Hintergrund

Die Schlüsselrolle eines frühen Einstiegs in das regelmäßige Rauchen für eine lebenslange Abhängigkeit und für die Entwicklung zum starken Raucher ist bekannt. Ferner konnte ein Zusammenhang zwischen einfacher Verfügbarkeit von Tabakprodukten, einem frühen Erstkonsum und hohen Rauchprävalenzen bei Jugendlichen mehrfach nachgewiesen werden [1, 2, 3, 4].

Als ein Grund für das sich hierzulande weiter vorverlagernde Einstiegsalter und die im internationalen Vergleich noch immer überdurchschnittliche Rauchprävalenz wird die einfache Verfügbarkeit von Zigaretten durch die flächendeckende Präsenz von Zigarettenautomaten diskutiert: Bis zum Jahr 2007 ermöglichten deutschlandweit etwa 700.000 Zigarettenautomaten rund um die Uhr den ungehinderten Zigarettenkauf [5]. Ein Großteil der Zigarettenautomaten war hierbei in öffentlich zugänglichen Bereichen (zum Beispiel an Hauswänden, Parks, Fußgängerzonen, an Spiel- und Sportplätzen) angebracht und damit jeglichen Kontrollmöglichkeiten entzogen. Rechnerisch stand bundesweit ein Automat für 16 Jugendliche bereit [6]. Damit waren „Zigaretten in Deutschland leichter erhältlich als Grundnahrungsmittel, da sie unabhängig von Ladenöffnungszeiten jederzeit bezogen werden können“ [7]. Als deutsche Besonderheit kommt hinzu, dass in vielen Fällen direkt neben den Zigarettenautomaten Kaugummi- und Süßigkeitenautomaten montiert sind, wie Abb. 1 zeigt.

Abb. 1
figure 1

Typische Konstellation eines Außenautomaten in direkter Nähe zu einem Süßwarenautomaten in Ludwigshafen am Rhein, Februar 2009

Eine Änderung des Jugendschutz-Gesetzes (JuSchG §§ 10) sollte diese Sucht fördernde und gesundheitsbedrohliche Situation beenden: Zum 1.1.2007 wurde ein kartengestütztes Autorisierungssystem als technische Jugendschutzvorkehrung eingeführt. Die Freischaltung des Automaten erfolgt seit 2007 etwa durch Einführung eines Führerscheines oder einer Bankkarte, auf der jeweils das Alter des Karteninhabers gespeichert ist. Diese technische Vorrichtung sollte es Kindern und Jugendlichen künftig unmöglich machen, an öffentlich zugänglichen Automaten Zigaretten zu beziehen. Zum Jahresbeginn 2007 wurde diese Altersgrenze zunächst auf 16 Jahre festgelegt und zum Jahresbeginn 2009 schließlich auf 18 Jahre erhöht.

Aufgrund fehlender amtlicher Daten und restriktiver Informationspolitik der Automatenaufsteller und der Zigarettenindustrie ist bis heute nicht bekannt, welche Wirkungen diese gesetzliche Regelung auf Anbieter- und Nachfragerseite zeigte. Dies wäre aber wichtig, um den Erfolg einer solchen, auch in vielen anderen Nationen erwogenen Maßnahme bewerten zu können. Konkret standen deswegen folgende Fragestellungen im Mittelpunkt unserer Studie: Hat sich durch die Altersbeschränkung die Zahl der Zigarettenautomaten und der sonstigen Tabak-Points-of-Sale (Tabak-POS) verändert (Anbieterreaktion)? Hat sich auch das Bezugsverhalten der unter 16-Jährigen verändert (Nachfragerreaktion)?

Am Beispiel der deutschen Großstadt Köln wurde dazu eine longitudinale Vollerhebung unter Verwendung eines Geographischen Informations-Systems (GIS) durchgeführt. Parallel wurde das Bild durch eine klassische Schülerbefragung komplettiert.

