Dass der Sport im Vergleich zu anderen – vor allem institutionalisierten – Freizeitaktivitäten eine geringere soziale Selektivität aufweist, zeigt die Partizipation im organisierten Sport, aber auch in informellen Kontexten. Und dennoch, trotz einer weithin beobachteten Versportlichung des Alltags (wie bereits in der Jugendforschung der 1980er-Jahre von Jürgen Zinnecker beschrieben), verbunden mit einer Differenzierung und Pluralisierung von Sportaktivitäten, Sportarten und Sportinteressen, sind soziale Differenzlinien unübersehbar. Sportliches Handeln ist in soziale Strukturen eingebettet und soziodemografische Merkmale (vor allem Gender, Migration, sozioökonomischer Status und Behinderung) beeinflussen es weiterhin. Der Beitrag von Bewegung, Spiel und Sport für die Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen ist gemeinhin geteilt, wenngleich mit unterschiedlichen (politischen) Setzungen (Gesundheit, Integration, Prävention, auch Bildung). Da in einem Stichwort natürlich kein systematischer Review entstehen kann, dient die Theatermetapher (Abb. 1) als Rahmung.

Abb. 1
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Aufführung im Theater (Symbolbild). Foto: LSB NRW/Lutz Leitmann

Erster Akt: Das übergeordnete Ziel

Im ersten Akt (Exposition) wird das übergeordnete bildungspolitische Ziel, die Verbesserung der bildungsbiografischen Möglichkeiten von Kindern und Jugendlichen, eindrücklich herausgestellt. Die soziale Ungleichheit in den Dimensionen Bildung (und Gesundheit) stellt die Bildungsinstitutionen vor neue Herausforderungen. Zunehmend mehr Kinder verbringen wachsende Zeitanteile in schulischen Settings, und so vergrößert sich die Verantwortung von Ganztagsschulen zur Verminderung von sozialer Ungleichheit. Ganztagsschulen (ob gebunden, teilgebunden oder offen) sollen Sport als Bildungsbeitrag in einen rhythmisierten Schultag integrieren und sind in der Regel auf Kooperationspartner angewiesen. Von der Politik werden Perspektiven zukunftsweisender Kooperationen und Gestaltungsmöglichkeiten an Schule und Sportverein herangetragen. Es entsteht eine große Unübersichtlichkeit und Unsicherheit: Wo wird welcher Sport angeboten und vor allem, wie wird der Sport angeboten? Mit dieser Entgrenzung von Sport und auch Bildung in Bezug auf Orte, Inhalte (beispielsweise Sportangebote im Ganztag) und Zeiten (Verlängerung der institutionalisierten Kindheit/Jugend in Ganztagsschulen und anderen Bildungseinrichtungen) erfolgt der Ruf nach einer Erweiterung der verantwortlichen Professionen über die Gruppe der Lehrkräfte hinaus (etwa Trainer*innen, Übungsleiter*innen, Sozialpädagog*innen).

Zweiter Akt: Transformationsprozesse

Die Spielarten der unterschiedlichen Akteure des Sports sind vielfältig; so entsteht im zweiten Akt (Entwicklung) eine enorme Dynamik durch allgemeine bildungspolitische Transformationsprozesse (vor allem Rechtsanspruch auf ganztägige Bildung, Inklusion, Digitalisierung), die letztlich auch ein neues Schulsportsetting in der ganztägigen Bildung hervorbringen. In der Kooperation von Ganztagsschule und Sportverein sind die organisationalen Rahmenbedingungen zu klären, damit verbunden ist die Verständigung der Rolle des Sportvereins respektive der Übungsleitenden im Ganztag. Für die Sportvereine besteht die größte Herausforderung darin, die personelle Ressource (Verfügbarkeit, Qualifikation der Anbieter und die Abwicklung der internen Verwaltungsprozesse) sicherzustellen. Als ausschlaggebender Faktor dafür ist die Größe des Sportvereins, verbunden mit der Verfügbarkeit hauptamtlichen Personals, anzusehen. Übernimmt ein Sportverein die Trägerschaft des Ganztags, zeugt dies von entsprechendem Potenzial (vor allem Hauptberuflichkeit) und erlaubt zudem eine enorme Gestaltungsfreiheit auch über den Sport hinaus (zum Beispiel Hausaufgabenbetreuung). Zur Sicherstellung der fachlichen und pädagogischen Qualifikationen des im Ganztag eingesetzten Personals sind qualitative Mindestanforderungen zu entwickeln und entsprechende Fortbildungssysteme anzubieten. Der organisierte Sport verfügt aufgrund seiner differenzierten Verbandsstruktur und eines elaborierten Zertifizierungssystems über spezifische Ressourcen, die die (Mit‑)Gestaltung des Ganztags ermöglichen. Insbesondere Konzepte zum Umgang mit Heterogenität und zur Inklusion gehören noch stärker in die Praxis implementiert.

