I. Ein Paradigma für grazia und Gabe. Einleitung

Ein Schlüsselbegriff der europäischen Renaissance heißt grazia. Sie ist das Ideal, das Hofleute in ihrem Auftreten und ihren Umgangsformen ausprägen sollen; sie macht das Verhältnis zwischen ihresgleichen und dem Fürsten aus, dem sie dienen und der ihnen seine Gunst erweist; Frauen und Männer müssen sie gleichermaßen verkörpern; sie wird in der sozialen Elite von jedem praktischen Können gefordert; sie hat eine ethische Dimension; sie stellt das entscheidende Kriterium der Kunstkritik dar; sie ist mit Leichtigkeit und Mühelosigkeit konnotiert, den Insignien adliger Lebensform; sie hat erotische Implikationen; in ihr lassen sich Ästhetisches und Theologisches oft nicht auseinanderhalten; sie bedeutet höchste Künstlichkeit, die aber gleichwohl nicht sichtbar sein soll; sie lässt sich eigentlich nur negativ definieren, und dennoch zirkuliert die Rede von ihr wie eine Art Währung der Epoche.Footnote 1

In ihrer sozialen Bedeutung, als Kürzel für Beziehungen gegenseitiger Gefälligkeit, hat sie viel zu tun mit Geben, Nehmen und Erwidern, die in anderen Gesellschaften als der uns vertrauten modernen eine tragende Rolle spielen.Footnote 2 Diese Gesten finden hier zwischen Akteuren statt, die einander noch vorwiegend als Personen gegenüberstehen. Ihre reziproken Leistungen beruhen gerade nicht auf quantifizierbarer Äquivalenz; sie sind nicht oder nur zum Teil von ökonomischem Tausch und von vertraglichen Festlegungen bestimmt, also nicht in Waren und Geld oder in Sätzen gültigen Rechts objektiviert und von den Akteuren ablösbar. Die Beteiligten vollführen keine abschließbaren Transfers, sondern stehen zueinander in unendlichen Beziehungen: Ähnlich wie Familienmitglieder schulden und verdanken sie einander tendenziell alles. Gaben und Gegengaben erfolgen dementsprechend zugleich freiwillig und verpflichtend. Was unter modernen Bedingungen – bei vollentwickelter kapitalistischer Ökonomie, Verrechtlichung, Individualisierung der Lebensführung und Moral etc. – ein Widerspruch erscheint, ist dort keiner; vielmehr bezeichnet die genannte Paradoxie die unaufhebbare Doppelnatur dessen, was bei Marcel Mauss synthetisierend ›die Gabe‹ heißt.

Wie die schwer zu bestimmende unabdingbare grazia und die unberechenbare sozial konstitutive Gabe zusammenhängen, soll im Folgenden an einem konkreten Fall aufgezeigt werden: Es geht um ein Artefakt, das zum Geben und Empfangen auf vielen Ebenen geschaffen worden ist, das Gabenbeziehungen symbolisiert und performiert: um Benvenuto Cellinis ›Salzfass‹ für den französischen König François Ier (Abb. 1 und 2).

Abb. 1
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Benvenuto Cellini: Salzfass, 1540-43. Gold, Ebenholz, Elfenbein. Höhe 26,3 cm, Breite 21,5 cm, Länge 28,5 cm. Europa ohne Grenzen. Beispiele zur Entstehung der künstlerischen Vielfalt Europas, Ausstellungskatalog Kunsthistorisches Museum Wien 2006, hrsg. Wilfried Seipel, Wien 2006, 31. (Kunsthistorisches Museum Wien, Kunstkammer. © KHM-Museumsverband)

Abb. 2
figure 2

Benvenuto Cellini: Salzfass, 1540-43. Gold, Ebenholz, Elfenbein. Höhe 26,3 cm, Breite 21,5 cm, Länge 28,5 cm. Europa ohne Grenzen. Beispiele zur Entstehung der künstlerischen Vielfalt Europas, Ausstellungskatalog Kunsthistorisches Museum Wien 2006, hrsg. Wilfried Seipel, Wien 2006, 60. (Kunsthistorisches Museum Wien, Kunstkammer. © KHM-Museumsverband)

Dieser zwischen 1540 und 1543 hergestellte, heute im Kunsthistorischen Museum in Wien aufbewahrte Gegenstand ist bestens bekannt. Seine ›Biographie‹ setzt sich aus einer beeindruckenden Fülle von Studien zusammen; sie führen das Objekt als einzigartiges Produkt der Goldschmiedekunst vor, in dem diese sich zur Bildhauerei übersteige. Für die kunsthistorische Forschung stellt die Saliera ein Kunstwerk im engeren (emphatischen) Sinn des Wortes dar, nicht nur ein Paradigma handwerklicher Virtuosität und repräsentativ-dekorativer Funktion. Auf der Grundlage dieser Wertschätzung wird ihr die Aufmerksamkeit zuteil, die sonst v.a. Gemälden und Skulpturen zukommt, und mit entsprechenden Methoden wird das prunkvolle Ding studiert. Geradezu unerschöpflich scheint es aus ikonographischer Perspektive zu sein: Es verbindet Naturphilosophie, Kosmologie, Kosmographie und politische Allegorie; es ist ein aus kostbaren Materialien geformtes Panegyrikon auf den Herrscher und Eigentümer, eine mit raffiniertesten Mitteln verfahrende Glorifizierung einer weltlichen Macht. Als Skulptur und nicht nur Schmuck partizipiert es zugleich an den Praktiken des inner- und interartistischen paragone. Es ist mit Bedeutungen aus humanistischer Gelehrsamkeit gesättigt und befriedigt die höchsten Ansprüche manieristischer Kultur. Es verkörpert die materiale Prozesse reflektierende Poetik seines Herstellers, u.v.a.m.Footnote 3

Die folgenden Überlegungen interessieren sich dagegen für die Einbettung des Objekts in einen Zusammenhang der Gabenpraxis und des Gabendenkens in der Vormoderne. Die Perspektive ist eine anthropologische, aber natürlich in kultur- und sozialhistorischer Spezifizierung. In den Blick genommen werden Gesten, Inszenierungen und Imaginationen von Geben, Nehmen und Erwidern im frühneuzeitlichen Europa, genauer im Frankreich des 16. Jahrhunderts, soweit sie an diesem besonderen Fall zu erkennen sind.

Verschiedene Studien haben die Brauchbarkeit und den Gebrauch des Gegenstands als Tischgerät adressiert; auch die Funktion des Objekts in einem festlichen Akt gehört unabdingbar zu seiner Beschreibung. Allerdings gibt es keine Berichte über seinen Einsatz, und eventuell ist es nie zu einem solchen gekommen. Man kann also nur über eine mögliche Situation nachdenken, in der das kostbare Ding seinen ›Auftritt‹ hatte. Was dabei nicht infrage steht, ist jedoch, dass es für ein Geschehen entworfen ist, das sich aus vielen personalen, dinglichen, performativen und interaktiven Komponenten zusammensetzt. Dieses Geschehen ist das königliche Geben. Zu diesem Zweck ist die Saliera gemacht.