Methoden

Erfassung der Anbieterreaktion

Die SToP-Study (Sources-of-Tobacco-for-Pupils-Study) [8] besteht aus zwei Erhebungswellen und wurde in Köln durchgeführt. Innerhalb des Stadtgebietes wurden zunächst zwei Untersuchungsgebiete auf Basis sogenannter Sozialräume definiert. Das Konzept des „Sozialraumes“ stammt aus der Geografie. Es orientiert sich kleinräumig an natürlichen, administrativen oder historischen Grenzen und fasst sozioökonomisch und demografisch homogene Viertel zu Sozialräumen zusammen. Dazu wurde die vom Statistischen Amt der Stadt Köln entwickelte Stadtteil- und Sozialraumsystematik verwendet [9, 10]. Zum einen wurden sieben Sozialräume im Stadtteil Mülheim und zum anderen sechs Sozialräume im Stadtteil Lindenthal ausgewählt. Bei der Auswahl wurde darauf geachtet, dass beide Stadtteile in sich homogen, etwa gleich groß sind und etwa gleich weit vom Zentrum entfernt liegen: Köln-Mülheim umfasst sieben Sozialräume auf einer Fläche von 7,7 qkm mit 3265 Wohngebäuden, 21.301 Haushalten und 40.805 Einwohnern. Köln-Lindenthal besteht aus sechs Sozialräumen und hat eine Fläche von 7,1 qkm mit 3497 Wohngebäuden, 17.522 Haushalten und 30.031 Einwohnern [11]. Köln-Mülheim ist 4,3 km, Köln-Lindenthal 6,1 km vom Stadtzentrum entfernt. Ferner sollten sich beide Stadtteile bezüglich sozialer Indikatoren deutlich unterscheiden: Die sieben Sozialräume von Mülheim wiesen überdurchschnittliche Arbeitslosenquoten (6% zu 13%) und Sozialhilfequoten (5% zu 19%) auf. Dagegen lagen in den sechs Sozialräumen von Köln-Lindenthal die Arbeitslosenquoten (1% zu 3%) und die Sozialhilfequoten (0% zu 1%) unterhalb des Durchschnittes der Stadt Köln.

Im Rahmen dieses natürlichen, longitudinalen Experimentes wurden sämtliche Tabak-POS (Automaten und andere POS) innerhalb dieses Untersuchungsgebietes erfasst und mit einem Geographischen Informations-System (GIS) visualisiert [12, 13]. Die Zielgröße „Tabak-POS“, nämlich Standorte von Zigarettenautomaten und sonstigen Tabakbezugsquellen, wurden im Rahmen einer zweimaligen vollständigen Begehung durch zwei Geografinnen lokalisiert und geokodiert. Zum ersten Mal im Oktober 2005 und zum zweiten Mal im Oktober 2007 wurden dazu alle Straßen und Plätze abgelaufen oder in Schrittgeschwindigkeit mit dem Fahrrad abgefahren. An Kiosken wurde der Zigarettenverkauf mündlich erfragt. Zusätzlich zu allen Zigarettenautomaten im Außenbereich (zum Beispiel an Hauswänden) wurden auch alle Zigarettenautomaten im Innenbereich gastronomischer Einrichtungen erfasst. Das Zigarettenangebot an sonstigen Standorten (zum Beispiel in Supermärkten, Baumärkten, Tabakläden und Tankstellen) wurde durch eine visuelle Kontrolle des Kassenbereichs und durch Nachfragen ermittelt. Um Erfassungsfehler auszuschließen, wurden im Jahr 2007 hinzugekommene oder entfallene Standorte durch eine Post-hoc-Befragung des Gaststätten- oder Ladenpersonals zur Situation 2005 validiert. Damit stellt die Studie eine Vollerhebung dar.

Die Digitalisierung und Geokodierung erfolgte mit dem GIS-Programm ESRI®ArcMapTM (ESRI, Redlands/California, USA, ArcGISTM 9.2). Als Grundlage für die Übertragung der Kartierungsergebnisse in ein GIS wurden digitale Ausschnitte der Deutschen Grundkarte (DGK5) als Rasterdaten verwendet.