Obgleich der gemeinwohlorientierte Sport nicht zuletzt aus seinem Selbstverständnis heraus als Bildungspartner Nr. 1 für die Schulen gilt, darf nicht übersehen werden, dass der Sport vor Ort grundsätzlich in Verantwortung unterschiedlicher Akteure (Institutionen/Organisationen) vertreten sein kann. Neben diversen kommerziellen Sportanbietern (wie Fitnessstudios, Kampfsportschulen, Tanzschulen) oder Sport- und Bewegungsangeboten in Jugendzentren existiert mittlerweile eine Vielzahl an sozialen Sportprojekten. Grundsätzlich können hier auch Überlappungen und/oder Kooperationen (zum Beispiel zu Schule und Sportverein) bestehen – allerdings sind die Rahmenbedingungen und Konzepte häufig divers und daher lohnt ein differenzierter Blick auf soziale Sportprojekte. Dem Sport mit seinen universellen Werten und Perspektiven wird von jeher ein enormes soziales Integrationspotenzial zugeschrieben. Dies ist zum einen aus der Attraktivität des Gegenstandfeldes Bewegung, Spiel und Sport für Kinder und Jugendliche ableitbar und nachvollziehbar; zum anderen scheint aber auch der niedrigschwellige Zugang und die relativ leichte Umsetzung in Bezug auf Räume und Materialien im Vergleich zu anderen jugendkulturellen Aktivitäten wie Musik oder Kunst ausschlaggebend für die vielfältigen Aktivitäten rund um den Sport zu sein. Mittlerweile widmen sich zunehmend Akteure jenseits von Schule und organisiertem Sport (beispielsweise freie Träger der Kinder- und Jugendhilfe oder Stiftungen) der sportbezogenen Bildungs- und Sozialarbeit. Es verwundert daher nicht, dass das Feld sozialer Projekte im Sport in Bezug auf Anbieter, Zielgruppen, Organisationsstruktur, Finanzierung, Zielsetzungen, Inhalte und Methoden weit und unübersichtlich gefächert ist. Was macht nun aber den Unterschied zum tradierten Sportvereinsangebot? Die Verbindung von Sport und Sozialer Arbeit! Auf der Basis multiprofessioneller Strukturen, wie sie in den sozialen Sportprojekten vorherrschen, erfolgt die Annäherung der Bereiche Sport und Soziale Arbeit mit dem Ziel, adäquate Angebote zu entwickeln und Antworten auf gesellschaftliche Problemlagen zu finden. Da weder der Sport noch die Soziale Arbeit in ihrem originären Professionsverständnis den Bereich des jeweils anderen bedienen können, gilt es, neue Möglichkeiten für den Aufbau von Beziehungen bislang unverbundener Akteure zu eruieren. Jedoch gelingt es noch zu selten, in den alltäglichen Handlungskontexten die institutionellen Grenzen zu überwinden, Synergieeffekte zu generieren und mit einer inhaltlich abgestimmten Strategie bestmögliche Lösungen für die Adressat*innen, die benachteiligten Kinder und Jugendlichen, zu entwickeln und umzusetzen.

Dritter Akt: Sport in der kommunalen Bildungslandschaft

Im dritten Akt gelingt die Auflösung der Gemengelage in der „Denkfigur“ einer kommunalen Bildungslandschaft. In unserem Stück ist der Sport weniger solitär zu verstehen, sondern stärker in der Rahmung einer kommunalen Bildungslandschaft zu beschreiben und zu analysieren. Obgleich eine Forschung zur Wirksamkeit von sportbezogenen Konzepten und Maßnahmen in der übergeordneten Rahmung einer kommunalen Bildungslandschaft bislang praktisch nicht stattfindet, bieten einige Studien mittlerer Reichweite durchaus Orientierungspunkte und zeigen Entwicklungslinien auf, die Anlass für vorsichtigen Optimismus geben: Sportprojekte erreichen sozial benachteiligte Kinder und Jugendliche und unterfüttern den programmatischen Anspruch sozialer Integration, wenn die Handelnden in der Lage sind, diesen Anspruch auch zu übersetzen, auszubuchstabieren in lebensweltliche Realitäten. Darüber hinaus ist offensichtlich, dass durch die Zusammenarbeit von Menschen aus unterschiedlichen Institutionen mit unterschiedlichen Professionen neue Ideen, Modelle und Konzepte entstehen. Gemeinsame Sportprojekte können Bildungslandschaften lebendig machen, da der Sport vielfältige Lerngelegenheiten bietet, die je nach Perspektive unterschiedlich ausgestaltet werden und so die bildungsbiografischen Chancen von Kindern und Jugendlichen verbessern können. Idealerweise sollte die Umsetzung und Ausgestaltung auf verschiedenen Ebenen wissenschaftlich begleitet beziehungsweise evaluiert werden: auf der (kommunal-)politischen Ebene (zum Beispiel Sensibilisierung anderer Politikbereiche für die Potenziale des Sports), auf der Konzept- und Strategieebene (zum Beispiel Expertise für Diversität und Inklusion) und auf der konkreten Angebotsebene (inhaltliche Qualität und ihre Wirkung auf die Zielgruppe). Zentrale Entwicklungslinien sind dabei (1) die Konzeptentwicklung an der Schnittstelle von Sportpädagogik und Sozialer Arbeit, verbunden mit (2) Wirksamkeitsstudien (auch für die Theorieentwicklung) für eine bessere Sichtbarkeit und (sport-)politische Legitimation (unter anderem, um Strukturen, wie beispielsweise Koordinationsstellen, nachhaltig zu gestalten).

„Wir stehen selbst enttäuscht und sehn betroffen // Den Vorhang zu und alle Fragen offen“

(Bertolt Brecht, Der gute Mensch von Sezuan)