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Das Rassemblement National und der Antisemitismus

The Rassemblement National and the anti-Semitism

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Zeitschrift für Religion, Gesellschaft und Politik Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassung

Eines der zentralen Merkmale der französischen Partei Front National (FN) war der Antisemitismus. Besonders der Parteimitbegründer Jean-Marie Le Pen fiel immer wieder durch antisemitische Äußerungen auf. Mitte 2018 wurde der FN in Rassemblement National (RN) umbenannt. Der Namenswechsel erfolgte unter der Parteivorsitzenden Marine Le Pen, die dem Front National seit Anfang 2011 vorsteht und damals in die Fußstapfen ihres Vaters Jean-Marie Le Pen getreten war. Marine Le Pen distanziert sich seitdem vom Antisemitismus, beispielsweise indem sie mehrere Parteimitglieder ausschloss, die durch getätigte Äußerungen, benutzte Gesten oder verwendete Symbole für Antisemitismus standen. Diese Abwendung vom historischen Markenkern des FN ist in Marine Le Pens Konzept der sogenannten dédiabolisation einzuordnen, d. h. in ihre Strategie der Entdämonisierung bzw. Entteufelung. Vollständig ist die Abkehr vom Antisemitismus allerdings nicht, denn manchmal greift Marine Le Pen noch auf antisemitische Chiffren zurück. Ihr Ziel ist dabei die Ansprache bestimmter Wählergruppen. Im Vordergrund steht bei ihr jedoch das Werben um die jüdische Bevölkerung, z. B. indem sie auf die Institutionen der jüdischen Gemeinschaft in Frankreich zugeht oder versucht, nach Israel zu reisen. Bisher machten sich die Folgen dieser Annäherungsversuche in einem Anstieg der Jüdinnen und Juden, die Marine Le Pen bei den Präsidentschaftswahlen 2012 wählten, bemerkbar. Der Anteil der jüdischen Wähler*innen, die für die Parteivorsitzende stimmten, nahm bei den nachfolgenden Präsidentschaftswahlen im Jahr 2017 aber wieder ab.

Abstract

One of the central characteristics of the French party Front National (FN, English: National Front) was the anti-Semitism. Especially the co-founder of the party, Jean-Marie Le Pen, appeared in public again and again with anti-Semitic comments. In the middle of 2018, the FN was renamed Rassemblement National (RN, English: National Rally). This change of name took place under the party leader Marine Le Pen who presides the FN since the beginning of 2011. She replaced his father at that time. Since Marine Le Pen chairs the FN, she distances herself from anti-Semitism, for example by excluding several party members who stood for anti-Semitism by their statements, by their gestures or by the symbols they had used. This turning away from the historical brand core of the FN is to be classified in Marine Le Pens so-called concept of dédiabolisation, that is in her strategy of de-demonization. But the renunciation of anti-Semitism is not complete: Sometimes Marine Le Pen still uses anti-Semitic codes. In doing so, she tries to address certain groups of electors. However, more important for her is to court Jewish voters, for example by addressing the institutions of the Jewish community in France or by trying to voyage to Israel. Up to now, the consequences of this advances are limited to a rise of Jewish people who elected Marine Le Pen at the presidential election in 2012. The part of Jewish electors who voted for the chairwoman of the FN decreased again at the next presidential election which took place in 2017.

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Notes

  1. Für den vorliegenden Aufsatz trägt die Autorin die alleinige Verantwortung. Er spiegelt nicht die Meinung des Landesamts für Verfassungsschutz Baden-Württemberg wider. Der Text wurde am 14. September 2021 abgeschlossen. Nachfolgende Entwicklungen konnten deshalb nicht berücksichtigt werden.

  2. Bei dieser und allen weiteren Übersetzungen aus dem Französischen (bzw. Englischen) ins Deutsche handelt es sich um Übersetzungen durch die Verfasserin.

  3. Zum Verständnis des Wortes „extrême droite“ in Frankreich vgl. exemplarisch Chebel d’Appollonia (1996), S. 9–18; Guillet und Afiouni (2016), S. 7–9; Petitfils (1983), S. 5–10; Rebérioux (1991), S. 7–13.