Erfassung der Nachfragerreaktion

Während die Veränderungen auf der Angebotsseite mittels geografischer Methoden sichtbar gemacht wurden (Anbieterreaktion), sollte eine zusätzliche Schülerbefragung das Bild komplettieren und Veränderungen bei der Nachfrage verdeutlichen (Nachfragerreaktion). Ergänzend wurde deshalb in beiden Untersuchungsgebieten eine Schülerbefragung durchgeführt. Die anonyme Befragung erfolgte mittels standardisierter Fragebögen.

Der Fragebogen wurde zuvor zusammen mit drei Lehrern entwickelt und einem Pretest an 68 Schülern in Karlsruhe unterzogen. Den Autoren wurde vom „Amt für Kinder, Jugendliche und Familie“ der Stadt Köln eine Liste aller in den beiden Untersuchungsgebieten liegenden allgemeinbildenden Schulen inklusive der Adressinformationen zur Verfügung gestellt. Vier der elf Schulen waren zur Teilnahme bereit (eine von drei Hauptschulen, eine von drei Realschulen und zwei von fünf Gymnasien).

Neben dem Einverständnis der Schulleitung, der Lehrer und der zu befragenden Schüler wurde ein Alter zwischen zwölf und 15 Jahren als Einschlusskriterien definiert. Juristisch ist bei anonymen Schülerbefragungen keine zusätzliche Einwilligung der Eltern und kein Ethikvotum erforderlich [§ 120(4) des Nordrhein-Westfälischen Schulgesetzes]. Insgesamt nahmen 32 Schulklassen und somit 824 Schüler der Klassenstufen 7 bis 9 teil. Darunter waren 780 Schüler unter 16 Jahre alt. Die Netto-Rücklaufquote lag bei 82,8%. Die Feldphase erstreckte sich von Dezember 2007 bis Januar 2008.

Zunächst wurde der aktuelle Rauchstatus erfragt. Um diese Angaben nachträglich anhand von Proxyangaben validieren zu können, wurden alle – auch die Nichtraucher – gebeten, zusätzlich den prozentualen Raucheranteil in ihrer Klasse zu schätzen. Die Validität der Selbstangaben zum Rauchverhalten wurden mittels des Inter Class Coeffizienten ICC mit den Proxyangaben verglichen. Die rauchenden Schüler wurden gefragt, ob die neu eingeführte Alterskontrolle ein Problem beim Rauchen darstelle, wie sie auf diese Neuregelung reagierten und über welche Quellen sie ihre Zigaretten derzeit beziehen. Alle Schüler, die zum Zeitpunkt der Erstbegehung (also bereits 2005) rauchten, sollten ihre Bezugsquellen zusätzlich auch für das Jahr 2005 retrospektiv angeben. Bei den Fragen zu den aktuellen und früheren Bezugsquellen waren Mehrfachantworten zu den möglichen Tabak-POS (Automat, Kiosk, Supermarkt, Tankstelle versus Freunde, Geschwister und Eltern) möglich. Alle Berechnungen wurden mit dem Statistikpaket SPSS 16.0 (SPSS Inc. Chicago, Illinois, USA) durchgeführt. Ein ausführlicher Methodenbericht zur SToP-Study sowie die Originalfragebögen sind andernorts veröffentlicht [14].

Ergebnisse

Anbieterreaktion

Räumliche Verteilung der Tabak-POS

Die räumliche Verteilung der Tabak-POS in den Jahren 2005 und 2007 verdeutlichen die GIS-basierten Karten (Abb. 2 und Abb. 3). Man erkennt die nahezu ubiquitäre Verfügbarkeit von Zigaretten. Von jedem beliebigen Punkt aus waren es maximal wenige hundert Meter bis zum nächsten Tabak-POS. Ferner zeigt sich, dass sich die Tabak-POS entlang verkehrsgünstiger Standorte perlenkettenartig aufreihen. Dies wird bei beiden Untersuchungsgebieten insbesondere an den Innenautomaten deutlich. Diese stehen meist in Gaststätten, Imbissbuden und Schnellrestaurants, deren Standorte sich bevorzugt an den Hauptverkehrsstraßen befinden.

