1 Einleitung

Coaching gilt allgemein als eine besondere Beratungsform für Personen (insbes. Fach- und Führungskräfte) in komplexen Anforderungssituationen und bei dynamischen Veränderungsprozessen (Zimmermann 2016). Neben methodischen und fachlichen Anforderungen muss sich der Coach besonderen emotionalen Anforderungen stellen (z. B. Umgang mit persönlichen Krisensituationen in beruflichen Kontexten, die mit einer hohen emotionalen Involvierung der Klienten verbunden sind) (Binnewies und Dormann 2010). In einem Coachingprozess sind Coach und Klient auf vielfältige Weise miteinander emotional verwickelt, ob ihnen dies nun bewusst ist, oder nicht (West-Leuer 2015). Allerdings ist bisher nur ansatzweise untersucht worden, welche emotionalen Anforderungen an Coaches in entsprechenden Coachingprozessen gestellt werden und welche Rolle die Bewältigung solcher Anforderungen für das Gelingen des Coachingprozesses spielen.

Erste Zugänge zu der Thematik kann man sich durch die Sichtung analoger Themen im Bereich der Psychotherapiewirksamkeitsforschung verschaffen. Die entsprechende Wirksamkeitsforschung kann z. B. in vielfältigen Studien zeigen, dass die (Gestaltung der) Beziehung zwischen Therapeut und Klient wichtiger ist, als die angewandten Methoden, um einen Interventionserfolg zu erzielen (Grawe et al. 1994; Heller und Gallenmüller 2016; Orlinsky et al. 2004). „Dies gilt sowohl für die Therapiebeziehung als Ganzes, wie auch für einzelne Beziehungsaspekte: Die aktive Beteiligung von Patienten und Therapeuten (Personal role investment), ihr kommunikatives Verständnis (Communicative or expressive attunement) und ihre gegenseitige emotionale Resonanz sowie die Kooperation zwischen den beiden, die Offenheit und Aufnahmebereitschaft des Patienten oder die Empathiefähigkeit des Therapeuten stehen regelmäßig in klarem Zusammenhang mit dem Therapieerfolg“ (Pfammatter und Tschacher 2015, S. 73). Die Grundvariablen bzw. Wirkfaktoren der Psychotherapieforschung lassen sich auch auf den Coachingkontext übertragen. So wurde auch die Bedeutung der Coach-Klient-Beziehung für den Coachingerfolg meta-analytisch bestätigt (Kotte et al. 2016). Daraus kann man u. E. schließen, dass der Coach auch ein hohes Maß an Fähigkeiten im Umgang mit emotionalen Anforderungen, d. h. emotionale Kompetenzen besitzen sollte. Emotionale Kompetenzen beziehen sich u. a. auf Fähigkeiten, die Emotionen des Klienten zu erkennen und zu verstehen, Emotionen in differenzierter und situationsangemessener Form auszudrücken sowie außerdem sich seiner eigenen Emotionen bewusst zu sein, diese einordnen und eigenständig regulieren zu können (Rindermann 2009), damit er dazu fähig ist, eine tragfähige Beziehung mit dem Klienten aufzubauen und aufrechtzuerhalten. Doch welche Rolle spielen Emotionen im Coachingprozess? Bachkirova und Cox (2007) weisen in diesem Zusammenhang auf die besondere Bedeutung von Emotionen und das Emotionsmanagement im Coachingprozess hin. Dies erfordert, dass ein Coach sowohl die emotionalen Reaktionen seines Klienten, als auch seine eigenen bewusst wahrnehmen, und dabei auch die Zusammenhänge der Emotionen mit den jeweiligen Kontexten, in denen diese auftreten, differenziert einordnen und bewerten kann, um in der Lage zu sein, dem Klienten zu helfen. Boyatzis (2006) gibt folgende Umschreibung:

„The coach has the responsibility to be able to identify and manage his or her feelings and reactions. Whether the coach uses this information as part of understanding the client or as a vehicle for suspending his own needs and anxieties, managing oneself is difficult if not impossible without a high degree of self-monitoring, or emotional self-awareness.“ (S. 93)

Was sind also konkrete Kenntnisse und Befähigungen eines emotional kompetenten Coaches bzw. welche emotionalen Anforderungen werden an einen Coach im Coachingprozess oder unterschiedlichen Coachingsituationen genau gestellt? Vor dem Hintergrund der skizzierten Bedeutung emotionaler Anforderungen im Coachingprozess ist das Anliegen des vorliegenden Beitrags (1) die Rolle der emotionalen Kompetenz im Coachingberuf herauszuarbeiten sowie die Kernkompetenzen eines emotional kompetenten Coaches zu beschreiben. (2) Dazu sollen Bezüge zwischen theoretischen Zugängen zur emotionalen Kompetenz auf Basis einer entsprechenden Sichtung des Forschungsstandes aufgezeigt und hinsichtlich ihrer Relevanz für die Modellierung emotionaler Kompetenzen beim Coaching diskutiert werden, und (3) ein vorläufiges (konzeptionell fundiertes) Kompetenzmodell zu emotionalen Kompetenzen eines professionellen Coaches erarbeitet werden. Dieses Modell soll das Konstrukt der emotionalen Kompetenz eines Coaches abbilden und als Grundlage zur Erfassung bzw. Operationalisierung emotionaler Kompetenzen im Coachingprozess dienen, um zum einen, dem wissenschaftlichen Diskurs über bedeutsame Voraussetzungen eines professionell arbeitenden Coaches Anregungen zu geben und zum anderen Hilfestellungen für die Qualifizierung von Coaches und die Coachingpraxis zu bieten. Somit wendet sich der vorliegende Beitrag sowohl an Coachingwissenschaftler, indem einerseits versucht wird, die Relevanz des Umgangs mit emotionalen Anforderungen im Coachingprozess anhand von bereits vorhandenen Kompetenzmodellen des Coachings und spezifischen Studien zur Rolle von Emotionen im Coaching herauszuarbeiten und andererseits, indem vor dem Hintergrund von Theorien zu emotionsbezogenen Fähigkeiten ein Kompetenzstrukturmodell hergeleitet und begründet wird. Der Beitrag wendet sich darüber hinaus auch an Coachingpraktiker, indem ein Kompetenzmodell hergeleitet wird, welches Hinweise für die Coachingausbildung im Umgang mit Emotionen im Coachingprozess gibt und als heuristischer Rahmen zur Reflexion von emotionsbezogenen Anforderungen im Coaching herangezogen werden kann. Abschließend werden weitere Schritte zur empirischen Fundierung des Kompetenzmodells erörtert und Adressaten und Einsatzgebiete des Kompetenzmodells vorgeschlagen.

2 Anforderungen an die emotionale Kompetenz eines Coaches

2.1 Umfassende Ansätze zu Coachingkompetenzen

Auch im Coachingkontext werden mittlerweile Kompetenzmodelle zur Beschreibung der Anforderungen an entsprechende professionelle Beratungstätigkeiten für Führungskräfte und andere berufliche Tätigkeiten entwickelt (Drexler 2013; Hasenbein und Riess-Beger 2014; Kuchen und Pedrun 2006; Merz und Frey 2011; Michel et al. 2014; Schwertl 2016). Michel et al. (2014) beschreiben die Problematik, dass noch immer kein einheitliches und standardisiertes Verständnis über die Kompetenzen eines professionellen Coaches und somit auch kein allgemein anerkanntes Modell besteht.

Ein verbreiteter konzeptioneller Modellierungsansatz, der auch außerhalb des Coachingbereichs vorkommt, ist die Einteilung der beruflichen Handlungskompetenz in die vier Kompetenzklassen Fach‑, Methoden‑, Sozial- und Personalkompetenzen. Im Folgenden beziehen wir uns vor allem auf die Ansätze von Michel et al. (2014) und Hasenbein und Riess-Beger (2014), die sich dadurch auszeichnen, dass sie auch auf Anforderungen im Umgang mit emotionalen Aspekten im Coachingprozess Bezug nehmen und daher in die Modellkonzeption miteinfließen (Tab. 1).

