Die wirksamste Form der Behandlung einer potenziell tödlichen Erkrankung, für die keine spezifische Therapie existiert, ist ihre Vermeidung. Diese scheinbar banale Erkenntnis trifft in weiten Teilen auf die transfusionsassoziierte akute Lungeninsuffizienz („transfusion-related acute lung injury“, TRALI) zu. Das Krankheitsbild ist zwar schon seit 30 Jahren bekannt [2], ist aber erst zu Beginn des vergangenen Jahrzehnts in das Bewusstsein all der Ärzte vorgedrungen, zu deren regelmäßigem therapeutischen Repertoire die Transfusion von gefrorenem Frischplasma (GFP), Thrombozyten- und Erythrozytenkonzentraten gehört.

Dass Ärzte diesem transfusionsinduzierten Krankheitsbild wahrscheinlich sehr viel häufiger begegnet sind, als sie es tatsächlich diagnostiziert haben, liegt daran, dass eine TRALI oft bei den Patienten auftritt, bei denen sich die damit verbundene Symptomatik zwanglos und hinreichend auch durch die Schwere der Grundkrankheit oder die notwendige Akuttherapie erklären lässt (z. B. Sepsis, septischer Schock, Massivtransfusion beim Polytrauma mit Lungenkontusion oder Massivtransfusion bei Blutungsschock anderer Genese).

Einfluss der Meldedisziplin

Zunächst ist es der Verdienst der klinisch-orientierten Wissenschaftler, dieses transfusionsassoziierte Krankheitsbild beschrieben und seine Genese geklärt zu haben. Für den deutschen Sprachraum haben sich die Arbeitsgruppen von Sachs, Bux und Bein auch in jüngerer Zeit darum sehr verdient gemacht [1, 3, 4]. Einen Durchbruch für die klinische Akzeptanz bedeuteten jedoch die jährlichen Daten des „SHOT report“, die TRALI eine herausragende Bedeutung für schwerste und z. T. tödliche Transfusionszwischenfälle zuwiesen [5]. Diese beeindruckende Sammlung und Darstellung von ernsthaften Zwischenfällen in direktem Zusammenhang mit klinischer Hämotherapie in England war nur durch ein dort konsequent umgesetztes Meldesystem möglich, das in Bezug auf Hämovigilanz Vorbildcharakter für ganz Europa hat. Doch auch in Deutschland existieren mit dem Transfusionsgesetz (TFG) und dem Arzneimittelgesetz (AMG) verbindliche Regelungen zur Meldeverpflichtung von schwerwiegenden Transfusionsreaktionen (§ 16 Abs. 2 TFG, § 63c AMG). Die Qualität der vom Paul-Ehrlich-Institut (PEI) veröffentlichten Daten kann aber nur so gut sein, wie die Meldedisziplin es zulässt.

In Bezug auf TRALI weist der aktuelle „Hämovigilanz-Bericht des Paul-Ehrlich-Instituts“ [6] Erfreuliches aus: Sowohl bei den gemeldeten immunogenen TRALI-Reaktionen als auch den assoziierten Todesfällen kam es zu einem drastischen Rückgang. Dies ist nicht etwa als Ausdruck einer schlechteren Meldedisziplin, sondern als Folge einer vom PEI seit September 2009 verbindlich angeordneten Spenderselektion für GFP zu sehen.

Spätestens nach der aufmerksamen Lektüre der Übersichtsarbeit von Tank et al. in dieser Ausgabe von Der Anaesthesist werden Sinn, Zweck und Wirksamkeit dieser Anordnung der Bundesoberbehörde klar. Besonders lesenswert ist dieser Beitrag aber auch deshalb, weil er mit sehr viel klinischem Bezug eine oft unterschätzte spezifische Transfusionsreaktion umfassend und nach dem aktuellen Stand der Wissenschaft beschreibt. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass zwar mit der Spenderselektion bei der Gewinnung von GFP eine sehr wirksame Risikoreduktion gelungen ist, TRALI aber auch durch die Transfusion von Thrombozyten- und Erythrozytenkonzentraten ausgelöst werden kann.

Seien wir also auch weiterhin „hämovigilant“!

J. Biscoping

Federführender des Arbeitsausschusses Bluttransfusion der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin e. V. (DGAI) und des Berufsverbands Deutscher Anästhesisten e. V. (BDA)