Lernziele

Bis zu 10 % aller im Rahmen einer Koloskopie diagnostizierten und entfernten Läsionen enthalten ein kolorektales Frühkarzinom. Daher ist die Kenntnis der Risikokonstellationen für das weitere Management essenziell. Nach der Lektüre dieses Beitrags …

  • können Sie eine suspekte Läsion endoskopisch und histopathologisch einordnen.

  • können Sie Niedrig- und Hochrisikosituationen unterscheiden.

  • sind Sie mit den Techniken der lokalen Therapie vertraut.

  • kennen Sie die verschiedenen Strategien zur Behandlung des kolorektalen Frühkarzinoms.

Hintergrund

Als kolorektale Frühkarzinome (KRFK) werden Karzinome bezeichnet, deren intramurale Infiltrationstiefe die Submukosa nicht überschreitet. Nach der gängigen TNM-Klassifikation werden sie als pTis- und pT1-Tumoren zusammengefasst [1].

Laut Literatur manifestieren sich bis zu 95 % aller kolorektalen Karzinome in polypösen Adenomen [2, 3]. Vor dem Hintergrund neuerer Erkenntnisse zur molekularen Pathogenese des kolorektalen Karzinoms ist jedoch davon auszugehen, dass diese Rate niedriger liegt [4]. Polypöse Adenome sind neoplastische Vorläuferläsionen mit dysplastisch verändertem glandulärem Epithel und unterschiedlichem Malignitätspotenzial [2]. Das Entartungspotenzial hängt von der histologischen Struktur ab: Bei villösen Adenomen liegt in bis zu 30 % der Fälle bereits ein invasives Karzinom vor, bei tubulären Adenomen hingegen nur in etwa 4 % [5]. Morphologisch lassen sich gestielte und sessile Polypen unterscheiden [6].

Zusätzlich werden nichtpolypöse flache oder eingesunkene Läsionen beschrieben. Bei diesen Läsionen scheint jedoch, insbesondere mit zunehmender Größe, ein höheres Malignitätspotenzial vorzuliegen [6]. Nicht selten liegen ihnen sog. serratierte Adenome zugrunde. Diese unterscheiden sich histopathologisch von traditionellen Adenomen durch ihr sägezahnförmig eingefaltetes Kryptenepithel und zeigen neben einem anderen molekulargenetischen Profil möglicherweise ein höheres Progressionsrisiko [4].

Definition des kolorektalen Frühkarzinoms

Das pTis-Stadium umfasst komplexe zytologische Veränderungen und Störungen der Drüsenarchitektur, die deskriptiv als hochgradige Dysplasie oder intraepitheliale Neoplasie bezeichnet werden. Sie bleiben entweder auf das Epithel beschränkt oder überschreiten die Basalmembran und dringen bis in die Lamina propria vor. Die Tumorformationen können dabei bis an die Lamina muscularis mucosae heranreichen, durchstoßen diese jedoch nicht. Somit beinhaltet das pTis-Stadium die mittlerweile als nicht mehr zeitgemäß erachteten Begriffe Carcinoma in situ und intramukosales Karzinom. Da praktisch kein Risiko einer Lymphknoten- oder Fernmetastasierung besteht, ist ein Patient nach lokaler In-sano-Entfernung einer solchen Läsion als geheilt zu betrachten [2].

Das pT1-Stadium ist nach der gängigen TNM-Klassifikation als Karzinom mit Invasion in die Submukosa definiert [7]. Rein morphologisch kann sich das Karzinom als sessiler bzw. gestielter Polyp oder als flache, manchmal auch eingesunkene Läsion präsentieren [5, 8, 9]. Bis zu 10 % aller entfernten Polypen entsprechen einem pT1-Karzinom [1, 8]. Prognose und Therapie sind abhängig vom Risiko einer Lymphknoten- bzw. selten vorhandenen Fernmetastasierung [8, 10, 11]. Dies erfordert neben einer fundierten endoskopischen Beurteilung zuverlässige bildgebende Verfahren und vor allem eine präzise histopathologische Aufarbeitung.

