Häufig erleben wir, dass unsere Gefühle (Affekt) und Gedanken (Kognitionen) nicht in dieselbe Richtung weisen: Nach den Terroranschlägen in New York im Jahr 2001 wählten beispielsweise viele Amerikaner eher das Auto als das Flugzeug, um innerhalb Amerikas zu reisen. Ihr Gefühl sagte ihnen: Reisen mit dem Flugzeug ist gefährlich! – obwohl sie vielleicht wussten, dass die Wahrscheinlichkeit, auf langen Reisen mit dem Auto zu verunglücken, ungleich höher ist als bei Reisen mit dem Flugzeug [1]. In der Influenzapandemiezeit 2009 stand die Bevölkerung vor der Wahl, sich impfen zu lassen oder sich der Gefahr auszusetzen, an der Influenza A (H1N1) zu erkranken. Das Wissen um eine wahrscheinliche Ansteckung und um möglicherweise schwerwiegende Krankheitsverläufe stand im Gegensatz zu Gefühlen diffuser Angst vor dem Impfstoff. Beispiele für mögliche Auslöser dieser Angst [2] sind die von Impfgegnern kritisierte Verwendung von Thiomersal in Impfstoffen [3] oder die in Serien-E-Mails verbreitete Idee, das im pandemischen Impfstoff enthaltene Squalen verursache das Golfkriegssyndrom [4]. Was beeinflusst nun die (Impf-)Entscheidung stärker: das gefühlte Risiko zu erkranken bzw. Nebenwirkungen zu erleiden oder die kognitive Einschätzung der jeweiligen Risiken?

Anhand von Daten, die wir während der H1N1-Pandemie 2009 erhoben haben, wird im Folgenden der relative Einfluss von kognitiver und affektiver Risikowahrnehmung auf die Impfbereitschaft untersucht. Dabei legen wir ein besonderes Augenmerk auf Angst. Angst wird in vielen Studien häufig als (einziger) Prädiktor erfasst und ist vor allem in Ausnahmesituationen, wie z. B. bei Influenzaausbrüchen relevant. Ferner wird häufig diskutiert, ob zur Erhöhung der Impfraten sog. Furchtappelle eingesetzt werden sollten. Furchtappelle sind eine Kommunikationsstrategie, die nicht auf Information und Beratung, sondern eher auf überredendes Überzeugen setzt (sog. Persuasion). Dabei wird gezielt Angst ausgelöst, um ein Schutzverhalten zu erwirken. Die Ergebnisse der vorliegenden Studie werden hinsichtlich ihrer Implikationen für die Krisenkommunikation diskutiert.

Risikowahrnehmung: Affekt und Kognition

Psychologische Theorien zum Schutzverhalten nehmen an, dass Personen sich dann schützen, wenn sie ein hohes Risiko wahrnehmen, etwa an einer Krankheit zu erkranken [5, 6]. Dem entgegen wirkt das Risiko, das die Schutzmaßnahme selbst mit sich bringt – wie z. B. mögliche Nebenwirkungen einer Impfung [7, 8]. Weitere Aspekte wie die wahrgenommene Empfänglichkeit für die Krankheit, der erwartete Nutzen einer Schutzmaßnahme (z. B. einer Impfung) und die Barrieren, die ihrer Umsetzung im Wege stehen (z. B. Impfung nur im Gesundheitsamt mit langen Wartezeiten statt bequem beim Hausarzt), beeinflussen die Schutzintention. Wie eine Metaanalyse zeigte [7] hat sich das wahrgenommene Erkrankungsrisiko in vielen Studien als ein verlässlicher Prädiktor der Impfentscheidung erwiesen. Risiko wird operationalisiert als eine Kombination aus der wahrgenommenen Wahrscheinlichkeit zu erkranken und dem erwarteten Schweregrad der Erkrankung [9, 10, 11]. In der Folge werden wir von dieser Kombination als kognitiv vermitteltem Risiko oder als „risk as analysis“ sprechen [12, 13, 14]. In gleicher Weise wird das Risiko für das Auftreten von Nebenwirkungen einer Impfung betrachtet [8, 10, 11].

