Eine hohe Verbreitung eines Prüfverfahrens muss nicht zwingend mit einer hohen Qualität einhergehen. Daher ist es durchaus gerechtfertigt und erlaubt, auch gängige Verfahren kritisch zu betrachten. Über viele Jahre hinweg wurde der Freiburger Sprachtest mehr und mehr verpflichtend in die deutschsprachige Audiologie eingeführt: Während Ende der 1960er-Jahre beispielsweise dem HNO-Arzt noch vorübergehend überlassen wurde, ob die Werte der Flüster- bzw. der Umgangssprachprüfung oder des Freiburger Sprachtests als Grundlage für die Verordnung von Hörgeräten herangezogen werden, ist diese Hörprüfung heute aus dem audiologischen Instrumentarium nicht mehr weg zu denken. Auch wenn durch die Erhebung des Freiburger Sprachtests zur Norm davon ausgegangen werden konnte, dass es so zu einer deutlichen Qualitätssteigerung der damaligen audiologischen Befunde kam, wurde das Sprachaudiogramm nach DIN 45621 im Rahmen der Hörgeräteversorgung aus ökonomischen Gründen anfangs noch nicht gefordert, sondern zunächst nur als eine Empfehlung verstanden. Dadurch sollte „sich jeder Ohrenfacharzt – entsprechend seiner Ausbildung und apparativen Einrichtung – an der Verordnung von Hörgeräten beteiligen“ [1].

Inzwischen ist viel Zeit vergangen, in der die HNO-audiologische Welt um eine Reihe neuer Erkenntnisse, Randbedingungen und Messverfahren reicher wurde. Dabei ist auch insbesondere im Zusammenhang mit dem Freiburger Einsilbertest (FBE) über erhebliche Testmängel berichtet worden. Ungeachtet dessen wird gerade diesem Teil des Freiburger Sprachtests noch immer eine hohe Relevanz zugesprochen. Er wird nach wie vor für die Diagnostik und Erfolgskontrolle bei audiologischen Therapien eingesetzt. Zudem ist er seit Langem Bestandteil der (Heil- und) Hilfsmittel-Richtlinie im Rahmen der Versorgung mit Hörgeräten und obligater Baustein in der Begutachtung des Hörvermögens.

Der FBE ist obligat bei der Begutachtung des Hörvermögens

Über die Jahre laut gewordene kritische Anmerkungen zu Validität, Reliabilität und Effizienz des FBE wurden jedoch zum Anlass genommen, alternative Testverfahren zu entwickeln. Mit diesen „modernen“ Methoden können unterschiedlichste Hörsituationen – wie besondere Störschallsituationen und räumliche Geometrien – in Bezug auf das Sprachverstehen sehr genau nachgebildet und das Sprachverstehen quantifiziert werden. Nach der Einführung dieser neuen Verfahren in klinische Abläufe erhob sich die Frage, inwieweit der bestehende FBE überhaupt noch zeitgemäße Sprachaudiometrie erlaubt. Hierbei spielen zum einen die genannten Testkriterien eine Rolle, zum anderen müssen bei klinischen Fragen auch immer die tatsächliche Zielsetzung und die ökonomischen Randbedingungen berücksichtigt werden. Die Beantwortung solcher Fragen ist sicher komplex, aber von großer Bedeutung für die HNO-Heilkunde im Rahmen aller Interventionen, die eine Verbesserung des Alltagshörens zum Ziel haben.

Dadurch erreichte der FBE eine Renaissance in der klinisch-audiologischen Forschung, die mit der Aufnahme der neuen Sprachtests in die Hilfsmittel-Richtlinie 2011 noch intensiver wurde. Das neu entdeckte wissenschaftliche Interesse am FBE beflügelte wiederum sehr kontrovers geführte Diskussionen [24], die möglicherweise nicht immer frei von Interessenkonflikten der Beteiligten waren. Zwischenzeitlich wurde die Hilfsmittel-Richtlinie jedoch soweit geändert, dass dem Anwender mehr oder weniger überlassen wird, welcher Sprachtest zur Evaluation einer Hörgeräteversorgung zum Einsatz kommt.

Die Auswahl des Sprachtests zur Evaluation einer Hörgeräteversorgung trifft der Anwender

Für eine weitere Intensivierung der Forschungsaktivitäten in Verbindung mit dem FBE sorgte die 2012 in deutscher Übersetzung veröffentlichte internationale Norm DIN EN ISO 8253‑3 „Akustik – Audiometrische Prüfverfahren – Teil 3: Sprachaudiometrie“, worin erstmalig in mehreren Abschnitten verschiedene streng definierte Qualitätsanforderungen an einen Sprachtest gestellt werden. So werden in diesem Heft neben den – z. T. um die aktuellen Daten erweiterten –Übersichtsarbeiten, einer Arbeit zur Überprüfungsmöglichkeiten des Alltagshörens mit den Hörgeräten und einer Arbeit zur Verwendungshäufigkeit der Freiburger Einsilber auch die in Anlehnung an die DIN EN ISO 8253‑3 neugewonnenen Daten publiziert.

Alle diese Arbeiten sollen einerseits dazu dienen, die Möglichkeiten und Grenzen des FBE für Anwendungen in Ruhe neu zu erkunden. Andererseits können sie auch als Anstoß für neue Studien, die sich mit der besonders kontrovers diskutierten Anwendbarkeit des FBE im Störgeräusch beschäftigen sollten, wahrgenommen werden: Nach bisherigen Erkenntnissen könnten die in der Neufassung der DIN EN ISO 8523‑3 beschriebenen Qualitätskriterien eine zu große Hürde für den FBE darstellen. Diese Norm ist allerdings wie jede andere kein Gesetz, sondern eine Art Leitlinie für die Messtechnik, die einen Handlungskorridor vorgibt, innerhalb dessen man die Prüfverfahren durchführen sollte. Daher ist es nicht ganz unvorstellbar, dass der FBE zur Überprüfung des Ergebnisses einseitiger oder beidseitiger Hörhilfenversorgung im Störschall auch ohne weiterführende Studienerkenntnisse in die Hilfsmittel-Richtlinie bald aufgenommen werden könnte.

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Izet Baljić

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Ulrich Hoppe