Tab. 1 Strukturmodelle für Coachingkompetenzen

Das empirisch fundierte Kompetenzmodell von Michel et al. (2014) thematisiert u. a. eine Reihe von emotionalen Anforderungen, die ein Coach in der Lage sein sollte, professionell zu bewältigen. Hierzu gehören Anforderungen bei der Beziehungsgestaltung zum Klienten, dem Einfühlungsvermögen in die (emotionalen) Belange des Klienten, ein effektiver Umgang mit eigenen Emotionen sowie die Fähigkeit authentisch und integer zu handeln etc. Im beschriebenen Ansatz von Michel et al. (2014) werden damit emotionale Kompetenzaspekte durchaus thematisiert, allerdings erfolgt dies nicht in einer zusammenhängenden, systematischen Form. Vielmehr werden emotionale Kompetenzaspekte als Facetten anderer übergeordneter Kompetenzen (als Teil der Sozialkompetenz und Selbst- und Personalkompetenz) berücksichtigt und in diesem Zusammenhang jeweils nur knapp beschrieben.

Hasenbein und Riess-Beger (2014) haben ebenfalls ein Konzept zur Beschreibung von „Coachingkompetenzen für Führungskräftecoaching“ entwickelt, welches die Kompetenzanforderungen nur sehr grob beschreiben. Sie resümieren ihren Ansatz folgendermaßen: „Coachingkompetenzen umfassen somit ein Geflecht verschiedener Kompetenzen. In einem Wechselspiel von Handlung und Meta-Reflexion werden situationsspezifisch die einzelnen Kompetenzbereiche aktiviert und durch Erfahrungen sowie anschließende Reflexion angereichert und erweitert“ (S. 410). Bezüge des Modells zu emotionalen Kompetenzen bzw. Anforderungen werden von den Autoren nicht direkt hergestellt, doch finden sich entsprechende Aspekte dazu bei der Bestimmung der Selbstkompetenz (z. B. in Bezug auf das Reflektieren eigener Emotionen im Coachingprozess) und der Sozialkompetenz (z. B. in Bezug auf das achtsame Zuhören beim Gespräch mit dem Klienten) von Coaches.

Resümierend ist deutlich geworden, dass die beiden vorgestellten Kompetenzkonzepte teilweise an emotionale Aspekte im Coachingprozess anknüpfen, doch die emotionale Kompetenz nicht (ausreichend) systematisch als eigene, relevante Facette fokussieren bzw. berücksichtigen. Eine differenzierte Betrachtung von regulatorischen Aspekten im Umgang mit emotionalen Anforderungen wird hier nur ansatzweise deutlich genug und bietet somit den Ausgangspunkt für den vorliegenden Beitrag.

2.2 Emotionale Anforderungen an den Coach

Emotionen spielen eine große Rolle in Coachingprozessen. Bachkirova und Cox (2007) gehen in ihrer Untersuchung, bei der 39 Coaches mit Hilfe eines qualitativen Interviews befragt wurden, den Fragen nach, welche Rolle Emotionen im Coaching spielen, wie es für Coaches ist, mit emotionalen Situationen umzugehen, welche persönlichen Bewältigungsstrategien sie im Umgang mit Emotionen haben und wie diese Ansätze die Coachingpraxis beeinflussen. Auf der Basis eigener praktischer Coacherfahrungen sowie in Anlehnung an Frijda (2000) verdeutlichen die Autoren beispielhaft emotionale Aspekte des Coachings („emotionality of coaching“):

  • Z. B. erleben Coaches starke Emotionen während des Prozesses (z. B. das Gefühl, dass etwas im Coachingprozess nicht stimmt, obwohl es dafür aus rationaler Perspektive keine Anzeichen gibt).

  • Private Erlebnisse des Klienten stören und behindern zielorientiertes Verhalten und Denken, sodass der Klient in seinem Verhalten beeinträchtigt ist und entsprechende Gefühle weitere Gedanken, Pläne, und Verhalten kontrollieren.

  • Der Klient wird von scheinbar nebensächlichen Dingen (z. B. der Stimme des Coaches) beeinflusst.

  • Der Klient befindet sich in einem (impulsiven) emotionalen Zustand und greift auf alte Verhaltensmuster zurück, wobei er das zuvor erarbeitete Vorgehen oder Verhaltensstrategien verwirft.

  • Der emotionale Ausdruck des Coaches kann die Coachingbeziehung vertiefen.

Um die o. g. Fragestellungen auch empirisch vertiefend zu analysieren, wurden 39 Coaches mithilfe eines Satzergänzungsverfahrens zu ihren Einstellungen und Verhaltensweisen im Umgang mit Emotionen im Coachingprozess befragt (z. B. Wenn mein Klient ein intensives Gefühl zeigt, werde ich … oder Personen, die ihre Gefühle frei im Arbeitskontext zeigen, …). Bei der Auswertung der Antworten wurde einerseits ein Fokus auf die „subjektiven Theorien“ („personal theories“) der Coaches gelegt und andererseits die Einstellungen zu Emotionen bei der Arbeit, die Rolle von Emotionen im Coachingprozess und die Rolle des Coaches im Zusammenhang mit den Gefühlen des Klienten analysiert. Mithilfe einer entsprechenden strukturierten qualitativen Inhaltsanalyse konnten vor allem drei verschiedene subjektive Theorien („coaches’ personal theories of emotion“) identifiziert werden, wie Coaches die Emotionen ihrer Klienten wahrnehmen bzw. zu diesen stehen: (1) Emotionen verdeutlichen Probleme des Klienten und bedürfen besonderer Interventionen des Coaches, um die Emotionen unter Kontrolle zu bekommen, (2) Emotionen sind normal und unvermeidlich und sollten daher dieselbe Aufmerksamkeit erhalten wie andere Themen bzw. Aspekte im Coaching, (3) Emotionen sind Anzeichen für wichtige Entwicklungen im Coachingprozess und können für motivationale Prozesse des Klienten genutzt werden (ein Mangel an Gefühlen ist problematischer als die Emotionen selbst). Diese drei subjektiven Theorien korrespondieren mit drei Interventionsansätzen im Umgang mit den Gefühlen durch den Coach: Mit der ersten Theorie korrespondiert der Ansatz „helping and shaping emotion“ (d. h. der Coach löst das Problem, das mit den Gefühlen verbunden ist, um diese zu „normalisieren“ und den Klienten nicht zu stark mit problematischen Gefühlszuständen zu konfrontieren), mit der zweiten Theorie der „analytical approach“ (d. h. der Coach exploriert die Ursachen für die Gefühle, um Sinnzusammenhänge in Relation zu den Coachingzielen bzw. -themen zu erhellen), und mit der dritten Theorie der Ansatz „facilitating expression“, (d. h. der Coach bleibt bei den Emotionen, erlaubt und fördert ihren Ausdruck und „nutzt“ sie zur Energetisierung und Motivation des Coachingprozesses). Insgesamt wird anhand der beschriebenen Analysen von Bachkirova und Cox (2007) deutlich, dass der Umgang mit emotionalen Anforderungen im Coachingprozess nicht nur von dem Wissen über Emotionen, sondern auch von Einstellungen und Überzeugungen, welche Rolle diese im Coachingprozess spielen und wie damit umzugehen ist, beeinflusst wird. Im Kontext einer kompetenzorientierten Analyse und Beschreibung entsprechender Fähigkeitsanforderungen von Coaches sind daher auch einstellungsbezogene Facetten zu berücksichtigen. Insgesamt unterstreicht die Untersuchung von Bachkirova und Cox (2007) die Relevanz von Emotionen im Coachingprozess: Emotionen können die Coachingbeziehung intensivieren und schwächen und sollen daher nicht ignoriert bzw. unterdrückt werden. So soll der Coach den Klienten dabei motivieren und unterstützen, seine Emotionen genau zu erforschen und zu erleben (Kienast 2013). Coaches sollten sich daher bewusst sein, wie Emotionen den Coachingprozess des jeweiligen Klienten fördern oder behindern können. Dabei sollten sie sich auch über ihre eigenen emotionalen Reaktions- und Verzerrungstendenzen sowie Begrenzungen und welche Auswirkungen diese auf den Umgang mit emotional schwierigen Coachingsituationen haben, klar sein. Die beiden Autorinnen verweisen daher insbesondere auf die Bedeutung von Supervision, um entsprechende (emotionale) Herausforderungen im Coachingprozess mit Unterstützung anderer zu reflektieren und ihre eigenen Fähigkeiten in diesem Zusammenhang weiterzuentwickeln.