Neben dem kognitiven „risk as analysis“ wird in der psychologischen Literatur auch die Existenz eines „risk as feelings“ angenommen – also eines gefühlsmäßig vermittelten Risikos, das sich auf Gefühle und Gefühlslagen wie Bedrohlichkeit, Angst und Besorgnis stützt [12, 13, 14]. Studien haben gezeigt, dass das gefühlsmäßig vermittelte Risiko einen unabhängigen und teilweise sogar stärkeren Einfluss auf Risikoentscheidungen haben kann als ein kognitiv vermitteltes Risiko [14]. Um Verhalten in Risikosituationen zu erklären, sollten daher sowohl das kognitiv vermittelte Risiko als auch das Risikogefühl erfasst werden.

Dass ein Risikogefühl oder Angst auch bei Impfentscheidungen eine Rolle spielt, wurde in zahlreichen empirischen Studien berichtet: Die Besorgnis (worry), an Influenza A (H1N1) zu erkranken, korrelierte positiv mit der Impfintention bei italienischen Universitätsstudenten [15]; die Ausprägung der Angst (fear) vor Influenza A (H1N1) war in Malaysia signifikant mit berichtetem Schutzverhalten korreliert [16]. Für griechische Frauen waren die beiden häufigsten Gründe, ihre Töchter nicht gegen sexuell übertragbare humane Papillomviren (HPV) impfen zu lassen, ein selbst berichteter Mangel an Wissen sowie die Angst vor Nebenwirkungen [17]. Auch Ergebnisse aus Fokusgruppen mit Eltern [18] zeigen, dass die Furcht vor Nebenwirkungen oder sogar vor dem Tod durch eine Influenzaimpfung wesentliche Impfhindernisse sind. Diese Angst der Eltern beeinflusst auch die folgende Generation, also die Heranwachsenden selbst, in ihrer Entscheidung [18]. Ängste vor impfpräventablen Erkrankungen waren in einer qualitativen Studie hauptsächlich bei Eltern komplett geimpfter Kinder zu finden, während sich Personen mit ungeimpften Kindern stärker vor Impfnebenwirkungen fürchteten [19]. In Deutschland zeigte sich 2010 in einer repräsentativen Befragung von Eltern mit Kindern im Alter von 0 bis 13 Jahren, dass 14% der Eltern schon einmal aus Angst vor Nebenwirkungen oder Impfschäden eine Impfung ausgelassen haben [20]. Unter Eltern mit Vorbehalten gegenüber dem Impfen waren es sogar 40%. Angst und Gefühle der Bedrohlichkeit (threat) können schon durch kurze Besuche impfkritischer Internetseiten ausgelöst werden; dadurch sinkt in der Folge die Impfintention [21].

Angst scheint also auch bei Routineentscheidungen die Impfbereitschaft zu beeinflussen. In Ausbruchssituationen ist Angst jedoch ein besonders wichtiger Faktor. Risiken, die global, unkontrollierbar, schwer einzudämmen und mit Katastrophenpotenzial behaftet sind, lösen laut Slovic [22] eine sog. „dread-risk“-Wahrnehmung aus, also eine auf Angst und Furcht basierende Risikowahrnehmung. Daher sollte vor allem in Ausbruchssituationen Angst neben der Risikowahrnehmung als wichtiger Faktor für die Bereitschaft, Schutzverhalten zu zeigen, betrachtet werden.

Im Folgenden wird die kognitiv vermittelte Risikowahrnehmung („risk as analysis“: Wahrscheinlichkeit und Schweregrad) im Vergleich zum gefühlten Risiko betrachtet („risk as feelings“: Angst, Bedrohlichkeit, Besorgnis). Dabei soll der relative Einfluss beider Arten von Risikowahrnehmung auf die Impfintention in einer Ausbruchssituation ermittelt werden. Als Grundlage hierfür dient das Modell von Loewenstein und Kollegen [13, 14]. Ein besonderes Augenmerk wird zudem auf Angst gelegt, da diese in Ausbruchssituationen ein wesentlicher Faktor zu sein scheint [16, 17, 18, 19, 22].

