in Form einer Vermeidung von auslösenden Faktoren wie beispielsweise Kälteexposition, erwogen werden. Akute, idiopathische Pernionen klingen normalerweise innerhalb von einer bis 3 Wochen ab, können während dieser Zeit aber äußerst unangenehm sein, wie es auch bei der vorgestellten Patientin der Fall war. Rezidivierende und chronische Verläufe sind eher die Ausnahme. Aufgrund des Zusammenhangs mit Kälteexposition treten Pernionen vorzugsweise in den Wintermonaten auf.

Eine weiterführende Labordiagnostik wird i. Allg. erst bei persistierenden und/oder rezidivierenden Pernionen oder bei Hinweisen auf eine zugrunde liegende Systemerkrankung empfohlen. Zur weiterführenden Diagnostik gehören eine Serumproteinelektrophorese, die Bestimmungen des ACE und des löslichen Interleukin-2-Rezeptors (sIL2-R), ggf. ein Thoraxröntgen (zum Ausschluss einer Sarkoidose), Nachweise der antinukleären Antikörper (Lupus erythematodes), des Rheumafaktors, der Antiphospholipidantikörper, der Kryoglobuline (Kryoglobulinämie) und ggf. die Durchführung einer Biopsie.

Primäre Pernionen sind kein seltenes Krankheitsbild. Frauen jungen und mittleren Alters sind die am häufigsten betroffenen Personengruppe. Die Pathogenese ist weitestgehend ungeklärt. In seltenen Fällen sind systemische Erkrankungen (z. B. systemischer Lupus erythematodes, Sarkoidose, Kryoglobulinämie, Anorexia nervosa, Aicardi-Goutières-Syndrom) oder aktuell auch SARS-CoV‑2 als Auslöser für Pernionen beschrieben, die dann als sekundäre Pernionen bezeichnet werden. Im Fall der SARS-CoV-2-assoziierten Pernionen konnte das Virusprotein immunhistochemisch in Endothelzellen aus Pernionenbiopsiematerial von COVID-19-Patienten nachgewiesen werden [2]. Da die Familie der vorgestellten Patientin und auch die Behandelnden selbst nach den überraschenderweise negativen serologischen Befunden das Bedürfnis der ätiologischen Abklärung sekundärer Pernionen hatten, wurden die Routinelaboruntersuchungen, wie oben beschrieben, erweitert. Dies wird allerdings bei erstmalig aufgetretenen Pernionen nicht zwingend empfohlen und blieb auch im vorgestellten Fall unauffällig.

Schließlich wurde die Familie über den selbstlimitierenden, jedoch in seltenen Fällen rezidivierenden Verlauf aufgeklärt. Auch bei der Patientin bildeten sich die Pernionen spontan zurück und waren nach ca. 4 Wochen nahezu vollständig verschwunden. Den charakteristischen Verlauf, mit den sich über die Zeit verändernden und äußerst unangenehmen Symptomen, hat die Patientin anschaulich in einer eigenhändig angefertigten Verlaufsgrafik festgehalten (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Symptomverlauf – Eigendarstellung der Patientin. Grüne Kurve: Empfindlichkeit (Berührungsempfindlichkeit und Hypästhesie); orangene Kurve: Schwellung (Verschlimmerung durch Sonne, Wärme oder Bewegung); rote Kurve: Jucken/Brennen (Kribbelparästhesien, Verschlimmerung durch Wärme, Linderung durch Kälte); blaue Kurve: Blaufärbung (initial am Nagelbett, dann am Zeh)

Obwohl während der COVID-19-Pandemie ein gehäuftes Vorkommen von Pernionen berichtet wird, kann in der großen Mehrzahl der Fälle kein direkter Zusammenhang zwischen SARS-CoV‑2 und den Pernionen nachgewiesen werden [1, 3, 4]. Der Zusammenhang von SARS-CoV‑2 und vermehrtem Auftreten von Pernionen bleibt somit eine Beobachtung und belegt keine Kausalität. Mögliche Erklärungen für diese Beobachtung sind nach den zitierten Studien und der persönlichen Meinung der Autoren v. a. 2 Faktoren: Zum einen ist infolge der Pandemiebekämpfung das Freizeitverhalten der Kinder und Jugendlichen (z. B. Austoben auf Spielplätzen, Treffen mit Gleichaltrigen) flächendeckend verändert. Die Schließungen der Sportvereine und Sportstätten führen zur Abnahme der organisierten sportlichen Aktivität, die als protektiver Faktor für Pernionen vermutet wird. Zum anderen wird auch der gesteigerten ärztlichen Aufmerksamkeit auf COVID-19-assoziierte Symptome in dieser besonderen Zeit eine nichtunerhebliche Rolle zukommen und im vorgestellten Fall im Sinne einer „selektiven Wahrnehmung“ einen psychologisch erklärbaren, menschlichen Streich gespielt haben.

Fazit für die Praxis

  • Pernionen sind selbstlimitierend.

  • Neben primären Formen treten selten auch sekundäre Formen auf. Die Kausalverknüpfung etwaiger Auslöser und zeitgleich aufgetretener Pernionen ist nicht immer zweifelsfrei geklärt.

  • Die Abklärung sekundärer Ursachen kann indiziert sein und sollte insbesondere bei rezidivierenden Fällen erwogen werden.

  • Seit Beginn der COVID-19-Pandemie häufen sich die Berichte über Pernionen bei Kindern, die am ehesten auf die geänderte Aufmerksamkeit bzw. Wahrnehmung und möglicherweise auch auf den veränderten Lifestyle in der Pandemie zurückzuführen sind, und nicht auf eine SARS-CoV-2-Infektion.

  • Nicht alles ist COVID-19.