„Die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Zusammenhang zwischen sozialer und gesundheitlicher Ungleichheit darf jedoch nicht ‚l’art pour l’art‘ bleiben. Sie muss daran gemessen werden, ob sie einen Beitrag leistet zur Entwicklung von Maßnahmen, mit denen die gesundheitliche Ungleichheit verringert werden kann (und den dafür notwendigen Umverteilungen von Ressourcen).“

Andreas Mielck, Sozialepidemiologe; Christian Janßen, Professor für Prävention und Gesundheitsförderung)

Der Aufbau einer systematischen Gesundheitsberichterstattung ist als Einstieg in einen kontinuierlichen Prozess von der Wissenschaft zur gesundheitspolitischen Planung und schließlich zur Umsetzung in der Gesellschaft zu begreifen.

Bereits 1987 forderte der Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen eine Verbesserung der Datengrundlage für das gesundheitspolitische Handeln in Deutschland. Auf Bundesebene wurde diesem Anspruch 1998 mit einem ersten Gesundheitsbericht für Deutschland, nachfolgenden Themenheften und Datenerhebungen durch Surveys nachgekommen.

Surveys sind ein wesentliches Instrument, um Datenlücken zu schließen, die nicht aus dem Geschäftsvollzug oder regelmäßigen Statistiken gefüllt werden. Während Daten der offiziellen Statistiken oder des Geschäftsvollzugs nicht primär für eine Gesundheitsberichterstattung erhoben werden und damit häufig nur eingeschränkte Aussagen zulassen, bieten Surveys wie KIGGS und DEGS die Chance, Gesundheitsdaten zielgerichtet und hypothesengeleitet zu erheben.

Gleichwohl bieten Surveys dabei Aussagen zur Prävalenz und Inzidenz von Erkrankungen lediglich auf Bundes- oder (mit Einschränkung) Landesebene. Wie können Surveys trotzdem den kommunalen Öffentlichen Gesundheitsdienst in seinen rechtlich zugewiesenen Aufgabenfeldern der Gesundheitsberichterstattung und Prävention unterstützen?

Sowohl die Aufgabe der Prävention „§ 1: Die Behörden des öffentlichen Gesundheitsdienstes fördern und schützen die Gesundheit der Bevölkerung“ (§ 1 NGÖGD) sowie „Die Landkreise und kreisfreien Städte veranlassen, unterstützen und koordinieren präventive und gesundheitsfördernde Maßnahmen …“ (§ 4 Abs. 1 NGÖGD) als auch der Zweck der Gesundheitsberichterstattung „Die Gesundheitsberichterstattung dient der Planung und Durchführung von Maßnahmen, die die Gesundheit fördern und Krankheiten verhüten“ (§ 8 Abs. 1 NGÖGD) sind z. B. in Niedersachsen für den Öffentlichen Gesundheitsdienst klar definiert und fordern auch die daran angebundene Handlung. Auch die Gesundheitsberichterstattung ist inzwischen in allen Gesundheitsdienstgesetzen auf Landesebene festgeschrieben. In der Regel vergleichbar dem Niedersächsischen Gesetz über den öffentlichen Gesundheitsdienst (NGÖGD) vom März 2006: „Die Landkreise und kreisfreien Städte beobachten, beschreiben und bewerten die gesundheitlichen Verhältnisse ihrer Bevölkerung, insbesondere die Gesundheitsrisiken, den Gesundheitszustand und das Gesundheitsverhalten. Dazu sammeln sie nicht personenbezogene und anonymisierte Daten, werten diese nach epidemiologischen Gesichtspunkten aus und führen sie in Fachberichten zusammen (kommunale Gesundheitsberichterstattung).“ (§ 8 Abs. 2 NGÖGD)

Somit werden aber weder die Frequenz noch der Umfang oder der Inhalt der Berichte näher definiert. Das bietet einerseits Gestaltungsspielraum, führt aber andererseits bei immer knapper werdenden Ressourcen dazu, dass eine kontinuierliche, wissenschaftlich begleitete und im Sinne des „Public-Health-Action-Zyklus“ ausgerichtete Gesundheitsberichterstattung nicht geleistet werden kann – wenngleich sie sinnvollerweise kontinuierlich durchgeführt werden müsste.

Mit dem Wissen, dass zielgruppenspezifische Prävention vor allem quartiersbezogen im Setting stattfinden sollte, können Surveys zumeist nicht von ergänzenden, kleinräumigen Analysen und Erhebungen entbinden, sie können aber aufzeigen, wo es sich zu erheben lohnt, und die Politik auf allen Ebenen dazu bewegen, sich mit relevanten Fragestellungen auseinanderzusetzen.

Surveys übernehmen hier auch eine Verantwortung im Hinblick auf die inhaltliche Orientierung – welche Fragen sind im Hinblick auf die Gesundheit der Bevölkerung derzeit/zukünftig relevant –, und sie liefern Referenzwerte als Vergleichs- und Bewertungsgrundlage.

Für Analysen und Erhebungen auf kommunaler Ebene entwickeln Surveys zudem methodische Vorgaben und Standards für die Untersuchung und Dokumentation. Beispiele dafür sind Fragen zur Erfassung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität, Angaben zum sozioökonomischen Status oder die Erhebung eines Migrationshintergrundes. Solche Standards können – auf freiwilliger Basis – Eingang in kommunale Erhebungen, wie z. B. die Schuleingangsuntersuchungen, finden. Sie ermöglichen damit – nicht flächendeckend, aber dennoch überregional – eine Vergleichbarkeit dieser Items. Eine solche methodische Entwicklungsarbeit mit dem dafür erforderlichen Qualitätsmanagement kann von den kommunalen Gesundheitsdiensten in der Regel nicht geleistet werden, hier kommt den Surveys auch zukünftig eine bedeutende Aufgabe zu.

Somit bieten Surveys dem Öffentlichen Gesundheitsdienst Erkenntnisgewinn bei seinen rechtlich festgeschriebenen Aufgaben der Gesundheitsberichterstattung und Prävention durch die Bereitstellung von Referenzwerten, die qualitätsgeleitete Erarbeitung von Methoden sowie die Identifizierung von möglichen Interventionsbereichen. Damit schaffen sie eine wichtige Unterstützung für zielgerichtete und Erfolg versprechende Präventionsprogramme auf kommunaler Ebene. Verbesserungspotenzial besteht weiterhin in der effektiveren Zusammenarbeit und Vernetzung der Gesundheitsberichterstattung und Prävention von Bund, Ländern und Kommunen. Wenn es gelingt, die Gesundheitsberichterstattung auf kommunaler Ebene stärker in einen kontinuierlichen, überregionalen und qualitätsgeleiteten Prozess zu befördern, kann es bei Surveys nicht nur zu einem „top down“ von Erkenntnisgewinn und Methoden kommen, sondern auch zu einem „bottom up“ von kommunal relevanten Gesundheitsproblemen und Fragestellungen.

Ihre

Elke Bruns-Philipps