Sprachliche Ebenen

Die sog. formalen linguistischen Ebenen der Sprache umfassen die Ebene der Sprachlaute (phonetisch-phonologische Ebene), der Grammatik (morphologisch-syntaktische Ebene) und des Wortschatzes (lexikalisch-semantische Ebene). Auf allen 3 Ebenen muss ein sprachlernendes Kind ausreichend Kompetenzen erwerben. Konkret: Ein Kind muss sich im Verlauf des Spracherwerbs nicht nur bestimmte artikulatorische Fähigkeiten aneignen, um die Sprachlaute der Zielsprache realisieren zu können, sondern auch die grammatischen Regeln, nach denen Wörter und Sätze aufgebaut werden, verstehen.

Ein Kind muss sich artikulatorische Fähigkeiten und grammatische Regeln aneignen

Darüber hinaus muss es lernen, dass es Wörter gibt, die als Zeichen auf etwas in der realen Welt hinweisen. So muss es z. B. lernen, dass das Wort Hund als lautsprachliches Zeichen eine Bezeichnung für ein vierbeiniges Wesen ist, das bellen kann. Das Kind muss also ein Konzept korrespondierend zum Wort Hund entwickelt haben, um nicht nur einen ganz bestimmten Hund, sondern auch einen beliebigen anderen Hund als Hund bezeichnen zu können (Abb. 1).

Das semiotische Dreieck (Abb. 1) soll die Beziehungen zwischen einem „Ding“, z. B. einem Objekt der realen Welt wie einer Katze, dem Wort /Katze/ als Folge von Sprachlauten und dem Begriff, dem man sich von dem „Ding“ macht, hier also Katze = „vierbeiniges Tier“ + „weiches Fell“ + „macht miau“ usw. darstellen. Für „Ding“ finden sich auch andere Ausdrücke wie Referent, Objekt, Denotatum u. a., für „Zeichen“ die Ausdrücke Wort, Ausdruck, Benennung, Signifikant, Symbol u. a., für „Begriff“ die Ausdrücke Bedeutung, Bezeichnetes, Designatum, Konnotation, Konzept, mentales Bild, Referenz, Signifikat, Vorstellung u. a. Insbesondere ist zu beachten, dass Ding, also Denotatum, sich nicht ausschließlich auf Realobjekte bezieht, sondern auch auf Eigenschaften und Tätigkeiten beziehen kann.

Um kommunizieren zu können, muss das Kind eine Vielzahl von Wörtern kennen, d. h. über einen genügend großen Wortschatz verfügen, und es muss auf diesen hinsichtlich des Verstehens sowie des Sprechens schnell zugreifen können.

Abb. 1
figure 1

Semiotisches Dreieck [46]. Erläuterung s. Text

Zeitlicher Verlauf des Wortschatzerwerbs

Die ersten Wörter produziert ein Kind typischerweise um den 12. Lebensmonat. Bereits davor, ab etwa dem 9. Lebensmonat, kann man Vorformen i. S. von Protowörtern erkennen. Manche werden konstant als Vokalisierungen aus kanonischen Silben und Silbenreduplikationen in bestimmten Situationen produziert (phonetisch konstante Formen, PCF, [1]). PCF können verwendet werden, um Gefühle deutlich zu machen, nach bestimmten Gegenständen zu verlangen oder um auf Objekte zu referieren. Ihre Referenz, ihr Gegenstandsbezug, ist aber nicht eindeutig und nicht dekontextuell. Als performative Routinen im Handlungszusammenhang werden sie daher auch als vorreferenziell bezeichnet.

Im Gegensatz dazu sind die etwas später produzierten „ersten Wörter“ referenziell, phonetisch konsistent, semantisch kohärent und symbolisch autonom. Der Wortschatzerwerb vollzieht sich zunächst langsam und erreicht, allerdings mit einer hohen interindividuellen Variationsbreite, um den 24. Lebensmonat etwa 50 Wörter [2]. Diese ersten Wörter sind i. d. R. gleichzeitig Einwortsätze, die typischerweise, d. h. zu über 60 %, auf ein Objekt in der realen Welt verweisen. Der Erwerb neuer Wörter wird unterstützt, wenn beide Interaktionspartner in Joint-Attention-Episoden [3] ihr Augenmerk auf dasselbe richten.