Sie begegnet aber von ihrer Konzeption bis zu ihrer Fertigstellung auch in anderen personalen Konstellationen; dabei zeigen sich jeweils andere Facetten des Verhältnisses von Künstlertum, Gesellschaft und frühabsolutistischer Macht. Cellinis Texte sind dafür von großem Interesse. Sie dienen dazu, sein eigenes Bild in der Nachwelt zu modeln und die Rezeption seiner Werke zu steuern. Trotzdem geben sie, sofern sie kritisch und gelegentlich auch symptomatologisch gelesen werden, wertvolle Aufschlüsse über damalige (Gaben‑)Beziehungen zwischen Machthabern, zwischen Künstler und Patron, zwischen Mitgliedern der Hofgesellschaft und zwischen diesen und der Welt außerhalb des Hofes. Cellinis Texte erzählen von diversen Gabensituationen oder stellen alle möglichen Interaktionen als solche des Gebens und Gegengebens dar; die Handlungen sind plausibel im Rahmen eines Gabendenkens, das ihm und seinen Zeitgenossen selbstverständlich war (was nicht heißt unproblematisch). Aus heutiger Sicht ist es aber fremd, ja, ein Anschein von Widersinn und Alogik charakterisieren für uns geradezu die Gabe. Genauere Analysen einzelner Episoden sollen im Folgenden zeigen, wie verschiedene Akteure diese Praxis nutzen und namentlich Cellini geschickt damit umzugehen sucht.

Die Begriffe grazia und Gabe haben jeweils einen weiten Einzugsbereich und überschneiden sich. Ihre Semantiken werden an und mit dem besonderen Gegenstand mobilisiert. Grazia ist in dieser Zeit ein ästhetischer Wert der artes: der ›schönen‹ Künste und des (höfischen) Verhaltens; er verklammert individuelle künstlerische Leistungen mit Geselligkeitskunst, Habitus und Selbstdarstellung der Elite. Die Gabenpraxis traditioneller Gesellschaften wiederum hat stets und überall eine entscheidende ästhetische Dimension, denn zu Gaben, die soziale Bindung schaffen, eignen sich nicht alle Gegenstände oder Leistungen. Es sind vielmehr kostbare, seltene, besonders bearbeitete, mit einer Geschichte versehene; diese Eigenschaften machen aus dem Getauschten Quasi-Personen mit Namen und eigener Wirkmacht. Die Objekte oder Dienste werden auch nicht irgendwie, sondern im Rahmen festlicher Gelegenheiten gegeben und empfangen. Mauss hat dies mehrfach betont, aber selbst nicht näher untersucht, und die meisten seiner Interpreten sind ihm darin gefolgt. Deshalb gibt es auch keine ausgearbeitete Theorie, die Gabentausch, Künste und/oder Ästhetik systematisch zusammenführte.Footnote 4 Das wertvolle Objekt hier gibt jedoch Gelegenheit, diese Seite der Gabe und des Gebens an einem konkreten Fall zu studieren. Grazia des sozialen Verhaltens und der Erscheinung im Kunstwerk verweist darin auf die Gabenpraxis und deren Symbolisierung, und umgekehrt; an der Saliera lässt sich ihre Zusammengehörigkeit, möchte man sagen, mit Händen greifen.

II. Saliera und grazia

Cellini beschreibt das prächtige Objekt oder genauer dessen (heute verlorenes) Wachsmodell in seiner Autobiographie folgendermaßen: »Ich schuf nun eine ovale Form, die etwas länger als eine halbe Elle war, das heißt zwei Drittel maß. Auf ihr fertigte ich zwei Figuren an, die um einiges größer als eine Hand waren; wie das Meer bisweilen die Erde zu umschlingen scheint, saßen sie einander so gegenüber, daß sich ihre Beine ineinander verschlangen, etwa so wie gewisse lange Meeresarme in das Land eindringen. Dem Mann, der das Meer darstellte, gab ich ein überaus reich verziertes Schiff in die Hand, worin recht viel Salz Platz fand. Unterhalb des Meeresgotts hatte ich vier Seepferde angebracht und in dessen Rechte den Dreizack gelegt. Die Erde schuf ich als eine Frau von so großer Schönheit, wie ich es nur konnte und verstand, herrlich und voller Anmut. Auf den Boden neben ihr hatte ich einen reichverzierten Tempel hingestellt, auf den sie sich mit der Hand stützte und der den Pfeffer aufnehmen sollte. In die andere Hand gab ich ihr ein Füllhorn, das mit allen Herrlichkeiten, die ich kannte, geschmückt war. Unterhalb dieser Göttin auf jener Seite, welche die Erde darstellte, hatte ich die schönsten Tiere abgebildet, welche die Erde nur hervorbringt; auf der Seite des Meeres waren alle Arten von prächtigen Fischen und Muschelschnecken angebracht, die der beschränkte Raum nur aufnehmen konnte. Den Rest des Ovals verzierte ich rundherum mit vielen, überreichen Ornamenten.«Footnote 5

In der zweiten Beschreibung im gleichen Text, die nun dem ausgeführten Modell gilt, kommen v.a. Details zu Material, Technik und dem (im Modell fehlenden) Sockel dazu: Der Gegenstand »war ganz aus Gold und mit dem Stichel bearbeitet. […] Das Wasser war mit seinen Wellen und außerdem mit Email in der ihm eigenen Farbe dargestellt.« Der Tempel der Erde war »ionischen Stils […]. Deren Klippen waren zum Teil in Email gehalten, zum Teil in Gold belassen.« Der Sockel bestand aus »schwarzem Ebenholz«, worauf sich »vier Figuren aus Gold in etwas mehr als Halbrelief« befanden, »welche die Nacht, den Tag, die Dämmerung und die Morgenröte darstellten, des weiteren vier andere Figuren von gleicher Größe für die vier Winde […] zum Teil mit Email überzogen«.Footnote 6

Die dritte Beschreibung, die sich im Trattato dell’Oreficeria findet, präzisiert dem Kontext gemäß das unübliche technische Verfahren: Die Figuren sind »aus einer Platte, mit Hilfe von Hammer und Punzen […] ganz rund getrieben.« Die vier Winde auf dem Sockel, die man mit Himmelsrichtungen oder Weltgegenden assoziiert, werden als Jahreszeiten bezeichnet. Das schwarze Ebenholz bilde einen Farbkontrast. Außerdem »legte ich vier Elfenbeinkugeln passender Größe etwas über die Hälfte so im Ebenholz ein, daß sie sich in ihren Lagern drehten, so daß das auf dem Tisch stehende Salzfaß mit größter Leichtigkeit in jede beliebige Stellung gedreht werden konnte.«Footnote 7

Vom tatsächlichen Gegenstand weichen die Beschreibungen in einigen Punkten ab, und dies nicht nur, weil einmal der Entwurf, in den beiden anderen Passagen dagegen das fertige Objekt beschrieben wird. Neptun und Tellus berühren die ihnen jeweils beigegebenen Gefäße nicht. Die Erde fasst sich vielmehr mit der linken Hand an die Brust, in der rechten hält sie kein Füllhorn, sondern Blüten oder Früchte. Der Pfefferbehälter ist kein Tempel, sondern ein Triumphbogen. Das Ganze rollt nicht auf vier, sondern auf acht eingelegten Kugeln, u.a.m.

Viele weitere Details, ihre genaue Disposition im gegebenen Raum, ihre Zuordnung zu den Gottheiten und allemal ihre Bedeutungen bleiben unbenannt: so die menschlichen Figuren auf dem Triumphbogen, die einzelnen Tiere auf dem Boden unter dem Götterpaar, die Instrumente der verschiedenen menschlichen Tätigkeiten oder artes auf dem Sockel und nicht zuletzt die Namensinitialen und heraldischen Elemente, die auf den Eigentümer weisen, darunter auch der Salamander an der Ferse der Tellus.Footnote 8 Nicht ausdrücklich angesprochen, aber nahegelegt werden dagegen mit der Erwähnung der Tageszeiten stilistische Referenzen. Cellini weist darauf hin, dass seine Figuren Michelangelos Grabskulpturen in der Neuen Sakristei von San Lorenzo zitieren. Zusammen mit dem Hinweis auf die Technik eröffnet dieser Fingerzeig eine Vielzahl von Bezügen. Er verortet den Gegenstand im Kontext künstlerischer Konkurrenz, namentlich eines Agons mit dem einzigen von Cellini als Lehrmeister anerkannten Künstler, und seines Bestrebens, die Goldschmiedekunst zur Bildhauerei aufzuwerten.

