Das Jahr 2012 ist das Schicksalsjahr für den Gestationsdiabetes (GDM) in Deutschland. Ab dem 03.03.2012 hat der Gesetzgeber im Rahmen der Mutterschaftsrichtlinie ein verbindliches Vorgehen für Screening und Diagnostik auf GDM für alle Schwangeren eingeführt. Damit wurde eine seit Jahrzehnten andauernde Auseinandersetzung beendet und endlich das unzuverlässige Uringlukosescreening durch das lange vergeblich geforderte Blutglukoseverfahren ersetzt.

Vor 30 Jahren noch wurde der GDM als Krankheitsentität infrage gestellt und belächelt. Schlimmer noch: Es wurde die Auffassung vertreten, der GDM sei eine erfundene Krankheit, die sowohl den Versorgern selbst zugeschusterte Einnahmen sichern als auch die Schwangerschaften ungerechtfertigt mit dem Stempel der Morbidität versehen würde. Gestationsdiabetes als Stigma: Den werdenden Müttern werde die Freude an einer natürlichen und unbeschwerten Schwangerschaft genommen. Die deutschen Hebammenverbände halten auch weiter an diesem Dogma fest.

Mit Veröffentlichung der randomisierten Interventionsstudien Australian Carbohydrate Intolerance Study (ACHOIS) 2005 und der nordamerikanischen Mild-GDM-Studie 2009 konnte belegt werden, dass durch Kontrolle der mütterlichen Blutglukosewerte im Vergleich zur üblichen Standardversorgung der Schwangeren ein besseres Ergebnis für die Neugeborenen und die Mütter erzielt wird. Je höher die Blutglukosewerte im oralen Glukosetoleranztest, umso mehr Komplikationen für Mutter und Kind – dies zeigte auch die epidemiologische Studie Hyperglycemia and Adverse Pregnancy Outcome (HAPO) aus 2008. Eine international vernetzte Arbeitsgemeinschaft legte daraufhin durch wissenschaftlich fundierten Konsens die neuen diagnostischen Grenzwerte für den GDM fest. Diese sind seit 2011 in der deutschen Leitlinie zum GDM verankert. Außerdem halten Screening, Diagnostik, Therapie und Nachsorge der Mütter mit den neuen Grenzen einer positiven Kosten-Nutzen-Bewertung stand.

Die diagnostischen Grenzen des Gestationsdiabetes sind gesetzt

Die diagnostischen Grenzen des GDM sind gesetzt – nun können weitere Therapien wissenschaftlich überprüft werden. Ziel ist eine individuelle, risikoangepasste Intensität von Überwachung und Therapie: Für evidenzbasierte Entscheidungen im Verlauf von Schwangerschaften mit GDM ist weniger oft mehr.

Dieses Schwerpunktheft von Der Diabetologe beschäftigt sich mit Gegenwart und Zukunft des GDM. Zur Diagnose des GDM ist eine möglichst gute Messung der venösen Blutglukosekonzentrationen erforderlich. Prof. Theodor Koschinsky, München, analysiert das richtige Vorgehen bei Laborversand und nimmt die Leistungsfähigkeit heute erhältlicher „Point-of-care-test“(POCT)-Systeme unter die Lupe. Prof. Franz Kainer, München, erläutert das diabetologische und geburtshilfliche Management des GDM und zeigt, welche Rollen Diabetologen und Perinatalmediziner dabei spielen und warum beide von ihrer Zusammenarbeit profitieren. Prof. Gernot Desoye, Graz, beschreibt erstmals im deutschen Sprachraum das europäisch geförderte Projekt Vitamin D And Lifestyle Intervention for Gestational Diabetes Mellitus (DALI) zur Prävention des GDM und die hierfür tragenden Gründe. Wir selbst haben die inzwischen zahlreichen Sekundäranalysen der HAPO-Studiengruppe gesichtet, um sie einer breiteren Fachöffentlichkeit zur Kenntnis zu bringen. Mit Interpretationen halten wir uns zurück; die Leser mögen sich ihr eigenes Urteil bilden.

Gestationsdiabetes ist Prädiabetes – diese Glukosetoleranzstörung in der Schwangerschaft zu verhindern, ist das Ziel. Solange dieses Ziel nicht erreicht ist, müssen wir den GDM rechtzeitig diagnostizieren und angemessen behandeln.

H. Kleinwechter

U. Schäfer-Graf