1 Problemstellung

In allen Abfallszenarios, bei denen eine hohe mikrobiologische Aktivität auftritt (Klärschlammfermentierung, Deponierung gemischter Siedlungsabfälle, Kompostierung) werden erhebliche Emissionen metall(oid)organischer Verbindungen beobachtet, die eine mehr oder weniger hohe toxische Relevanz aufweisen (Diaz-Bone et al. 2004). Metalloide wie das hier untersuchte Selen treten in unterschiedlichen Oxidationszuständen auf (Se-VI, Se-IV, Se-0, Se-I, Se-II). Bei der Bewertung der Toxizität von Metalloiden spielt die chemische Bindungsform, d. h. das Vorliegen in einer bestimmten Wertigkeit bzw. eines bestimmten Oxidationszustandes und der damit einhergehenden komplex- und kovalent-gebundenen Substituenten eine wesentliche Rolle (Uden 2005). Durch biologische Aktivität entstandene organische Selenverbindungen standen gegenüber Zinn- und Antimonverbindungen daher aufgrund ihrer verminderten Toxizität bisher nicht im Vordergrund des Interesses. Im Falle des Selens ist die Toxizität der anorganischen Selenit- und Selenatspezies gegenüber den methylierten Selenid(Se2–)-Bindungsformen um drei Größenordnungen erhöht. Hinzu kommt, dass alle alkylierten Selenverbindungen volatilen Charakter haben (VOSe-Bildung) und somit die Methylierung anorganischer Selenspezies nicht nur zur Detoxifizierung sondern auch zur Exhalation aus anthropogen kontaminierten Systemen (in dem Fall einer Siedlungsabfalldeponie) oder folglich auch aus natürlichen selenangereicherten Umweltkompartimenten wie zum Beispiel Böden und Sedimenten führt. Die Exhalation des Spaltproduktes 79Se in Endlagern ist ein äußerst heikles Forschungsthema (Peitzsch et al. 2010). Ansonsten kann die mikrobiologische Alkylierung aber eher als natürlicher Entgiftungsprozess (natural attenuation) bewertet werden, mit einer atmosphärischen Emission von weltweit geschätzten 100 kg pro Jahr alleine durch DMSe-Freisetzung aus kontaminierten Siedlungsabfalldeponien (Feldmann 2003). Neben der Entwicklung von Verfahren zur natürlichen in situphytoremediation kontaminierter Böden mithilfe genetisch modifizierter Selenhyperakkumulatoren hoher Biomasseproduktion (Ellis und Salt 2003) gehen die neueren Forschungsbemühungen auch in Richtung der Identifizierung effizienter Mikroorganismenpopulationen und deren optimaler Wachstumsbedingungen zur VOSe-Bildung, gerade auch im Hinblick auf den unter möglichst naturnahen Bedingungen stattfindenden Abbau der Konzentrationen bzw. Frachten in kontaminierten terrestrischen und aquatischen Ökosystemen. Grundlage all dieser Forschungsbemühungen muss aber eine etablierte state-of-the-art VOSe-Speziationsanalytik sein, über deren Resultate hier berichtet wird.

2 Material und Methoden

2.1 Siedlungsabfalldeponie

Die Zentraldeponie des Deponiezweckverbandes „Eiterköpfe“ liegt nordwestlich von Koblenz und ist seit den 1980er-Jahren mit einer Kapazität von rd. 12 Mio. m3 zur Ablagerung von Hausmüll, Sperrmüll, Klärschlämmen und Gewerbeabfällen abgedichtet und kontrollierbar ausgebaut worden. In letzterem Sinne verfügt die Zentraldeponie über Anlagen zur Erfassung, Abführung und Aufbereitung von Sickerwasser und Deponiegas auf höchstem technischem Niveau. Das Sickerwasser wird in einem befahrbaren Stollensystem gefasst und einer Sickerwasserreinigungsanlage zugeführt. Das im Deponiekörper durch biologische Abbauvorgänge entstehende Deponiegas wird mithilfe von Gasbrunnen gefasst und der energetischen Verwertung zugeführt. Organometalloide sind zwar thermodynamisch meist instabil, aber kinetisch stabil und bei besonders sorgfältigen Probenahmen analysierbar. Die hier verwendete Methode der Probenahme mittels Tedlar®-Beuteln (Probenahmebeutel aus Polyvinylfluorid-Folie, SKC ANALYT MTC) stellt kein Problem hinsichtlich der Stabilität dieser Verbindungen dar, wenn die Analytik innerhalb von 48 h erfolgt (Haas und Feldmann 2000). Der Vorteil dieser etablierten Methode ist zudem die kontaminationsfreie Beprobung direkt am Gasbrunnen mittels eines Unterdruckbehälters.