Abb. 2
figure 2

Sämtliche Standorte von Tabak-POS (Zigarettenautomaten und sonstigen Bezugsquellen) im Kölner Stadtteil Mülheim vor (2005) und nach (2007) Einführung der kartenbasierten Alterskontrolle für unter 16-Jährige. ○ Standort eines Tabak-POS im Jahr 2005, der im Jahr 2007 nicht mehr existierte (abgebaute Tabak-POS); ◍ Standort eines Tabak-POS, der sowohl im Jahr 2005 als auch im Jahr 2007 existierte (permanente Tabak-POS); ● Standort eines Tabak-POS im Jahr 2007, der im Jahr 2005 noch nicht existierte (neuer Tabak-POS)

Abb. 3
figure 3

Sämtliche Standorte von Tabak-POS (Zigarettenautomaten und sonstigen Bezugsquellen) im Kölner Stadtteil Lindenthal vor (2005) und nach (2007) Einführung der kartenbasierten Alterskontrolle für unter-16-Jährige. ○ Standort eines Tabak-POS im Jahr 2005, der im Jahr 2007 nicht mehr existierte (abgebaute Tabak-POS); ◍ Standort eines Tabak-POS, der sowohl im Jahr 2005 als auch im Jahr 2007 existierte (permanente Tabak-POS); ● Standort eines Tabak-POS im Jahr 2007, der im Jahr 2005 noch nicht existierte (neuer Tabak-POS)

Im nächsten Schritt wurden die Standortveränderungen der Tabak-POS in Beziehung zu den Schulstandorten gesetzt. Wesentlich leichter als in der Einzelsymbol-Darstellung macht eine sogenannte „geografische Interpolation“ Veränderungen in der Automatendichte sichtbar (Abb. 4). So signalisieren rote Flächen Bereiche mit neu hinzugekommenen, grüne Flächen Bereiche mit entfallenen Tabak-POS (zum Beispiel demontierte Automaten). In beiden Stadtteilen waren Außenautomaten vom Schulgelände aus ebenso gut erreichbar wie kontrollierte Verkaufspunkte. Weder im Jahr 2005 noch im Jahr 2007 musste ein Schüler weiter als 400 m gehen, um einen Außenautomaten zu erreichen.

Abb. 4
figure 4

Interpolation der Standortdichte von Tabak-POS (Zigarettenautomaten und sonstigen Bezugsquellen) Köln-Mülheim (oben) und Köln-Lindenthal (unten) zwischen 2005 und 2007. ◍ Zunehmende Standortdichte, ○ gleichbleibende Standortdichte, ◍ abnehmende Standortdichte

Quantitative Veränderung der Tabak-POS

Vor der Automatenumstellung existierten in beiden Untersuchungsgebieten zusammen 315 Tabak-POS. Somit standen 2005 rechnerisch 4,4 Tabak-POS pro 1000 Einwohner zur Verfügung. Darunter befanden sich 58 Außenautomaten (18% aller Tabak-POS) und 126 Innenautomaten (40% aller Tabak-POS, Abb. 5). Zwei Jahre später existierten noch 277 Tabak-POS (–12,1%), darunter 30 Außenautomaten (11% aller Tabak-POS) und 116 Innenautomaten (42% aller Tabak-POS). Der Rückgang an Tabak-POS (–12,1%) resultiert somit vor allem daraus, dass fast jeder zweite Außenautomat seit Einführung der Alterskontrolle abgebaut wurde (−48,3%). Parallel dazu hat sich auch die Zahl der Innenautomaten reduziert, allerdings in weit geringerem Ausmaß (−7,9%).

Abb. 5
figure 5

Absolute Zahl von Tabak-POS (Zigarettenautomaten und sonstigen Bezugsquellen) in Köln-Mülheim und Köln-Lindenthal vor (2005) und nach (2007) Einführung der kartenbasierten Alterskontrolle für unter 16-Jährige