Des Weiteren finden sich Wörter zu Aktionen und Abläufen, Adverbiale oder Partikel. Partikel wie /weg/ ersetzen nicht selten ganze Verben wie /wegnehmen/.

Verben werden später als Nomen, diese dann zunächst als Namen, erworben.

Neben objektreferenziellen Wörtern (Auto) und aktionsassoziierten Wörtern (trinken) finden sich auch modifizierende (schmutzig, heiß) und soziale Wörter (hallo, nein).

Wortschatzexplosion/Vokabelspurt

Im 2. Lebensjahr äußern Kinder dann auch Adjektive und Bezeichnungen ihrer Gefühle. Wichtig ist, dass sie das Verständnis der Objektpermanenz erworben haben, d. h. dass sie wissen, dass ein Objekt auch dann noch vorhanden sein kann, wenn es nicht mehr im Blickfeld ist. Neben dem Verständnis für die Objektpermanenz muss das Kind wissen, dass Dinge Bezeichnungen tragen (Symbolbewusstsein, „naming insight“) sowie die Fähigkeit zur Kategorisierung und zur Segmentierung erworben haben. Dann, und wenn gleichzeitig der Grundwortschatz 50–100 Wörter umfasst, kommt es zur sog. Wortschatzexplosion, auch Vokabelspurt genannt ([4] nach [5]). Dieser wird wohl auch dadurch begünstigt, dass Kinder nun 2 oder mehr Wörter zu kleinen Sätzen kombinieren können. Außerdem wird die Artikulationsfähigkeit zunehmend besser, sodass die zielsprachgerechte Realisation von Sprachlauten besser gelingt. Vermutlich können die Kinder dann auch ähnlich klingende Laute besser differenzieren.

Verschiedene sog. Bootstrapping-Strategien ([6, 7] nach [5]), z. B. die Syntactic-Bootstrapping-Strategie, nach der syntaktische Informationen im Satz zur Erschließung der Argumentstruktur eines Verbs genutzt werden, erleichtern die Klassifikation der Wörter. Diese entspricht allerdings noch nicht der klassischen Einteilung in Wortarten, sondern orientiert sich an der Referenz der Wörter zur realen Welt in Objektwörter, Aktionswörter, Modifikationswörter usw. ([8] nach [5]).

Übergeneralisierungen, d. h. Überdehnung des Extensionsbereichs [5], wenn z. B. alle vierbeinigen Lebewesen als /Katze/ bezeichnet werden, und Unterdehnungen, wenn z. B. nur schwarze Katzen als /Katze/ bezeichnet werden, sind in der ersten Zeit noch häufig.

Übergeneralisierungen und Unterdehnungen sind in der ersten Zeit noch häufig

Mit dem weiteren rapiden Anstieg des Wortschatzes findet eine allmähliche Dekontextualisierung statt. Außerdem lässt sich ab dem 4. Lebensjahr eine Reorganisation und Konsolidierung lexikalischer Einträge feststellen [9]. Der aktive Wortschatz beträgt mit dem 6. Lebensjahr schon etwa 2000–3000 Wörter. Der Zuwachs an Wörtern begünstigt wiederum den Erwerb der grammatischen Regeln. Der Wortschatzerwerb ist nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt abgeschlossen, sondern findet prinzipiell auch in weiteren Lebensabschnitten statt [10].

Zum besseren Verständnis des Spracherwerbs allgemein und von Spracherwerbsstörungen im Speziellen ist hierbei wichtig zu wissen, wie die Konzeptbildung erfolgt und welche Mechanismen den Erwerb neuer Wörter allgemein und den raschen Zugewinn in der Phase der Wortschatzexplosion im Besonderen steuern. Diesen Fragen soll im Folgenden nachgegangen werden.