2.2 Mikroorganismen und Kulturmedien

Der phytopathogene Pilz Alternaria alternata, von Thompson-Eagle et al. (1989) als selenresistenter und aktiv methylierender Mikroorganismus erstmals beschrieben, wurde von der Deutschen Sammlung für Mikroorganismen und Zellkulturen bezogen (DSMZ-Nr. 1102, Braunschweig) und als Modellorganismus für die Experimente mit anorganischem Selenit verwendet. Zum Vergleich mit der Alkylierungsaktivität der Reinkultur von A. alternata wurde weiterhin auch Sickerwasser der Hausmülldeponie „Eiterköpfe“ bei Koblenz als Inokulum einer mikrobiologischen „Umweltmischkultur“ verwendet.

Die Inkubation von A. alternata und die Anreicherung der Umweltmischkultur erfolgten in 20 mL eines synthetischen Nährmediums (1 g L–1 Malzextrakt, 1 g L–1 Glucose, 0,1 g L–1 Pepton; Merck) bei 30 °C für 7 Tage in mittels Butylstopfen luftdicht verschlossenen Inkubationsgefäßen (100 mL). Weiterhin wurden in dem verwendeten Nährmedium unterschiedliche Selenkonzentrationen (10 µg L–1, 100 µg L–1, 1 mg L–1, 10 mg L–1) in Form von Selenit (Na2SeO3, Alfa Aesar) eingestellt, um die konzentrationsabhängige Alkylierungsleistung zu beobachten. Zur Ermittlung abiotischer Einflüsse wurden parallel Inkubationsansätze ohne Inokulum auf die gleiche Weise untersucht. Um den Einfluss des Nährmediums zu bestimmen bzw. es als Quelle gelösten Selens auszuschließen, sind weitere Inkubationsansätze ohne Zugabe von Selenit untersucht worden. Alle Untersuchungen sind in dreifacher Ausfertigung durchgeführt wurden.

Nach der Inkubation der unterschiedlichen mikrobiologischen Gemeinschaften wurden mittels Minielektroden pH-Werte (SenTix Mic, WTW) und Redoxpotenzial (Platin-Einstabmesskette Pt-5900A, Schott) gemessen. Die Menge an gebildeter Biomasse wurde im Falle der bakteriellen Kulturen durch fotometrische Messung der optischen Dichte bei 600 nm bestimmt (Photometer Specord® 50, Analytik Jena). Die Pilzbiomasse wurde gravimetrisch bestimmt, indem diese nach Filtration bei 105 °C getrocknet und nach eingestellter Gewichtskonstanz ausgewogen wurden.

2.3 Analytik

Zur Analyse der volatilen Organoselenverbindungen (VOSe) wurde die Gasphase der Inkubationsansätze mittels hochreinen Stickstoffgases ausgetrieben und in 1 L-Tedlar®-Beuteln gesammelt. Dabei wurde mit dem 10-fachen Volumen der Gasphase des Inkubationsgefäßes gespült. Zum Austreiben wurde ein PC-gesteuerter Massendurchflussmesser (Smart Controller GSC, Vögtlin Instruments, Schweiz) verwendet, die Flussrate betrug 0,2 L min–1.

Zur Messung der VOSe in den gasförmigen Proben wurde eine mehrstufige Anreicherung/Separation mittels cryotrapping-cryofocussing-Gaschromatografie online mit der elementselektiven ICP-MS Detektion (CT-CF-GC-ICP-MS, Abb. 1, Tabelle 1) gekoppelt. Diese aufwendige analytische Technik hat sich gerade für die Speziation von Spurenelementen in komplexen Gasmatrices bewährt (Kremer et al. 2005). Die Gasproben wurden mittels einer gasdichten Spritze (Fortuna-Optima®100 mL, Poulten & Graf) und konstanter Volumenflussrate von 40 mL min–1 (Spritzenpumpe Vit-Fit, Lambda, Schweiz) in das Messsystem eingebracht. Hierbei wurde zunächst das Probenmaterial gefangen (CT) und im weiteren Verlauf fokussiert (CF), um einen gemeinsamen Startpunkt der Analyten für die Reproduzierbarkeit der gaschromatografischen Trennung zu gewährleisten.