Endoskopische Risikoabschätzung vor der Abtragung

Die Größe und das endoskopische Erscheinungsbild einer Läsion lassen Rückschlüsse auf das Risiko eines möglicherweise bereits vorliegenden invasiven Karzinoms zu [12]. Zusätzlich zeigen verschiedene morphologische Formen ein unterschiedliches Risiko, insbesondere auch in Abhängigkeit von der Größe [6]. Nichtpolypöse, flache Läsionen, vor allem jene mit zentraler Einziehung, scheinen mit einem höheren Risiko assoziiert zu sein [13].

Zusätzlich können nach Applikation von Farbstoffen und unter Vergrößerung die Größe, Form und Verteilung der Krypten an der Oberfläche nach Kudo weiter klassifiziert werden [14]. Hierbei zeigt sich mit zunehmend irregulärer Verteilung und Form des Kryptenmusters ein erhöhtes Risiko für das Vorliegen eines invasiven Karzinoms [14]. Die Chromoendoskopie mittels Farbstoffapplikation ist zur Beurteilung hilfreich. Eine konsequente, reproduzierbare Prognoseabschätzung setzt aber ausreichende Expertise voraus [8].

Verfahren der lokalen Abtragung

Eine akkurate histopathologische Befundung stellt die Grundlage einer korrekten Risikoabschätzung dar. Daher sollten alle lokalen Exzisionsverfahren auf ein qualitativ hochwertiges Präparat abzielen. Nach Möglichkeit sollte es en bloc entfernt werden.

Endoskopische Methoden

Endoskopische Mukosaresektion

Die Schlingenpolypektomie bietet sich zur Abtragung von gestielten Polypen (Abb. 1) bzw. KRFK an. Im Falle einer Niedrigrisikosituation ist diese Methode als kurativ zu erachten [8]. Sessile oder flache Läsionen (Abb. 2) hingegen können mittels Einspritzen von Flüssigkeit in die Submukosa angehoben (sog. „lifting sign“ ) und somit einer Abtragung mit der Diathermieschlinge zugänglich gemacht werden. Ziele der Submukosaanhebung sind die verbesserte Fassbarkeit der Läsion mit der Schlinge und die Vergrößerung des vertikalen und horizontalen Resektionsausmaßes. Außerdem dient das submuköse Flüssigkeitsdepot als thermische Isolation bei der Koagulation. Diese Methode wird als endoskopische Mukosaresektion (EMR) bezeichnet. Bei Läsionen mit Durchmessern von >20 mm erweist sich die EMR oftmals als schwierig, sodass in Ausnahmefällen eine Abtragung in mehreren Teilen erfolgen muss, eine sog. Piecemeal-EMR . Dabei ist jedoch zu bedenken, dass die Piecemeal-Technik die präzise histopathologische Aufarbeitung des Resektats mitunter erheblich erschwert und damit eine solide Risikoabschätzung beeinträchtigt [15].

Abb. 1
figure 1

Gestielter Kolonpolyp

Abb. 2
figure 2

Sessiler Polyp im Colon transversum

Endoskopische Submukosadissektion

Mit der endoskopischen Submukosadissektion (ESD) bietet sich hingegen auch bei großen kolorektalen Läsionen häufig die Möglichkeit einer En-bloc-Resektion. Nach mukosaler Anhebung in analoger Weise zur EMR erfolgt nach Diathermiemarkierung der Mukosa die schrittweise Dissektion der Submukosa unter Zuhilfenahme verschiedenster endoskopischer Instrumente. Anders als in Asien stellt die technisch und apparativ deutlich aufwendigere ESD in Europa und Nordamerika vielerorts kein Standardverfahren dar und bleibt oftmals spezialisierten Zentren vorbehalten.

„Non-lifting sign“

Die submuköse Unterspritzung im Rahmen einer EMR oder ESD liefert zusätzliche Informationen zur Abschätzung des Malignitätsrisikos der Läsion. Lässt sich die Läsion nicht von der Unterlage (Tunica muscularis propria) abheben (sog. „non-lifting sign“ ), besteht der dringende Verdacht auf eine tiefere Invasion. In einer solchen Situation sollte die Sinnhaftigkeit eines endoskopischen Abtragungsversuchs nochmals kritisch hinterfragt werden, insbesondere bei einer schwierigen Lokalisation [8].