Eine weitere qualitativ orientierte Studie (Cremona 2010) über den Umgang mit Emotionen im Coachingprozess zeigt ebenso, dass Coaches Emotionen im Coachingprozess einen wesentlichen Einfluss beimessen und sie vielfältige Ansätze im Umgang mit wahrgenommenen Emotionen entwickelt haben. Die am häufigsten genannte Strategie ist, die wahrgenommenen Emotionen des Coaches in seine Handlungen oder Gedanken einzubinden, um z. B. die Emotionen dem Klienten empathisch als Reaktion zu spiegeln und somit die Coachingbeziehung zu intensivieren. Pausen, Schweigen und Ruhephasen werden genutzt, um Emotionen bewusst zu machen und zu intensivieren. Auf eigenes emotionales und körperliches Befinden wird geachtet und wenn hilfreich, wird dies auch als Informationsquelle für den Coachingprozess genutzt. Manche Coaches thematisieren und bearbeiten das auch in ihren Supervisionen. Eine weitere Strategie besteht darin, sich am vereinbarten Ziel/Coachingvertrag zu orientieren. Weitere Vorgehensweisen im Umgang mit Emotionen beinhalten therapeutische und kreative Techniken, die der Coach zu eigenen Reflexionsprozessen nutzen kann. Inwiefern sich der Coach allerdings auf die wahrgenommenen emotionalen Prozesse im Coachingprozess einlässt, hängt von seiner Lebenserfahrung, Berufsausbildung und professionellen Arbeit, seinen Therapieerfahrungen, ethischen Grundsätzen, Coachqualifikationen und von seiner Bereitwilligkeit, sich damit zu befassen, ab.

Aufbauend, auf dem aus der Psychotherapie stammenden Wirkfaktorenmodell zur Motivation und Ressourcenaktivierung des Klienten in Anlehnung an Grawe (1994, 2004), hat Greif (2008) in einem Strukturmodell zum ergebnisorientierten Einzelcoaching methodische Erfolgsfaktoren postuliert, welche sich auf Wirkannahmen und Wirkungen im Coachingprozess beziehen, „um eine förderliche Coachingbeziehung herzustellen und den Klient/innen dabei zu helfen, die von ihnen angestrebte Ergebnisziele zu erreichen“ (Greif 2015). Besonders die beiden Wirkfaktoren „Wertschätzung und emotionale Unterstützung“ des Klienten durch den Coach sowie „Affektreflexion und -kalibrierung“ des Coaches machen deutlich, dass der Umgang mit emotionalen Anforderungen für das Gelingen eines Coachingprozesses äußerst bedeutsam sind.

  • Wertschätzung und emotionale Unterstützung: So schafft ein emotional kompetenter Coach mit verbalen Äußerungen eine angenehme Atmosphäre, zeigt auch paraverbal echtes Interesse, greift Äußerungen des Klienten auf, passt sich dabei in Wortwahl und Sprachniveau dem Klienten an, ohne dass die Wertschätzung zu umständlich oder übertrieben wirkt und fasst zusammen, was der Klient gesagt hat. Auch nonverbal ist er dem Klienten durch Mimik und Gestik (z. B. durch regelmäßigen Blickkontakt) zugewandt.

  • Affektreflexion und -kalibrierung: Der Coach bestärkt den Klienten dabei in kritischen Situationen über seine Gefühle zu reflektieren (Affektreflexion). Zudem zeigt er sich verständnisvoll und beruhigt die gezeigten Gefühle des Klienten bei Bedarf erkennbar (Affektkalibrierung).

Beide Faktoren beinhalten erlernbare Verhaltensweisen und Einstellungsaspekte, die bedeutsam im Umgang mit emotionalen Anforderungen im Coachingprozess und nachweislich das Gelingen des Coachingprozesses unterstützen können. Sie sind somit auch bei der Modellierung emotionaler Kompetenzen eines Coaches zu berücksichtigen.

Die beschriebenen Studienergebnisse verdeutlichen die Wichtigkeit, Emotionen als Coach im Coachingprozess nicht zu unterdrücken, sondern diese reflexiv einzuordnen, zu analysieren, (sich) zu regulieren und entsprechend darauf zu reagieren. Somit sollte der Coach der Situation angepasste, emotionale Fähigkeiten aufweisen, um wertschätzend dem Klienten gegenüber zu handeln, die möglicherweise auftretenden intensiven Emotionen aushalten zu können und auch die Reflexion des Klienten über seine Emotionen zu fördern, um das Ziel, einen erfolgreichen Coachingprozess durchführen zu können, zu erreichen. Backhausen und Thommen (2006) geben folgende Umschreibung: „Coaching ist keinesfalls ein Geschehen in emotionaler Quarantäne“ (S. 143), sondern ein „emotional bedeutsamer und rational herausfordernder Prozess“ (S. 144), bei dem der Coach insbesondere auch auf Emotionen im Coaching eingehen muss, um diese für den weiteren Coachingprozess zu nutzen.

3 Theoretische Herleitung des Kompetenzmodells

Beschäftigt man sich mit der Frage, welche psychologischen Konzepte und Konstrukte sich mit der Beschreibung und Erklärung von emotionalen Vorgängen in Alltags- und Berufskontexten befassen, trifft man vor allem auf folgende drei theoretischen Konzepte: emotionale Intelligenz, emotionale Kompetenz sowie Emotionsregulation. Diese drei Ansätze aus der psychologischen Emotionsforschung dienen daher in diesem Zusammenhang als zentrale theoretische Zugänge für die Modellierung emotionaler Kompetenzen im Coachingprozess. Allen drei Ansätzen liegt dabei ein Emotionsverständnis zugrunde, dass davon ausgeht, dass

(1.) Emotionen funktional sind (d. h. z. B. informationelle und motivationale Funktionen haben), (2.) Emotionen in Folge von solchen Ereignissen stehen, die subjektive Bedeutsamkeit haben und (3.) Emotionen aus verschiedenen Komponenten bestehen (d. h. z. B. eine kognitive Komponente beinhalten, die als wesentlich für die Entstehung und Erklärung von Emotionen angesehen wird). Emotionen sind somit keine unabhängigen psychischen Komponenten, sondern auf das engste mit anderen psychischen Prozessen verknüpft. Mit Bezug auf die psychologische Emotionsforschung sei außerdem darauf hingewiesen, dass verschiedenste empirische Untersuchungen zeigen, dass Emotionen und deren „intelligente Verarbeitung“ eine zentrale Funktion haben, Reaktionen auf wichtige Ereignisse und Lagen einer Person vorzubereiten, auszulösen und zu unterstützen (Pekrun und Hofmann 1999). Im Bereich des Lernens und Leistens geht es dabei z. B. nicht nur um die Steuerung bestimmter Informationsverarbeitungsstile (z. B. intuitiv-holistische vs. sequentiell-analytisch Denkstile), sondern auch die Allokation kognitiver Ressourcen (z. B. durch aufgabenirrelevantes Denken), die Regulation von intrinsischer und extrinsischer Motivation und den Gebrauch von bestimmten Strategien (z. B. Lernstrategien) (Pekrun und Schiefele 1996). Dabei geht man davon aus, dass die intelligente Verarbeitung von Emotionen im Sinne von Emotionsregulationsstrategien nicht direkt auf die Leistung oder das Lernen wirken, sondern Lern- und Leistungsemotionen regulieren und über die Vermittlung bzw. Mediation von Motivation, kognitive Ressourcen und Strategien auf die Leistung wirken (Götz et al. 2006). Außerdem kommen weiteren Variablen wie bspw. der Selbstwirksamkeit moderierende Wirkungen in diesem Zusammenhang zu (Jerusalem und Mittag 1999). Emotionsregulationsstrategien (z. B. die Strategie der kognitiven Umbewertung) weisen darüber hinaus positive Wirkungen auf die Lebenszufriedenheit auf (Gross und John 2003). Damit wird deutlich, dass Emotionen eine sehr bedeutsame Funktion bei der Verarbeitung von Lebenserfahrungen haben und das Handeln von Personen maßgeblich beeinflussen, wobei den genannten Strategien und Fähigkeiten zur Emotionsregulation eine bedeutsame moderierende und mediierende Rolle in diesem Zusammenhang zukommen. Davon ist letztlich auch im Kontext von Coachingprozessen auszugehen, auch wenn dies noch kaum untersucht ist. Entsprechende Hinweise finden sich dafür aber bereits in der Psychotherapieforschung (z. B. Grawe 1994, 2004).