Im Vergleich beider Stadtteile zeigt sich, dass sowohl 2005 als auch 2007 im statushöheren Stadtteil Lindenthal absolut und relativ zur Bevölkerungszahl deutlich weniger TBQ vorhanden waren als im statusniedrigeren Stadtteil Mülheim: Beispielsweise gab es in Mülheim in den Jahren 2005 (beziehungsweise 2007) 218 (201) Tabak-POS, in Lindenthal 97 (76) Tabak-POS. Besonders deutlich wird dieser Unterschied bei den Außenautomaten: So reduzierte sich deren Zahl in Mülheim von 42 auf 23 und in Lindenthal von 16 auf 7. Der Zeitvergleich zeigt außerdem, dass in Mülheim nur bei den Außenautomaten eine merkliche Änderung stattfand, während die Anzahl anderer POS stagnierte. Dagegen wurden in Lindenthal alle Vertriebskanäle ausgedünnt: So reduzierte sich beispielsweise auch die Zahl der Innenautomaten von 41 auf 33.

Nachfragerreaktion

Ergänzend wurden im Untersuchungsgebiet betroffene Schüler nach ihrer Reaktion auf die Zugangssperre befragt. Der Schulsurvey ergab, dass 9% der befragten Elf- bis 15-Jährigen aktuell Raucher waren. Weitere 29% hatten bereits in der Vergangenheit (meist sporadisch) geraucht und dies mittlerweile wieder aufgegeben. Neben den oben dargestellten Veränderungen auf der Anbieterseite lassen sich auch Reaktionen der Nachfragerseite beobachten (Abb. 6). Es lassen sich drei Reaktionen erkennen: (1) Jugendliche beziehen seit der Einführung kartenbasierter Sicherungssysteme Zigaretten vermehrt über Kioske und Supermärkte. (2) Zigarettenautomaten haben für minderjährige Konsumenten an Bedeutung verloren. Dennoch verdeutlicht der Prozentanteil von 23%, dass etwa jeder vierte minderjährige Raucher einen Weg findet, die Kartensicherung direkt am Automaten zu umgehen. (3) Zum anderen erhalten unter 16-Jährige vermehrt über Freunde, Geschwister und Eltern Zugang zu Zigaretten. Der Bezug über die Eltern erfolgt im Übrigen oft ohne deren Wissen: Aus mehreren Freitextangaben geht hervor, dass Jugendliche häufig einzelne Zigaretten aus zu Hause herumliegenden Schachteln „mitgehen lassen“.

Abb. 6
figure 6

Kommerzielle und soziale Bezugsquellen für Zigaretten von unter 16-jährigen Rauchern vor (2005) und nach (2007) Einführung der kartenbasierten Alterskontrolle (Prozentanteil der Raucher, die diese Quelle angaben, Mehrfachnennungen möglich)

Diskussion

Zentrale Ergebnisse

Bisher war nicht bekannt, wie die Automatenaufsteller auf die Einführung einer Kartenkontrolle an Zigarettenautomaten reagiert haben: Nach unserem Wissen ist dies die erste Studie, die die Zahl und Standortmuster von Zigarettenautomaten nach wissenschaftlichen Standards vor und nach einer solchen Maßnahme erfasst und vergleicht.

Per saldo wurden nach Einführung der Kartenkontrolle im insgesamt rund 70.000 Einwohner umfassenden Untersuchungsgebiet etwa die Hälfte aller Außenautomaten und etwa jeder zehnte Innenautomat abgebaut. Die Zahl anderer Tabak-POS (englisch sogenannte Commercial Sources wie Kioske, Drogerien, Tankstellen, Tabakläden) blieb dagegen in der Summe weitgehend konstant. Die gesetzliche Regelung wirkte sich nicht nur auf die Angebotsstruktur, sondern auch auf das Konsumverhalten der Jugendlichen aus: Zum einen stellen vor allem Kioske ein Schlupfloch dar. Zum anderen beziehen rauchende Jugendliche seit der Einführung des Sicherungssystems Zigaretten vermehrt über sogenannte Social Sources (vor allem über ältere Mitschüler und Freunde).