Studie: Der Einfluss von „risk as analysis“ und „risk as feelings“ auf die Impfbereitschaft

Hypothesen

Basierend auf den obigen Ausführungen erwarteten wir eine höhere Impfbereitschaft, je höher das kognitiv vermittelte Risiko ist, an Influenza A (H1N1) zu erkranken („risk as analysis“). Je höher das kognitiv vermittelte Risiko ist, Nebenwirkungen durch den verfügbaren Impfstoff zu erleiden, desto geringer sollte die Impfbereitschaft sein [7, 8, 10, 11]. Risikogefühle („risk as feelings“) sollten einen starken zusätzlichen Einfluss auf die Impfbereitschaft haben – einen positiven bei einem gefühlten hohen Risiko bezogen auf Influenza A (H1N1) und einen negativen bei einem gefühlten hohen Nebenwirkungsrisiko [14].

Methode

Am Ende einer im Internet durchgeführten Studie mit StudierendenFootnote 1 wurden die Probanden zu ihrer Impfintention und ihrer kognitiven und affektiven Risikowahrnehmung bezogen auf die damals aktuelle Influenza-A (H1N1)-Pandemie befragt.

Probanden und Erhebungszeitpunkt

Zweitausendeinhundertsiebenundfünfzig Studierende der Universität Erfurt wurden über das Online-Rekrutierungstool ORSEE, das an der Universität Erfurt zur Anwerbung von Versuchsteilnehmern genutzt wird, zur Studie eingeladen (siehe http://www.uni-erfurt.de/psychologie/forschung/hermann-ebbinghaus-labor/). Zwischen dem 2. und 5. November 2009 nahmen 520 Personen (75,8% weiblich, Alter 21,61, SD = 2,99; 11,5% bereits mit Hochschulabschluss) teil. In der Zeit vor und nach der 45. Kalenderwoche (Zeitraum, in der die Studie stattfand), war laut Robert Koch-Institut ein starker Anstieg der A (H1N1)-Fälle zu verzeichnen; der Höhepunkt der Welle lag in der 47. Woche [23]. Die Impfung gegen A (H1N1) war ab der 44. Woche verfügbar.

Fragebogen und Maße

Die folgenden Fragen wurden in einem Online-Fragebogen dargeboten und konnten durch Klicken auf Radiobuttons beantwortet werden.

Die Bereitschaft zu einer Impfung gegen Influenza A (H1N1) wurde mit folgender Frage erfasst: „Bitte geben Sie an, wie Sie sich entscheiden würden, wenn Sie sich diese Woche gegen Schweinegrippe (Neue Grippe) impfen lassen könnten“ (0 = nicht impfen, 1 = impfen mit Wirkstoff Pandemrix, dem für die breite Bevölkerung zugelassenen und verfügbaren Impfstoff).

Das kognitive Risiko, an Influenza A (H1N1) zu erkranken, wurde mit 2 Fragen erfasst [Wahrscheinlichkeit: „Ich denke, wenn ich nicht die Impfung bekomme, sind meine Chancen Schweinegrippe (Neue Grippe) zu bekommen …“, 1 = fast null; 7 = fast sicher. Schweregrad: „Schweinegrippe ist eine schwerwiegende Erkrankung“, 1 = stimme nicht zu; 7 = stimme voll zu]. Das kognitive Risiko, nach einer Impfung mit Pandemrix Nebenwirkungen zu erleiden, wurde mit 2 analogen Fragen erfasst (Wahrscheinlichkeit: „Ich denke, wenn ich die Impfung bekomme, sind meine Chancen, dass Nebenwirkungen auftreten …“, 1 = fast null; 7 = fast sicher. Schweregrad: „Die Nebenwirkungen einer Schweinegrippe Impfung sind schwerwiegend“, 1 = stimme nicht zu; 7 = stimme voll zu). Die statistische Interaktion von Wahrscheinlichkeit und Schweregrad wird in der Folge als Schätzer für das wahrgenommene Risiko verwendet [9, 14].

Das gefühlte Risiko bezogen auf Influenza A (H1N1) und die Impfung wurden jeweils mit 3 Fragen erfasst: Angst vor der Schweinegrippe und Angst vor Nebenwirkungen („Ich habe Angst, mich mit Schweinegrippe anzustecken“, „Ich habe vor Nebenwirkungen einer Schweinegrippe-Impfung Angst“; 1 = stimme nicht zu; 7 = stimme voll zu). Analog wurden die Bedrohlichkeit („Ich fühle mich durch Schweinegrippe/Nebenwirkungen einer Impfung bedroht“) und Besorgnis erfragt („Ohne Impfung wäre ich besorgt, dass ich Schweinegrippe bekomme“/“Mit Impfung wäre ich besorgt, dass Nebenwirkungen auftreten)“.

