Die adäquate Behandlung von Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren stellt eine täglich neue Herausforderung für unser Fach dar. Dabei weist die große Variabilität – zum Beispiel hinsichtlich organerhaltender Therapiekonzepte – an den unterschiedlichen deutschsprachigen Kopf-Hals-Tumorzentren auf die Schwierigkeit optimaler Behandlungsstrategien sowie auf die Notwendigkeit zur Entwicklung neuer einheitlicher Therapieleitlinien bei Kopf-Hals-Tumoren hin. Die bereits vielerorts erfolgreiche Institutionalisierung interdisziplinärer Tumorboards zur Erörterung individueller Fallkonstellationen und Behandlungsstrategien stellt hierbei bereits eine Wende in der Behandlung von Tumorpatienten dar. Dabei wird der Schwerpunkt zunehmend im Sinne der „personalisierten Onkotherapie“ auf Therapiekonzepte gesetzt, die dem individuellen Patienten angepasst sind. Neben international geltenden und ständig an neue Erkenntnisse angepassten Standardarbeitsanweisungen (SOP, „standard operating procedure“) zur Behandlung der komplexen Tumorerkrankungen im Kopf- und Halsbereich belegen neueste klinische Studien und wissenschaftliche Erkenntnisse der letzten Jahre die Notwendigkeit eines immer komplexeren und dem einzelnen Tumorpatienten „maßgeschneiderten“ Therapieangebots.

Das Plattenepithelkarzinom ist klinisch ausgesprochen heterogen

Das Plattenepithelkarzinom (HNSCC, head and neck squamous cell carcinoma), welches mit Abstand die häufigste Tumorentität im Kopf- und Halsbereich darstellt, ist durch eine ausgesprochene Heterogenität im klinischen Erscheinungsbild charakterisiert. Basierend auf neu entwickelten Technologien, wie z. B. der Hochdurchsatzsequenzierung, können wir heute Subgruppen von HNSCC-Patienten definieren, deren Tumoren sich in ihren genetischen, epigenetischen, biologischen und immunologischen Eigenschaften unterscheiden. Hierbei spielen die ätiologischen Risikofaktoren – jahrelanger Abusus von Tabak und Alkohol bzw. Infektion mit humanem Papillomvirus (HPV) – eine entscheidende Rolle. Die Tatsache, dass insbesondere Patienten mit HPV-positiven Oropharynxkarzinomen eine signifikant bessere Prognose aufweisen, haben weltweit zahlreiche Deeskalierungsstudien auf den Weg gebracht. Das Ziel dieser Studien ist es, eine geringere Toxizität und damit bessere Lebensqualität bei gleichbleibender Überlebenswahrscheinlichkeit zu ermöglichen.

Ein weiterer innovativer Therapieansatz stellt die Immunmodulation durch sog. Checkpointinhibitoren dar. Dabei wird mittels spezifischer Antikörper gegen den „Programmed-Death-Rezeptor“ PD1 oder dessen Liganden PDL1 und PDL2 versucht, das körpereigene Immunsystem zu aktivieren. Aktuell basiert die Mehrzahl der gelisteten klinischen Studien auf dem Prinzip der Immuncheckpointmodulation, und erste Ergebnisse bei Patienten mit Kopf- und Halstumoren sind vielversprechend. Allerdings beobachtet man auch bei diesem Therapieansatz ein heterogenes Ansprechen, und es besteht ein dringender Bedarf an geeigneten zellulären oder molekularen Biomarkern zur Stratifizierung von Patienten, die von einer Immuncheckpointmodulation profitieren.

Die Identifikation von sog. therapeutischen Biomarkern, deren Nachweis vor, während und nach einer Behandlung das Ansprechen auf etablierte oder innovative Therapiekonzepte zuverlässig anzeigt, gewinnt aufgrund der ausgeprägten klinischen Heterogenität bei Kopf- und Halstumoren und der Vision einer individualisierten Behandlung immer mehr an Bedeutung. Unverzichtbar ist hierfür allerdings die Etablierung von neuen präklinischen Modellen, welche im optimalen Fall den komplexen und multizellulären Aufbau eines Tumors widerspiegeln. In der Vergangenheit wurden daher verschiedene Ex-vivo-Zellkultur- und -Gewebemodelle aus vitalem Tumormaterial von Patienten mit Kopf-Hals-Tumoren entwickelt, die eine vielversprechende Alternative zu klassischen In-vitro-Zellkultur- bzw. In-vivo-Mausmodellen darstellen.

Die Translation in die klinische Praxis ist eine große Herausforderung

Ein weiterer Aspekt, der immer mehr an Bedeutung für die Pathogenese und Therapie von humanen Malignomen gewinnt, sind Komorbiditäten, die in der heutigen Gesellschaft weit verbreitet sind. Ein Beispiel ist das immer häufiger auftretende metabolische Syndrom und das damit vergesellschaftete Krankheitsbild des Diabetes mellitus. Diese Komorbiditäten stellen potenzielle Risikofaktoren bei verschiedenen Tumorentitäten dar und beeinflussen deren Prognose. Aufgrund der eskalierenden Inzidenz in der Gesellschaft ist absehbar, dass es in naher Zukunft deutlich mehr Patienten mit einem Kopf-Hals-Tumor und gleichzeitig einem metabolischen Syndrom oder Diabetes mellitus geben wird. Der Einfluss dieser Komorbiditäten auf etablierte bzw. innovative Therapiekonzepte ist aktuell weitestgehend unbekannt und sollte dringend in zukünftigen klinischen Studien berücksichtigt werden.

Die sich rasant entwickelnden neuen Technologien im Bereich der Grundlagenforschung sowie klinischen Anwendung haben eine Ära eingeleitet, die es uns erlaubt, komplexe Zusammenhänge bei der Manifestation und Therapie von Kopf-Hals-Tumoren besser zu verstehen und innovative Konzepte für eine effizientere und weniger toxische Behandlung der Patienten zu etablieren. Die erfolgreiche Translation dieser Erkenntnisse in die klinische Praxis ist jedoch eine große Herausforderung und setzt eine gemeinsame Anstrengung aller Wissenschaftler und Kliniker der beteiligten Fachbereiche voraus. Es hat sich gezeigt, dass die Etablierung von therapeutischen Biomarkern mindestens ebenso wichtig ist wie die Identifikation neuer Zielstrukturen, um den individuellen Eigenschaften und der extremen Heterogenität bei Kopf-Hals-Tumoren gerecht zu werden. Diesem Aspekt sollte in zukünftigen klinischen Studien mehr Bedeutung beigemessen werden, sodass langfristig jedem Patienten eine angemessene und optimale Behandlung zukommen kann.

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Karim Zaoui

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Jochen Hess