Methodik

Es wurde eine selektive Literaturrecherche in den Datenbanken PubMed und Scopus durchgeführt. Außerdem wurden gängige Lehrbücher, insbesondere Gisela Szagun „Sprachentwicklung beim Kind“ [11], Monika Rothweiler „Wortschatz und Störungen des lexikalischen Erwerbs bei spezifisch sprachentwicklungsgestörten Kindern“ [5] und Gisela Klann-Delius „Spracherwerb“ [12] berücksichtigt.

Ergebnisse

Für das Erlernen eines neu gehörten Worts, d. h. für die Übernahme des Worts in das mentale Lexikon, müssen Kinder das für sie neue Wort beim Hören zunächst in dem akustisch mehr oder weniger kontinuierlichen Schallsignal als semantisch distinkte Einheit identifizieren. Als nächstes müssen sie das Wort vom Klangbild her als tatsächlich für sie „neu“ über einen Abgleich mit den schon im Lexikon gespeicherten Wörtern identifizieren und gegen lautähnliche, ihnen bereits bekannte Wörter, diskriminieren. Nach der Isolation des Worts aus dem Kontext müssen Referent und Bedeutung (zur Terminologie s. Erläuterung zu Abb. 1) identifiziert werden. Dann werden Referent und Referenz auf die lautliche Form projiziert und eine erste partielle Repräsentation des erlernten Worts gebildet. Diese (partielle) Repräsentation enthält somit Informationen über den Referenten und über den Bedeutungsaspekt, aber auch über phonologische Merkmale und über den syntaktischen Rahmen, in dem das Wort realisiert wird. In weiteren Schritten, u. a. nach wiederholter Bestätigung der Kongruenz von Wort zu Referent, muss dann das neue Wort im Langzeitspeicher abgespeichert werden.

Als quasi grundsätzliche Voraussetzungen formulierte Clark ([13, 14, 15] nach [5]) die Prinzipien der Konventionalität und des Kontrasts. Unter dem Prinzip der Konventionalität ist zu verstehen, dass in einer Sprachgemeinschaft die Zuordnung eines Worts zu seiner Bedeutung per Konvention festgelegt ist. Kinder, die dem Prinzip der Konventionalität folgen, können z. B., sofern sie ein Wort /Zeichen noch nicht kennen, aber den Referenten benennen wollen, also eine lexikalische Lücke füllen wollen, Wörter erfinden, die konventionellen Wortformen entsprechen. So entstehen gelegentlich höchst phantasievolle Wörter wie „Aufkasten“ für „Fahrstuhl“.

Das Prinzip des Kontrasts besagt, dass ein Unterschied in der lautlichen Form einem Unterschied in der Bedeutung entspricht.

Damit wird also die Existenz (echter) Synonyme zunächst ausgeblendet.

Um diesen komplexen Wortschatzerwerb besser zu verstehen, sind in der wissenschaftlichen Literatur verschiedene Fragen und Themen adressiert worden. Drei dieser zum Teil sich überschneidenden Themen werden hier beleuchtet:

  • Wie ist das mentale Lexikon organisiert?

  • Wie erfolgt eine Konzeptbildung?

  • Welche Prozesse schränken den Hypothesenraum hinsichtlich des Referenten beim Hören eines neuen Worts ein?

Organisation des mentalen Lexikons

Ein Eintrag im mentalen Lexikon muss die semantische Repräsentation, Informationen über syntaktische Eigenschaften, Informationen über die morphologische Klasse und Eigenschaften sowie die phonetisch-phonologische Form enthalten. Nach dem hierarchisch seriellen Modell nach Levelt [16] werden Informationen über Syntax und Semantik (Lemma) getrennt von den phonologischen und morphologischen Eigenschaften (Lexem) gespeichert. Als Nachweis hierfür wurde das Tip-of-the-Tongue-Phänomen („es liegt mir auf der Zunge…“) aufgeführt: man weiß genau, dass das Wort existiert und was seine Bedeutung ist, es können z. T. sogar Aussagen über phonologische (z. B: über initiale oder finale Phoneme: „es fängt mit /p/ an“) respektive prosodische Bestandteile (z. B: „es klingt wie …“) gemacht werden. Man kommt aber nicht auf den „Namen“, d. h. der Zugriff auf das Lexem (im Logogen-Modell auf das phonologische Outputlexikon) ist blockiert. Dieses Modell hat weitere Ausdifferenzierungen erfahren, z. B. hinsichtlich der Beziehungen der verschiedenen Eigenschaften, die gespeichert werden müssen. Neben dem Modell von Levelt sind andere 2-Stufen-Modelle und Netzwerkmodelle (z. B. [17]) vorgeschlagen worden. Unterschiede betreffen u. a. die zeitliche Abfolge von Sprachverarbeitungsprozessen.