Komplikationen

Häufigste Komplikationen der endoskopischen Verfahren sind Blutungen bzw. Nachblutungen sowie Perforationen. Blutungsepisoden treten bei EMR und ESD häufiger auf und variieren je nach Publikation zwischen 2 und 11 % [15, 16]. Das Risiko einer Perforation ist bei konventioneller Polypektomie mit 0,05 % nahezu vernachlässigbar [15]. Eine korrekte Durchführung und entsprechende Expertise vorausgesetzt, erscheint es auch bei der EMR mit laut Literatur 0,58–3,9 % insgesamt beherrschbar [15, 17]. Die ESD hingegen ist verfahrensinhärent mit einem erheblichen Perforationsrisiko von 14–18 % assoziiert [15, 16]. Perforationen im Rahmen endoskopischer Abtragungen bedürfen nach eigener Erfahrung nur selten einer operativen Versorgung, in aller Regel lassen sie sich mit Clips endoskopisch suffizient verschließen.

Das Perforationsrisiko ist jedoch nicht nur methoden-, sondern auch lokalisationsabhängig. Während das muskulär stärkere Rektum und linke Hemikolon deutlich geringere Perforationsraten aufweisen, liegt das Risiko im dünnwandigen rechten Hemikolon deutlich höher [18, 19]. Zusätzlich besteht in den Flexuren und in den Bereichen des deszendosigmoidalen bzw. rektosigmoidalen Übergangs infolge der technisch oft erschwerten Einstell- und Einsehbarkeit ein erhöhtes Risiko. Diese Faktoren sind bei der Entscheidung zur Anwendung eines endoskopischen Abtragungsverfahrens rational abzuwägen.

Markierung der Abtragungsstelle und Koloskopie

Nach endoskopischer Abtragung sollte immer eine Markierung der Abtragungsstelle erfolgen, idealerweise mit submuköser Tuscheinjektion („tattooing“) oder Metall-Clip. Dies erleichtert die Lokalisierung der ehemaligen Abtragungsstelle im Falle einer lokalen oder radikalen chirurgischen Nachtherapie sowie die weitere koloskopische Nachsorge. Darüber hinaus sollte immer eine komplette Koloskopie zum Ausschluss eines synchronen Zweitkarzinoms durchgeführt werden. Ist die Koloskopie nicht möglich, stehen die kontrastmittelgestützte Irrigoskopie und die Computertomographie(CT)-Kolonographie als Alternativen zur Verfügung.

Vorgehen im Rektum

Transanale endoskopische Mikrochirurgie

Als Alternative zur EMR oder ESD bietet sich im Rektum die transanale endoskopische Mikrochirurgie (TEM) an. Bei diesem Verfahren wird mithilfe eines speziellen Operationsrektoskops eine Vollwandexzision durchgeführt und der entstandene Defekt verschlossen [20, 21]. Zur Visualisierung wird das Rektoskop entweder mit einer stereoskopischen Winkeloptik oder mit Kamera und Monitor verbunden. Neben den Arbeitskanälen gibt es einen Insufflations-Port, um mit CO2 eine ausreichende Distension des Rektums zu erreichen. Zur Verbesserung der Triangulation können über die Arbeitskanäle des Rektoskops speziell gekrümmte Instrumente eingebracht werden. Alternativ werden konventionelle 5‑mm-Instrumente aus der Laparoskopie verwendet. Ist eine gute Einstellbarkeit gegeben, wird die Läsion mittels Haltezange fixiert, wobei im Sinne einer No-touch-Technik ein direktes Fassen möglichst vermieden werden sollte. Unter Anwendung der Diathermie oder anderer Versiegelungsverfahren wird anschließend eine Vollwandresektion mit einem Sicherheitsabstand von zumindest 1 cm durchgeführt [22]. Lediglich im unmittelbaren Sphinkterbereich wird bei der Resektion die Muskelebene verlassen. Infolge des Sicherheitsabstands und der kontinuierlichen Insufflation ist der Wanddefekt häufig erheblich. In aller Regel wird er mit einer Naht quer zum Lumen verschlossen. Dabei hat sich in jüngster Zeit mit Widerhaken versehenes resorbierbares Nahtmaterial bewährt, da dann das oft aufwendige Knüpfen mit den Instrumenten entfällt [22].