Das Salzgefäß erfüllt auf vielfache Weise die zeittypische Anforderung der grazia. Allem voran ist die weibliche Hauptfigur »bella e graziata« (»herrlich und voller Anmut«)Footnote 9, ganz, wie es sich für die Darstellung einer (vornehmen) Frau in dieser Zeit gehört.Footnote 10 Die Rede von Grazie bezeichnet ein standestypisches und (wenn auch nicht nur) geschlechtsspezifisches Ideal.Footnote 11 Darüber hinaus verleihe das Schwarz des Holzes dem in Gold sowie in blauem und grünem Email mit wenigen weißen und roten Einsprengseln gehaltenen Gefäß »buona grazia« (»viel schöne Grazie«).Footnote 12 In diesem Fall geht es um den formalästhetischen Wert von Variation, Mannigfaltigkeit, Abwechslung auf der Ebene des Kolorits.

Grazia zeichnet aber insbesondere die Haltung des Paares aus. Der Mann und die Frau saßen so, »daß sich die Beine des Mannes und der Frau in edler Grazie kreuzten« (»con bellissima grazia d’arte entravano l’una in nell’altra).«Footnote 13 In der Vita wählt Cellini für diesen Chiasmus – er wird von den Figuren tatsächlich eher angedeutet als realisiert – einen topographischen Vergleich: Wie sich Meeresarme zuweilen ins Land, und das Land sich ins Meer erstrecke, so seien ihre Beine ineinander verschlungen, was den beiden besonders große Anmut verleihe. Die deskriptiven Stichworte dafür, abracciarsi und entrando colle gambe l’una nell’altra,Footnote 14 konnotieren Erotik und Sexualität. Die Frau öffnet die Ober- und kreuzt die Unterschenkel, im zeitgenössischen Gestencode ein Zeichen für Geschlechtsverkehr (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Benvenuto Cellini: Salzfass, 1540-43. Gold, Ebenholz, Elfenbein. Höhe 26,3 cm, Breite 21,5 cm, Länge 28,5 cm. Europa ohne Grenzen. Beispiele zur Entstehung der künstlerischen Vielfalt Europas, Ausstellungskatalog Kunsthistorisches Museum Wien 2006, hrsg. Wilfried Seipel, Wien 2006, 24. (Kunsthistorisches Museum Wien, Kunstkammer. © KHM-Museumsverband)

Wenn ihre Pose auf Verse im Ersten Buch von Ovids Metamorphosen zurückgeht, dann hat Neptuns bedrohliches Aufstampfen des Dreizacks die Erde zu dieser Geste gebracht: Sie lässt die entfesselten Wasser einströmen, mitsamt den Delphinen, die sich in diesem Aufruhr in die Wälder und auf Cellinis Objekt stürmisch zur Seite des Landes hin bewegen.Footnote 15Grazia meint hier also nicht nur wie traditionell Liebreiz (venus, venustas), sondern eignet dem Liebesakt, dessen Anfang zumindest hier zu sehen ist. Und dieser enthält auch Gewalt. Wassertiere auf Baumwipfeln sind Bilder einer Umkehrung der natürlichen Ordnung, hier weisen der Aufruhr der Wellen und der Körper auf eine Befehlsgewalt und Übermacht der männlichen Gestalt: Sie steht dem Meeresgott zu Gebote, und er übt sie aus. Für die politische Dimension dieser Personifizierung des Wassers ist das nicht unwesentlich. Die Szene zeigt eben nicht nur ›Vereinigung‹, sondern auch (potenzielle) Unterwerfung.Footnote 16 Zu dieser gibt es wiederum Gegenanzeigen wie den Triumphbogen auf der Seite der Erde. Die Beziehung beider wäre dann die eines Hin und Wider wechselseitiger Dominanz oder eines anhaltenden Ringens.Footnote 17

Das Aussehen, also Körper und Gesicht, der Frau, die Haltung der Beine des Paares und die Farbkontraste gelten Cellini selbst als grazia. Dezidiert abwesend ist dabei jegliche theologische Konnotation.Footnote 18 Näher liegt ihm die körper- und verhaltenstechnisch kultivierte sprezzatura der höfischen Elite. Um sie bemüht er sich laut seiner Vita, sie ist für seinen sozialen Aufstieg auch unabdingbar. Verfehlungen dieses Ideals bei anderen prangert er gern an, während er selbst oft genug dagegen verstößt. Das Verfassen der Autobiographie selbst gibt er ausdrücklich als lässiges Unterfangen aus; er habe den Text während der Arbeit diktiert, und wegen dieses Vergnügens sei sie ihm umso leichter von der Hand gegangen.Footnote 19 Die Art, wie die beiden Hauptfiguren der Saliera halb sitzen und halb liegen, mag so gemeint sein: Ihre Haltung ist eigentlich anstrengend, die beiden Gottheiten scheinen jedoch den Kraftaufwand überhaupt nicht zu spüren.Footnote 20

Auch auf der Ebene der handwerklichen Ausführung spielt die sprezzatura eine Rolle. Während das manieristische Artefakt mit seiner technischen Virtuosität prunkt, tut es doch zugleich alles, um die entsprechenden Schwierigkeiten unsichtbar zu machen: Cellini hat genau dargelegt, inwiefern seine Figuren auf anderem Wege als zu erwarten angefertigt wurden, nämlich in Repoussé-Technik oder als lavoro di cesello, d.h. freihändig statt über Bronzemodeln geformt, nur getrieben und nicht gegossen. Diese Art Mühen aber hat er am Gegenstand selbst bestens verborgen. Das ist bemerkenswert, weil er verbal die schwere Arbeit seines Metiers gerade nicht verschweigt, sondern ausführlich wie kaum jemand damals offenlegt. In seinen Erzählungen von Produktionsprozessen schwelgt er regelrecht im Ausbreiten der Widrigkeiten, denn je größer die Hindernisse sich auftürmen, desto bewundernswerter ist ihre letztendliche Bemeisterung. Schweiß, Gefahr und Schmutz dienen bei ihm der Heroisierung des handwerklichen Tuns. Es wird mit Pathos ausgestattet, in den dramatischsten Ausformungen der Vita, in den Szenen im Kerker und beim Guss des Perseus, übersteigt sich das Leiden zur christlichen Passion, und das erneute Schmelzen des verklumpten Metalls erscheint als Wiedererwecken eines Toten zum Leben. Im Objekt selbst aber tilgt er die Spuren davon. Indem die Saliera den Anschein erweckt, aus einem Stück statt gelötet zu sein, lässt sie scheinbar die physischen Notwendigkeiten hinter sich. Cellini befleißigt sich also des antiken Prinzips celare artem, der Grundvoraussetzung der grazia bei Castiglione.Footnote 21

Diese ästhetischen Bedeutungen des Begriffs decken aber nicht das ganze semantische Feld von grazia ab. Eine andere Facette ist die der Interaktion, bei der Personen gefallen, insofern sie einander gefällig sind;Footnote 22 sie erweisen einer anderen Dienste und erhalten dafür von Ranggleichen ebenbürtige Gegenleistungen und von Höherrangigen (im Idealfall) Gunst. Sie handeln dabei freiwillig und sind einander zugleich verpflichtet; sie schulden einander ein bestimmtes Verhalten und agieren doch spontan. Denn zwischen dem einen und dem anderen Akt besteht kein Automatismus, und entsprechend auch nie Gewissheit über das Tun der anderen Seite. Beide Aspekte, der obligatorische Charakter des Handelns und dessen unkalkulierbare, riskante Dimension, sind für die höfische Sozialität gleichermaßen relevant. Grazia als personale Beziehung entspricht in diesem Sinn dem anthropologischen Prinzip von Gabe und Gegengabe. Soziale Interaktionen verlaufen aber nicht unbedingt harmonisch, und das gilt auch für die Trias von Geben, Annehmen und Erwidern.