  4. Le Pen präzisierte aber: „Man muss vorsichtig sein, wenn man sagt, dass die Freimaurerei und die jüdische Internationale eine Rolle spielen. Das bezieht weder alle Freimaurer noch alle Großlogen ein, weder alle jüdischen Organisationen noch alle Juden, das ist offensichtlich. Aber es gibt Leute, die im Namen der anderen sprechen und die so handeln.“ (zit. nach o.V. 1989).

  5. Jean-Marie Le Pen tätigte diese Aussage am 13. September 1987 in der Fernsehsendung „Le Grand Jury RTL-Le Monde“, ausgestrahlt auf RTL, nachdem er nach seiner Haltung zu den Thesen revisionistischer Historiker gefragt worden war. Konkret sagte er: „Ich stelle mir eine gewisse Zahl an Fragen. Ich sage nicht, dass die Gaskammern nie existiert hätten. Ich selbst konnte keine sehen. Ich habe die Frage auch nicht ausführlich untersucht, aber ich glaube, dass es sich um ein Detail der Geschichte des Zweiten Weltkriegs handelt.“ (zit. nach Plenel und Rollat 1992, S. 60).

  6. Weitere Beispiele nennt u. a. Gautier (o.J.), S. 6.

  7. Es handelt sich hierbei um verschiedene politische Strömungen innerhalb der extremen Rechten.

  8. In einem Video-Interview hatte sich Jean-Marie Le Pen u. a. über den jüdischen Sänger und Schauspieler Patrick Bruel erregt, der im April 2014 erklärt hatte, nicht mehr in Städten aufzutreten, die einen Bürgermeister der FN gewählt hätten (o.V. 2014). „Wissen Sie, beim nächsten Mal schieben wir ihn in den Ofen!“, sagte Le Pen zu seiner Gesprächspartnerin in Anspielung auf die nationalsozialistischen Vernichtungslager (zit. nach o.V. 2017c). Das Mouvement contre le racisme („Bewegung gegen den Rassismus“) bezeichnete Jean-Marie Le Pen daraufhin als einen „authentischen Antisemiten“ (zit. nach o.V. 2014), während dieser betonte: „Das Wort ‚Ofen‘, das ich benutzt habe […], hat natürlich keine antisemitische Konnotation – außer für politische Feinde oder Blödmänner.“ (zit. nach ebd.).

  9. Die Teilnehmenden hatten weiße Rosen in der Hand als Zeichen des Gedenkens an das Opfer.

  10. Mélenchon wird in Frankreich dem linksradikalen Spektrum zugerechnet.

  11. Mehrere Mitglieder der damals rund hundert Personen umfassenden LDJ hatten sich am 13. Juli 2014 vor der Pariser Synagoge in der Rue de Roquette und am 20. Juli 2014 vor der Synagoge in Sarcelles gegen propalästinensische Randalierer gewandt. Da sich die LDJ als Selbstverteidigungsorganisation versteht, waren sie mit Schlagstöcken bewaffnet gewesen. Daraufhin wurde in Frankreich über ein Verbot der LDJ diskutiert, zu dem es aber nicht kam (Wiegel 2014).

  12. Zur dédiabolisation vgl. ausführlich auch Dézé (2015).

  13. Seit dem 13. September 2021 übt der erst 26-jährige Bardella für sieben Monate das Amt des Parteivorsitzenden aus. Marine Le Pen will sich in dieser Zeit auf den Präsidentschaftswahlkampf konzentrieren. Bardella spricht vom „Großen Austausch“, der ein rechtsextremistisches Ideologem darstellt. Marine Le Pen vertritt das Konzept ebenfalls, vermeidet aber den Begriff des „Großen Austausches“ (Trippenbach 2021).

  14. Aliot hat selbst einen jüdischen Hintergrund: Sein Großvater mütterlicherseits war Jude (o.V. [Kürzel: B. K.] 2020). Obwohl er Marine Le Pens Richtungswechsel auf dem Gebiet des Antisemitismus u. a. damit begründete, dass der FN und die Juden (einschließlich der Israelis) beide gemeinsame griechisch-römische und jüdisch-christliche Werte verteidigten, die heute bedroht seien, distanzierte sich Aliot nicht klar von Jean-Marie Le Pens antisemitischen Äußerungen. Diese klassifizierte er vielmehr als „Doppeldeutigkeiten“ (zit. nach Betz 2013, S. 78).