Postoperativer Harnverhalt und Blutungen sind die häufigsten Komplikationen [23]. Infektiöse Komplikationen wie Abszesse können in aller Regel durch transanale Entlastung und begleitende Antibiose gut beherrscht werden. Eine Eröffnung des Peritoneums bei Resektion von Läsionen im oberen Rektumdrittel stellt per se keine Indikation zur Konversion auf ein transabdominales Vorgehen dar, sofern der Defekt transanal mittels Naht verschlossen werden kann. Entscheidend ist, dass die Eröffnung vom Operateur wahrgenommen wird [23].

Transanale Vollwandexzision

Für die TEM eignen sich idealerweise hinterwandseitige Läsionen, die maximal 15 cm vom Analrand entfernt sind. Alternativ kann bei Läsionen im unteren bis mittleren Rektumdrittel die Resektion auch mittels Analspreizer offen chirurgisch als transanale Vollwandexzision nach Parks durchgeführt werden. Zu bedenken ist hierbei jedoch, dass das Risiko einer Lymphknotenmetastasierung bei Läsionen im unteren Rektumdrittel möglicherweise etwas höher ist als im mittleren oder oberen Rektum bzw. im Kolon [9].

Für alle lokalen Abtragungsverfahren gilt, dass das Präparat nach Abschluss gründlich auf Vollständigkeit überprüft werden muss. Als Orientierungshilfe für den Pathologen ist zudem eine entsprechende Markierung notwendig.

Histologische Risikoabschätzung nach Abtragung

Aktuellen Metaanalysen zufolge sind die lymphovaskuläre Invasion, Eindringtiefe und Tumorzellsprossung die prognostisch wichtigsten histopathologischen Parameter beim KRFK [24].

Eindringtiefe

Karzinome im pT1-Stadium sind durch das Einwachsen der Tumorformationen bis in die Submukosa definiert. Die Eindringtiefe wird als einer der wesentlichen histologischen Prognosefaktoren erachtet. Zur Vereinheitlichung wird sie im Falle von gestielten Polypen nach Haggitt klassifiziert (Abb. 3; [25]): Bei Haggitt-Level 0 bleibt die Invasion auf die Mukosa beschränkt, eine Invasion der Lamina muscularis mucosae liegt nicht vor („Carcinoma in situ“). Somit handelt es sich streng genommen noch nicht um ein pT1-Karzinom. Bei Level 1 besteht eine Submukosainvasion im Bereich des Polypenkopfs. Bei Level 2 reicht die Infiltration bis an den Hals – den Übergang zwischen Kopf und Stiel – heran, bei Level 3 bis in den Stiel. Erreicht die Infiltration die Submukosa der unterhalb des Polypenstiels liegenden Kolonwand sind die Kriterien für Haggitt-Level 4 erfüllt.

Abb. 3
figure 3

Klassifikation der Eindringtiefe nach Haggitt

Bei KRFK in gestielten Polypen mit Haggitt-Level 0–3 besteht generell ein sehr geringes Risiko einer synchron vorhandenen Lymphknotenmetastasierung; die Raten liegen teils unter 1 %. Haggitt-4-Läsionen weisen jedoch in bis zu 27 % der Fälle assoziierte Lymphknotenmetastasen auf [12, 25].

Für sessile Polypen oder flache Läsionen eignet sich die Einteilung nach Haggitt nur bedingt, da aufgrund der Morphologie eine Infiltration in die Submukosa jedweder Tiefe automatisch einem Haggitt-Level 4 entspricht [25]. Um die Infiltrationstiefe in die Submukosa der unter dem Polypen liegenden Kolonwand weiter zu differenzieren, wird nach Kikuchi klassifiziert (Abb. 4; [26]). Dabei wird die Submukosa von der Lamina muscularis mucosae bis zur Lamina muscularis propria gedrittelt [26, 27]: Der Invasionslevel sm1 betrifft das obere, sm2 das mittlere und sm3 das untere Drittel der Submukosa. Allgemein wird zudem eine maximale Eindringtiefe von 1000 µm als Definition für sm2 akzeptiert [6]. Der Kikuchi-Invasionslevel korreliert direkt proportional mit dem Risiko für das Vorhandensein von Lymphknotenmetastasen: sm1: 0–3 %, sm2: 8–10 %, sm3: 23–25 % [8, 9, 26].