Wie sie im vorliegenden Kontext in verschiedenen Varianten realisiert und dabei grazia performiert wird, welche Konflikte das impliziert und welche Unwägbarkeiten darin enthalten sind, untersuchen die folgenden Abschnitte.

III. Zeigen und Geben oder Von der Gabe zum Geber werden

Schon das Konzept der Saliera ist Gegenstand von Rivalitäten, und diese drehen sich um Möglichkeiten des Gebens; denn die Fähigkeit dazu wird dem Künstler bestritten, und er sucht zu beweisen, dass er und nur er allein über die nötige donativité (Alain Caillé) verfügt.

Jeder Schritt auf dem Weg zur Anfertigung des kunstvollen Artefakts ist laut Vita eine Überbietung: Cellini soll zuerst die Vorschläge der Humanisten und Schriftsteller Luigi Alamanni und Gabriello Cesano beurteilen und als Praktiker auswählen, welchen er umsetzen wird. Er geht indes darüber hinaus, indem er selbst einen Vorschlag macht und damit die der anderen verdrängt. Er zieht also die invenzione an sich, statt sich – wie man es von einem Goldschmied erwartet – mit dem Umsetzen von Entwürfen zu begnügen. Immer wieder betont Cellini in seiner Autobiographie, dass er auch das Zeichnen beherrscht, und dem disegno widmet er zwei Abhandlungen; den intellektuell anspruchsvollen Anteil der bildenden Kunst lässt sich ein nach dem Rang des Bildhauers strebender Goldschmied nicht von anderen vorgeben.

In der Vita tritt er damit (nicht unbedingt wahrheitsgemäß) in direkte Konfrontation mit den beiden virtuosi. Ihre gelehrten und seine Praxiswissen entstammenden Ideen rivalisieren als dire und fare; das Letztere sticht Cellinis Erzählung nach – natürlich – das Erstere aus: Sie reden, er wird handeln; sie sagen etwas, was gut klingt, sich aber nicht wirklich machen lässt.Footnote 23 Nun fertigt er ein Modell an, es ist sein dreidimensionales, plastisches ›Sagen‹, seine belesenen Rivalen aber halten es für unausführbar: Sie hätten etwas gesagt, was sich machen lässt, er (nur) etwas gezeigt, was sich nicht machen lässt. Am Ende wird er dann eben das, was sich (scheinbar) nicht machen lässt, gemacht haben.

Im Wettstreit um den Entwurf gelten die Kunstwerke als ›Söhne‹ ihrer Produzenten – Cellini selbst führt diese Metapher in den Schlagabtausch ein; daher werfen die Gelehrten ihm vor, er wolle seine ›Söhne‹ nur zeigen, aber nicht geben: »Benvenuto v’ha voluto mostrare de’ sua figliuoli, ma non dare«.Footnote 24

Zur Konkurrenz von fare und dire kommt also noch die von mostrare und dare hinzu. Wer die Werke nicht geben will, ist ein Aufschneider. ›Geben‹ heißt dem Entwurf zur dauerhaften Existenz verhelfen, die konzipierten Figuren in ihr glänzend-metallenes Dasein rufen; der Künstler verleiht Ideen sicht- und greifbare Wirklichkeit. Wenn er sein Modell nicht realisieren kann, ist er eine Art Betrüger, denn zum ›Machen‹, das er verspricht, gehört nicht nur das technische Ausführen, sondern auch dessen Ermöglichung. In diesem Fall gilt es, so die Erzählung, einen neuen Interessenten zu finden, um das zunächst für Kardinal Ippolito II d’Este entstandene Modell umsetzen zu können. Dieser hatte etwas bis dato nie Gesehenes gefordert.Footnote 25 Nur mithilfe eines überragenden Förderers kann nun aus dem Entwurf ein veritables Werk werden, aus dem dire ein fare; nur dann bleibt es nicht beim bloßen Zeigen, sondern findet auch ein Geben statt.

Verwirklichen heißt bei Cellini immer, das gezeigte Modell im fertigen Werk um ein Vielfaches übertreffen; der Agon, den er jedes Mal zu führen – und zu gewinnen – hat, besteht nicht nur im Verhältnis zu den Entwürfen anderer, sondern auch im Vergleich mit dem eigenen. Kein Werk, bei dem Cellini nicht verspräche, das Vorhandene zu übertreffen, und kein Fall, in dem ihm das – seiner Darstellung nach – nicht gelänge. Das Gemachte stellt immer das Geplante in den Schatten, jedes Mal handelt es sich um eine staunenswerte Potenzierung. Niemand käme in diesem Kontext auf den Gedanken, einen Entwurf dem Werk vorzuziehen; das hieße, der Imagination mehr ontologische Dignität zuschreiben als dem greifbaren Ding. Das für alle Sinne Realisierte überbietet dagegen immer das Gedachte, man könnte auch sagen, die Skulptur immer die Zeichnung. In diesem Fall aber geht der paragone noch weiter: Die bildkünstlerische Leistung überbietet die intellektuell-verbale oder gelehrt-rhetorische. Dire und mostrare unterliegen fare und dare. Das ist jedoch nur dann möglich, wenn es sich nicht um schlichte Gegensätze handelt, sondern das Paar von fare und dare das andere von dire und mostrare in sich aufnimmt, oder anders gesagt: wenn der Goldschmied sich sowohl als Praktiker wie als Gelehrter erweist. Ein artifex doctus vermag zu deren Reihen aufzuschließen.Footnote 26 In der autobiographischen Selbstdarstellung gelingt es dem Künstler sogar, die Allianz der virtuosi gegen ihn zu spalten und mit Unterstützung des wohlgesonnenen Alamanni über den gegnerischen Cesano zu triumphieren.

Fare hat in diesem Wettstreit aber noch die besondere, emphatische Bedeutung ›Kinder machen‹, genauer männliche Kinder, Söhne (figliuoli), zeugen. Kunstwerke sind Kinder des Künstlers, sofern ihnen sein Entwurf zugrunde liegt. Der Vergleich läuft über die affektive Bindung: Zwar haben die Söhne der Könige und Kaiser große Bedeutung, aber der ärmste Hirte zieht ihnen doch seine eigenen Söhne vor. Nicht der soziale Status, sondern die leibliche Fortpflanzung schafft den (emotionalen) Wert; mit Liebe ausgezeichnet – vor anderen geschätzt, ausgewählt – wird nicht der Hochgeborene, sondern der leibliche Nachwuchs. Bei dieser Analogie zwischen künstlerischer und sexueller KreationFootnote 27 schreibt der Künstler sich sämtliche dafür notwendige Funktionen zu. Er beansprucht, was nur ein Elternpaar gemeinsam tun kann: das Zeugen, und was nur die Frau allein vollbringt, das Gebären: Er bevorzuge die Söhne, die er mit seinem Metier »zur Welt bringe« (»di questa mia professione partorisco«)Footnote 28.