3.1 Emotionale Intelligenz

Die emotionale Intelligenz wird als die Fähigkeit beschrieben, emotionale Anforderungen im Alltag bewältigen zu können. Sie „begünstigt vorurteilsfreie, verständnisvolle und respektvolle soziale Interaktionen durch das Verstehen und Regulieren der eigenen, sowie der Emotionen anderer“ (Meves 2013, S. 6) und bezieht sich damit auf emotional intelligentes Verhalten bzgl. der Wahrnehmung und den Umgang mit emotionalen Zuständen bei sich und anderen Personen und lässt sich auch auf entsprechende emotionale Anforderungen eines Coaches, sowohl bei seinen Klienten als auch in Bezug auf sich selbst übertragen. Somit kann das Konstrukt der emotionalen Intelligenz auch als Rahmenkonzept zur theoriegeleiteten Bestimmung emotionaler Kompetenzen bzw. emotionaler Anforderungen an den Coach herangezogen werden.

Das Vier-Facetten-Modell der Emotionalen Intelligenz ist wohl das bekannteste Fähigkeitsmodell emotionaler Intelligenz (Mayer und Salovey 1997) und hat sich, im Gegensatz zu sogenannten „Mischmodellen“, im wissenschaftlichen Kontext weitestgehend etabliert (Hertel 2007). Die vier kognitiven und emotionsbezogenen Fähigkeiten, welche auch im Coachingprozess zum Tragen kommen, stehen in wechselseitiger Beziehung zueinander und sind in Tab. 2 dargestellt.

Tab. 2 Das Vier-Facetten-Modell der Emotionalen Intelligenz (Mayer und Salovey 1997)

Nach Mayer und Salovey (1997) ist das Vier-Facetten-Modell der Emotionalen Intelligenz hierarchisch geordnet, wobei Emotionswahrnehmung als Fundament emotionaler Fähigkeiten gilt und Emotionsregulation als komplexeste Fähigkeit verstanden wird und auf den anderen Fähigkeitsbereichen aufbaut. Mit ihrem Modell lehnen Salovey und Mayer (1990) sich an die Konzeptualisierung multipler Intelligenzen von Gardner (1983) an, der zwischen intellektuellen und emotionalen Fähigkeiten unterscheidet. Er differenziert u. a. zwischen „intrapersonal intelligence“ (Wissen über sich selbst) und „interpersonal intelligence“ (Wissen über andere), welche Salovey und Mayer in ihrem Konstrukt der emotionalen Intelligenz zusammenfassen.

Verschiedene Studien zeigen, dass beziehungsgestaltende Kompetenzen eines Coaches von essenzieller Bedeutung für den Coachingprozess sind (Heid 2012; Ianiro und Kauffeld 2012; Kilburg 2001) und als wichtiger erfolgsrelevanter (Wirk‑)Faktor gelten (Baron und Morin 2009; Neukom et al. 2011). Dabei spielt die emotionale Intelligenz des Coaches eine entscheidende Rolle: Durch verbale und nonverbale Verhaltensweisen zeigt er sich bspw. empathisch, wertschätzend, vertrauenswürdig, interessiert und offen (Neukom et al. 2011), fragt die Vorstellungen des Klienten ab und bezieht diese in den Coachingprozess mit ein.

Der wohl populärste Vertreter der emotionalen Intelligenz ist Goleman (1995), der den Anwendungsbezug des Konstrukts auch im beruflichen Alltag herausgearbeitet hat. Er ist davon überzeugt, dass beruflich erfolgreiche Menschen eine ausgeprägte emotionale Intelligenz besitzen. Seiner Meinung nach bestimmen verschiedene Dimensionen (Selbstwahrnehmung, Selbstregulation, Empathie, Motivation und Soziale Fähigkeiten) das Konstrukt der emotionalen Intelligenz und ermöglichen in ihrem Zusammenspiel einen intelligenten Umgang mit den eigenen Emotionen. Goleman (1998) unterteilt die emotionale Intelligenz grundlegend in persönliche Kompetenzen (wie die eigenen Emotionen zu kennen und sie zu managen) und soziale Kompetenzen (wie der Umgang mit Beziehungen und ein soziales Bewusstsein).

Der Forschungsstand zur emotionalen Intelligenz verdeutlicht, dass die emotionale Intelligenz eine Gruppe von psychischen Fähigkeiten beschreibt, die für das Wahrnehmen und Regulieren von Emotionen bei sich und in sozialen Situationen mit anderen grundlegend sind. Damit weist das Konstrukt bezüglich seiner Beschreibung von Leistungen zur angemessenen und wirkungsvollen Bewältigung emotionaler Anforderungssituationen deutliche Bezüge zu emotionalen Anforderungen im Coachingprozess auf. So achtet der Coach bspw. auf seinen eigenen emotionalen Zustand und den des Klienten, beobachtet differenziert dessen Gestik, Mimik, Sprache usw. und ermuntert ihn dazu, seinen eigenen emotionalen Zustand, seine Emotionen, sein Energielevel sowie die Signale des Körpers bewusst wahrzunehmen, zu erkennen und angemessen mit ihnen umzugehen. Unseres Erachtens beschreibt daher die emotionale Intelligenz wichtige Voraussetzungen für die emotionale Kompetenz eines Coaches und fließt daher als konzeptioneller Bezugspunkt in die Modellentwicklung mit ein.

Die verschiedenen Konzepte der emotionalen Intelligenz zeigen deutlich, dass sie sich einerseits auf die inneren Prozesse einer Person (eigene Emotionen des Coaches) sowie auf die Prozesse anderer (Emotionen des Klienten) beziehen. Diese Einteilung wurde auch für unsere Modellkonzeption berücksichtigt: der Unterscheidung zwischen intrapersonalen und interpersonalen Kompetenzen der emotionalen Kompetenz.

3.2 Emotionale Kompetenz

Emotionale Kompetenz zeichnet sich gemäß Steiner (1997) durch drei Fähigkeiten aus: einem Verständnis für die eigenen Gefühle, anderen Personen zu hören und sich in deren Gefühle hineinversetzen zu können sowie einem sinnvollen und situationsangemessenen Gefühlsausdruck. Bei emotionaler Kompetenz geht es also – ähnlich wie bei der emotionalen Intelligenz – um die Fähigkeit, mit den eigenen Gefühlen und Bedürfnissen und mit anderen Menschen angemessen umgehen zu können. Ein Unterschied zwischen beiden Konstrukten wird vor allem im Hinblick auf das Ausmaß der Veränderbarkeit des jeweiligen Merkmals gesehen sowie hinsichtlich seiner Herkunft, wobei emotionale Intelligenz eher der Intelligenzforschung und die emotionale Kompetenz eher der Entwicklungspsychologie entstammt (Schnellknecht 2007).

Saarni (2002), eine bekannte Entwicklungspsychologin, die sich insbesondere mit dem Einfluss von Familie und Kultur auf die Entwicklung emotionaler Kompetenz beschäftigt hat, betrachtet emotionale Kompetenz daher in erster Linie unter einer Entwicklungsperspektive. Von emotional kompetentem Verhalten spricht Saarni, wenn Kinder ihre emotionalen Fertigkeiten in Interaktionen mit anderen anwenden und selbstwirksames Verhalten zeigen und entwickeln. Nach Ansicht der Autorin ist diese Kompetenz durch folgende acht emotionale Schlüsselfähigkeiten, welche im Entwicklungsverlauf erworben und in dynamischen sozialen Interaktionen erlernt werden, gekennzeichnet:

  1. 1.

    Die Fähigkeit, sich seiner eigenen Emotionen bewusst zu sein. Dies umfasst auch das Wissen darüber, dass man in bestimmten Situationen mehrere Gefühle gleichzeitig erleben kann oder sich seinem emotionalen Befinden nicht immer bewusst ist.

  2. 2.

    Die Fähigkeit, die Emotionen anderer wahrzunehmen und zu verstehen. Diese Fähigkeit beinhaltet das Interpretieren von Situationen und des Ausdrucksverhaltens anderer Person, die aus kultureller Sicht häufig gleich gedeutet werden.

  3. 3.

    Die Fähigkeit, über Emotionen zu kommunizieren. Dies schließt den Gebrauch des kulturell abhängig gebräuchlichen Gefühlsvokabulars sowie den Erwerb emotionaler Skripte ein.

