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„Was hülfe es dem Menschen, so er die ganze Welt gewönne und nähme Schaden an seiner Seele?“

What good will it be for someone to gain the whole world, yet forfeit their soul?

  • Essay
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Zeitschrift für Ethik und Moralphilosophie Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassung

Es gibt eine uralte Idee, nach der es – nicht nur, aber vor allem in ethischen Dingen – mit dem, was hier und jetzt geschieht, nicht getan ist. Die Gegenposition macht spätestens dann ihr Recht geltend, wenn sie die wichtige Frage aufwirft, was dieses „Jenseits“ denn mit dem zu tun hat, was hier und heute geschieht. Im Text wird versucht, diese beiden Positionen anhand der Betrachtung einer bekannten Bemerkung aus der Heiligen Schrift miteinander zu vermitteln, also zu zeigen, wie das, was hier und heute geschieht, schon von sich aus auf jenes Andere verweist, und wie dieses wiederum nur verständlich wird vor dem Hintergrund des Hier und Jetzt.

Abstract

There is an age-old idea which has it that particularly (but not exclusively) in ethical matters what happens in the Here-and-Now is not the only thing that is important; there is, some claim, also a “World Beyond”. The persuasive force of the opponents of this idea becomes most evident when they press the question what this purported “World-Beyond” actually has to do with what happens in this world.

This essay tries to do equal justice to both of these opposing views by reflecting on a well-known remark from Scripture. It tries to show how what happens in this world contains within itself, inherently, a reference to the World-Beyond, but also how that World itself is comprehensible only against the backdrop of the Here-and-Now.

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Notes

  1. Die Ausstellung wurde seitdem auch in anderen Museen gezeigt: Vgl. dazu das Buch von Andrew George (2015) und: http://www.rightbeforeidie.com/rbid.html.

  2. In Ergänzung zu diesem Fall sei es erlaubt, eine eigene Erfahrung beizutragen. Ich unterrichte jetzt seit etwas mehr als zehn Jahren an einer privaten Business School in Deutschland. Und so gut wie jedes Jahr fordere ich die Studenten am Anfang eines Ethikkurses auf, sich vorzustellen, sie wären, nach vielen Jahren, am Sterben und hätten noch die Möglichkeit, drei Dinge zu sehen, zu hören, irgendwie anders zu erleben, drei Gespräche zu führen oder was auch immer. Auch hier bekomme ich gewöhnlich viele verschiedene Antworten, wobei eine kleine Zahl von Antworten immer wieder auftaucht. Diese Antworten bilden sozusagen einen Kern in der Menge aller Antworten, ein Gravitationszentrum. Man könnte sagen, die Antworten der Sterbenden bilden dieses Gravitationszentrum der Antwort der jungen Leute, die, wie es oft heißt, ihr Leben noch vor sich haben. Und wie in jenem Fall, so ist auch in diesem von besonderem Interesse, was ich noch nie als Antwort bekommen habe, zum Beispiel dies: „Ich würde gern noch einmal meinen Kontostand sehen.“ – Wie gesagt, wir reden von Managementstudenten, die ja gewöhnlich kein Problem damit haben (und warum sollten sie auch?), in der gleichen Veranstaltung auf die Frage, was sie sich von ihrer späteren beruflichen Tätigkeit erwarten, an erster oder einer der ersten Stellen zu antworten: „Ein möglichst hohes Gehalt!“ – Natürlich registrieren die Studenten die Spannung in ihren Antworten. Aber spätestens, wenn sie die Unterrichtsstunde hinter sich haben, ist das vorbei. Auch hier könnte man sagen, das liege einfach daran, dass sie noch jung seien. Aber das wäre erneut zu einfach.

  3. Originalzitat in Dunning (1860), S. 35-36. Eine aktuelle Stellungnahme, die auf der Linie von Matthäus 16:26 liegen soll, gibt Deirdre N. McCloskey (2006), S. 22 ab: „If we had gained a better material world, two cars in the garage and Chicago-style, deep-dish, stuffed-spinach pizza on the table, but had thereby lost our souls, I personally would have no enthusiasm for the achievement. I urge you to adopt the same attitude. A good name is rather to be chosen than great riches. For what is …?“.

  4. Ungefähr zu der Zeit, zu der Wittgenstein seine Schülerin belehrt, lässt Bertolt Brecht, in der 1. Szene des Leben des Galileo, seinen Schüler Andrea in gleicher Weise belehren; vgl. Brecht (1988, S. 192 f.).