Dass sich Männer diese Leistungen zusprechen und den weiblichen Anteil dabei aussparen, ist nichts Originelles. Interessant ist hier jedoch zum einen, dass die virtuosi in die Position der vernachlässigten Frauen gedrängt werden, obwohl sie ihren Anteil am Entwurf haben. Der eine hat als Sujet Venus mit Cupido vorgeschlagen, der andere Amphitrite, die Gemahlin Neptuns, Tritonen und Ornamente. Cellinis Entwurf enthält einen Neptun und eine durchaus an Venus gemahnende Frau in erotischer Beziehung mit dem Gott, dazu allerhand maritime Wesen und Verzierungen. Das heißt, noch in der semifiktionalen, den Protagonisten stets überhöhenden Erzählung sind Affinitäten zu den abgelehnten Entwürfen zu erkennen. Dass Alamanni letztendlich als Unterstützer erscheint, ist zumindest ein Hinweis auf dessen konstruktive Rolle.Footnote 29

Interessant ist zum anderen, dass das Hervorbringen von Söhnen bzw. Werken auch als Geben apostrophiert wird. Das emphatische fare ist auch ein dare in eminentem Sinn: ›Söhne geben‹, Kinder ›schenken‹ heißt Leben geben, die größte mögliche Gabe überhaupt. Kinder bedeuten Kontinuität und Weiterleben. Wenn der Künstler seine ›geben‹ soll, ist das nicht nur ein horizontales Geben an seine Kontrahenten und Mitakteure im aktuellen Wettstreit um symbolische Anerkennung; es ist vielmehr auch ein longitudinales oder diagonales Geben, eines entlang der Zeitachse, zwischen den Generationen.Footnote 30 Angesichts des äußerst anspruchsvollen Modells greifen die Gelehrten den von Cellini in den Disput eingebrachten Vergleich dankbar auf, um den Künstler mit seiner eigenen Waffe zu schlagen: Die Gabe durch die Zeiten hindurch scheint ein leeres Versprechen, denn das vorgeschlagene Werk sei in zehn Menschenleben nicht zu verwirklichen. »Questa è un’opera da non si finire innella vita di dieci uomini«.Footnote 31 Der Rekurs auf die intergenerationelle Gabenbeziehung wird damit als Versuch ausgelegt, sich dem Geben überhaupt zu entziehen. Dem ehrgeizigen Künstler kommt der hyperbolische Vergleich jedoch gerade zupass; er nimmt die Herausforderung an, in einem einzigen Leben zu tun, wozu andere zehn brauchen, und mit der Realisierung der Saliera stellt er seine Fähigkeit dazu unter Beweis. In diesem Werk hat er qua eigenem Modell einen ›leiblichen Sohn‹ geschenkt. Es ist sein Entwurf, der schließlich umgesetzt wird; der Künstler ist in diesem Werk wie der Vater in seinem Sohn.

Der figliuolo ist der Erbe, er sorgt für das Weiter- und Fortleben seines Erzeugers, im symbolischen Bereich für seinen Ruhm. Cellinis fare/dare leistet genau dies: Kunstwerke produzieren, das heißt, neue Wesen zur Existenz bringen, die im Licht zeitgenössischer Erwartungen auch immer so lebendig wirken müssen wie echte Menschen, mithin Leben schaffen und das eigene Nachleben im kollektiven Gedächtnis sichern.

Als Auftraggeber des außerordentlichen Vorhabens kommt nur eine ebenso außerordentliche Instanz infrage: der König von Frankreich. Dass es nur für diesen und niemanden sonst verwirklicht werden könne, wie Cellini den Kardinal sagen lässt, wertet es maximal auf. Vermutlich war das Salzfass schon vom Kardinal als Geschenk für François Ier gedacht; in jedem Fall ist es ein Objekt, das sich als Gegenstand für Gaben auf höchstem gesellschaftlichem und politischem Niveau eignet. Es gehört zur Kategorie der kostbaren Dinge, die eigens für zeremonielle Zwecke angefertigt werden. Cellini wird es für den König realisieren, der das aufwendige Unternehmen überhaupt erst ermöglicht. Im Grunde ist es also ein Werk der Kooperation von König, Künstler und vermutlich dem Gelehrten Alamanni, vermittelt vom Kardinal. Cellini mag einen ›Sohn‹ gezeugt haben, aber zu dessen ›Geburt‹ als eines ziselierten goldenen Gegenstandes bedarf es spezifischer Bedingungen. Diese bietet der französische Hof, und erst dort kommt das Objekt als künstlerisches und zugleich soziokulturelles und politisches ›zur Welt‹.

Es gibt in der Vorgeschichte der Saliera aber noch eine weitere Dimension, denn geschenkt wird erst einmal gar nicht das kostbare Objekt. Dieses existiert zum Zeitpunkt des Disputs noch nicht, und wenn es schließlich vom König in Auftrag gegeben wird, wer ist dann der Gebende und wer der Empfangende? Ein anderes als das künstlerische Geben findet nämlich in diesem Zusammenhang statt, ohne dass die Vita es so bezeichnete; die Rede vom Geben hat sich ihr Autor vielmehr angeeignet und daraus das Söhne-Schenken gemacht, bei dem Cellini selbst als einziger großer Geber erscheint. Zunächst aber ist der Schenkende ein ganz anderer, nämlich Papst Paul III. (Er hat den Goldschmied 1538 in der Engelsburg einkerkern lassen, woraus ihn der Vita zufolge Bemühungen des französischen Königs und des Kardinals befreien.) Und auch die Gabe besteht in etwas anderem als dem kunstvollen Artefakt. Der Papst versucht in dieser Zeit, die für ihn und Italien überhaupt gefährliche Situation zwischen den verfeindeten europäischen Mächten, dem französischen König und Karl V., zu entspannen. Cellinis Entlassung aus der Haft 1539 und die Ernennung Ippolito II. d’Este zum Kardinal gehören zu einer Reihe von Maßnahmen, d.h. Gunsterweisen, die die Lage beruhigen sollen. Der Künstler selbst hat ihn zudem mit seiner Flucht aus dem Castel Sant’Angelo in eine politisch peinliche Lage gebracht. Zu deren Überwindung macht der Papst nun François Ier ein diplomatisches Geschenk und lässt es durch den Kardinal überbringen: den Goldschmied Benvenuto Cellini.Footnote 32 Dieser selbst ist die Gabe. Seine Dienste sind die Leistung, durch die, wenn nicht Allianzen geschmiedet, so doch Bedrohungen abgemildert werden.

Gaben in traditionellen Gesellschaften sind nicht immer Dinge, sondern auch Frauen, Kinder, Feste, Tänze, militärische Hilfe, Gastfreundschaft u.a.m. Personen werden auf diese Weise zu Objekten, und Objekte erhalten Personenstatus; Sache und Person sind bei einem derartigen Gabentausch nicht scharf getrennt.Footnote 33 Auch Kunstwerke stellen jahrhundertelang kostbare Güter in diesem Sinn dar. Sie wandern zwischen den Tauschpartnern und entfalten Handlungsmacht, indem sie ihre symbolischen Funktionen der Vermittlung, Besänftigung, Verpflichtung der anderen Seite zu Erkenntlichkeit o.Ä. erfüllen; die getauschten Sachen werden dabei quasi-lebendig, insofern sie performative Kraft haben: Sie bekunden die Anerkennung des Empfängers. Künstler selbst fungieren in diesem Rahmen als quasi-dingliche Gaben und werden auf hoher politischer Ebene transferiert.