Ergebnisse

Die Daten wurden mittels SPSS, Version 20 ausgewertet.

Zur Darstellung der Mittelwerte (Tab. 1) wurde das kognitiv vermittelte Risiko über die Multiplikation der Rohwerte der eingeschätzten Wahrscheinlichkeit mit dem erwarteten Schweregrad berechnet [9]. Angst, Bedrohlichkeit und Besorgnis in Bezug auf Influenza A (H1N1) waren erwartungsgemäß hoch miteinander korreliertFootnote 2 (Tab. 1) und wurden durch Mittelwertsbildung zum gefühlten Risiko zusammengefasst ([14]; Cronbach’s α= 0,90, für die 3 Variablen in Bezug auf Impfnebenwirkungen α = 0,94). Das kognitiv vermittelte Risiko, an Influenza A (H1N1) zu erkranken, wurde als geringer wahrgenommen als das, Nebenwirkungen nach einer Impfung zu erleiden [gepaarter t-Test: t(519) = 7,32, p < 0,001]. Ebenso verhielt es sich mit dem gefühlten Risiko: Das gefühlte Risiko, an Influenza A (H1N1) zu erkranken, wurde als niedriger wahrgenommen als das gefühlte Risiko, nach einer Impfung Nebenwirkungen zu erleiden [t (519) = 8,93, p < 0,001].

Tab. 1 Mittelwerte, Standardabweichungen und Korrelationen der Risikomaße

Das kognitiv vermittelte Risiko, an Influenza A (H1N1) zu erkranken, korrelierte zu r = 0,70 (p < 0,001) mit dem gefühlten Risiko; das kognitiv vermittelte Risiko, Impfnebenwirkungen zu erleiden, korrelierte zu r = 0,78 (p < 0,001) mit dem gefühlten Risiko.

Achtzig Prozent der Probanden (n = 416) gaben an, sich nicht gegen Influenza A (H1N1) impfen lassen zu wollen. Vor dem Hintergrund, dass Impfrisiken als höher eingeschätzt werden als die Risiken, die mit einer A (H1N1)-Infektion verbunden sind, scheint die niedrige Impfbereitschaft plausibel. Im Folgenden werden die Risikovariablen zur Vorhersage der Impfbereitschaft herangezogen.

Relativer Einfluss von kognitiv vermitteltem und gefühltem Risiko auf die Impfentscheidung

Um den relativen Einfluss des kognitiv vermittelten und des gefühlten Risikos auf die Impfentscheidung zu ermitteln, wurde eine binär logistische Regression durchgeführt. Im ersten Schritt wurde nur das kognitiv vermittelte Risiko, an Influenza A (H1N1) zu erkranken bzw. Nebenwirkungen nach einer Impfung zu erleiden, als Prädiktor in die Gleichung aufgenommen (statistische Interaktion von Wahrscheinlichkeit und Schweregrad). Im zweiten Schritt wurde zusätzlich das gefühlte Risiko mit aufgenommen (Mittelwert aus Angst, Bedrohlichkeit und Besorgnis). In allen Regressionen wurden die Prädiktoren zunächst z-standardisiert. Eine Veränderung um eine Einheit im Prädiktor bedeutet demnach eine Veränderung um eine Standardabweichung in der unstandardisierten Variable.

Im ersten Schritt zeigt sich, dass die beiden kognitiven Risikovariablen signifikant die Impfintention vorhersagten [kognitiv vermitteltes Risiko, an Influenza A (H1N1) zu erkranken: B = 0,26, Wald = 6,34, p = 0,01; kognitiv vermitteltes Risiko, an Impfnebenwirkungen zu leiden: B = −0,21, Wald = 4,07, p = 0,04; Nagelkerkes R2 = 0,03]. Abb. 1 visualisiert die Ergebnisse des zweiten Schritts [Odds Ratios mit 95%-Konfidenzintervall (KI); Nagelkerkes R2 = 0,34]: Die beiden Prädiktoren des kognitiv vermittelten Risikos waren nicht mehr signifikant [Influenza A (H1N1): B = 0,07; Impfnebenwirkungen: B = −0,16, ps > 0,21], die beiden Prädiktoren gefühltes Risiko sagten die Impfbereitschaft jedoch signifikant vorher (H1N1: B = 1,41, Wald = 73,20, p < 0,001; Impfnebenwirkungen: B = −1,05, Wald = 36,65, p < 0,001). Die Schätzer waren zu maximal |0,57| korreliert; von einer Multikollinearität muss demnach nicht ausgegangen werden.