  4. 4.

    Die Fähigkeit zur Empathie. Diese Fähigkeit äußert sich in dem einfühlsamen Umgang mit dem emotionalen Erleben anderer Menschen.

  5. 5.

    Die Fähigkeit zur Trennung von emotionalem Erleben und emotionalem Ausdruck. Dies umfasst u. a. das Wissen darüber, dass das gezeigte Ausdrucksverhalten von sich selbst und anderen Personen nicht unbedingt mit dem erlebten Emotionszustand übereinstimmt.

  6. 6.

    Die Fähigkeit, mit negativen Emotionen und Stresssituationen umzugehen. Hierzu zählt der Gebrauch von Problemlösungs- und Selbstregulationsstrategien, um die Intensität und Dauer belastender Emotionen zu verringern.

  7. 7.

    Die Fähigkeit, sich der emotionalen Kommunikation in sozialen Beziehungen bewusst zu sein. Diese Fähigkeit beinhaltet die Erkenntnis, dass soziale Beziehungen zu anderen Menschen durch die Art der Kommunikation, des Ausdrucksverhaltens und des Beziehungsverhältnisses geprägt sind.

  8. 8.

    Die Fähigkeit zur Selbstwirksamkeit. Dies beinhaltet u. a. die Akzeptanz des eigenen emotionalen Erlebens und die Gestaltung von sozialen Interaktionen im Einklang mit eigenen (moralischen) Grundsätzen.

Aus ihrem Konzept zur emotionalen Kompetenz, das u. a. auf empirischen Befunden zur emotionalen Entwicklung beruht, lässt sich ableiten, dass die reflexive Emotionsregulation und die dazu erforderlichen Kompetenzen als Merkmal einer emotional kompetenten Person, die zur Selbstregulation fähig ist, angesehen werden können. Auch Saarnis Schlüsselfähigkeiten der emotionalen Kompetenz wurden daher auf die emotionalen Fertigkeiten einer Coachperson bezogen und für die Modellkonzeption berücksichtigt.

3.3 Emotionsregulation

Emotionsregulierende Prozesse sind wesentlich für die psychische und körperliche Gesundheit, da es Prozesse der Kontrolle, Bewertung und Veränderung von emotionalen Reaktionen hinsichtlich der Intensität und des zeitlichen Verlaufes umfasst. Ein zentraler Bestandteil emotionaler Kompetenz und emotionaler Intelligenz ist daher das Regulieren von Emotionen bei sich selbst (intrapersonale Emotionsregulation) und anderen (interpersonale Emotionsregulation). Menschen, die ein umfangreiches Wissen über Emotionen verfügen und der Emotionsregulation Wichtigkeit zuschreiben, haben mit größerer Wahrscheinlichkeit Einfluss auf den Prozess der Emotionsregulation (Feldman et al. 2001). Allgemein versteht man unter Emotionsregulation die Fähigkeit, durch Strategien und Prozesse den affektiven Zustand bei einem Individuum zu beeinflussen und negative wie positive Emotionen herunterzuregulieren, zu unterdrücken, aufrechtzuerhalten, oder zu verstärken (Gross 2007). Insbesondere Emotionen negativer Art bzw. unangenehme physiologische Prozesse stehen im Fokus der Regulationsprozesse. Die Regulationsbemühungen können automatisch, kontrolliert, bewusst oder unbewusst erfolgen, adaptive oder maladaptive Auswirkungen haben (Garnefski und Kraaij 2006) und aufgrund des beobachtbaren Verhaltens als konstruktiv bzw. destruktiv beurteilt werden.

Auch in Bezug auf das Konzept der Emotionsregulation existiert kein einheitlicher theoretischer Ansatz (Gross 2002; Koole 2009). Vielmehr werden verschiedene Ansätze je nach theoretischer Herkunft und Fokus der Betrachtung diskutiert und einander gegenübergestellt:

Innerhalb der Emotionsregulationsforschung ist besonders der Ansatz von Gross (2007) bekannt geworden. Der Autor unterscheidet fünf verschiedene Strategien der Emotionsregulation in seinem Prozessmodell zur Emotionsregulation, bspw. der Aufmerksamkeitssteuerung, wobei die Aufmerksamkeit auf mögliche Aspekte der Situation ausgerichtet wird, um Emotionen zu modifizieren (z. B. kann der Fokus der Aufmerksamkeit auf nicht-emotionale Aspekte der Situation gelenkt oder gänzlich von der Situation abgelöst werden) der Reaktionsmodulation, wobei der emotionale Ausdruck reguliert bzw. unter Kontrolle gebracht wird oder der kognitiven Veränderung, indem die Bewertung einer gegebenen Situation und damit ihr emotionaler Gehalt verändert wird (z. B. durch die Betrachtung einer Situation aus einer anderen Perspektive oder die Einbeziehung eines anderen Aspekts, sodass sie z. B. statt negativer nun positive Attribute erhält).

Auch innerhalb des Vier-Facetten-Modells der Emotionalen Intelligenz von Mayer und Salovey (1997) ist die Emotionsregulation, d. h. die Fähigkeit, eigene Emotionen und die anderer zu regulieren, eine zentrale Dimension. Sie beinhaltet folgende Teilfähigkeiten:

  1. 1.

    sowohl für angenehme als auch für unangenehme Gefühle offenbleiben, damit aus den Emotionen gelernt wird und somit emotionales und intellektuelles Wachstum gefördert wird

  2. 2.

    sich auf Emotionen entweder einlassen oder sich von ihnen loslösen, abhängig davon, wie informativ und nützlich sie eingeschätzt werden

  3. 3.

    Emotionen in Beziehung zu sich selbst und zu anderen reflexiv betrachten, und evaluieren, wie klar oder typisch eine Emotion ist, ob sie Einfluss auf die eigene Person hat, oder wie akzeptabel sie ist (Meta-Evaluation)

  4. 4.

    Emotionen bei sich und bei anderen regulieren, indem angenehme Emotionen verstärkt und unangenehme gemäßigt werden, ohne dabei die Bedeutung dieser Emotionen abzuschwächen oder aufzuwerten (Meta-Regulation)

Die beiden höchsten Fähigkeiten der reflexiven Emotionsregulation (3 und 4) entsprechen dabei dem Evaluations- und Regulationsaspekt des sog. Meta-Mood-Konzepts (Mayer und Stevens 1994), das hier ebenfalls als spezifische Facette der Emotionsregulation erläutert werden soll: Emotionales Erleben umfasst nach Mayer und Gaschke (1988) mindestens zwei Elemente: das direkte Erleben einer Emotion sowie eine Meta-Ebene des Erlebens, die Gedanken und Gefühle über die Emotion enthält (Meta-Mood-Erfahrung). Meta-Mood beschreibt demnach reflexive Prozesse, die Emotionen und Stimmungen begleiten. Die Meta-Mood-Erfahrung stellt das Produkt eines emotionsregulatorischen Prozesses dar, der die Überwachung, Evaluation und Veränderung der Emotion umfasst. Salovey et al. (1995) differenzieren drei Dimensionen der Meta-Mood-Erfahrung: Aufmerksamkeit für emotionale Inhalte, Klarheit der Emotionswahrnehmung und die Beeinflussbarkeit von Emotionen im Sinne der Neigung zur Aufrechterhaltung und Wiederherstellung positiver Emotionen.

Auch das Self-regulation Model of Emotional Intelligence von Martinez-Pons (2000) betont selbstregulatorische Aspekte emotionaler Intelligenz. Der Autor geht davon aus, dass die Verfügbarkeit von Emotionsregulationsstrategien allein nicht hinreichend für eine erfolgreiche Emotionsregulation ist. Ebenso notwendig sind die Motivation zum Einsatz und zur Verfolgung dieser Strategien, eine regulatorische Zielsetzung sowie die Fähigkeit zur Selbstüberwachung und Selbstevaluation. In seinem Selbstregulationsmodell emotionaler Intelligenz stellt Martinez-Pons (2000) eine Verbindung zwischen Banduras (1986) sozial-kognitiver Theorie und Salovey und Mayers (1990) ursprünglichem Modell der emotionalen Intelligenz her. Die sozial-kognitiven Selbstregulationskomponenten Motivation, Zielsetzung, Strategiegebrauch und Selbstevaluation werden mit den emotionalen Intelligenzkomponenten „Verbindung zu Emotionen“ (Being in touch with one’s moods and emotions), „Klären der Emotionen“ (Sorting out one’s moods and emotions) und „Umgang mit Emotionen“ (Managing one’s moods and emotions) in Beziehung gesetzt: Emotionsregulation wird in diesem Modell somit als selbstregulatorischer Prozess betrachtet, der Motivation zur Emotionsregulation, Zielsetzung im Umgang mit Emotionen, Strategiegebrauch zur Regulation von Emotionen und die Selbstevaluation der Effektivität dieser Emotionsregulationsstrategien umfasst.