Cellinis Autobiographie berichtet davon nicht in dieser Weise. Sie lässt vielmehr den Protagonisten als eigenständigen und immer wieder einzigen sowie mit seinen Herren ebenbürtigen Handelnden erscheinen. Seine Rëifizierung als Moment im Gabentausch der Mächtigen bleibt zumindest in diesem Fall unsichtbar.Footnote 34 Die Vita konstruiert (im zweiten Teil des Buches) eine Art Hyperakteur; nur böse Mächte, d.h. Spielzüge, bei denen die Regeln des permanenten Agons um Anerkennung nicht gelten, können ihn aufhalten.

Gerade in ihrer Überzogenheit zeigt die Vita damit, wie ein frühneuzeitlicher Professioneller unablässig um seine agency ringt. Dabei wird das Gabenprinzip nicht außer Kraft gesetzt, sondern umfunktioniert: Denn die Anerkennung, die Gaben zwischen Mächtigen bekunden, soll dem Künstler zugutekommen. Dieser schickt sich nicht an, traditionelle Weisen des Gütertauschs hinter sich zu lassen (und etwa im Sinn eines ›modernen‹, vor allem ökonomisch denkenden Unternehmers zu agieren), sondern er tut alles, um im Rahmen jener Praktiken eine andere Position zu gewinnen. Aus der diplomatischen Gabe, die den Künstler selbst zur lebenden Sache macht, muss der Geber werden, dessen Metier es ist, die höchste Gabe zu geben: Die heißt Leben.

IV. Salz geben, zeremoniell

Marcel Hénaff hat die Gabenpraxis traditioneller Gesellschaften als zeremonielle Gabe bezeichnet (Mauss gebraucht diesen Ausdruck nicht) und von Typen der heutigen Zeit wie der moralischen und der solidarischen Gabe durch folgende Merkmale unterschieden: 1. Die ausgetauschten Güter sind kostbare Gegenstände oder Wesen; 2. es gibt feststehende und von den Partnern akzeptierte rituelle Verfahren; 3. die Kommunikationsebene ist eine öffentliche; 4. die erzielten oder erwarteten Wirkungen sind starke Bindungen zwischen Gebern und Nehmern sowie der Erwerb von Ansehen und Rang; 5. die Art der Wahl ist obligatorisch; 6. die Modalität der Beziehung ist gegenseitig; 7. das Tauschverhalten ist dasjenige großzügiger Rivalität; 8. der Inhalt der Geste ist sich in der gegebenen Sache selbst geben.Footnote 35

Paul III. und François Ier tauschen Gaben in diesem Sinn aus. Und nach dem Tod des französischen Königs fungiert die Saliera ausdrücklich als zeremonielle Gabe: Weitergereicht zur Hochzeit zwischen noblen Häusern erfüllt sie politische und propagandistische Zwecke.Footnote 36

Praktiken der Gabe finden aber nicht nur intertribal oder ›international‹ statt, zwischen sozialen Einheiten, sondern auch innerhalb dieser. Und eine strikt hierarchische Ordnung, wie sie ein frühabsolutistisches Königreich auszeichnet, schließt mitnichten aus, dass das Geben wechselseitig erfolgt. Reziprozität bedeutet nicht Gleichrangigkeit der Partner, und umgekehrt widersprechen Verhältnisse starker Machtkonzentration nicht schlechthin dem Prinzip der Gegenseitigkeit. Es ist nur nicht unmittelbar zu erkennen, inwiefern die Akteure in einem derartigen Fall respondieren können. Und so auch hier: Prima vista ist das Geben des Königs nur einseitig und erlaubt keine adäquate Erwiderung. Es scheint kein Wechselspiel von Gabe und Gegengabe stattzufinden, sondern nur ein asymmetrisches Schenken, eine Praxis der Gnade. Bei näherem Hinsehen stellen sich die Austauschbeziehungen jedoch komplizierter dar. Der Kampf von Hofkünstlern um ihren Rang, wie ihn Cellini paradigmatisch führt, zeigt, wie es immer wieder darum geht, Augenhöhe mit dem Machthaber zu erreichen. Aber auch andere Akteure im Umfeld des Königs dürften nicht einfach nur passive Empfänger von dessen Segnungen gewesen sein. Wie mag sich eine Tafelrunde mit Saliera abgespielt haben? Was sind die affordances dieses Objekts für ein gehobenes Mahl?

Ihren Ort hat sie – so wird vermutet – links vom Gedeck des Königs, die Längsachse in einem spitzen Winkel dazu (wie ein Akut). François Ier sieht den Neptun schräg von hinten und hat das Salzschiff zu dessen rechter Seite.Footnote 37 Mit einer kleinen Bewegung und Drehung könnte er das Ganze direkt vor seinen Teller ziehen, es quer stellen, sodass er die beiden Figuren, links Neptun und rechts Tellus, im Profil und das Salzschiff mit dessen Längsseite vor sich hätte.

Aus einem traditionellen nef würde er seine persönlichen Tisch-Utensilien wie das Besteck entnehmen; das kostbare Gerät schützte es vor fremder Berührung und insbesondere vor Kontamination mit Gift. Ein Salzgefäß enthält dergleichen nicht unbedingt. Umgekehrt hat ein solches nicht immer Schiffsform, es gibt vielmehr auch andere Möglichkeiten wie eben hier: Der Grundriss ist ein Oval, und die bootsförmige Schale nur ein weiteres, flacheres, Oval darin. Das Salzgefäß steht am Tisch dort, wo die höchste Autorität sitzt. Es markiert den Platz des Herrschers, organisiert mithin räumlich und dinglich die soziale Hierarchie; die Seiten links und rechts von ihm sind dabei unterschiedlich kodiert.Footnote 38 Der englische Ausdruck above the salt bewahrt die Erinnerung an diese strukturierende Funktion.Footnote 39 Symbolisch indiziert das Salzfass das Zentrum, es steht aber nicht in der räumlichen Mitte des Tisches, sondern dezentriert. Von der unmittelbaren Nähe zum Herrscher nimmt es seinen Weg zu jedem einzelnen Beteiligten.

Auch zeitlich ist es ausgezeichnet und zeichnet seinerseits aus: Den Manualen zu Tischsitten nach wird es als erstes auf die Tafel gestellt und als letztes weggeräumt.Footnote 40 Mit seiner Aufstellung werden die Akteure und die Praktiken der Tischgesellschaft eingeteilt, aber diese Strukturierung geht der physischen Anwesenheit des Königs voraus und dauert über seine Entfernung hinaus an. Die Saliera ordnet also nicht nur den Ort des Geschehens, sondern bis zu einem gewissen Grad auch dessen zeitlichen Rahmen. Als repräsentierendes Objekt verlängert sie die Präsenz des Herrschers über dessen Auftritt und Abgang hinaus.

An der royalen Tafel bleibt tendenziell nichts dem Zufall überlassen. Der Umgang mit Tischutensilien des Machthabers und alle Handlungen des Bedienens sind genauestens geregelt; unter den Bediensteten besteht ebenfalls eine strenge Rangfolge. Was der König berührt, dürfen sie nicht anfassen; deshalb müssen spezielle Vorkehrungen getroffen werden, um etwa einen Teller zu reichen. Das Aufwarten ist eine heikle Sache. Und denjenigen, die mit Essen und Trinken zu tun haben, muss man trauen können; darauf verweist der (nicht mehr gebräuchliche) Ausdruck fare la credenza: vorkosten.Footnote 41 Die elementare Gabe von Nahrung ist immer in nächster Nähe zur Verabreichung von Gift angesiedelt.Footnote 42 Jede Geste, auch etwa das Reichen der Serviette nach dem Fingerwaschen, ist in diesem Kontext ein bedeutsames Ritual.Footnote 43 Was im modernen Alltag kleine Hilfsleistungen oder Kooperationen sind, ohne die kein Zusammenleben auskommt, alltägliche Gaben eben, ist hier durch und durch formalisiert, reguliert, ritualisiert und choreographiert.