Abb. 1
figure 1

Relativer Einfluss von kognitivem und affektivem Risiko auf die Impfbereitschaft (dargestellt sind Odds Ratios mit 95%-Konfidenzintervallen)

Die Ergebnisse zeigen, dass kognitiv vermittelte Risikovariablen die Impfbereitschaft vorhersagen können. Jedoch steigt die gesamte Varianzaufklärung deutlich an, wenn auch affektive Variablen zur Vorhersage herangezogen werden. Ferner ist der Einfluss des gefühlten Risikos stärker als der Einfluss des kognitiv vermittelten Risikos. Am deutlichsten wirkt sich das gefühlte Risiko in Bezug auf Influenza A (H1N1) auf die Impfbereitschaft aus (s. auch [24]; Abb. 1).

Angst als Prädikator für und gegen die Impfentscheidung

Wie in der Einleitung dargelegt, verdient Angst eine gesonderte Betrachtung. Daher wurde die Analyse mit den Prädikatoren kognitiv vermitteltes Risiko und Angst wiederholt [Angst vor Influenza A (H1N1) und vor Impfnebenwirkungen]. Die Ergebnismuster gleichen dem oben berichteten Muster [kognitives Risiko Influenza A (H1N1): B = 0,18, Wald = 2,41, p = 0,12; Impfnebenwirkungen: B = −0,20, Wald = 2,75, p = 0,10; Angst vor Influenza A (H1N1): B = 1,05, 55,36, p < 0,001; Angst vor Impfnebenwirkungen: B = −0,80, Wald = 27,92, p < 0,001; maximale Korrelation der Schätzer: |0,55|]. Das heißt: Die kognitiv vermittelte Risikoeinschätzung sagt die Impfbereitschaft wieder nur in einem geringen Maße vorher; stärkere Prädiktoren sind die Angst vor Influenza A (H1N1) und die Angst vor Impfnebenwirkungen; diese erhöhen bzw. verringern die Impfbereitschaft. Stärkster Prädiktor ist wieder die Angst vor Influenza A (H1N1).

Was bedeutet dies nun konkret für die Impfbereitschaft? Abb. 2 veranschaulicht die Impfbereitschaft als Funktion der Angst: Sie zeigt die Impfbereitschaft über das Spektrum der Angst vor Influenza A (H1N1) getrennt für Personen mit mittlerer bis hoher (≥3) und geringer Angst vor Impfnebenwirkungen (< 3; Median = 3). Die Abbildung verdeutlicht, dass steigende Angst vor Influenza A (H1N1) auch die Impfbereitschaft erhöht. Jedoch verdeutlicht sie auch (anhand der dargestellten 95%-KI), dass sich die Impfintentionen von Personen mit geringer und hoher Angst vor Nebenwirkungen über das gesamte Spektrum der Angst vor Influenza A (H1N1) signifikant voneinander unterscheiden: Selbst wenn diese Angst sehr groß ist, senkt die Angst vor Nebenwirkungen die Impfintention immer noch signifikant.

Abb. 2
figure 2

Durch die Regression vorhergesagte Impfbereitschaft [nach Angst vor Influenza A (H1N1) und Angst vor Impfnebenwirkungen]. Dargestellt sind die durch das Regressionsmodell vorhergesagten Werte

Diskussion

Die Ergebnisse der hier dargestellten Studie demonstrieren, dass das gefühlte Risiko, das als eine Gefühlslage verstanden wird, die von Angst, Bedrohlichkeit und Besorgnis bestimmt ist, ein zusätzlicher und vergleichsweise starker Prädikator für bzw. auch in erheblicher Weise gegen die Impfbereitschaft sein kann: Ein hohes gefühltes Risiko, an Influenza A (H1N1) zu erkranken, erhöhte die Impfbereitschaft deutlich und war stärkster Prädiktor; ein hohes gefühltes Impfrisiko reduzierte die Impfbereitschaft. Dies gilt in gleicher Weise auch für Angst, wie deren separate Betrachtung gezeigt hat. Insgesamt ist festzuhalten, dass eine eher nüchterne, kognitive Bewertung eines Risikos (hinsichtlich seiner Eintrittswahrscheinlichkeit und seines Schweregrades) keine Vorhersagekraft mehr hat, sobald Angst bzw. das gefühlte Risiko als Prädiktor in die Analyse aufgenommen wurden (vgl. [14]).