Konzeptbildung

Beim Speichern eines neuen Worts im Lexikon muss u. a. die Bedeutung erfasst und quasi als Konzept/mentales Bild gespeichert werden. So muss beispielsweise ein Objekt der realen Welt (die Katze des Nachbarn: Referenzobjekt, Referent), auf das sich das Konzept Katze (vierbeiniges Tier, weiches Fell, miaut usw.) bezieht, mit dem Wort (Symbol) Katze verknüpft werden (sog. semiotisches Dreieck, [18], Abb. 1). Nach der Theorie der semantischen Merkmale [19] bestehen Konzepte aus Mengen von Merkmalen (Attribut-Werte-Paare). Das Konzept Katze z. B. könnte aus den Merkmalen „vierbeinig“ + „hat ein Fell“ + „miaut“ + „hat einen Schwanz“ usw. bestehen. Darauf aufbauend entstand die „semantische Merkmalshypothese“. Danach bestehen Bedeutungen aus Mengen semantischer Merkmale. Kinder lernen zunächst reduzierte Mengen von Merkmalen und somit reduzierte Bedeutungen. Dies erklärt dann z. B. die sog. Überdehnung, da das jeweilige Konzept unterspezifiziert ist. Wird das Konzept durch Hinzufügen weiterer Merkmale spezifiziert, treten Überdehnungen immer seltener auf, bis schließlich durch den fortschreitenden Differenzierungsprozess die konventionalisierte zielsprachlich konforme Bedeutung erlangt ist. Diese Theorie wurde durchaus kritisch diskutiert, so erklärt sie z. B. nicht das Phänomen der Unterdehnung. Außerdem wird die Merkmalszuordnung als etwas Statisches betrachtet.

Die Prototypentheorie sieht ebenfalls die Merkmalsbündel, betont jedoch die typischen Merkmale. So ist wohl recht einleuchtend, dass eine Amsel unmittelbar der Kategorie „Vogel“ zugeordnet wird, bei „Strauss“ oder „Pinguin“ wird die Zuordnung eher unsicher, da bei diesen beiden das prototypische Charakteristikum „kann fliegen“ fehlt. Nach dieser Theorie sind also Kategorien nicht scharf abgegrenzt [20].

Eine alternative Theorie, die funktionale Kernhypothese [21], postuliert, dass der Kern eines Konzepts funktional und nicht perzeptuell ist. Im Vordergrund steht also die Frage, was man mit einem Objekt machen kann, nicht, wie man es wahrnimmt (s. Merkmalstheorie). Nelson differenziert semantisches Wissen vom funktionalen Wissen, das Kinder im agierenden Umgang persönlich erleben.

Einschränkung des Hypothesenraums

Es erstaunt immer wieder, dass Kinder Wörter, die sie nur ein- oder zweimal gehört haben, in ihren Wortschatz (Lexikon) integrieren können. Der schnelle Prozess der Aufnahme in das Lexikon wird als „fast mapping“ (schnelles Abbilden, [22] nach [5]) bezeichnet.

„Fast mapping“ ist quasi der Motor der Wortschatzexplosion.