Abb. 1
figure 1

CT-CF-GC-ICP-MS-Kopplung zur Analyse leichtflüchtiger Organometall(oid)verbindungen

Tabelle 1 Methodische Details zur Eigenentwicklung der CT-CF-GC-ICP-MS-Kopplung

Die Identifizierung der VOSe-Verbindungen erfolgte durch den Vergleich der Retentionszeiten der Standardsubstanzen Dimethylselenid (DMSe, Strem Chemicals), Dimethyldiselenid (DMDSe, Sigma Aldrich), Diethylselenid (DESe, Sigma Aldrich) und Diethyldiselenid (DEDSe, Strem Chemicals) mit den analysierten Proben. Die Stabilität und Wiederfindungsraten dieser Standards wurden von uns vorher ermittelt (Haas und Feldmann 2000; Peitzsch et al. 2010). Weiterhin wurde das Ethylmethyldiselenid (EMDSe) nach Meija et al. (2003) synthetisiert und dessen Retentionszeit ermittelt. Die Quantifizierung erfolgte über eine externe Kalibrierfunktion, wobei durch die Detektion mittels ICP-MS ausschließlich das Selen als Bezugsgröße gemessen wurde. Dadurch genügte es, die Kalibrierfunktion mittels DMSe aufzunehmen und auf die anderen VOSe anzuwenden. Zur Auswertung der Messungen wurden die Peaks der Chromatogramme mittels des Softwarepakets OriginPro 7.0 (Microcal) integriert und die Peakflächen zur Quantifizierung des Selens genutzt.

Es sollte noch darauf hingewiesen werden, dass die VOSe Spezies mehr oder weniger wasserlöslich sind. Der Henry-Koeffizient für DMSe beträgt 0,058, sodass bei Gleichgewicht die DMSe-Konzentration in Wasser immerhin 17-fach höher ist als die Konzentration in der Gasphase im geschlossenen System (Karlson et al. 1994). Mit einem fünffachen Volumenverhältnis zwischen Headspace und Kulturmedium muss damit das max. 3,4-fache des in der Gasphase gemessenen VOSe noch in der Wasserphase gelöst vorhanden gewesen sein. Dies entspricht auch den Ergebnissen eines Wiederfindungsexperimentes, bei dem 17,4 ng DMSe im Kulturmedium gelöst wurden (aber ohne Inokulum), von dem aber nur 35 ± 7 % im Headspace nach 24 h wiedergefunden wurden (Peitzsch 2008).

3 Analyseergebnisse

Das Vorkommen sowie die Menge leichtflüchtiger Organometall(oid)e inklusive alkylierter Selenverbindungen im Deponiegas der Zentraldeponie „Eiterköpfe“ schwankte sowohl in Abhängigkeit des Beprobungszeitraumes als auch des beprobten Gasbrunnens. Die Analyse einer im März 2008 entnommenen Gasprobe zeigte als dominante Spezies das Dimethylselenid. An weiteren VOSe wurden DESe, DMDSe, EMDSe und DEDSe beobachtet, allerdings in um eine Größenordnung niedrigeren Konzentrationen (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Chromatogramm der leichtflüchtigen Organoselenverbindungen in Deponiegasproben