Abb. 4
figure 4

Klassifikation der Eindringtiefe nach Kikuchi

Ein häufiges Problem der Kikuchi-Klassifikation ist, dass Submukosagewebe in Abhängigkeit von der Resektionstechnik nicht immer in ausreichendem Maße im Präparat vorliegt, für die Einteilung ist es jedoch obligat. Zudem fehlt häufig die als Bezugspunkt benötigte Lamina muscularis mucosae [1, 28]. Nicht zuletzt deshalb zeigen die Ergebnisse häufig eine hohe Interobserver-Variabilität [8]. Daher gewinnt die quantitative Messung der absoluten vertikalen Tumorinfiltrationstiefe an Bedeutung.

Zusammenfassend darf vermutet werden, dass sowohl die Haggitt- als auch die Kikuchi-Klassifikation nur eine näherungsweise, vielleicht auch eine unzureichende, Aussage über die tatsächliche Risikosituation ermöglicht.

Die derzeit gültige S3-Leitlinie zum Management des kolorektalen Karzinoms empfiehlt zumindest die Messung der absoluten vertikalen Tumorausdehnung [29]. Aktuelle Metaanalysen weisen darauf hin, dass eine Eindringtiefe von > 1000 µm in die Submukosa einer der wichtigsten prognostischen Faktoren für das Vorliegen synchroner Lymphknotenmetastasen bei KRFK ist [24].

Lymphgefäß- und Blutgefäßinfiltration

Als lymphovaskuläre Infiltration wird histologisch die Präsenz von Tumorzellen in submukösen Lymphgefäßen (L1) bzw. Blutgefäßen (V1) verstanden. Die Infiltration von Tumorzellen in submuköse Lymphgefäße (pL1) wird seit Langem als einer der wichtigsten unabhängigen prädiktiven Parameter für das Vorhandensein von Lymphknotenmetastasen bei KRFK und somit auch für die Prognoseabschätzung erachtet [24]. Allerdings ist die Befundung des L‑Status einer hohen Interobserver-Variabilität unterworfen. Die Rolle von Tumorzellverbänden in submukösen Blutgefäßen gilt ebenfalls als prognostisch ungünstig. Ihre Bedeutung dürfte jedoch der Lymphgefäßinvasion untergeordnet sein [8].

Tumorzellsprossung

Eine prognostisch ungünstige Bedeutung wird der sog. Tumorzellsprossung („tumor budding“) zugeschrieben [24]. Diese ist definiert als das Auftreten von isolierten Tumorzellen oder Tumorzellnestern (meist <5 Tumorzellen) an der Invasionsfront. Sie ist Ausdruck der Invasivität des Tumors. Aufgrund uneinheitlicher diagnostischer Kriterien wird die Tumorzellsprossung in den meisten Leitlinien noch nicht in die Risikoabschätzung einbezogen.

Histologisches Grading

Der Differenzierungsgrad hat wesentlichen Einfluss auf die Prognose eines KRFK. Die meisten KRFK zeigen eine moderate Differenzierung (G2; [8]). Schlecht differenzierte KRFK (G3), per definitionem auch alle Siegelringzellkarzinome und muzinösen Karzinome, sind hingegen selten. Sie finden sich in etwa 4–9 % aller Polypen [8, 30]. In solchen Fällen besteht jedoch ein prognostisch äußerst ungünstiges, hohes Risiko für Lymphknoten- (bis 23 %) und Fernmetastasen (bis 10 %; [31]). Zudem ist ein schlechterer Differenzierungsgrad nach endoskopischer Entfernung mit Rezidivraten von bis zu 38 % assoziiert [8, 32]. Eine schlechte Differenzierung wird des Weiteren häufig von anderen prognostisch ungünstigen histologischen Eigenschaften begleitet, z. B. von Tumorzellsprossung oder lymphovaskulärer Invasion [8]. Allerdings ist das Grading, wie alle histopathologischen Parameter, einer hohen Interobserver-Variabilität unterworfen [8].