Vergleichbare Forschungsarbeiten aus anderen Nationen

Bis dato existiert nach unserem aktuellen Kenntnisstand keine ähnliche Studie, die Standorte von Zigarettenautomaten kartografisch auswertet. Dagegen liegen einige GIS-Studien zu verwandten Themen sowie Befragungsstudien vor, die die Bezugsquellen von Schülern erfassen. Ebenfalls zu beachten sind in diesem Zusammenhang sogenannte Compliance Checks, also Testkäufe:

GIS-Studien

Unserer Methodik ähnlich sind vereinzelte sozialräumliche Untersuchungen zu Standorten von Tabakwerbung [15, 16]. Hackbarth konnte zeigen, dass auch Tabakwerbung in statusniedrigeren Stadtteilen weiter verbreitet ist als in statushöheren [15]. Die Studie von Luke et al. konnte für die nordamerikanische Stadt St. Louis ein ebenfalls an Hauptverkehrsstraßen orientiertes Muster der Standorte solcher Werbetafeln nachweisen [15, 16]. Allerdings handelt es sich hier nur um eine methodische Ähnlichkeit, nicht um eine inhaltliche. Auch wurde für diese Studien keine GIS-Kartierung verwendet.

Befragungsstudien und Testkäufe

Solche Studien zeigen, dass die Reaktion Jugendlicher auf Verkaufsbeschränkungen in drei typischen, zeitlich oft leicht versetzten Phasen verläuft: [17, 18].

Phase 1: Zunächst führt die Einführung einer Kartensperre zu einem deutlichen Rückgang bei Automatenkäufen [18, 19, 20]. Dennoch finden rauchende Jugendliche sehr schnell Wege, die Sperre direkt am Automaten zu umgehen [17, 21, 22]. Auch unsere Befragungsdaten zeigen zum Beispiel, dass jüngere Raucher oft ältere Mitschüler bitten, für sie Zigaretten zu ziehen, oder dass sie sich von ihnen Karten leihen. So bezieht in unserem Kollektiv trotz Kartenkontrolle immerhin noch etwa ein Viertel aller unter 16-jährigen Raucher Zigaretten am Automaten.

Phase 2: Im nächsten Schritt weichen viele jugendliche Raucher in beträchtlichem Umfang auf andere Tabak-POS aus [17]. Der Grund hierfür ist, dass dort die Alterskontrolle viel leichter zu umgehen ist. In den 1990er-Jahren war beispielsweise in den USA wegen mangelhafter Kontrollen der Zigarettenkauf in Läden für Minderjährige in vielen Fällen problemlos möglich, wie Testkäufe zeigten [18, 21, 23, 24, 25, 26]. Seit der Einführung von Compliance-Checks und der Schulung des Personals geht dort der Bezug zurück [18]. In den USA kaufen Jugendliche mittlerweile vor allem in kleineren Geschäften und sehr selten an Automaten und in großen Handelsketten [18, 19, 20, 27]. Das zunehmende Ausweichen auf kleine Läden, insbesondere auf Kioske, ist auch in unserer Studie zu beobachten: Offenbar scheint dort die Alterskontrolle häufig nicht beachtet zu werden. Möglicherweise ist dort der Verkäufer oft auch der Inhaber und damit viel mehr von diesem Umsatz abhängig als Angestellte an Supermarktkassen. Dies dürfte die Motivation, das Alter zu kontrollieren, unterminieren.

Phase 3: Mit fortschreitender Zugangsbeschränkung durch Gesetze und Kontrollen weichen jugendliche Raucher schließlich auf soziale Quellen (Social Sources) aus [17, 27]. Ältere Freunde, Geschwister, aber auch Eltern ermöglichen einen Zugang zu Zigaretten. Klonoff und Kollegen sowie Shive und Kollegen berichten, dass viele Erwachsene dieses Verhalten nicht als problematisch ansehen und bereitwillig Zigaretten weitergeben [28, 29]. Diese Entwicklung ist auch für unsere Studienpopulation zu beobachten.

Methoden-Kritik

Methodische Einschränkungen der vorliegenden Studie betreffen vor allem den per definitionem nicht möglichen Kausalschluss zum konsekutiven Rauchverhalten, die Selektivität der Untersuchungsregion sowie die Validität der Schülerbefragung. Die Stärken dieser Studie sind der historisch einmalige Zeitpunkt für eine solche, das longitudinale Design, die biasfreie Vollerhebung mit innovativer Methodik sowie die simultane Betrachtung von Angebots- und Nachfrageseite.