Nach 7-tägiger Inkubation der Reinkultur von A. alternata wurden über den gesamten zugegebenen Se-(IV) Konzentrationsbereich vier VOSe-Spezies gefunden: DMSe, DMDSe, EMDSe und DEDSe (Abb. 3). VOSe-Spezies waren sogar, wenn auch im Ultraspurenbereich gerade noch nachweisbar, auch in den Ansätzen ohne Zugabe von Se-IV zu beobachten. Dieser Hintergrundwert ergab sich aus der Zusammensetzung des kommerziellen Nährmediums, welches in Spuren gelöstes Selen enthielt. In Abhängigkeit der zugegebenen Menge an Selenit (Se-IV) konnte hauptsächlich eine Zunahme von DMSe über mehrere Größenordnungen beobachtet werden, die bei einer Selenitkonzentration von 1 mg L−1 eine maximale Freisetzung von 1,4 µg volatiles Selen erreichte (Abb. 4a). Bei der Hochrechnung auf relevante Volumina würde sich hier unter gleichen Reaktionsbedingungen eine Volatilisierungsrate von 9,8 mg Se pro Kubikmeter Wasser und Tag ergeben. Die Bildung von EMDSe konnte in Abhängigkeit von der gelösten Menge Se-IV mit einem leichten Anstieg bis zu einem Maximum von 8,6 ng VOSe pro Woche und Inkubationslösung von 20 mL beobachtet werden. Im Gegensatz dazu wurde bei der Bildung von DMDSe keine verstärkte Produktion mit zunehmender Se-Konzentration beobachtet. Allerdings lagen die Anteile des DMDSe am gesamten VOSe in den niedrigen Konzentrationsbereichen (10 µg L–1 Se-IV) bei ca. 65 %. Mit Zunahme der Konzentration an gelöstem Selenit (Se-IV) im Nährmedium wurde der Anteil des DMSe am gesamten VOSe zwischen 97,9–99,9 % ermittelt. Im Falle von DEDSe konnte kein deutlicher Einfluss der Mikrobiologie festgestellt werden, d. h. die dargestellten Werte unterschieden sich kaum von denen der abiotischen Kontrolle (Peitzsch 2008). Die volatilisierte Menge nach 7 Tagen stieg von 2,6 % bei der Inkubation von 10 µg L–1 Se-IV bis auf 6,9 % bei der Inkubation von 1 mg L–1 Se-IV an, und nahm bei der nächsthöheren Konzentration von 10 mg L–1 Se-IV wiederum auf 0,3 % ab. Die Volatilisierungsrate entspricht allerdings nicht der Alkylierungsrate, da das DMSe-Gas wasserlöslich ist. Wie im Methodenteil ausgeführt, ist die gesamte alkylierte Menge in unseren Experimenten mit dem gelösten Anteil noch um den Faktor 3,4 höher.

Abb. 3
figure 3

Typisches Chromatogramm der leichtflüchtigen Organoselenverbindungen nach der Inkubation von A. alternata (1 mg/L Se-IV)

Abb. 4
figure 4

Konzentrationsabhängige Alkylierung von Se-IV. a Inkubation von A. alternata, b Inkubation der Umweltmischkultur (Fehlerbalken zeigt die Standardabweichung, n = 3)

Die parallel zu den VOSe bestimmten Gehalte der Biomasse sowie der pH-Werte und Redoxpotenziale als Wachstumsfaktoren zeigen (Abb. 5a), dass A. alternata über einen großen Konzentrationsbereich von gelöstem Selenit im Nährmedium nicht nachteilig beeinflusst wird. Bei Betrachtung der Menge an gebildeter Biomasse wird jedoch deutlich, dass bei der höchsten Konzentration von 10 mg L–1 Selenit gegenüber der nächstgeringeren Konzentration von 1 mg L–1 eine deutliche Abnahme der Biomasseproduktion zu verzeichnen ist.

Abb. 5
figure 5

Biomasse, pH- und Eh-Wert. a Inkubation von A. alternata, b Inkubation der Umweltmischkultur (Fehlerbalken zeigt die Standardabweichung, n = 3)

Parallel zur Inkubation von A. alternata wurde eine Umweltmischkultur, angereichert aus Deponiesickerwasser, auf die gleiche Weise inkubiert und auf eine mögliche Alkylierung des anorganischen Selenits untersucht. Neben den dominanten alkylierten Selenverbindungen DMSe (1,0–96,3 %), DMDSe (96,5–3,5 %) und EMDSe (0,1–12,8 %), welche im gesamten Konzentrationsbereich des eingesetzten Selenits zu finden waren, wurden zwei weitere, nicht näher definierte VOSe-Spezies bei Retentionszeiten (RT) von 410 s und 422 s beobachtet (RT 410 s, RT 422 s; Abb. 4b). Vor allem RT 410 s konnte im höheren Konzentrationsbereich (0.1–10 mg L–1 Se-IV) bis zu 5,8 % des VOSe nachgewiesen werden. Die Identifizierung dieser VOSe-Spezies über eine Abschätzung des Dampfdruckes wie von Feldmann et al. (1994) empfohlen führte nicht weiter (Peitzsch 2008). Eine eindeutige Identifizierung wäre daher nur auf molekularer Ebene mit einem aufwendigen Tandem-MS-System möglich gewesen, das uns binnen der Verfallszeit der Spezies nicht zur Verfügung stand. Im Gegensatz zu den Inkubationsversuchen mit A. alternata konnte im Konzentrationsbereich bis 10 µg L–1 Se-IV auch eine aktive, biologisch bedingte Produktion von DEDSe (8,8 % des volatilen Selens) gegenüber den abiotisch inkubierten Versuchsansätzen beobachtet werden (Peitzsch 2008). Innerhalb dieser Versuchsreihe ist im Gegensatz zu den Experimenten mit A. alternata die vermehrte Bildung von DMSe und DMDSe sowie EMDSe mit steigender Selenitkonzentration im Nährmedium zu beobachten, wobei das Maximum der VOSe-Bildung mit 560 ng Selen wiederum bei Einsatz von 1 mg L–1 Selenit zu finden ist. Bei entsprechender Hochrechnung entspricht das einer Volatilisierungsrate von 3,9 mg VOSe pro Kubikmeter Sickerwasser und Tag. Der volatilisierte Anteil lag nach 7 Tagen Inkubation zwischen 0,2 % (10 µg L–1 Se-IV) und 2,8 % (1 mg L–1 Se-IV), fiel bei der höchsten Selenitkonzentration von 10 mg L-1 aber wieder auf unter 1 % ab.