Zumal als Bankett, das heißt als Fest, wird das Mahl prachtvoll in Szene gesetzt. Im Protokoll seines Ablaufs müssen alle Beteiligten perfekt funktionieren. Die Dinge auf dem royalen Tisch und das Geschehen an ihm und um ihn herum gehören zur Selbstdarstellung der Macht und bringen sie zum Ausdruck. Die Saliera spielt in dieser Aufführung, die Menschen, Dinge, Räume, Künste, Operationen auf verschiedenen sozialen und symbolischen Ebenen umfasst, ihre Rolle; sie ist Mitakteurin im Gesamtkunstwerk des höfischen Ereignisses, und dies mitnichten am Rande.

Sie ist ein ›Ding‹ zum Geben (und Empfangen), und sie stellt ihrerseits das Geben (und Empfangen) dar. Salz und Pfeffer sind kostbare Güter: das eine schon weit verbreitet, aber gerade darum ökonomisch wichtig, das andere eher rar und teuer.Footnote 44 Sie werden den Tafelnden im Rahmen gastlicher Bewirtung, die selbst schon eine Gabe ist, dargeboten, als ein das Dargereichte krönendes Surplus.

Salz wird in größeren Mengen verwendet als Pfeffer; die Schale enthält eine Menge, die den Bedarf jedes Einzelnen in dieser Situation und den der versammelten Gesellschaft insgesamt übersteigt. Der Reichtum des Meeres – und des ihn bietenden Königs – wird bei einer Mahlzeit nicht ausgeschöpft. Neptun ist ein generöser Spender, und so der König, der sich in ihm repräsentiert. Tellus berührt ihre Brust; sie ist die Spenderin von nährendem Segen schlechthin.Footnote 45 Ihre Rechte ist voller Blüten oder Früchte, sie hält sie auf lose Weise, wie man eine Menge kleiner Dinge aufnimmt, um sie gleich wieder auszustreuen. Sie ist also im Begriff, die volle Hand zur Geste der sparsio zu erheben. Mit der Gewährung seiner Herrlichkeiten vollzieht der König diesen Akt.

Dem Zeremoniell entsprechend bedient er sich zuerst aus der Saliera.Footnote 46 Die beiden Gottheiten haben der erotischen Stilisierung gemäß miteinander das Salz gezeugt. Neben Erde und Wasser sind auch Luft (in Form der Winde) und Feuer (in der Gestalt des Salamanders) präsent;Footnote 47 die vier Elemente sind also versammelt, die Natur ist in ihrer Gänze präsent. Die Gaben stammen von ihr; die Götter geben sie, und sie werden an die Menschen weitergereicht, hier stellvertretend vom König an die Tischgenossen; dies entspricht auch seinem Motto nutrisco et extinguo.Footnote 48 Seine Macht und Generosität werden prachtvoll inszeniert. Dass jedoch Salz als Produkt von Arbeit und Handel wesentliche Quelle des königlichen Reichtums ist, die mitnichten von selbst sprudelt, dass eine veränderte Besteuerung in dieser Zeit soziale Konflikte verursacht hat, dass man um Pfefferimporte mit anderen Nationen rivalisiert, all das verdecken die Evokation des Goldenen Zeitalters und die rituellen Gesten freilich. Ökonomie, gesellschaftliche Verwerfungen und politische Kämpfe werden nicht dargestellt, sind den Geladenen aber als aktuelle Zusammenhänge womöglich bewusst.Footnote 49

Der König initiiert das Geschehen, bringt das Geben und Empfangen am Tisch in Gang, wie er auch den festlichen Rahmen, das Mahl, und den räumlichen, den Saal,Footnote 50 dafür bereitet hat. Für den Besitzer und Gastgeber vergegenwärtigt die Saliera die Fülle seiner herrscherlichen Gewalt; sein Reich ist hier in artifizieller Verdichtung nach allen Himmelsrichtungen und zu allen Zeiten nicht nur vor Augen, sondern auch buchstäblich zur Hand, er kann es nach seinem gusto manipulieren. Die in dem kostbaren Gerät verkörperte Welt ist Gegenstand des Zugriffs, der Präsentation und Repräsentation königlicher Herrschaft. Dabei verbindet sich deren Demonstration mit sinnlicher Lust wie umgekehrt der Genuss der Gaumen‑, Augen‑, Tast- und Spielfreuden mit der Anschaulichkeit, ja Greifbarkeit der Macht.

Der König richtet das Mahl für die anderen aus, er repräsentiert sie alle, und sie repräsentieren sich in ihm – aber essen muss jeder für sich. Dennoch ist, wer sich aus der Saliera bedient, noch lange nicht beim nur privaten Konsum angekommen. Niemand an dieser Tafel ist ein natürliches Wesen, nicht einmal im Moment des Essens. Vielmehr heißt anfassen, zugreifen und benutzen aktiv am rituellen Vollzug teilnehmen. Wer sich an Salz oder Pfeffer bedient, genießt nicht nur, sondern realisiert damit auch seine soziale Position in der allgemeinen Ordnung. Das Nehmen ist Teil des symbolischen Geschehens wie das Geben, und nicht dessen je persönliches Ende. Schon in der Art des Nehmens, in den körperlichen Bewegungen und Haltungen, präsentiert sich der Gast in seinem sozialen Sein. Die Fähigkeit, korrekt und wenn möglich elegant mit den Instrumenten und Nahrungsmitteln umzugehen, weisen ihn als höfisch sozialisiert aus, und diese Zugehörigkeit zur Elite qua Körpertechnik muss er in jeder einzelnen Geste bestätigen.

Dazu kommt die Konversation. Die Tafel von François Ier war für brillante Unterhaltung bekannt. Der König setzte sich dabei als Förderer der Wissenschaften und Künste in Szene. Den Auftrag zum Salzfass selbst soll er bei einer derartigen Gelegenheit erteilt haben, während der Kardinal wie üblich mit dem König am Tisch gesessen sei.Footnote 51 Die Saliera bietet in jeder Drehung eine andere Ansicht und damit andere Kombinationen der Figuren und Symbole; die entsprechend gebildeten Tischgäste bemerken und goutieren das. Sie verstehen die diversen mythologischen, kosmologischen, politischen Anspielungen, nicht zuletzt die aktuellen, und das heißt, sie wissen auch um Ausgespartes.Footnote 52 Sie artikulieren und bereichern diese Bedeutungsvielfalt, ja, sie machen die semantische Fülle erst präsent, indem sie das mit dem kostbaren Objekt angebotene Spiel tatsächlich spielen. Die Saliera will nicht nur betrachtet, und die Allegorien wollen nicht nur abstrakt begriffen werden; sie bedürfen der mobilisierenden Gesten und des von der veränderten Sicht angestoßenen Gesprächs. Auf diese Weise geben die Gäste ihre Dankbarkeit zu erkennen und erwidern die königliche Gabe: einfallsreiche Reden gegen Pfeffer und Salz. Wie die Saliera zwischen den Speisenden zirkuliert, so die von ihr angeregte Unterhaltung. Die Zeichen sind dabei nicht weniger ergiebig als die Gewürze, sie betreffen aber nicht nur den Gegenstand, sondern auch und gerade die Beziehungen der am Spiel Beteiligten.