Für die Übernahme in das Lexikon respektive die Bildung einer Repräsentation müssen Kinder quasi erraten, auf was genau sich das neue bzw. erstmalig gehörte Wort bezieht. Ist z. B. ein Hund in der Nähe und äußert die Bezugsperson „Hund“, so könnte sich dieses Wort tatsächlich auf das vierbeinige Lebewesen, aber grundsätzlich genauso gut nur auf das Fell, die Beine, den Geruch des Hundes, die Charaktereigenschaft „bissig“ usw. beziehen. Ähnlich ginge es einem Erwachsenen, der z. B. bei einem Jahrmarkt in einem fremden Land einen Stand gezeigt und gleichzeitig ein Wort wie z. B. „ginglok“ gesagt bekommt. Dieses Entscheidungsproblem wird Induktionsproblem genannt. Es sind verschiedene Theorien postuliert worden, wie Kinder das Induktionsproblem überwinden.

Prinzipienorientierte Theorien zur A-Priori-Einschränkung des Hypothesenraums

Nach Markman ([23] nach [5]) wird der Erwerb neuer Wörter durch sog. „constraints“ bzw. „assumptions“ gesteuert. Hierunter sind kognitiv-lexikalische Erwerbsprinzipien zu verstehen, die die Auswahl von vornherein einschränken oder steuern. Werden also a priori nicht alle Möglichkeiten der Zuordnung ausgeschöpft, kann die zunächst hypothetische Zuordnung zu einem Referenten schneller erfolgen.

Zu den Erwerbsprinzipien im engeren Sinne gehören die Folgenden.

“Type assumption”

Es wird angenommen, dass sich ein Wort jeweils auf eine Klasse und nicht (nur) auf ein Individuum dieser Klasse bezieht, z. B. dass sich das Wort /Katze/ auf alle vierbeinigen, behaarten, kleinen Tiere, die miauen, bezieht und nicht (nur) auf die schwarze Katze des Nachbarn.

“Whole object assumption”

Es wird vorausgesetzt, dass sich Wörter auf ein ganzes Objekt beziehen und nicht nur auf Teile des Objekts, z. B. dass sich das Wort /Katze/ auf das ganze Tier bezieht und nicht nur auf ein Bein, das Fell, den Kopf o. Ä.

“Taxonomic constraint”

Es wird angenommen, dass sich Wörter auf taxonomisch organisierte Kategorien und damit auf Objekte der gleichen Art beziehen. Hiermit ist Folgendes gemeint: Kinder erleben Objekte zunächst im Wesentlichen im agierenden Umgang. Sie sehen z. B., dass ein Ball rollt, wenn sie ihn anschubsen. Vermutlich speichern sie dann ein neues Wort im Kontext mit dem ihnen bekannten Wort /Ball/ ab. Mit dem Einsetzen der Wortschatzexplosion werden sie aber vermehrt neue Wörter zu Kategorien ihnen bekannter Wörter zuordnen und später auch strukturierende Beziehungen mit Oberbegriffen und Unterbegriffen herstellen. Diese besondere Leistung der Konzeptbildung beruht auf einer paradigmatischen Assoziation, d. h. in einem Satz könnte ein Wort durch ein Wort der gleichen Kategorie ausgetauscht werden. Im Gegensatz dazu findet vor der Wortschatzexplosion eine syntagmatische Assoziation statt.

„Basic level assumption“

Danach gehören alle Wörter einer einzigen Hierarchieebene an, d. h. Kinder haben noch kein Bewusstsein für Ober- und Unterkategorien, also für die vertikale Gliederung der Kategorienbildung.

„Novel name“ – „nameless category assumption“

Hört ein Kind ein neues Wort, nimmt es an, dass sich dieses auf eine bisher unbenannte Kategorie bezieht (s. Prinzip des Kontrasts).

„Mutual exclusivity assumption“

Es wird angenommen, dass sich die Bedeutung der Wörter gegenseitig ausschließen, dass es also für jedes Objekt nur einen distinkten Namen gibt und jeder Name einem und nur einem Objekt entspricht. Erst später wächst das Verständnis für Homonyme und Heteronyme.