Aus den Ausführungen ist deutlich geworden, dass der (intra- und interpersonalen) Emotionsregulation eine hohe Bedeutung in unterschiedlichsten Kontexten zukommt und daher davon auszugehen ist, dass diese auch im Coachingkontext von Relevanz ist, da der Coach sowohl auf seine eigenen Emotionen, als auch auf die des Klienten achten und angemessen Einfluss nehmen sollte, um den emotionalen Anforderungen eines Coachingprozesses gerecht zu werden.

Als Coach Einfluss auf die eigenen Emotionen zu nehmen, sie steuern und regulieren zu können, wird als intrapersonale Emotionsregulation bezeichnet (Gross 2013; Lammers 2011), wohingegen bei der interpersonalen Emotionsregulation der Coach Einfluss auf die Emotionen des Klienten nimmt (Holodynski und Friedlmeier 2006). Eine adäquate Emotionsregulation erfolgt aber nur dann, wenn der Coach selbst Emotionen korrekt wahrnehmen, Gefühlszustände unterscheiden und einordnen kann sowie Einfühlungsvermögen und Fähigkeiten des Erlebens und Nacherlebens, sowie des Verstehens von Emotionen besitzt. In einem Interview (Michel et al. 2014) betont ein Coach die Wichtigkeit der Emotionsregulation für ein erfolgreiches Coaching:

„A coach has to deal with [the coachee’s] discomfort and pain and not be swept by it. If you are emotionally swept by it, or panicked by it, or uncomfortable with it, if you can’t sit with people who are suffering without an attempt or need to rescue, without the need to jump in and rescue and pat them on the shoulder and tell them it’s okay, you shouldn’t become a coach.“ (S. 443)

Diese emotionalen Anforderungen sind gleichzeitig emotionale Kompetenzen, welche im Laufe des Lebens erworben werden, (professionell) trainierbar und nicht angeboren sind.

Die Auseinandersetzung mit dem empirischen Forschungsstand zur emotionalen Kompetenz in Bezug auf Coachingprozesse zeigt, dass nur wenige empirische Studien zu diesem Zusammenhang vorliegen. Das Konzept der emotionalen Kompetenz ist der emotionalen Intelligenz inhaltlich sehr ähnlich und beinhaltet die Fähigkeiten bzw. Kompetenzen der emotionalen Intelligenz. Wie zuvor beschrieben, kann ein emotional kompetenter Coach seine Emotionen regulieren, entscheiden, ob und welche (übertragenen) Emotionen er vom Klienten nutzt und sich aktiv über das emotionale Geschehen im Coachingprozess bewusst ist. Die vorgestellten theoretischen Konzepte und Modelle geben wichtige Hinweise, auf welche Aspekte ein Coach beim Klienten achten sollte und wo bzw. wie er ansetzen muss, um eine günstige Emotionsregulation beim Klienten zu fördern. Ob emotionsregulatorische Prozesse aktiv erfolgen oder inwieweit dies passiv geschieht, gilt es durch weitere Forschung herauszufinden. Außerdem ist es von Interesse, Coaches nach ihrer emotionalen Kompetenz zu befragen, ob und inwiefern Coaches diese schärfen und wahrnehmen. Es besteht somit erheblicher Forschungsbedarf bezüglich der Thematik der emotionalen Kompetenz im Coachingbereich. Abschließend ist festzuhalten, dass Emotionen eine große Rolle im Coachingprozess spielen, denn sie geben bei entsprechender Beobachtung u. a. Rückmeldung über das Beziehungsverhalten von Coach und Klient und bieten dem Coach reichlich Beobachtungs- und anschließend Handlungsmaterial. Auch bei Strategien der Emotionsregulation wird zwischen intrapersonalen und interpersonalen Komponenten unterschieden (Holodynski und Friedlmeier 2007), sodass hier ein weiterer Anhaltspunkt für diese Unterscheidung gegeben ist und daher im Rahmen der Modellierung zu berücksichtigen ist.

3.4 Kompetenzmodell zur Beschreibung emotionaler Kompetenzen eines Coaches im Coachingprozess

Welche Zugänge und Methoden stehen zur Verfügung, um Kompetenzmodelle zu entwickeln? In diesem Zusammenhang wird insbesondere zwischen induktiven und deduktiven Modellierungsstrategien unterschieden (Schaper 2009). Eine induktive Bestimmung bzw. Modellierung von Kompetenzen beinhaltet, dass diese überwiegend auf der Basis empirischer Analysen in einer Handlungsdomäne generiert werden. Bei deduktiven Vorgehensweisen geht die Kompetenzmodellierung von bereits existierenden Kompetenzkategorien auf der Basis theoretischer Modelle bzw. Annahmen aus. Die deduktive Strategie bezieht sich dabei auf kognitions- und lerntheoretisch fundierte Modellvorstellungen (z. B. zur Expertiseentwicklung in einer Domäne) und/oder auf fachsystematische Konzepte zur Bestimmung von Bildungszielen. Steht man vor der Wahl, welche der genannten Herangehensweisen zur Kompetenzmodellierung besser geeignet ist, so liegt wohl eine angemessene Lösung eher in der Kombination der Strategien. Theoretisch bzw. deduktiv fundierte Ansätze gewährleisten zunächst den Bezug zum Forschungsstand in einer Domäne und helfen, die empirischen bzw. induktiven Analysen zu fokussieren und zu systematisieren (vgl. hierzu bspw. Michel et al. 2014). Deduktiv orientierte Ansätze zur Kompetenzbestimmung sind somit bedeutsame Ergänzungen und Korrektive empirischer bzw. induktiver Verfahrensweisen. Eine rein deduktiv orientierte Kompetenzbestimmung würde allerdings den an realen beruflichen Herausforderungen orientierten Situations- und Anforderungsbezug von Kompetenzen vernachlässigen. Empirische bzw. induktiv orientierte Kompetenzanalysen sichern diesen zentralen Anspruch der Kompetenzmodellierung und sollten daher zur Ergänzung und als Korrektiv zu deduktiv orientierten Verfahrensweisen dienen.

Im Allgemeinen geben Kompetenzstrukturmodelle eine „möglichst umfassende Beschreibung erforderlicher Kompetenzen für eine Domäne“ (Schaper 2012, S. 42) und sind damit Voraussetzung für eine differenzierte Kompetenz- und Leistungsmessung oder für die Ableitung von Ansätzen zur Entwicklung entsprechender professioneller Kompetenzen. Auf Basis der dargestellten Konzepte, Theorien und Forschungsansätze emotionaler Regulationsanforderungen und -fähigkeiten sowie den Untersuchungen zu emotionalen Anforderungen im Coachingprozess wurde ein erstes Kompetenzmodell zur Beschreibung emotionaler Kompetenzen eines Coaches im Coachingprozess entwickelt bzw. deduktiv hergeleitet (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Deduktiv hergeleitetes Kompetenzmodell zur Beschreibung emotionaler Kompetenzen eines Coaches im Coachingprozess

Bei der Konzeption des Kompetenzmodells wurde eine hierarchische Strukturierung vorgenommen, sodass die emotionale Kompetenz über mehrere Ebenen hinweg zunächst anhand weniger Kategorien strukturiert und dann auf weiteren Stufen immer weiter aufgegliedert und konkretisiert wurde (siehe auch Tab. 3).

Tab. 3 Domänenbezogene definitorische Bestimmung der Kompetenzfacetten und vertiefende Erläuterungen zum Rahmenmodell emotionaler Kompetenz eines Coaches

Das Modell basiert auf theoretischen Konzepten zur emotionalen Kompetenz bzw. Intelligenz und fokussiert dabei auf Aspekte bzgl. der emotionalen Kompetenz eines Coaches, wobei folgende theoretische Ansätze miteinflossen:

  1. 1.