  5. Marx und Engels (1959, S. 465 f.). David Simon hat die Grundidee der HBO-Dramaserie „The Wire“ in einem Interview im Journal Slate in ähnlicher Weise charakterisiert: „Whether you’re a corner boy in West Baltimore, or a cop who knows his beat, or an Eastern European brought here for sex, your life is worthless. It’s the triumph of capitalism over human value. This country has embraced the idea that this is a viable domestic policy. It is. It’s viable for the few. But I don’t live in Westwood, L.A., or on the Upper West Side of New York. I live in Baltimore.“ (Bezogen von: http://www.slate.com/articles/news_and_politics/interrogation/2006/12/behind_the_wire.html.) Man beachte, dass selbst dann, wenn dies in der Tat eine gute Politik „for the few“ sein sollte, der Triumph des Kapitalismus kein vollständiger wäre, vorausgesetzt, diese Wenigen haben menschlichen Wert.

  6. Brecht schreibt in seinem Arbeitsjournal 1938-1955 am 7. Januar 1948 mit Bezug auf Shakespeare über „die situation der elisabethaner zwischen feudalismus und bürgertum. Vom feudalen standpunkt aus zeigen sich die neue liebe (romeo, antonius), das neue denken (hamlet, timon), die neue verwandtschaftsbeziehung (lear), der neue freiheitsdrang (brutus), der neue ehrgeiz (macbeth), die neue selbstachtung (richard iii.) als tödlich. Vom bürgerlichen standpunkt aus sind die schranken feudaler art tödlich und triumphiert die neue verhaltungsart durch ihre gleichgültigkeit gegen den tod angesichts der befriedigung, die sie gewährt.“ (Brecht 1977, S. 440). Siehe auch Raatzsch (Ms.).

  7. Marx selbst betont, rund 20 Jahre nach dem Manifest, im Vorwort zur ersten Auflage des Kapital: „Zur Vermeidung möglicher Missverständnisse ein Wort. Die Gestalten von Kapitalist und Grundeigentümer zeichne ich keineswegs in rosigem Licht. Aber es handelt sich hier um Personen nur, soweit sie die Personifikation ökonomischer Kategorien sind, Träger von bestimmten Klassenverhältnissen und Interessen. Weniger als jeder andere kann mein Standpunkt, der die Entwicklung der ökonomischen Gesellschaftsformation als einen naturgeschichtlichen Prozess auffasst, den einzelnen verantwortlich machen für Verhältnisse, deren Geschöpf er sozial bleibt, sosehr er sich auch subjektiv über sie erheben mag.“ (Marx 1962, S. 16.) – Auch hier zeigt sich das Problem: Einerseits liegt es nicht in der Hand einzelner Individuen, diese oder jene ökonomische Gesellschaftsformation zu schaffen oder auch abzuschaffen; insofern kann man niemanden für ihr Entstehen oder Vergehen verantwortlich machen, insofern kann man im Kapitalismus anständig sein, und zwar nicht nur als Arbeiter, sondern auch als Kapitalist oder Grundeigentümer. Andererseits kann man sich über die herrschenden Verhältnisse „subjektiv erheben“. So entsteht der Schein, es gäbe da eine Sphäre jenseits des Kapitalismus, in die man gelangen kann, wenn man sich nur „subjektiv“ über ihn zu „erheben“ vermag: die Sphäre von Anstand, Moral, …, persönlicher Würde. Aber alles, was es jenseits des Kapitalismus gibt, sind andere ökonomische Gesellschaftsformationen – oder eine Gesellschaft, die gar nicht mehr durch die Wirtschaft formiert wird oder einfach das Ende der Menschheit. In dem, was Marx sagt, drückt sich also ein Problem aus, welches gewissermaßen quer steht zu dem Problem, um das es in diesen Worten gehen soll. – Ein sehr viel unmittelbarerer Ausdruck unseres Problems ist übrigens Brechts Stück Herr Puntila und sein Knecht Matti (Brecht 1989). Herr Puntila ist tagsüber Grundherr und als solcher ein Schwein, nachts ist er ein Mensch, aber nur, wenn er betrunken ist, was er fast immer ist, und daher sein Grundherr-Sein vergisst oder es ihn nicht mehr bestimmt. Das Lehrhafte am Lehrstück erschließt sich, wenn man nicht vergisst: es geht stets um Herrn Puntila; das Stück ist keine Variation von Dr. Jekyll und Mr. Hyde – also ist auch das Schwein nicht weniger Mensch als der Trinker.

  8. Mein Dank gilt, wie schon so oft, Raymond Geuss (Cambridge), Fabian Freyenhagen (Essex) und Georg Meggle (Kempten i. A.).

Literatur

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Raatzsch, R. „Was hülfe es dem Menschen, so er die ganze Welt gewönne und nähme Schaden an seiner Seele?“. ZEMO 2, 265–288 (2019). https://doi.org/10.1007/s42048-019-00042-7

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