Der erste Artikel zum Thema „Pruritus“ wird in PubMed für den 25.02.1843 angegeben und war genau 12 Zeilen lang [1]. Der Artikel behandelt die Therapie eines 12 Jahre bestehenden postherpetischen Pruritus. Eine Tinktur aus Jod, Kaliumhydriodat und Wein wurde appliziert, und ein nachfolgender Brennschmerz überdeckte den quälenden Pruritus – Fall erledigt.

Glücklicherweise haben die letzten 173 Jahre, insbesondere das letzte Jahrzehnt, bahnbrechende neue Erkenntnisse zu dem Symptom, seinen Ursachen und Mechanismen erbracht. Wenngleich wir nie erfahren werden, was den Patienten in dem oben genannten Fall zur Aussage der Symptomlinderung veranlasst hat (War es die Tortur der Behandlung oder doch der Wein – oral appliziert?), so verfügen wir heute über moderne Therapien und stehen an der Pforte zur Entwicklung von mechanismenbasierten, antipruritischen Therapien. Ein Beispiel dafür liefert die Dermatologie selbst mit den aktuellen Fortschritten in der Therapie des atopischen Ekzems. Antikörper gegen Rezeptoren für Interleukin-4 und -31 beweisen eindrücklich, wie der Pruritus, das am häufigsten beklagte Kardinalsymptom, abklingt und verschwindet. Auch bei der Psoriasis wurde Pruritus als die Krankheitsschwere bestimmendes Symptom identifiziert – obwohl lange bezweifelt. So zeigen Studien mit der modernsten Generation der Psoriasistherapeutika wie der Phosphodiesterase-4-Inhibitor oder Interleukin-17-Antikörper einen hohen Einfluss auf Pruritus, der in Studien als Endpunkt nunmehr berücksichtigt ist.

Neue molekulare Mechanismen des „cholestatischen Pruritus“, verursacht durch hepatobiliäre oder cholestatische Erkrankungen, wurden im letzten Jahrzehnt intensiv erforscht und warten bereits mit ersten klinischen Studien auf. Die antipruritische Therapie zielt auf eine Inhibition des ilealen Gallensäuretransporters und damit auf die Modulation des enterohepatischen Gallensäurenkreislaufs ab. Die Blockierung des Natrium-abhängigen Transporters im Ileum führt dazu, dass die Gallensäuren nicht wieder dem Pool der hepatischen Gallenflüssigkeit zugeführt werden. Da bei cholestatischem Pruritus eine Sezernierungs- und/oder Produktionsstörung dieser Gallensäuren angenommen wird, wird so bereits prähepatisch in den Mechanismus eingegriffen.

Wir stehen an der Pforte zur Entwicklung von mechanismenbasierten, antipruritischen Therapien

Auch der Pruritus bei dialysepflichtigen Patienten stellt nach wie vor ein hochprävalentes Problem dar, wie aktuelle Daten aus Deutschland belegen. Die Mechanismen des nephrogenen Pruritus sind weitestgehend unbekannt, daher hat man sich auf eine zentralnervöse Blockierung der Pruritussensationen mit den modernen κ‑Opioidrezeptoragonisten verlegt. Erste Studienergebnisse sind vielversprechend und deuten eine deutliche Verbesserung der Lebensqualität der Patienten an.

Bis zur flächendeckenden Versorgung der Patienten mit neuen, zielgerichteten und zugelassenen Therapien wird jedoch noch eine Weile vergehen. Aus diesem Grund haben sich die Autoren dieses Leitthemenhefts, sämtlich Experten ihres Gebiets, dazu entschieden, verschiedenste Facetten des Symptoms – von der Neurobiologie bis zur praktischen Umsetzung der Versorgung – vorzustellen. Nicht in 12 Zeilen – und ohne Schmerzen.

Ihre

Prof. Dr. S. Ständer

Prof. Dr. U. Raap