Zusammenfassung
In öffentlichen Diskussionen wird häufig die Annahme formuliert, dass sich Personen mit ungünstigen kognitiven und motivationalen Merkmalen für den Lehrerberuf entscheiden. Vor diesem Hintergrund untersucht der vorliegende Beitrag anhand einer deutschlandweiten Stichprobe von 14.815 Studienanfängern die leistungsbezogenen, motivationalen und soziodemographischen Eingangsmerkmale von Lehramtsstudierenden unterschiedlicher Schulformen im Vergleich zu anderen Studierenden. Die Ergebnisse zeigen, dass sich Gymnasiallehramtsstudierende im Hinblick auf Abiturleistungen und fachliche Studienwahlmotivation nicht von anderen Universitätsstudierenden unterscheiden. Allerdings sind den Gymnasiallehramtsstudierenden wissenschaftliche Interessen, Karrieremotive und das Ziel, überdurchschnittliche Kompetenzen erwerben zu wollen, weniger wichtig als anderen Universitätsstudierenden. Ausgeprägter sind hingegen soziale Interessen, der Wunsch nach beruflicher Sicherheit und private Vereinbarkeitsziele. Die genannten Unterschiede gelten ebenfalls für Studienanfänger des Real-, Grund-/Haupt- sowie Sonderschullehramtes. Darüber hinaus haben die nicht-gymnasialen Lehramtsstudienanfänger schlechtere Abiturleistungen und geringere fachliche sowie wissenschaftliche Studienwahlmotivationen als ihre Kommilitonen im Gymnasiallehramt. Des Weiteren zeigt sich, dass insbesondere nicht-gymnasiale Lehramtsstudiengänge vermehrt weibliche Studienberechtigte und solche aus bildungsfernen sozialen Schichten anziehen.
Abstract
In public debates it is often conjectured, that people with unfavourable cognitive and motivational characteristics choose to become teachers. Against this background and on the basis of a large nationwide dataset, this paper compares performance-related, motivational, and socio-demographic entrance characteristics of 14.815 new college students who either opted for one of several different teacher education programs or another field of study. Results show that student teachers studying to become a Gymnasium teacher do not differ from students in non-teaching fields in terms of prior performance and subject-related (intrinsic) study motivations. However, future Gymnasium teachers report lower levels of scientific and career motivations and are less frequently motivated by the goal to acquire above-average competencies. More important to them are social interests, job security and the goal to have time for leisure and family. The above-mentioned characteristics are also typical for students aiming to become a teacher at the primary or lower secondary level. In addition, this last group shows lower levels of prior performance, subject-related study motivations, and scientific study motivations compared to future Gymnasium teachers. Furthermore, teacher education (especially at the primary and lower-secondary level) is frequently chosen by females, and by students from lower educational backgrounds.
Notes
Im Sinne eines besseren Leseflusses wird auf die Verwendung beider Geschlechtsformen der Substantive verzichtet.
Die Entscheidung für das Lehramtsstudium ist der ‚kritische Übergang‘ auf dem Weg zum Lehrerberuf. 2009 handelte es sich bei lediglich 5,9 % aller Einstellungen in den öffentlichen Schuldienst um Seiteneinsteiger (KMK 2010).
Persönlichkeitsfacetten nach der Theorie Hollands (1997) (bspw. eine investigative Orientierung) werden üblicherweise über Interesseninventare erfasst (bspw.: Es interessiert mich „gar nicht – sehr stark“, mich „mit unerforschten Dingen zu beschäftigen“). Sie sollten aber ebenso in den hier verwendeten Studienmotiven und Berufs-/Lebenszielen zum Ausdruck kommen (bspw.: Bei der Studienwahl ist das Motiv „wissenschaftliches Arbeiten“ für mich „bedeutungslos – sehr bedeutend“).
Die bereinigte Rücklaufquote liegt höher, da zum einen nicht alle Personen, welche den Fragebogen erhalten haben, Teil der Grundgesamtheit waren. Zum anderen handelt es sich teilweise um stichprobenneutrale Ausfälle, die auf die durch Umzüge geprägte Lebensphase und damit zusammenhängende schwere Erreichbarkeit der Studienberechtigten zurückzuführen ist. Ausgeschlossen sind Personen, die zum ersten Erhebungszeitpunkt über 30 Jahre alt waren sowie Personen, die nur über eine Fachhochschulreife/fachgebundene (Fach-)Hochschulreife verfügten.
Zusätzliche Informationist in der online Version dieses Beitrags (doi:10.1007/s11618-013-0343-y) enthalten.
Kompetenzdemonstration kann dabei nochmals unterteilt werden in „Kompetenz demonstrieren“ und „Inkompetenz verbergen“.
Sensitivitätsanalysen, bei denen die beiden Items der Dimension als Einzelitems einflossen, führten zu den gleichen Befunden.
Aus Platzgründen werden nicht alle Varianz- und Kontrastanalysen hier berichtet. Sie stehen jedoch online zur Verfügung (vgl. Endnote 5).
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Danksagung und Hinweis
Ich danke Oliver Dickhäuser sowie zwei anonymen Gutachtern für wertvolle Kommentare. Finanzielle Unterstützung erfolgte durch das BMBF im Rahmenprogramm für empirische Bildungsforschung (FKZ: 01JG1058).
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Neugebauer, M. Wer entscheidet sich für ein Lehramtsstudium – und warum? Eine empirische Überprüfung der These von der Negativselektion in den Lehrerberuf. Z Erziehungswiss 16, 157–184 (2013). https://doi.org/10.1007/s11618-013-0343-y
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