Resektionsrand

Bei tumorfreiem longitudinalem bzw. zirkumferenziellem Resektionsrand >1 mm besteht in der Regel ein Risiko von <2 % für eine Lymphknoten- oder Fernmetastasierung, ein residuales Tumorleiden oder Lokalrezidive, sofern keinerlei sonstige ungünstige histologische Faktoren vorliegen [32]. Von vielen Autoren wird allerdings ein tumorfreier Absetzungsrand von ≥2 mm gefordert [1, 32]. Ist lediglich der longitudinale Absetzungsrand grenzwertig oder besiedelt, der zirkumferenzielle Resektionsrand jedoch frei, so kann eine lokale Nachresektion in Betracht gezogen werden [8].

Bildgebung

Um vor einer eventuellen lokalen Abtragung das Risiko einer möglichen Infiltration in die Submukosa oder darüber hinaus besser abschätzen zu können, kann im Rektum der endoskopische Ultraschall (EUS) angewendet werden. Vor allem bezüglich der genaueren Differenzierung des T‑Stadiums ist diese Methode seit Langem bewährt [33]. Die Magnetresonanztomographie (MRT) ist dem EUS hierbei unterlegen, erreicht jedoch eine höhere Genauigkeit in der Evaluierung des Mesorektums im Hinblick auf suspekte Lymphknoten [34, 35]. Daher sollte vor lokaler Abtragung einer Läsion im Rektum bei histologischem Nachweis eines pT1-Karzinoms – unabhängig von der histologischen Risikokonstellation – eine begleitende Becken-MRT erfolgen. Diese sollte – sofern möglich – vor der Abtragung durchgeführt werden, um einen falsch-positiven Befund durch die postinterventionelle Entzündungsreaktion zu vermeiden. Zusätzlich kann das Staging bei KRFK um eine CT ergänzt werden. Die Datenlage bezüglich des bildgebenden Stagings bei bereits lokal entferntem KRFK ist jedoch insgesamt äußerst spärlich.

Suffiziente Therapie durch lokale Abtragung

Erfüllt eine lokal abgetragene Läsion sämtliche histopathologischen Niedrigrisikokriterien, so gelten die lokalen Methoden als ausreichend und der Patient sollte in ein standardisiertes onkologisches Nachsorgeprogramm eingeschleust werden.

Chirurgie

Liegt nach histopathologischer Aufarbeitung eines KRFK, das mit lokalen Verfahren abgetragen wurde, eine Hochrisikosituation vor (Abb. 5) oder besteht auch nur der geringste Zweifel am Vorliegen einer solchen, so hat nach derzeitigem Wissensstand ausnahmslos eine radikale chirurgische Resektion des betroffenen Darmabschnitts nach den gängigen onkologischen Prinzipien zu erfolgen. Dabei spielt der operative Zugangsweg, d. h. die Laparoskopie oder offene Chirurgie, primär nur eine untergeordnete Rolle, sofern die onkologisch-chirurgischen Prinzipien eingehalten werden.

Abb. 5
figure 5

Hoch- und Niedrigrisikosituation beim kolorektalen Frühkarzinom

Die einzigen akzeptierten Ausnahmefälle sind multimorbide Patienten, bei denen ein radikaler chirurgisch-onkologischer Eingriff als zu belastend und daher als nicht tolerabel eingestuft wird. Diese Patienten sollten engmaschig nachkontrolliert werden. Bei Hochrisiko-pT1-Karzinomen des mittleren bis unteren Rektums kann eine additive Strahlentherapie diskutiert werden. Allerdings bleiben die Ergebnisse bislang deutlich hinter den Erwartungen zurück [36]. Über das Vorgehen sollte im interdisziplinären Tumorboard individuell entschieden werden, wobei der Patient möglichst eng in den Entscheidungsprozess einzubeziehen ist. Wie bei jeder onkologischen Erkrankung sollte auch beim KRFK jeder Fall in einem Tumorboard vorgestellt werden. Nach eigener Erfahrung spielen limitierte chirurgische Verfahren, z. B. Segmentresektionen, im Management der KRFK keine Rolle [37].