Kognitive Theorien

Assoziationistische Modelle postulieren, dass der Wortschatzerwerb durch generelle kognitive Prozesse entsprechend den entwicklungsbedingten Veränderungen der neuronalen Systeme erklärt werden kann. Kinder nehmen die Zuordnung von lautlicher Form und Referenzobjekt in Abhängigkeit von ihrer kontextabhängigen selektiven Aufmerksamkeit vor. Wird die Assoziation in variablen Kontexten bestätigt, kann das Kind Korrespondenzen zwischen Lautform (Symbol) und Objektmerkmalen (Referenz) festigen und Invarianzen extrahieren [24, 25]. Die Spezifitätshypothese von Gopnik und Meltzoff 1986 [26] postuliert, dass sich dabei bestimmte kognitive und linguistische Fähigkeiten des Kindes kongruent entwickeln.

Nach den begriffsorientierten Theorien sind Wörter Namen für Begriffe

Nach den begriffsorientierten Theorien sind Wörter Namen für Begriffe. Der Erwerb von Begriffen erfolgt in konsekutiven Schritten der Strukturierung und Umstrukturierung, bis schließlich der Erwachsenenbegriff gebildet ist. Letztlich stehen also die begrifflichen Assimilationen in Form von Ähnlichkeitsfeststellungen und Schlussfolgerungen der Transduktion und Induktion im Vordergrund dieser Theorien.

Intentionalistische Theorien

Diese Theorien postulieren, dass Erwachsene bei ihrer Ansprache an das Kind entsprechende Hinweisreize geben und dass deren intentionale Ausrichtung hinsichtlich eines Referenten für die Begriffsbildung wesentlich ist. Intentionale Hinweise („cues“) ermöglichen dem Kind die Segmentierung der entsprechenden Lautfolge und Etablierung einer korrekten Beziehung zwischen Lautfolge und Referent. Hierfür ist es erforderlich, dass Kinder früh lernen, der Gestik und der Blickrichtung des Kommunikationspartners/der Bezugsperson zu folgen, damit eine gemeinsame gerichtete Aufmerksamkeit („joint attention episode“) entsteht. Dies wiederum ermöglicht dem Kind, die Intention des Sprechers zu interpretieren.

Die Fähigkeit, Blickrichtung, Kopfposition, Mimik und Handlung als „cues“ des intentionalen Agenten zu nutzen, ist wohl insbesondere während der Wortschatzexplosion sehr ausgeprägt [27, 28]. Später begreift das Kind, dass fremde und eigene Intentionen unterschiedlich sein können. Trotzdem kann aus den sprachlichen Instruktionen, z. B. über lexikalische und syntaktische Informationen, gelernt und der Wortschatz erweitert werden.

Emergentist-Coalition-Modell

Das „emergentist coalition model for the origins of word learning“ [29] gehört zur Gruppe der Emergenzmodelle. Es geht davon aus, dass das Kind mehrere Hinweise für den Erwerb neuer Wörter nutzen kann, allerdings ändert sich die Wertigkeit der Hinweisreize mit dem Entwicklungsalter. Letztlich werden Ideen der prinzipienorientierten und der kognitiven Modelle dahingehend in einer Art Hybridtheorie integriert, dass in frühen Phasen der Wortschatzentwicklung perzeptuelle und prosodische Hinweise, später soziale Hinweisreize und Prinzipien wie „constraints“ die Wortschatzerweiterung maßgeblich beeinflussen. Zu diesem Modell gibt es bereits empirische Belege [30, 31].

Nomen vs. andere Wortarten

Vieles von dem Angeführten gilt für Nomen und ist für solche gut ersichtlich. Dies liegt u. a. daran, dass Nomen referieren und somit auch einer Prüfung gut zugänglich sind. Erst später wandte sich die Aufmerksamkeit der Lexikonerwerbsforschung den Verben, die ja prädizieren, also semantische Relationen herstellen und die Argumentstruktur des Satzes bestimmen, und anderen Wortarten zu. Beim Erkennen eines Verbs und der Übernahme in das Lexikon müssen Kinder neben der semantischen Analyse auch eine Ereignisanalyse und letztlich eine syntaktische Analyse durchführen. Der Erwerb von Verben insgesamt bzw. der Argumentstrukturen und Flexionsparadigma ist in Experimenten schwieriger zu überprüfen.