Konsekutives Rauchverhalten

Es war nicht Ziel dieses Beitrages, die Präventionsmaßnahme „Kartensperre“ in einen direkten Kausalzusammenhang zum konsekutiven Rauchverhalten zu setzen. Dazu wäre eine Vorher-Nachher-Befragung altersgleicher (!) Schüler nötig gewesen, um Interventions- und Alterseffekte (also intraindividuelle Kaufmuster innerhalb von zwei Jahren) trennen zu können. Allerdings konnte Robinson jüngst zeigen, dass die Bezugsquellen und -muster bei Jugendlichen im Zeitverlauf überraschend stabil sind [27]. Dennoch: Amtliche Daten zeigen zwischen 2001 und 2007 einen kontinuierlichen Rückgang der Rauchprävalenz bei deutschen Jugendlichen [30]. In diesem Zeitraum wurden mehrere Maßnahmen (wie Tabaksteuererhöhungen, Schulprogramme, Medienkampagnen der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, BZgA, und so weiter) [31] parallel implementiert. Auch deswegen ist die kausale Wirkung der Automatensperre auf die Nachfragerseite nicht belegbar.

Selektivität der Untersuchungsregion

Zwar ist Köln eine typische deutsche Großstadt. Dennoch kann diese sozialgeografische Studie kein repräsentatives Bild für Gesamtdeutschland liefern. Da aber bis dato keinerlei ähnliche Studien (weder für Deutschland noch für andere Länder) wissenschaftlich publiziert wurden, sollte diese Untersuchung exemplarisch erste Hinweise auf die Entwicklungen nach Einführung der Kartenkontrolle geben. Die beiden ausgewählten Stadtteile mit insgesamt über 70.000 Einwohnern sind etwa gleich groß und liegen in gleicher Entfernung zum Stadtzentrum. Absichtlich wurde darauf geachtet, dass die beiden Untersuchungsgebiete gegenpolige Sozialstrukturen aufweisen, um auch diesbezüglich etwaige Unterschiede zu identifizieren.

Validität der Schülerbefragung

Dieselben Einschränkungen bezüglich der Selektivität gelten auch für die Schülerbefragung. Vier der elf Schulen im Untersuchungsgebiet nahmen teil, die Responserate innerhalb der Schulen lag bei über 80%. Unter den rund 800 befragten Schülern gaben 62% an, Nieraucher und 9% aktuelle Raucher zu sein. Diese Werte korrespondieren gut mit amtlichen Repräsentativdaten aus dem Jahr 2006, nach denen 62% aller Zwölf- bis 15-Jährigen Nieraucher und 11% Raucher sind. Der im Vergleich zur Stadt Köln bundesweit etwas höhere Raucheranteil resultiert aus den bekanntermaßen um etwa 50% höheren Raucherquoten in den neuen Bundesländern [32]. Um Vorhandensein und Ausmaß eines sogenannten Social Desirability Bias zu erfassen, wurde der ICC berechnet: Dieser lag bei .852 (p<.001), was eine gute Übereinstimmung von Selbst- und Fremdangaben verdeutlicht.