Weiterhin wurde der Einfluss unterschiedlicher Selenkonzentrationen auf das Wachstum der Umweltmischkultur untersucht. Die hierbei verwendete Methode der optischen Dichte war nicht durch die Bildung von elementarem Selen gestört, das ansonsten die Kulturen intensiv rot gefärbt hätte. Es konnte beobachtet werden, dass unterschiedliche Selenitkonzentrationen im Nährmedium sich nicht nachteilig auf das Wachstum der angereicherten Mischkultur auswirken. Eine Ursache dafür könnte sein, dass sich die Zusammensetzung der Mischkultur mit zunehmender Se-Konzentration ändert. Zwar ist die Menge der gebildeten Biomasse wie auch die Entwicklung des pH-Wertes über den gesamten Konzentrationsbereich vergleichbar, aber das Redoxpotenzial zeigt einen Abwärtstrend mit zunehmender Konzentration von gelöstem Selenit im Nährmedium (Abb. 5b). Dies könnte als ein Indiz für eine Änderung der Mikroorganismenpopulation in der Mischkultur geltend gemacht werden. Allerdings kann zur Verifikation dieser Hypothese nur eine PCR-Sequenzierung mit der DGGE-Methode (Denaturing Gradient Gel Electrophoresis) weiterhelfen, die uns nicht zur Verfügung stand.

4 Diskussion

Die Inkubation des aktiv methylierenden Mikroorganismus A. alternata zeigte über den gesamten Selenitkonzentrationsbereich (10 µg L–1–10 mg L–1 Se-IV) eine aktive Produktion verschiedener VOSe (DMSe, DMDSe, EMDSe, DEDSe) (Abb. 4a), erstmals auch im umweltrelevanten Konzentrationsbereich unterhalb von 1 mg L–1. Die absoluten Mengen des im Headspace gefundenen DMSe lagen um bis zu drei Größenordnungen höher als die der übrigen VOSe-Spezies, bei einer vorliegenden Konzentration von Se-IV im Nährmedium von 1 mg L–1 immerhin im unteren µg-Bereich. Zum Vergleich der Pilzreinkultur von A. alternata mit einer Umweltmischkultur wurde Sickerwasser einer Hausmülldeponie als Inokulum verwendet und die konzentrationsabhängigen Alkylierungsraten von anorganischem Selen der so angereicherten Kultur analysiert. Hierbei wurde mit Zunahme der Selenitkonzentration im Nährmedium eine Zunahme der VOSe beobachtet, die ähnlich der Reinkultur von A. alternata bei höheren Konzentrationen von 1 mg L–1 bzw. 10 mg L–1 Se-IV ein Maximum für den gewählten Untersuchungsbereich aufzeigten. Weiterhin ist auffällig, dass im Gegensatz zur Inkubation von A. alternata auch die Bildung von DMDSe und EMDSe mit steigender Konzentration von Se-IV im Nährmedium ansteigt (Abb. 4b). Zusätzlich zu den bereits genannten Selenspezies wurde vor allem ab einer Konzentration von 100 µg L–1 Se-IV auch eine vermehrte Bildung zweier weiterer, nicht über die Retentionszeit identifizierbarer VOSe beobachtet. Bei quantitativer Betrachtung der beiden mikrobiologischen Inkubationsreihen wird deutlich, dass die mikrobiologische Bildung volatiler Organoselenverbindungen im unteren Konzentrationsbereich mit der des eingesetzten anorganischen Selenits vergleichbar ist. Dagegen ist im oberen Konzentrationsbereich (ab 100 µg L–1 Se-IV) die Produktionsrate von VOSe bei der Pilzreinkultur um etwa eine Größenordnung höher.

