Zusammenfassung
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1.
Es wurden partielle Tectum-opticum-Exstirpationen bei Carassius (gibelio?) durchgeführt und in anschließenden Dressurversuchen mit Raster- und Punktmustern das Lernvermögen sowie in Transpositionstests die Fähigkeit geprüft, Erlerntes in Abwandlungen wiederzuerkennen.
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2.
Die Rolle des Tectum opticum als Zentrum für höhere Assoziationsleistungen (Lernvorgänge und Transpositionen) konnte bestätigt werden: die erlernten Reaktionen auf optische Muster überdauern Mittelhirnoperationen verschiedenen Ausmaßes nicht.
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3.
Nach beidseitiger Exstirpation von 20–75% des Tectum opticum und nach Ausheilung der Operationswunden unter teilweiser Regeneration von Faserzügen, die meist unnormal, in manchen Fällen auch wirr verlaufen, vermögen Karauschen optische Muster neu zu erlernen und das Erlernte z. T. in weitgehenden Abwandlungen wiederzuerkennen.
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4.
Operierte Vt benötigen im Durchschnitt 36% mehr Dressurversuche bis zum statistisch gesicherten Lernerfolg als normale Kontrolltiere. Bei einigen Fischen sind an dieser Lernzeitverlängerung wahrscheinlich Valvula-Läsionen mitbeteiligt.
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5.
In den Punktmuster-Transpositionen sind die Operierten den Kontrollfischen unterlegen. In den Raster-Transpositionen ist er aber umgekchrt (vgl. dazu Nr. 12, unten, und Kapitel D 1).
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6.
Die postoperativ feststellbaren zentralnervösen Leistungsausfälle laufen dem Ausmaß der Läsion parallel.
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7.
Die Befunde bestätigen die Massenregel Lashleys und sprechen gegen eine strenge Lokalisation der Assoziationsvorgänge.
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8.
Valvula-Läsionen sind mit allgemeinen Retardationserscheinungen im Verhalten korreliert.
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9.
Extreme Seitenstetigkeit kann durch einseitige Läsion des Tectum oder des Tegmentum sowie Sehkraftminderung verursacht sein.
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10.
Wundheilungs- und Regenerationsprozesse im Gehirn von Carassius sind nach etwa 4 Wochen größtenteils abgeschlossen.
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11.
Die Regenerationsvorgänge vollziehen sich vielfach inadäquatIn Regenerate eingewachsene Fasern verlaufen oft unnormal oder auch völlig wirr. Eine Vermehrung der Neuronen konnte nicht festgestellt werden.
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12.
Das Problem relativen und absoluten Lernens bei Rasterbreiten-Transpositionen wird unter dem Gesichtspunkt höherer oder niedrigerer cerebraler Leistungsfähigkeit diskutiert.
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Botsch, D. Dressur- und Transpositionsversuche bei Karauschen (Carassius, teleostei) nach partieller Exstirpation des Tectum opticum. Zeitschrift für vergleichende Physiologie 43, 173–230 (1960). https://doi.org/10.1007/BF00339838
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