In Fällen der inkompletten Abtragung eines KRFK, das ansonsten als Niedrigrisikokarzinom klassifiziert wurde, kann bei guter Zugänglichkeit gegebenenfalls eine lokale Abtragungskomplettierung erwogen werden. Ist dies nicht möglich, sollte die radikale chirurgische Resektion möglichst rasch erfolgen da die Ergebnisse bei verspätetem Eingriff deutlich schlechter ausfallen [36].

Einen möglichen Behandlungsalgorithmus zeigt Abb. 6.

Abb. 6
figure 6

Therapiealgorithmus beim kolorektalen Frühkarzinom. CT Computertomographie; EUS endoskopischer Ultraschall; MRT Magnetresonanztomographie

Lokalrezidive

Die Lokalrezidivrate nach lokaler Therapie eines KRFK ist in der Literatur einer großen Schwankungsbreite unterworfen. Bezüglich der rein endoskopischen Verfahren ist eine genaue Erhebung schwierig, da die größeren Fallserien stets auch prämaligne Läsionen einbeziehen – denn präinterventionell ist der Befund eines KRFK in der Regel nicht bekannt. Klarere Daten existieren für die lokalen Exzisionsverfahren im Rektum: Eine Metaanalyse von 41 Studien ergab für transanale Verfahren eine durchschnittliche Lokalrezidivrate von 9,7 % [38]. In der bislang größten publizierten Kohorte, in der jedoch der Risikofaktor Eindringtiefe nicht erhoben wurde, betrug die Lokalrezidivrate bei lokaler Abtragung von T1-Tumoren im Rektum 8,2 %. Bei radikaler Resektion betrug die Rate 4,3 % [39]. Differenziert man beim rektalen Frühkarzinom eine Niedrig- und Hochrisikosituation, treten Lokalrezidive mit einer Häufigkeit von 3–5 % bzw. 10–15 % auf [8, 36].

Salvage-Chirurgie

Das Rezidiv eines rektalen Frühkarzinoms nach primär lokaler Exzision erfordert häufig ausgedehnte chirurgische Eingriffe, z. B. größere En-bloc-Resektionen mitbetroffener Organe, da solche Rezidive aufgrund des oft intramuralen Auftretens nicht selten T4-Situationen darstellen. Falls unter Berücksichtigung onkologischer Radikalitätsprinzipien ein Sphinktererhalt möglich ist, sollte dieser angestrebt werden.

Nachsorge

Nach radikaler onkologischer Resektion eines Hochrisiko-KRFK erfolgt die regelmäßige onkologische Nachsorge gemäß gängigen Leitlinien. Diese schließt eine regelmäßige Bildgebung mit Abdomensonographie oder -CT, bei rektalem Frühkarzinom gegebenenfalls auch eine Becken-MRT sowie – gemäß der S3-Leitlinie – regelmäßige Koloskopien zur Detektion metachroner Zweitkarzinome ein. Bei lokal entfernten KRFK fordert die S3-Leitlinie eine Nachsorgekoloskopie nach 6 und 24 Monaten [29]. Bei unserem eigenen Vorgehen wird die erste Koloskopie häufig als Abtragungskontrolle nach 3 Monaten vorgezogen. Die Rolle der bildgebenden Nachsorge nach lokaler Entfernung eines KRFK ist nicht standardisiert und bleibt unklar.

Fazit für die Praxis

  • Die Rate an Frühkarzinomen, die im Rahmen von Polypektomien diagnostiziert werden, beträgt bis zu 10 %. Daher spielt das Management dieses Befunds eine wichtige Rolle.

  • Im Falle einer Niedrigrisikosituation gilt die vollständige lokale endoskopische Abtragung als kurativ.

  • Liegt eine Hochrisikosituation vor, muss in jedem Fall eine chirurgische Therapie erfolgen.

  • Schlecht differenzierte Karzinome und Invasionstiefen von >1000 µm in die Submukosa bzw. Kikuchi-Level sm3 und Haggitt-Level 4 stellen immer eine Hochrisikosituation dar.

  • Als lokale Therapieverfahren stehen die EMR und ESD im Kolon und Rektum sowie die TEM im Rektum zur Verfügung.

  • Onkologische Resektionen beim Hochrisiko-KRFK folgen denselben Radikalitätsprinzipien wie jene bei weiter fortgeschrittenen kolorektalen Karzinomen.