Einschränkungen der Studie

Die Stichprobe bestand zu einem Großteil aus Studenten. Eine Übertragbarkeit der Ergebnisse auf die Gesamtbevölkerung ist demnach nur unter Vorbehalt möglich. Die Hypothesen und Modelle, die der Studie zugrunde liegen, basieren jedoch auf psychologischen Prozessen, die sich zwischen Studenten und anderen Teilen der Bevölkerung kaum unterscheiden dürften. Wir gehen daher davon aus, dass der Befund, dass das Schutzverhalten in einer Ausbruchssituation stärker von affektiven als von kognitiven Risikoaspekten beeinflusst wird, auch auf andere Teile der Bevölkerung generalisierbar ist.

Ferner stellt sich die Frage nach der Abgrenzbarkeit der verschiedenen Risikokonzepte. Es handelt sich hierbei um eine theoretische Abgrenzung [12, 13, 14]. Innerhalb einer Domäne können die Konzepte positiv miteinander korreliert sein, d. h. ein kognitiv vermitteltes hohes Risiko kann auch mit einem hohen gefühlten Risiko einhergehen [25]. Dies ist in der vorliegenden Studie der Fall. In anderen Domänen oder Situationen kann es auch zu divergierenden Risikoeinschätzungen kommen (z. B. hohe Angst und niedrige Risikoeinschätzung in Bezug auf die Vogelgrippe [26]). Tab. 1 zeigt die Interkorrelationen aller in der Studie erhobenen Risikovariablen. Es zeigt sich, dass die Korrelation innerhalb der Konstrukte (verdeutlicht durch die Kästen) tendenziell höher ist als die Korrelationen in denselben Spalten außerhalb der Kästen (also mit Variablen, die zu anderen Konstrukten gehören). Das heißt, es gibt einen größeren Zusammenhang mit Variablen, die dasselbe theoretische Konstrukt messen, als mit Variablen, die ein anderes theoretisches Konstrukt messen. Ferner weist die fehlende Multikollinearität darauf hin, dass die Konzepte auch empirisch ausreichend trennbar sind.

Bedeutung der Ergebnisse für die Krisenkommunikation

Im Folgenden werden die Ergebnisse der Studie hinsichtlich ihrer Bedeutung für die Krisenkommunikation diskutiert. Insbesondere wird erörtert, ob Furchtappelle dazu geeignet sind, die Impfbereitschaft zu erhöhen.

Angst als Instrument in der Krisenkommunikation?