  15. Der Videoausschnitt ist Bestandteil der u. a. auf ARTE gezeigten Dokumentation „Skin Or Die“ des Schweizer Regisseurs Daniel Schweizer. Sie ist abrufbar unter: https://www.youtube.com/watch?v=iIXEVS_8anE (Zugegriffen: 27.02.2021).

  16. Marine Le Pen gehört der pro-israelischen Strömung in ihrer Partei an. Ihr steht eine antizionistisch genannte Strömung gegenüber, die in der Realität antisemitisch ist (Gautier 2017, S. 432).

  17. In insgesamt zehn Gemeinden konnte der FN nach den Kommunalwahlen 2014 einen Bürgermeister stellen. Nach den Kommunalwahlen 2020 gab es leichte Veränderungen: Von den aufgrund von Parteiaustritten nur noch acht Städten, die von einem FN-Politiker verwaltet wurden, fielen zwei an Kandidaten bürgerlicher Parteien. Hingegen gelang es Marine Le Pens früherem Lebensgefährten Louis Aliot, die südfranzösische Stadt Perpignan zu gewinnen. Es handelt sich dabei um die erste Stadt mit mehr als 100.000 Einwohner*innen, in der die extrem rechte Partei den Bürgermeister stellt (Galetti et al. 2020, S. 2).

  18. Es handelt sich um Béziers, Fréjus und Hayange. Außerdem wird einer der acht sogenannten Sektoren von Marseille von einem FN-Bürgermeister angeführt (Hayoun und Cohen Solal 2019, S. 65 und S. 74).

  19. Auch sie liegt im siebten Sektor von Marseille.

  20. Neben der schon erwähnten UEJF, dem Crif und dem Consistoire central israélite de France handelt es sich um den Fonds Social Juif Unifié (FSJU, „Vereinigter jüdischer Sozialfonds“) und den Orden B’nai B’rith („Söhne des Bundes“).

  21. Dies ist eine sehr schwierige Frage, da es in Frankreich wegen des Prinzips der Laizität (Trennung von Kirche und Staat) keine Wahlstatistik gibt, in der die Religion ein Kriterium darstellt, und die jüdische Bevölkerung nur einen sehr kleinen Anteil an der Gesamtbevölkerung hat (weniger als 1 %) (Fourquet 2015, S. 376 f.; Hayoun und Cohen Solal 2019, S. 187; o.V. 2007). Allerdings liegen mehrere Untersuchungen des Meinungsforschungsinstituts IFOP vor, die auf Stichproben beruhen und in denen auch die Religionszugehörigkeit abgefragt wurde. Auf dieser Grundlage konnten Forscher*innen die Stimmabgabe der jüdischen Bevölkerung mit Schätzwerten bestimmen (Fourquet und Manternach 2014, S. 2).

  22. Vgl. dazu ausführlich Velilla (2010).

  23. Beim ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahlen 2002 hatten 6,1 % der Jüdinnen und Juden für Jean-Marie Le Pen bzw. Bruno Mégret gestimmt (Durchschnitt der französischen Bevölkerung: 19,2 %). Das ehemalige FN-Mitglied Mégret war mit einer eigenen Partei angetreten, sodass die extreme Rechte zersplittert in die Präsidentschaftswahlen ging (Fourquet und Manternach 2014, S. 3).

  24. Dieses Niveau lag noch weit unter dem nationalen Durchschnitt, der 17,9 % betrug. 45 % der jüdischen Wähler*innen haben für Nicolas Sarkozy gestimmt, 22,5 % für François Hollande (Fourquet 2015, S. 380 f.). Vgl. hierzu auch Tab. 4.

  25. Die Abkürzung WKR steht für „Wiener Korporationsring“.

  26. Herzl gehörte in der Tat der „Wiener akademischen Burschenschaft Albia“ an, die den WKR-Ball mitorganisierte. Er verließ diese aber wegen antisemitischer Äußerungen (Ludewig 2008, S. 63 f.).

  27. Anders als für die beiden vorangehenden Präsidentschaftswahlen liegen der Verfasserin keine Schätzwerte der Stimmenanteile vor.

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Nentwig, T. Das Rassemblement National und der Antisemitismus. Z Religion Ges Polit 6, 275–307 (2022). https://doi.org/10.1007/s41682-021-00088-8

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