Neue Wörter werden i. d. R. im Dialog erworben

Darüber hinaus muss bei der Wertung der genannten Theorien berücksichtigt werden, dass neue Wörter i. d. R. im Dialog erworben werden. In einem Dialog aber kann eine Ausdifferenzierung und Korrektur der Konzeptbildung erfolgen, wenn der sprachkompetente Kommunikationspartner Wortverwendungen z. B. modifiziert. Dieser Aspekt der „Bedeutungsverhandlung“ („negotiation of meaning“, [32]) ist noch nicht hinreichend in diese Theorien integriert.

Diskussion

Für die klinische Routine stehen bereits eine Reihe von Wortschatztests zur Verfügung (Tab. 1), die allerdings in ihrer Wertigkeit nicht unumstritten sind ([33] nach [5]). Die Kenntnis der genannten Theorien ermöglicht es, die Konstruktion der jeweiligen Testverfahren zu würdigen und dann den Test zu wählen, der der jeweiligen Fragestellung am besten gerecht zu werden verspricht.

Tab. 1 Übersicht der gängigen Wortschatztests, Screeninginstrumente und Sprachentwicklungstests mit Untertests zur Wortschatzüberprüfung in deutscher Sprache

Testverfahren wie der ELFRA 2 versuchen z. B. den Gesamtwortschatz der Kinder mithilfe eines Elternfragebogens (Screeninginstrument) zu ermitteln. Wortschatztests, die bei älteren Kindern eingesetzt werden, wie z. B. der Untertest aus dem SET 5–10, können und wollen dies natürlich nicht. Sie versuchen vielmehr, stichprobenartig den Wortschatz zu überprüfen. Während die beiden exemplarisch genannten Tests eher quantitative Wortschatzprüfungen sind, wird die Patholinguistische Diagnostik bei Sprachentwicklungsstörungen (PDSS, [34]) eher dann eingesetzt, wenn auch qualitative Aspekte des Worterwerbs untersucht werden sollen.

Bedacht werden sollte grundsätzlich, dass der Wortschatzerwerb bei Kindern mit spezifischer Sprachentwicklungsstörung (SSES) nicht nur eine temporale Abweichung („Verzögerung“) aufweist, sondern auch strukturell anders verlaufen kann. So hat z. B. Rothweiler ([35] nach [5]) empirisch ermittelt, dass SSES-Kinder zwar ein ähnlich schnelles „fast mapping“ haben, dass sie aber aus den jeweiligen Kontexten des neuen, zu lernenden Worts weniger lexikalische, d. h. phonologische, morphologische, syntaktische und semantische Informationen entnehmen bzw. diese grundsätzlich schlechter in das bestehende Lexikon integrieren können.

Jedes Testergebnis ist vor dem Hintergrund der allgemeinen Entwicklung des Kindes und des ihm zugedachten Inputs zu würdigen.

Zumindest bei älteren Kindern wird es sich zudem i. d. R. nicht anbieten, nur einen Wortschatztest durchzuführen, sondern auch die Kompetenzen der anderen linguistischen Ebenen zu überprüfen.

Fazit für die Praxis

  • Die meisten, aber nicht alle Kinder erlernen Wörter bis zum 24. Lebensmonat eher langsam und verwenden diese zunächst i. S. v. Einwortsätzen.

  • Danach, also wenn der expressive Wortschatz etwa 50–100 Items umfasst, setzt – mit einer erheblichen Variationsbreite – die sog. Wortschatzexplosion ein, d. h. der Wortschatz wächst rasch.

  • Berichten Eltern in der Sprechstunde, dass ihr Kind einen zu kleinen Wortschatz habe, können entsprechende Testverfahren eingesetzt werden. Diese sind unterschiedlich konstruiert.

  • Die Kenntnis der verschiedenen Erwerbstheorien ist notwendig, um einen adäquaten Test auszuwählen und einzusetzen.

  • Ergebnisse von Wortschatztests sollten immer vor dem Hintergrund der allgemeinen Entwicklung des Kindes und zusammen mit Ergebnissen von Tests, die andere sprachliche Domänen prüfen, interpretiert werden.