Im Vergleich zu den Deponiegasproben sowie anderen Studien mit Isolaten aus Wässern und Böden sowie Umweltmischproben zeigt sich, dass die VOSe-Ausbeuten ähnlich sind. So zeigten Rael und Frankenberger (1996), dass eine bakterielle Reinkultur von Aeromonas veronii in Abhängigkeit von der Selenkonzentration, dem pH-Wert und der Salinität unterschiedliche Mengen DMSe und DMDSe produziert. Während der Inkubation mit A. veronii wurden Absolutmengen von 100–500 ng Selen als flüchtige Verbindungen nachgewiesen. Dungan und Frankenberger (2000) untersuchten die Einflüsse der oben genannten Umweltfaktoren auf die Selen-Volatilisierung durch Enterobacter cloacae SLD1a-1 und konnten, bezogen auf die verfügbare Selenkonzentration im Nährmedium, ebenfalls eine Abhängigkeit feststellen. Höhere Selenitzugaben von 80 mg L–1 führten dabei zu einer verminderten Produktion leichtflüchtiger Selenverbindungen (< 0,5 % volatiles Se). Bei Selenzugaben wie in dieser Arbeit verwendet (7,9 mg L–1 und 0,79 mg L–1) wurden nach gleicher Inkubationszeit ähnliche Anteile von 1,5 % und 3 % VOSe gemessen. Nach der Inkubation von A. alternata und der Umweltmischkultur konnten hier bis zu 7 % bzw. 3 % VOSe bei einer Konzentration von 1 mg L–1 Se-IV im Nährmedium analysiert werden. Im Gegensatz zu der bei Dungan und Frankenberger (2000) beschriebenen verminderten Produktion leichtflüchtiger Selenverbindungen mit steigender Se-Konzentration im Nährmedium konnte in anderen Arbeiten mit einer salztoleranten Alge Chlorella sp. (Se-Konzentrationen von 0,79 mg L–1 und 100 mg L–1; Fan et al. 1997) bzw. einem Corynebakterium sp. (Se-Konzentrationen von 5 mg L–1 und 50 mg L–1; Doran und Alexander 1977) eine bis zu 10-fach höhere VOSe-Produktionsrate infolge erhöhter anorganischer Selenzugabe beobachtet werden.

Die bei Thompson-Eagle et al. (1989) beschriebene Resistenz von A. alternata gegenüber Se-Konzentrationen von 100 mg L–1 konnte in den hier aufgeführten Experimenten nur teilweise bestätigt werden. Als Indiz für die geringere Resistenz von A. alternata unter den gegebenen Bedingungen können die Bildung der Biomasse sowie die Bildung des DMSe genutzt werden, welche bei einer Selenitkonzentration von 10 mg L–1 im Vergleich zu 1 mg L–1 um ca. 75 % bzw. 50 % reduziert waren.

5 Schlussfolgerungen

Die mikrobiologische Alkylierung anorganischer Selenspezies wurde in verschiedenen mikrobiologischen Gemeinschaften untersucht. Die Verknüpfung von effizienter gaschromatografischer Trennung und dem nachweisstarken, elementselektiven Detektor ermöglichte dabei Nachweisgrenzen im Ultraspurenbereich (1 pg Se), mit einer Linearität über mehrere Größenordnungen. Weltweit erstmals konnten damit Alkylierungsraten bei umweltrelevanten Se-Konzentrationen im Kulturmedium quantifiziert werden. Die Alkylierung von Selen durch eine Reinkultur von A. alternata als auch durch eine Anreicherungskultur aus Deponiesickerwasser funktioniert in der Tat uneingeschränkt auch bei einer Selenitkonzentration von nur 10 µg L–1, wobei die Zusammensetzung der verschiedenen gebildeten VOSe derjenigen ähnelt, die auch direkt im Deponiegas gefunden wurde. Zusammenfassend ist festzustellen, dass die mikrobiologische Alkylierung toxischer, anorganischer Selenspezies wie Selenit (Se-IV) als Natural-attenuation-Ansatz bis hinunter zu Konzentrationen des aktuellen Geringfügigkeitsschwellenwertes der LAWA zur Beurteilung von lokal begrenzten Grundwasserverunreinigungen (7 µg L–1 Se) funktioniert.