Anamnese und klinischer Befund

Der Notarzt wird zu einem Patienten alarmiert, der als Teilnehmer eines Straßenradrennens nach einem Beinahezusammenstoß versorgt werden muss. Nach einem Ausweichmanöver konnte der Sportler selbst vom Fahrrad absteigen ohne zu stürzen.

Der Radfahrer berichtet dem Notarzt von akut aufgetretenen stechenden rechtsseitigen orbitalen Kopfschmerzen, Schwindel und eine Sehminderung (Schleiersehen) des rechten Auges. Weiterhin berichtet der Patient noch am Einsatzort und während des Transports von Parästhesien in der linken Hand sowie im linken Unterarm und von einer Kraftminderung des linken Arms. Vorerkrankungen sind nicht bekannt und es besteht keine Vormedikation. Der Patient ist erfahrener Ausdauersportler.

Bei Ankunft in der Notfallaufnahme zeigen sich die Beschwerden bereits rückläufig, der Patient berichtet von noch leichten Kopfschmerzen und einer Sensibilitätseinschränkung der Zunge. Im Bereich der linken Hand sowie des linken Unterarms besteht noch eine Hypästhesie. Der rechtsseitige Visus ist gegenüber links noch diskret herabgesetzt. Es bestehen keine motorischen Defizite. Die Halteversuche sind stabil, die Muskeleigenreflexe seitengleich mittellebhaft erhältlich und die Zeigeversuche sicher.

Es besteht eine Amnesie für die vergangenen 2 Stunden.

Diagnostik

Native Computertomographie und CT-gesteuerte Angiographie

Eine umgehend durchgeführte native Computertomographie (CT) des Neurokraniums zeigt einen Normalbefund. Hierauf wird unmittelbar eine tief angesetzte CT-Angiographie durchgeführt. Es zeigt sich eine langstreckige Okklusion der rechten A. carotis interna distal der Bifurkation, die bis in die Schädelgrube reicht. In den perfusionsgewichteten Aufnahmen (Abb. 1) zeigt sich eine hämodynamisch bedingte verspätete Versorgung der rechten Hemisphäre ohne sichtliche Ausfälle.

Abb. 1
figure 1

Perfusionscomputertomographie mit verzögertem Perfusionsbeginn im Stromgebiet der rechten A. cerebri media, gelb-orange Darstellung: „time to start“ (a), ohne Seitendifferenz im Blutvolumen (b) als Ausdruck einer ausgeprägten Diskrepanz. Damit liegt noch keine endgültige Schädigung des Hirngewebes vor und es sind günstige Voraussetzungen für eine Fibrinolysetherapie gegeben

Wie lautet Ihre Diagnose?

Therapie und Verlauf

Es wird eine Dissektion der rechten A. carotis interna vermutet. Da zum Zeitpunkt der Klinikaufnahme die Beschwerden bereits deutlich rückläufig sind, erfolgen keine systematische Lysetherapie oder ein endovaskuläres Vorgehen.

Der Patient wird daraufhin mit kontinuierlicher intravenöser Heparingabe für 3 Tage auf der Stroke Unit behandelt. Dort lässt sich doppler-/farbduplexsonographisch die vermutete Dissektion bestätigen. Die Beschwerden des Patienten bilden sich klinisch komplett zurück.

Am 2. Tag nach dem Ereignis wird eine Magnetresonanztomographie (MRT) und MR-Angiographie (Abb. 2a) durchgeführt. Hier lässt sich die Dissektion der rechten A. carotis interna verifizieren. Zudem zeigt sich eine Ischämie rechts temporookzipital im Bereich des hinteren Mediastromgebiets sowie der Grenzzone zur A. posterior ohne Hämorrhagie oder raumfordernde Wirkung (Abb. 2b), klinisch blieb dieser Insult stumm.

Abb. 2
figure 2

a T2-gewichtete Magnetresonanztomographie (MRT) der Schädelbasis mit Dissektion der rechten A. carotis interna mit Gefäßwandhämatom (roter Pfeil). b Die T2-gewichtete MRT zeigt einen Infarkt im hinteren Stromgebiet der rechten A. cerebri media

Mittels erneuter nativer CT wird 8 Tage nach dem Ereignis eine Einblutung ausgeschlossen und eine Umstellung der Antikoagulation auf Marcumar begonnen. Der Patient kann 11 Tage nach dem Ereignis beschwerdefrei entlassen werden. Im Anschluss wird eine 6-monatige Antikoagulation mit Phenprocoumon durchgeführt.

Diskussion

Dissektionen der A. carotis sind mit einem Anteil von 10–25 % eine häufige Ursache für Schlaganfälle bei jüngeren Menschen [4, 5]. Es besteht jedoch die Gefahr, dass die Diagnose übersehen wird, wenn sich in der nativen kranialen CT kein wegweisender Befund ergibt.

Im hier vorgestellten Fall gab es keinen eindeutigen Traumamechanismus, der zu einer Verletzung der hirnversorgenden Gefäße hätte führen können. Jedoch vermag die Hyperextension des Halses auf dem Rennrad einen Stressfaktor auf die Gefäßwand bedeutet haben [3]. Das Ausweichmanöver beim Beinahezusammenstoß könnte ein zusätzlicher Faktor gewesen sein. Unbekannte Faktoren, wie z. B. eine angeborene Schwäche der Gefäßwand, sind in der Literatur beschrieben [6] und hier dementsprechend auch nicht sicher als mitursächlich auszuschließen.

Dissektionen der hirnversorgenden Gefäße sind schwere Erkrankungen, die sich mit einer Vielzahl an klinischen Symptomen präsentieren können. Sie können auch ohne Trauma auftreten. Die diagnostische Herausforderung für den Notfallmediziner besteht darin, eine Dissektion als mögliche Differenzialdiagnose bei passenden Beschwerden gerade auch bei jüngeren Patienten zu erwägen. Neben dem Radrennsport sind auch andere Sportarten, wie z. B. Tauchen, Hockey und Football, als zusätzliche Risikofaktoren bekannt [1, 6]. Dies sollte bei der Wahl der Bildgebung einschließlich Angiographie berücksichtigt werden. Neben CT und MR-Angiographie steht mit der Farbduplexsonographie ein bettseitig verfügbares Verfahren zur Verfügung, das durch die Möglichkeit des Nachweises einer Dissektion hirnversorgender Gefäße sowie der Unterscheidungsmöglichkeit zwischen akuten und chronischen Karotisverschlüssen bei der Frage nach dem weiteren therapeutischen Vorgehen in der Akutsituation hilfreich sein kann [2].

Eine frühzeitige Diagnose, umgehende Behandlung und die Wahl eines adäquaten Krankenhauses stellen wesentliche Faktoren für das Outcome dar, während die Bildgebung eine entscheidende Rolle bei der Diagnosestellung einnimmt.

Fazit für die Praxis

  • Bei Schlaganfallsymptomen muss differenzialdiagnostisch stets an Dissektionen der hirnversorgenden Gefäße gedacht werden. Bei nicht wegweisender nativer CT ist eine weiterführende Bildgebung essenziell.

  • Wesentliche Faktoren für ein gutes Outcome sind:

    • frühzeitige (Differenzial-)Diagnose,

    • umgehende Bildgebung,

    • Wahl eines geeigneten Krankenhauses.