Psychodynamische Langzeittherapien haben innerhalb der gegenwärtigen universitären Psychiatrie keinen leichten Stand, wie z. B. die Kritik von Rief u. Hofmann (2009) an der Arbeit von Leichsenring u. Rabung (2008) zeigt. Gleichwohl gibt es seit längerer Zeit und auch ganz aktuell an der psychodynamischen Psychotherapie psychotischer Störungen ein großes Interesse von Patienten und von ihren behandelnden Psychiatern, die häufig Empfehlungen aussprechen. Dieser Schwerpunkt der psychodynamischen Psychosentherapie mit den nachfolgenden fünf Beiträgen gibt einen Überblick über die psychotherapeutischen Behandlungsmöglichkeiten psychotischer Störungen auf der Grundlage psychoanalytischer Konzepte und er will das Interesse für neuere Behandlungskonzepte wecken. Er bezieht außerdem aktuelle Entwicklungen ein, die nicht direkt als psychodynamisch zu betrachten sind, aber Ergebnisse im Hinblick auf konstruktive Verbindungen zu psychodynamischen Therapien bei Psychosen liefern.

In den Arbeiten von Nowack et al. sowie von Schwarz wird auf solche aktuellen Entwicklungen hingewiesen. Nowack et al. schildern die 2011 erfolgte Gründung von „ISPS-Germany“. ISPS heißt neuerdings „The International Society for the Psychological and Social Approaches to Psychosis“. Diese Gruppierung hat eine inzwischen fast 40-jährige Vorgeschichte. Sie geht auf die von Werner Greve 1975 gegründete Arbeitsgruppe zurück, die sich mit der gruppentherapeutischen Behandlung sog. frühgestörter Patienten befasste und sich dabei auch mehr und mehr allgemein auf die Psychotherapie psychotisch Erkrankter einließ. Ihre Aktivitäten schlugen sich dann in einer Reihe interessanter Publikationen nieder. Mitglieder dieser Gruppe waren auch wesentlich an der Gründung der „überregionalen Weiterbildung in analytischer Psychosentherapie“ in München beteiligt, von der wichtige Impulse in Richtung eines verstärkten Austauschs und einer regelmäßigen Kooperation von Psychosetherapeuten im deutschsprachigen Raum ausging.

In der Übersicht von Schwarz wird ebenfalls auf die ISPS als eine weltweit organisierte Gesellschaft Bezug genommen, die sich mit der Behandlung von Psychosen befasst und u. a. einen ausgeprägten psychodynamischen Schwerpunkt hat. Regelmäßige Publikationen der ISPS berichten über wichtige Trends in der psychodynamischen Psychotherapie von Psychosen sowie auch über neuere Forschungsergebnisse aus anderen Richtungen, durch die bedeutsame psychodynamische Positionen bestätigt werden. Was die psychodynamische Psychotherapie von Psychosen im engeren Sinne betrifft, fokussiert diese Übersicht stark auf die für Psychosen entsprechend modifizierte analytische Psychotherapie als Einzelbehandlung und Langzeittherapie. Sie stellt ihre wesentlichen Bedingungen dar und vergleicht sie mit der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie sowie mit einer niederfrequenten Einzelbehandlung. An psychodynamischen Grundlagen werden die verschiedenen psychoanalytischen Konzepte für das Verständnis eines Zugangs zur Psychosentherapie und zwar sowohl für die schizophrenen und verwandten Psychosen als auch für die schweren affektiven Störungen skizziert. Analytische Gruppenpsychotherapie und eine für das stationäre Setting besonders gut geeignete tiefenpsychologisch fundierte Gruppenarbeit werden ebenfalls besprochen sowie auch die psychoanalytische Familientherapie bei psychotischen Patienten.

Die Arbeit von Lempa und von Haebler vertieft die Behandlungstechnik bei der analytischen Psychotherapie von Psychosen und bietet einen „Werkzeugkasten“ für diese spezifische Behandlung an. Hinter dieser Bezeichnung verbirgt sich die sehr feinsinnige und stimmige Beschreibung eines therapeutischen Vorgehens, das zahlreiche zentrale Behandlungssituationen und einen für Psychosepatienten günstigen Umgang damit darstellt. Die verschiedenen therapeutischen Haltungen, die einem hohen psychoanalytischen Standard entsprechen, sind mit weitgespannten entwicklungspsychologischen Überlegungen nachvollziehbar begründet und unmittelbar einleuchtend. Es sind so wichtige theoretische Modelle auf die praktische Behandlung psychotisch gestörter Patienten anhand des praktischen Vorgehens lebendig veranschaulicht.

Der Beitrag von Müller befasst sich differenziert und mit einem theoretischen Akzent mit Übertragungsvorgängen in der Psychosentherapie; hierbei nimmt der Autor zunächst eine Definition der Termini vor, die in diesem Zusammenhang relevant sind. Dann hebt er den Stellenwert der psychotischen Übertragung für den therapeutischen Prozess hervor und unterscheidet Autoren, die auf Schwierigkeiten hinweisen, die sich aus psychotischen Übertragungsvorgängen ergeben bzw. die sie als Komplikation auffassen mit der Konsequenz, dass die therapeutische Arbeit in und mit der psychotischen Übertragung abgelehnt wird. Eine Förderung der Entstehung solcher Übertragungen wie bei der Neurosenbehandlung sei deshalb zu vermeiden. Andere Autoren hingegen schätzten die psychotische Übertragung als positiv für den therapeutischen Prozess ein. Die verschiedenen theoretischen Positionen fasst der Beitrag dann zu einer Empfehlung für die therapeutische Praxis zusammen.

Die Arbeit von Bock et al. erscheint im Zusammenhang mit der psychodynamischen Psychosentherapie insofern wichtig, als sie sich dem Thema von der sozialpsychiatrischen Seite nähert. Wir haben es zwar nicht wie bei den anderen Beiträgen mit intensiven psychotherapeutischen Langzeitkontakten zu tun, die einen tiefgehenden Zugang zum Erleben der Patienten ermöglichen, aber die ausführlichen wertschätzenden Auseinandersetzungen mit den Patienten und ihren Angehörigen im Rahmen des sog. Trialogs sowie die Betonung der Individualität der Patienten und die Beschäftigung mit ihrer speziellen Lebensgeschichte sind sehr hilfreich beim Aufbau des Selbstwertgefühls der Kranken und bei einer besseren Verständigung mit ihren Angehörigen. Es werden v. a. auch Selbstheilungskräfte in den betroffenen Familien mobilisiert und es wird ein Beitrag zur Verringerung der Stigmatisierung der Patienten und ihrer Familien geleistet. Der Förderung einer aktiven Bewältigung psychotischer Erkrankungen dürfte sicherlich auch dazu beitragen, dass Impulse zur eigenen Mitarbeit schließlich auch im Rahmen einer psychodynamischen Psychotherapie, für die manchmal beim ersten direkten Anlauf sonst die Hemmschwelle zu hoch sein kann, gesetzt werden.