    Ansätze der emotionalen Intelligenz (z. B. Gardner 1999; Goleman 1995, 1998; Mayer und Salovey 1997),

  2. 2.

    Schlüsselfertigkeiten der emotionalen Kompetenz (z. B. Rindermann 2009; Saarni 2002),

  3. 3.

    Ansätze der Emotionsregulationsforschung (z. B. Gross 2002, 2007; Martinez-Pons 2000; Salovey et al. 1995),

  4. 4.

    Theoretische Ansätze von Autoren, die sich vertiefter und differenzierter mit den emotionalen Anforderungen an einen Coach auseinandersetzen (Bachkirova und Cox 2007; Cremona 2010; Hasenbein und Riess-Berger 2014; Michel et al. 2014; siehe auch Tab. 3, Spalte 1, „und deren zentrale Quellen“) sowie

  5. 5.

    Theorien und Wirkfaktoren der Psychotherapieforschung (z. B. Grawe 1994, 2004; Greif 2008, 2015).

So wurde eine Liste mit allen relevanten Aspekten erstellt, wobei in einem nächsten Schritt doppelte Konstrukte sowie Anforderungsbereiche, die nichts mit emotionalen Anforderungen im Sinne der emotionalen Kompetenz eines Coaches zu tun haben, herausgefiltert wurden. Schließlich wurden die verbliebenen Facetten ähnlichen Dimensionen zugeordnet, sodass übergeordnete Modellkategorien gebildet wurden und schließlich neun zentrale Dimensionen entstanden:

Auf der ersten Ebene des Kompetenzmodells wird zwischen „Intrapersonalen Kompetenzen“ und „Interpersonalen Kompetenzen“ unterschieden (in Anlehnung an Golemans Einteilung der persönlichen und sozialen Kompetenzen (1995, 1998), Gardners Einteilung der intra- und interpersonalen Elemente multipler Intelligenzen (1999), bzw. Holodynskis und Friedlmeiers (2006) Einteilung in intrapersonale und interpersonale Elemente der Emotionsregulation), um Strategien des Coaches bei sich selbst und in Bezug auf den Klienten zu unterscheiden und abzudecken.

Auf der zweiten Ebene werden der Kompetenzdimension „Intrapersonale Kompetenzen“ anschließend vier Subkonstrukte und der Dimension „Interpersonale Kompetenzen“ fünf Subkonstrukte unter Heranziehung verschiedener Konzepte der emotionalen Intelligenz bzw. Kompetenz und der Emotionsregulation sowie einschlägiger Konzepte und Studien der Coachingforschung zugeordnet. Bei den „Intrapersonalen Kompetenzen“ handelt es sich um folgende vier Subkonstrukte:

  • Wahrnehmen und Verstehen der eigenen Emotionen (hierbei wird Bezug genommen auf eine zentrale Komponente der emotionalen Intelligenz nach Mayer und Salovey (1997), eine zentrale Komponente der emotionalen Kompetenz nach Rindermann (2009) (der Fähigkeit zum Erkennen eigener Gefühle) sowie die erste Schlüsselfähigkeit nach Saarni (2002), aber auch auf weitere einschlägige Konzepte),

  • Analysieren und Reflektieren eigener Emotionen und Haltungen (auch hierbei wird Bezug genommen auf eine weitere zentrale Komponente der emotionalen Intelligenz (Mayer und Salovey 1997), die erste sowie weitere Schlüsselfähigkeiten von Saarni (2002) sowie Bewältigungsstrategien (im Umgang mit eigenem Verhalten und eigenen Emotionen) von Coaches in Anlehnung an Cox und Bachkirova 2007, Bachkirova und Cox 2007 sowie Cremona 2010 etc.),

  • Authentizität/Echtheit (hierbei wird Bezug genommen auf Aspekte der inneren Haltung des Coaches bzw. der authentischen Kommunikation mit dem Klienten in Anlehnung an Bachkirova und Cox 2007 sowie Greif et al. 2012 etc.),

  • Intrapersonale Emotionsregulation (hierbei beziehen wir uns auf eine zentrale Komponente der emotionalen Intelligenz nach Mayer und Salovey (1997), die selbstregulatorischen Aspekte emotionaler Intelligenz von Martinez-Pons 2000, eine zentrale Komponente der emotionalen Kompetenz nach Rindermann (2009) (die Fähigkeit zur Regulation eigener Gefühle), darüber hinaus auf weitere zentrale Strategien der Emotionsregulation nach Gross 2002, 2007 etc.).

Bei den „Interpersonalen Kompetenzen“ erfolgt darüber hinaus eine weitere Unterteilung in zwei Subdimensionen: (1) Emotionale Fremdwahrnehmung und (2) Interpersonale Emotionsregulation. Die „Emotionale Fremdwahrnehmung“ untergliedert sich weiter in folgende Subkonstrukte mit ihren jeweiligen konzeptionellen Bezügen:

  • Wahrnehmen und Verstehen von Emotionen des Klienten (hierbei wird Bezug genommen auf eine zentrale Komponente der emotionalen Intelligenz nach Mayer und Salovey (1997), die zweite Schlüsselfähigkeit nach Saarni (2002) sowie eine zentrale Komponente der emotionalen Kompetenz nach Rindermann (2009) (Fähigkeit zum Erkennen fremder Gefühle) etc.),

  • Empathie und Achtsames Zuhören (hierbei beziehen wir uns auf die vierte Schlüsselfähigkeit nach Saarni (2002) sowie eine zentrale Komponente der emotionalen Intelligenz nach Goleman 1995 etc.), und

  • Bewusstsein für Übertragung (hierbei wird Bezug genommen auf emotionale Aspekte des Coachings nach Bachkirova und Cox (2007) und wiederum die erste Schlüsselfertigkeit nach Saarni (2002) sowie die Forschungsergebnisse von Giernalczyk et al. 2013, etc.).

Die „Interpersonale Emotionsregulation“ unterteilt sich abschließend in folgende Subkonstrukte:

  • Einflussnahme auf die emotionale Reaktion oder Bewertung des Klienten (hierbei wird wiederum Bezug genommen auf eine zentrale Komponente der emotionalen Intelligenz (Mayer und Salovey 1997), die emotionalen Schlüsselfertigkeiten (Saarni 2002), welche für eine erfolgreiche Regulation von Emotionen von Bedeutung sind sowie zentrale Strategien der Emotionsregulation nach Gross 2007, 2013), und

  • Emotionale Beziehungsgestaltung zwischen Coach und Klient (hierbei beziehen wir uns z. B. auf den Wirkfaktor „Wertschätzung und emotionale Unterstützung“ (Greif 2008; 2015), eine zentrale Komponente der emotionalen Intelligenz nach Goleman (1995) sowie weitere Fertigkeiten zur Beziehungsgestaltung im Coachingprozess z. B. nach Cremona 2010 sowie Michel et al. 2014 etc.).

Darauf aufbauend wurde auf einer dritten Ebene zur Konkretisierung der Anforderungsfacetten das oben beschriebene Kompetenzstrukturmodell hinsichtlich seiner Strukturelemente weiter ausformuliert, um die im Modell benannten Teilkonstrukte genauer zu definieren und für den Anwendungskontext Coaching zu konkretisieren. Dazu wurden die in diesem Kontext herangezogenen Theorien und Ansätze der Coaching- und Emotionsforschung weiter ausgewertet und für die Ausdifferenzierung der neun Subkonstrukte herangezogen. Tab. 3 gibt jeweils wieder, wie die genannten neun Subkonstrukte der emotionalen Kompetenz beim Coaching definiert werden können und welche weiteren Subfacetten (mit Bezug auf den Coachingkontext) anhand der einschlägigen Forschungsbezüge jeweils pro Subkonstrukt identifiziert und beschrieben werden können. Außerdem werden vertiefende Erläuterungen zur Bedeutung und Relevanz der Subkonstrukte und ihrer weiteren Subfacetten gegeben.

In weiteren Arbeitsschritten und Studien soll das Modell mithilfe empirischer Verfahrensweisen konkretisiert, ausdifferenziert und validiert werden (vgl. Niedermeier und Schaper in Vorber.).