Alleinstellungsmerkmal dieser Studie ist die erstmals vollständige Erfassung von Tabak-POS durch ein Geographisches Informations-Systems (GIS) und die Verbindung dieser geografischen Daten mit personenbezogenen Selbstauskünften. Zur Analyse verhaltenspräventiver Fragestellungen stellen Selbstauskünfte in Form mündlicher und schriftlicher Befragungen (beispielsweise zu Risiko- und Protektivfaktoren [13, 16]) oft gepaart mit Validierungsinstrumenten (wie Labordiagnostik) derzeit die Standardmethode dar. Derartige Instrumente stoßen zur Beschreibung der „Verhältnisse“, also etwa der sozialräumlichen Umwelt, schnell an ihre Grenzen. Die Erfassung von Tabakbezugsquellen und Werbeträgern ist zwar auch über den Weg der Befragung (zum Beispiel von Bewohnern eines Sozialraumes) möglich. Jedoch vermag nur eine räumliche Analyse unter Einsatz eines GIS die konkreten Standorte vollständig zu erfassen und in Beziehung zum umgebenden Sozialraum zu setzen. Dabei kann das Charakteristikum eines GIS, nämlich Sach- und Rauminformationen miteinander zu verknüpfen und dadurch mittels einer Informationsschichtung neue ortsbezogene Aussagen zu generieren, für die Erfassung, Visualisierung und Analyse relevanter Sachverhalte genutzt werden. Die Methodik solcher sozialräumlicher Analysen und erst recht der Einsatz von GIS in Fragestellungen dieser Art ist allerdings relativ jung und bis dato noch nicht ausreichend entwickelt und etabliert, um die vorliegende und ähnliche Fragestellungen auf repräsentativer Basis bearbeiten zu können. Darüber hinaus fehlen derzeit ausreichend spezifizierende Datenquellen (etwa Automatenregister mit Standortdaten), um entsprechende Analysemodelle speisen zu können. Muss, wie im vorliegenden Falle, jeder Datenpunkt vor Ort manuell identifiziert und erfasst werden, ergibt sich bereits für „wenige“ Quadratkilometer ein immenser Erhebungsaufwand (hier: zweimal eine Feldphase von 14 “Mann-Tagen“ plus mehrere Monate Digitalisierungs- und Analysearbeit) [19]. Daher dient der vorliegende Beitrag auch zur beispielhaften Demonstration künftiger Einsatzmöglichkeiten Geographischer Informations-Systeme in der Gesundheitsforschung.

Das vergleichsweise große Untersuchungsgebiet und die exakte Vollerhebung sind weitere Stärken der Studie. Dazu musste jeder Datenpunkt vor Ort manuell identifiziert und erfasst werden. Diese Informationen sind umso wichtiger, da die Automatenaufsteller keine Standortdaten offenlegen und von amtlicher Seite weder die Anzahl noch die Standorte von Zigarettenautomaten und sonstigen Verkaufsstellen systematisch erfasst werden. Auf Basis vereinzelter Quellen und aus einer Anfrage an den Bundesverband Deutscher Tabakwaren-Großhändler und Automatenaufsteller e.V. (BDTA) ist lediglich zu rekonstruieren, dass sich die Zahl der Automaten im Zuge der Umstellung von 700.000 bis 800.000 zwischen 2001 und 2006 unmittelbar danach auf 430.000 (2007) und schließlich auf 420.000 (2008) reduziert hat [33]. Die vorliegende Studie ist die erste unabhängige wissenschaftliche Untersuchung dieser Art. Sie kann wichtige Hinweise auf Erfolg und Mängel einer solchen gesetzlichen Verkaufsbeschränkung liefern.

Ein weiteres Spezifikum ist der longitudinale Charakter der Studie: Durch die rechtzeitige und vollständige Erhebung sämtlicher Tabak-POS im Jahr 2005 konnte die historisch einmalige Chance genutzt werden, die Folgen einer Automatensperre longitudinal zu untersuchen.

Schlussfolgerung

Artikel 16 der „WHO Framework Convention on Tobacco Control“ [34], die die Bundesrepublik Deutschland im Jahr 2003 unterzeichnet und im Jahr 2004 ratifiziert hat, nennt zwei grundsätzliche Optionen zum Umgang mit Zigarettenautomaten: eine Zugangsbeschränkung für Jugendliche oder ein absolutes Verbot solcher Automaten.

Deutschland hat sich für den ersten Weg entschieden. Zwar wurden demzufolge erfreulicherweise Automaten in merklichem Umfang abgebaut. Dennoch umgehen offenbar viele Jugendliche die Sperre direkt oder indirekt. Begünstigt wird dies dadurch, dass hierzulande Compliance-Checks und ein adäquates Mitarbeitertraining nicht stattfinden. Internationale Erfahrungen zeigen aber, dass auch solche zusätzlichen Maßnahmen einen nur sehr eingeschränkten Erfolg hätten [22, 35]. Daher ist vor dem Hintergrund unserer empirischen Befunde und im Einklang mit der WHO „Framework Convention on Tobacco Control“ ein vollständiges Verbot von Zigarettenautomaten zu fordern.