Viele Experten lehnen in Post-hoc-Bewertungen vergangener Krisen die bewusste Erzeugung von Angst z. B. vor der ausbrechenden Krankheit strikt ab oder vernachlässigen ihren potenziellen nützlich-instrumentellen Charakter (z. B. nach den H1N1-, EHEC-, SARS-, H5N1-Ausbrüchen; [27, 28, 29, 30]). Dies wird z. B. in der Äußerung des Direktors des Öffentlichen Gesundheitsdienstes von Chicago deutlich: „It is our job to keep people from fear. Worry kills more than the disease“ [27]. Die in den zitierten Artikeln vorgenommenen Post-hoc-Bewertungen sind nicht evidenzbasiert und repräsentieren eher die Meinungen der Autoren bzw. spiegeln ihre moralische-ethische Weltanschauung [31]. Krisensituationen sind naturgemäß schwer zu beforschen, da sie unvorhersehbar sind, aufgrund der Dringlichkeit ad hoc viel und divers kommuniziert wird und sich Sachverhalte in einer solchen Situation sehr schnell ändern können. Entsprechende Situationen lassen sich für Forschungszwecke nur schwer nachstellen, und die Feldforschung in der Krise krankt an der Kontrollierbarkeit der Bedingungen. Für evidenzbasierte oder -informierte Entscheidungen sind daher Studien wie die vorliegende Studie von großer Bedeutung. Ihre Ergebnisse zeigen, dass eine gewisse Angst vor der ausbrechenden Krankheit Schutzverhalten befördern kann. Auf Basis ähnlicher Befunde aus Asien fordern Wong und Sam [16], Furchtappelle auch in der Krisenkommunikation nicht kategorisch abzulehnen. Eine Metaanalyse zur Wirkung von Furchtappellen zeigt, dass sie am ehesten eine Verhaltensveränderung bewirken, wenn sie starke Angst auslösen und der Bürger gleichzeitig die Überzeugung hat, dass er sich schützen kann – dies wird beispielsweise dadurch erreicht, dass auch Bewältigungsmaßnahmen mit kommuniziert werden (z. B. Informationen darüber gegeben werden, wo man sich impfen lassen kann, was die Impfung kostet etc. [32]). Die Entscheidung für oder gegen einen Furchtappell scheint also eher eine prinzipielle Entscheidung zu sein. In einer aktuellen WHO-Kommunikationsrichtlinie für Ausbruchssituationen wird vorgeschlagen, auf die bereits bestehenden Ängste der Bevölkerung einzugehen und sie nicht weiter zu schüren [26], auch um Vertrauen und Glaubwürdigkeit nicht zu verspielen. An dieser Stelle ist weiterer Forschungsbedarf festzustellen, insbesondere zum Effekt von Furchtappellen auf die Glaubwürdigkeit der Kommunikatoren.

Angst essen Impfbereitschaft auf?

Die hier vorgestellte Studie hat gezeigt, dass die Angst vor einer Impfung die Impfintention immer noch signifikant senkt, und zwar selbst dann, wenn die Angst vor der ausbrechenden Krankheit sehr groß ist (vgl. Abb. 2). Das heißt: Selbst wenn (mithilfe eines Furchtappells oder ohne) die Angst der Bevölkerung vor einer Infektionskrankheit hoch ist, sollten kommunikative Maßnahmen ergriffen werden, um die Angst vor der Impfung zu reduzieren. Da Angst vor Impfungen aus Unwissenheit oder Fehlinformationen resultieren kann [2], gehört es zu einer gelungenen Krisenkommunikation, kursierendes Falschwissen oder Gerüchte früh zu erkennen und aktiv zu dementieren bzw. richtigzustellen [33, 34, 35, 36].

Möglicherweise wird der Kampf gegen eine Influenzapandemie aber auch zwischen den Pandemien gewonnen – durch Erhöhung der Impfquoten gegen die saisonale Influenza. Eine solche sieht auch der Global Action Plan for Influenza Vaccines der WHO vor [37]. Das vergangene saisonale Influenzaimpfverhalten einer Person zeigte sich in verschiedenen Studien als ein starker oder sogar der stärkste Prädiktor für das pandemische Impfverhalten [38, 39]. Beispielhaft wird diese Strategie in den USA umgesetzt: Seit 2010 besteht eine Influenzaimpfempfehlung für alle Altersgruppen ab dem 6. Lebensmonat. Bisherige Bewertungen dieser Maßnahme fallen positiv aus sowohl mit Blick auf die Impfraten als auch auf die Verringerung influenzabedingter Notfallaufnahmen [38]. Ob sich eine flächendeckende Impfempfehlung generell auf die Wahrnehmung von Impfrisiken und auf die Impfraten auswirkt [40], sollte jedoch engmaschig untersucht werden.

Fazit

Ein aktives Monitoring (z. B. über Suchmaschinen wie Google [41] oder Social Media Websites wie Twitter [42], vgl. auch [4]) vorhandener Ängste – ob vor der Krankheit oder vor einer Impfung – birgt die Chance, den Grad an Angst in der Bevölkerung zu tarieren, und sollte fester Bestandteil des Krisenmanagements sein. Kommunikationsstrategien, die aus prinzipiellen (moralischen, ethischen, politischen) Überlegungen nicht auf Furchtappelle setzen möchten, könnten auf die Weise zumindest die Angst vor dem Impfen senken und somit das Impfverhalten positiv beeinflussen.