4 Ausblick

Das vorgestellte Kompetenzmodell stellt einen ersten Versuch dar, die relevanten emotionalen Kompetenzen eines Coaches anhand eines konzeptionellen und theoretisch fundierten Zugangs abzubilden. Die zentralen Besonderheiten des Kompetenzmodells liegen (1) in der breiten theoretischen Verankerung der Modelldimensionen, (2) in der umfassenden Abdeckung verschiedener inhaltlicher Schwerpunkte der emotionalen Kompetenz und (3) der dennoch sparsamen Operationalisierung der Inhalte in neun Modelldimensionen. In einem weiteren Schritt soll das Kompetenzmodell empirisch überprüft werden. Schaper (2009) betont die Wichtigkeit der Validierung des Kompetenzmodells „hinsichtlich seiner Gültigkeit im Sinne einer präzisen, inhaltlich stimmigen, kriterien- und konstruktgerechten sowie sparsamen und nützlichen Beschreibung der relevanten psychologischen Sachverhalte“ (S. 10). Wünschenswert ist es daher, durch Expertenbeurteilungen fundierte Hinweise bezüglich der Bedeutsamkeit bzw. Relevanz, Vollständigkeit, Differenziertheit bzw. Detailliertheit und Verständlichkeit des Kompetenzmodells zu erhalten. Im Folgenden werden daher Möglichkeiten zur inhaltlichen Validierung und Operationalisierung des Kompetenzmodells sowie eines zukünftig zu entwickelnden Erfassungsinstrumentes, vorgestellt.

4.1 Inhaltliche Validierung und Operationalisierung des Kompetenzmodells

Um zu überprüfen, inwieweit das aufgestellte Kompetenzmodell tatsächlich die emotionale Kompetenz eines Coaches abbildet, und ob die Facetten der emotionalen Kompetenz hinsichtlich ihres Bedeutungsinhalts hinreichend dargestellt werden, sollen Coachingexperten dieses hinsichtlich seiner Güte und Qualität in zukünftigen Forschungsvorhaben bewerten, was einer inhaltlichen Validierung des Kompetenzmodells entspricht.

Einen qualitativen Ansatz bezüglich der inhaltlichen Validierung des Kompetenzmodells bieten explorative Experteninterviews, bei denen ausgewählte, erfahrene Coachingexperten in halbstrukturierten Interviews zu konkreten emotionalen Kompetenzanforderungen im Coachingprozess sowie zu ihrer emotionalen Kompetenz befragt werden. Relevante Fragen in diesem Zusammenhang sind: Wodurch zeichnet sich die emotionale Kompetenz im Coachingprozess aus? Welchen konkreten emotionalen Anforderungen muss sich ein Coach im Coachingprozess stellen? Wann genau ist die emotionale Kompetenz im Coachingprozess bedeutsam? usw.

Ein weiteres Beispiel für eine qualitative Erhebungsmethode zur inhaltlichen Validierung ist die Critical Incident Technique (Bownas und Bernardin 1988). Hierbei wird versucht, erfolgsrelevante und herausfordernde Situationen und Handlungsweisen zu identifizieren, um spezifischer beschreiben zu können, welche emotionalen Fertigkeiten und Fähigkeiten Coaches zur effektiven Bewältigung eines Coachingprozesses benötigen (Schaper 2009). Nach der Erhebung und Sammlung der anforderungsbezogenen Informationen zur emotionalen Kompetenz soll eine Auswertung mittels eines quantitativen Verfahrens erfolgen.

Einen quantitativen Ansatz zur Überprüfung der Inhalts- sowie Konstruktvalidität des Kompetenzmodells bieten weiterhin Expertenratings, bei denen, basierend auf den qualitativen Erhebungen, mögliche Items, Definitionen und Konstrukte Experten vorgelegt und von ihnen eingestuft werden.

Auf Basis des Kompetenzmodells soll im Anschluss ein Testverfahren entwickelt werden, welches anhand von Selbst- oder Fremdeinschätzungen die emotionale Kompetenz eines Coaches erfassen und hinsichtlich seiner Ausprägungen bzw. seiner Stärken und Schwächen beschreiben kann.

Eine Erhebungsmethode zur Operationalisierung des Kompetenzmodells bietet die klassische Form des Fragebogens, welcher sich eher auf situationsübergreifende Aspekte bezieht. Eine Variante ist der Situational Judgement Test (Muck 2013), eine Kombination aus situationalem Interview und Fragebogen, der situationsspezifisch in schriftlicher und standardisierter Form (oder auch videobasiert) anforderungsbezogene Situationen, Wahrnehmungsaspekte, Reaktionsweisen usw. darbietet und zur vorgestellten Situation passende und angemessene Reaktionen abfragt. „Dieses simulationsorientierte Verfahren [als paper-pencil Verfahren] kann als ökonomischer Kompromiss zwischen Selbsteinschätzungsfragebögen und Beobachtungsverfahren gelten, da es einerseits eine relativ realitätsnahe Erhebung erlaubt und andererseits auch an großen Stichproben“ (Weresch-Deperrois 2014, S. 72) durchführbar ist.

Durch Überprüfung und anschließender Modifizierung des Kompetenzmodells kann der Fokus stärker auf erfolgsrelevante Verhaltensweisen und Fähigkeiten im Umgang mit emotional herausfordernden Situationen im Coachingprozess gelegt werden. Hierdurch kann insbesondere die Entwicklung der emotionalen Kompetenzen gefördert werden, die zur praktischen Bewältigung beruflicher Situationen als Coach benötigt werden.

5 Fazit

Für den Coachingberuf als beratungsbezogene Dienstleistungstätigkeit ist es sehr bedeutsam, sich den emotionalen Anforderungen, wie der Rollenvielfalt oder Emotionsarbeit, im Coachingprozess zu stellen. Ein Coach muss z. B. in der Lage sein, seine eigenen Grenzen zu erkennen (z. B. psychische Störungen bei seinen Klienten zu erkennen und nicht selber zu behandeln), dies mit dem Klienten zu besprechen und gemeinsam Lösungen zu finden. Vor dem Hintergrund der dargestellten Anforderungen kann angenommen werden, dass mangelnde emotionale Kompetenz eines Coaches den Erfolg des Coachingprozesses einschränkt und behindert. Studienergebnisse zeigen, dass schädliche bzw. unerwünschte Folgen für den Coach auftreten können, die im Zusammenhang mit dem Coachingprozess stehen. Um unter Anderem die negativen Auswirkungen des Coachingprozesses für den Coach zu reduzieren oder gar zu verhindern, ist es erforderlich, mehr über emotionale Kompetenzen von Coaches zu wissen. Der Forschungsstand zu emotionalen Kompetenzen eines Coaches weist jedoch insgesamt noch deutliche Lücken auf.

Insgesamt eröffnet das entwickelte Kompetenzmodell vielfältige Einsatzmöglichkeiten zur Diagnose und bei der Entwicklung von emotional kompetentem Verhalten eines Coaches im Rahmen von Coachingausbildungen, -weiterbildungen und Supervisionen für den deutschsprachigen Raum. (1) So ließen sich auf dieser Basis aktuelle Lehr- und Lerninhalte von Weiterbildungsprogrammen zur Verbesserung der emotionalen Kompetenzen ableiten und weiter aufbauen. Hierdurch kann auch nachhaltig dazu angeregt werden, kritische Selbstreflexionsprozesse bzgl. der emotionalen Kompetenz durchzuführen. (2) Durch die Auseinandersetzung mit (dokumentierten) Beispielen bzgl. der emotionalen Anforderungen aus der Praxis und der damit verbundenen Selbsteinschätzung der eigenen emotionalen Kompetenzdimensionen, kann der Coach abwägen, ob individueller Weiterbildungsbedarf besteht. Auf der Grundlage der Selbsteinschätzungen können sodann Reflexions- oder Supervisionsmaßnahmen zielgerichteter aufgestellt werden, um die eigene emotionale Kompetenz kritisch und systematisch weiterzuentwickeln.

Mit den durch diesen Beitrag gewonnenen Erkenntnissen auf Basis von Ansätzen zur Kompetenzmodellierung soll die Forschung im Bereich der emotionalen Kompetenz von Coaches im Coachingprozess angestoßen werden. Es liefert u. E. zumindest Orientierung für die weitere Forschung, indem es sich auf zentrale Konzepte und Erkenntnisse der Forschung zur emotionalen Intelligenz, emotionalen Kompetenz und Emotionsregulation bezieht.