Zusammenfassung
In den Ergebnissen der IGLU- und PISA-Studien zeigen Jungen deutlich geringere Leseleistungen als ihre gleichaltrigen Mitschülerinnen. Diese Unterschiede werden häufig auf eine höhere Lesemotivation der Mädchen zurückgeführt, die Gründe für diese Motivationsdifferenzen sind jedoch noch nicht abschließend erforscht. In der vorliegenden Querschnittstudie bearbeiteten Grundschülerinnen und Grundschüler der 3. (N = 235) und 4. Klassenstufe (N = 208) aus zwölf Grundschulen in Rheinland-Pfalz einen Leseverständnistest sowie einen Fragebogen zum Leseverhalten, zu verschiedenen Aspekten der Lesemotivation und zur erlebten Selbstbestimmung des Lesens. Die Befunde der statistischen Analysen zeigen, dass Mädchen in der vierten Klassenstufe im Leseverständnis besser abschneiden. Zudem berichten Mädchen beider Klassenstufen signifikant höhere Werte in Bezug auf die Selbstbestimmung und den Spaß beim Lesen.
Abstract
The results of the PIRLS and PISA surveys show that girls outperform boys in reading competencies. These differences are attributed to girls’ higher reading motivation, while the concrete aspects involved are not quite clarified yet. Primary school children in the 3rd (N = 235) and the 4th (N = 208) grade of twelve primary schools in Rhineland-Palatinate were tested with a reading comprehension test. In addition, they worked on a questionnaire comprising questions to reading behavior, reading motivation and self-determination. 4th grade girls performed better than boys in reading comprehension. There was a gender difference in self-determination and fun in reading favoring girls in both grades.
Notes
Die vorliegende Datenerhebung ist in das Großprojekt „SprachLit – Schriftsprachliches Lernen mit literarischen Vorgaben und Lesemotivation in der Grundschule“ der Universität Koblenz-Landau eingebettet, welches der Graduiertenakademie Bildung-Mensch-Umwelt zugehörig ist. Zum Team von SprachLit gehörten außerdem Prof. Dr. Daniela Merklinger, Prof. Dr. Claudia Quaiser-Pohl, Sascha Wittmer und Bettina Schartner-Ebelhäuser. Zusätzlicher Dank gilt den wissenschaftlichen Hilfskräften Alina Cremerius und Jana Fricke für ihre Unterstützung bei der Datenerhebung.
Im Zentrum von KONECS (Koblenzer Netzwerk Campusgrundschulen & Studienseminare) steht die enge Zusammenarbeit von Grundschulen, Studienseminaren und der Universität. Es ist ein vom Land Rheinland-Pfalz unterstütztes Projekt unter der Leitung von Prof. Dr. Heike de Boer am Institut für Grundschulpädagogik.
Auch wenn in einigen Studien bereits berichtet wurde, dass die Geschlechterunterschiede sich bereits zu Beginn der Primarstufe zeigen, war aufgrund der Erhebungsmethode mit einem Fragebogen die Fähigkeit zu Lesen Voraussetzung, sodass die Wahl auf Kinder ab der dritten Klasse fiel.
Die teilnehmenden Schulen befinden sich in Stadtteilen von Koblenz und einem Umkreis von bis zu 40 Kilometern.
Die Ein- oder Mehrsprachigkeit wurde mithilfe eines Items erfasst: Welche Sprache(n) sprecht ihr zuhause? – Deutsch/Deutsch und eine andere Sprache/Deutsch und zwei andere Sprachen/Nur andere Sprachen. Für weitere Analysen wurde die Variable dichotomisiert (deutsch, mehrsprachig).
Bei Berechnungen getrennt nach Klassenstufen ergaben sich keine Unterschiede, weshalb die Berechnungen der Gesamtstichprobe berichtet werden.
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Stein, M., Endepohls-Ulpe, M. Die erlebte Selbstbestimmung als Einflussfaktor auf die Lesemotivation von Jungen und Mädchen im Grundschulalter. ZfG 12, 181–196 (2019). https://doi.org/10.1007/s42278-019-00043-w
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