Liebe kartographiebegeisterte Leserinnen und Leser!

Haben Sie auch schon einmal das „Programm“ ChatGPT ausprobiert, das mit Hilfe von maschinellem Lernen bzw. Künstlicher Intelligenz (KI) auf eine beliebige Aufgabe oder Frage automatisch einen Antworttext erzeugt? Mein erster Versuch – aus gegebenem Anlass (genauer: dem Anlass, dieses Editorial zu schreiben…) – startete mit der Aufgabe: „Schreibe einen Aufsatz über die Zukunft der Kartographie!“

Das Ergebnis ist verblüffend: Der rund halbseitige Text enthält wichtige aktuelle Trends – die verstärkte Nutzung von Fernerkundungsdaten, den Einsatz von Künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen, die Verbindung zu Virtual und Augmented Reality oder die Verfügbarkeit von Open Data und Open Source Software. Der Beitrag endet mit der – für uns Kartographinnen und Kartographen gern gehörten Schlussfolgerung, „dass sich das Gebiet der Kartographie schnell entwickelt, angetrieben von technologischen Fortschritten und der wachsenden Verfügbarkeit von Daten. Diese Trends ermöglichen es, detailliertere, genauere und aktuellere Karten zu erstellen, […]. Dies wird erhebliche Auswirkungen auf eine Vielzahl von Branchen und Anwendungen haben und weiterhin die Art und Weise prägen, wie wir die Welt um uns herum verstehen und uns darin zurechtfinden“.

Diejenigen unter Ihnen, die beim Neujahrsempfang der DGfK im Januar den hochinteressanten Keynote-Vortrag von Prof. Dr. Paul Becker, dem Präsidenten des Bundesamts für Kartographie und Geodäsie (BKG), hören konnten, werden diese Trends bekannt vorkommen. Ich möchte damit aber keinesfalls das Gerücht streuen, dass Prof. Becker sich bei ChatGPT bedient hat – es war angesichts seiner zusätzlichen Detailinformationen, zahlreichen Beispiele und subjektiven Schlussfolgerungen mehr als deutlich, dass hier keine Maschine, sondern ein ausgezeichneter Experte seine Visionen zusammengetragen hat.

Dennoch sind die Ergebnisse von ChatGPT beeindruckend. Auch wenn sich natürlich immer wieder Fehler, teilweise auch von haarsträubender Art, einschleichen oder Themen oft nur oberflächlich behandelt werden, so ist doch zu erwarten, dass sich mit der (Lern-)Zeit die Qualität der Antworten weiter verbessern wird. Automatisch erzeugte Texte werden in vielen Bereichen Einzug halten – trotz aktuell noch vieler Probleme wie Urheberrechts- und Haftungsfragen, fehlender Quellenangaben, mangelhafter Gender- oder Minderheitenberücksichtigung u.v.m. Es hat auch schon zurecht die Diskussion darüber begonnen, wie Schulen, Hochschulen und sicherlich auch Fachzeitschriften wie die KN mit dieser Möglichkeit des „Ghostwriting“ umgehen können und sollen.

Aufgrund von Entwicklungen wie ChatGPT kommt man unweigerlich auf die Idee, auch Karten automatisch erzeugen zu lassen: „Erzeuge mir eine Karte über die Entwicklung der Bevölkerungsdichte der US-Staaten zwischen 1980 und 2020!“ Sicherlich ist diese Aufgabe bezüglich ihrer Art und Komplexität nicht vergleichbar mit der bisher erwähnten Texterzeugung. Und siehe da: ChatGPT antwortet auf diese Anfrage auch sehr ehrlich: „Es tut mir leid, ich bin ein KI-Sprachmodell und habe nicht die Fähigkeit, eine Karte zu generieren.“Dann schreibt das Programm aber doch einen kurzen Text, der den notwendigen Arbeitsablauf skizziert – beginnend mit dem Hinweis, dass notwendige Daten „häufig beim US Census Bureau oder anderen Regierungsbehörden erhältlich“ seien und man eine GIS-Software wie ArcGIS oder QGIS verwenden kann, um damit eine Choroplethenkarte zu erstellen. Auch alternative Webmapping-Tools werden erwähnt. Abschließend erhält man die Aussage: „Es ist wichtig, die Visualisierungstechniken und die zu verwendende Klassifizierungsmethode zu berücksichtigen, um die Karte lesbar und leicht interpretierbar zu machen“.

Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass solche sehr oberflächlichen Antworten zusammen mit konkreten Regeln, die kartographisches Wissen formalisieren, in der Zukunft durchaus zu einer automatischen Erstellung von Karten führen werden. Der in den letzten Jahren vernachlässigte Bereich der kartographischen Ontologien, der eine formale Repräsentation von Wissen und Regeln zur Kartenherstellung bezweckt (z. B. in Form von Wenn-Dann-Beziehungen), wird in diesem Zusammenhang sicherlich wieder größere Bedeutung erlangen.

Dieses Szenario mag für einige Kartographinnen und Kartographen weit entfernt, für andere gar gruselig klingen, weil es die „klassische“ kartographische Arbeit verändern wird. Ein ähnlich dramatischer Umbruch erfolgte in den 1970er und 1980er Jahren, als die Kartenherstellung von manuell auf digital umgestellt wurde, dies auf den ersten Blick Kartographinnen und Kartographen überflüssig machte und zu einer Identitätskrise in der Kartographie führte. Nun ist abzusehen, dass sich der digitale Anteil der Kartenherstellung auch auf die Konzeption und Datenaufbereitung ausdehnen wird. Erneut könnte man die Frage stellen, ob die Kartographinnen und Kartographen in den 2030er Jahren überhaupt noch benötigt werden. Meines Erachtens zeigt die Erfahrung: Ja – wenn auch mit veränderten Aufgaben. Bei der Entwicklung von automatisierten Karten und deren Weiterentwicklung wird die Expertise unserer Disziplin weiter benötigt werden, sodass wir auch mit Nachdruck die führende Rolle bei diesem Thema übernehmen sollten. Letztlich wird es weiterhin um unsere Kernaufgabe gehen, gebrauchstaugliche Karten für Menschen bzw. für bestimmte Aufgaben herzustellen.

Befragen wir noch einmal ChatGPT, ob wir in Zukunft noch Kartographinnen und Kartographen benötigen werden, gibt es dort den hoffnungsvollen Schlusssatz: „Alles in allem wird die Kartographie, auch wenn sich das Gebiet weiterentwickelt, weiterhin eine wichtige Rolle in vielen verschiedenen Branchen und Sektoren spielen.“

Nur zur Klarheit: Dieses Editorial wurde garantiert von einem Menschen verfasst. Und: Lassen Sie uns diesen Text gerne im Jahr 2030 noch einmal lesen …

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