Die um den Tisch Versammelten sind keine isolierten Individuen, die sozusagen erst sekundär miteinander verknüpft würden. Sie sind vielmehr Momente in einem sie umschließenden und sie involvierenden Geschehen aus Geben, Annehmen und Erwidern; sie sind Funktionen der Gabenpraxis. Unter weniger formalisierten Bedingungen oder, im Sinn von Norbert Elias, in einer früheren zivilisationsgeschichtlichen Phase, würde vielleicht ein Krug herumgereicht, aus dem alle der Reihe nach trinken. Hier bewegen sie abwechselnd das Salzfass. Die Repräsentanz des Allgemeinen – der politischen Macht – allein, die einschüchternde Autorität, die jedem im buchstäblichen Sinn seinen Platz im Ganzen zuweist, genügt nicht; es muss auch eine Interaktion der Beteiligten stattfinden, die zumindest die Fiktion eines Miteinanders erzeugt. Nur so konstituiert sich eine Gesellschaft, und sei es nur eine partielle wie die höfische und eine so temporäre wie die eines festlichen Mahls. Wenn das kostbare Ding die königliche Macht eindrucksvoll vor Augen stellt, so sind es doch erst dessen Mobilität und die damit verbundenen Gesten und Reden, in denen Sozialität performativ geschaffen wird.

In diesem Sinn könnte das königliche Salz-Geben Gemeinschaft stiften.

V. Maschine, Salz und grazia

Die Erfreulichkeit von Geben, Empfangen, Erwidern, die Gegenstände des Schenkens, die Dankbarkeit und deren Zeichen – all das war im Altgriechischen in der Semantik des Wortes charis enthalten. Einzelne Aspekte finden sich in der frühen Neuzeit noch in der Vokabel grazia, andere sind in die Mythologie der Grazien eingegangen: in ihre von den ineinander geschlungenen Händen figurierte Trias aus Geben, Annehmen und Gegengeben und in ihre Bedeutung als Segensspenderinnen. Im vorliegenden Zusammenhang ist grazia unentbehrliche Qualität der kunstvollen Arbeit, sie ist selbstverständlich für das (höfische) Verhalten der Versammelten, sie bezeichnet die Huld des Königs und das, was sich zwischen den Anwesenden in diesem Moment ereignet, wenn sie die sinnliche und semantische Fülle der Saliera realisieren. In deren Zirkulation werden die royale Macht und die Loyalität der Versammelten bekräftigt.

Das Salzgefäß ist eine macchina; allemal seine Mobilität, die es mit Triumphwagen verbindet, verortet es in dieser Kategorie.Footnote 53 Cellini betont die Leichtigkeit, mit der sie sich hin- und herschieben lässt, im Trattato dell’Oreficeria.Footnote 54 Das Weitergeben und Herstellen neuer Ansichten bereitet keine Mühe. Die Kraftanstrengung hinter sich lassen aber ist genau die Leistung der ›Maschine‹ im neuzeitlichen Sinn. Hebezüge insbesondere machen physisch Schweres leicht. Die Erfindungen von Archimedes gelten den Rezipienten seiner Schriften im 16. Jahrhundert als viel mehr denn mechanische Instrumente; sie haben den Status von Wunderwerken. Unter seinen vielen legendären Leistungen sticht insbesondere ein Apparat hervor, der es erlauben soll, mit nur einer Hand ein Boot aus dem Wasser zu heben. Jessica Wolfe bringt dieses Verständnis von Mechanik mit der sprezzatura in Beziehung; auch sie ist eine Technik, die Schweres leicht macht oder zumindest so erscheinen lässt. Jegliche Spur von Aufwand ist darin getilgt. Was mit sprezzatura getan wird, scheint von selbst zu gehen. Das automaton als Staunen erregendes Artefakt ist ihr affin. Und die Beziehung zum höchsten Ziel des höfischen Gebarens besteht auch auf sprachlicher Ebene: Denn die erwähnte archimedische Konstruktion heißt charistion (χαριστίων, Waage, Hebel), worin das Wort charis enthalten ist. Im Englischen wird es mit grace machine übersetzt.Footnote 55

Die Saliera ist ein derartiger Gegenstand: ein staunenswertes kleines Ding, das Großes bewerkstelligen kann. Es hebt kein Boot aus dem Wasser, aber es bringt Fernes in die Nähe, lässt Kostbares auf die eigene Messerspitze gelangen und ermöglicht Teilhabe an einem Privileg, es versetzt Feststehendes in Bewegung und macht ein ganzes Reich, ja die Welt, handlich. Indem sie herumrollt, transferiert sie Würzen und Bedeutungen: Sie ist ein Vehikel, das Wertvolles in mehrfachem Sinn transportiert, nämlich physisch-räumlich und konzeptuell: Sie unterhält ein unablässiges metapherein oder Produzieren von Metaphern. Und diese überziehen nicht nur ein Objekt mit oszillierenden symbolischen Schichten, sondern weben auch ein Netz der Verbindlichkeiten zwischen den Personen.

Es besteht indes noch eine weitere Beziehung zwischen dem Artefakt, seinem Inhalt und der Kultur der grazia: Salz macht Essbares erst attraktiv für den menschlichen Gaumen (westlicher Lebensgewohnheiten); ohne Salz sind Speisen fade. Das kleine Quäntchen bewirkt Großes; die Substanz, der es zugesetzt wird, verwandelt es vollkommen. Das Verzehrbare erhält dadurch erst Geschmack, und aus der Befriedigung eines Bedürfnisses wird Genuss. Derart erzeugt das Supplement einen Kategorienwechsel.

Eben dies aber haben Salz und grazia gemein. Der Hofmann, heißt es bei Castiglione, muss alle seine Bewegungen mit grazia begleiten; sie sei »un condimento d’ogni cosa, senza il quale tutte l’altre proprietà e bone condicioni sian di poco valore«.Footnote 56 Ähnlich qualifiziert später Vasari die grazia als etwas, das sich in allen Dingen ausbreitet und mit ihnen verschmilzt: »la grazia, la quale è infusa in tutte le cose«.Footnote 57 Und Cesare Ripa wird zu venustà, dem italienischen Pendant zur lateinischen Übersetzung von charis und Synonym von grazia, festhalten: »La Venustà è una certa gratia, che arreca perfetto condimento alla bellezza: perche non ogni persona bella ha venustà.«Footnote 58

Salz und grazia sind beide a difference that makes a difference. Gestalttheoretisch könnte man sagen, der kleine Unterschied lässt die Wahrnehmung des Ganzen umspringen; der Aspekt wechselt. Was das eine für die Speisen bewirkt, leistet die andere für die vormoderne Kultur und Gesellschaft – doch wohlgemerkt nicht nur als ästhetische Qualität, sondern auch und gerade als Gabenprinzip.

VI. Zu Tisch bei Cellini

Ob die feierliche Tischgemeinschaft mit König und Saliera jemals stattgefunden hat, ist, wie gesagt, ungewiss. Vielleicht hat das Objekt die Palette seiner Möglichkeiten zum Geben, Nehmen und Erwidern nie entfalten können, vielleicht hat François Ier sich auf das, was es alles bot, nicht eingelassen. Cellini demonstriert in seiner Vita die Nutzbarkeit seines Werks ausdrücklich; er tut dies allerdings in einer Weise, die dem Zweifel am königlichen Gebrauch der Saliera erst recht Nahrung gibt.

Als das Salzgefäß einem Wunderwerk gleich endlich fertig ist, reagiert der König laut Cellinis Erzählung wie erhofft: Er ruft »vor Erstaunen laut aus und [kann] sich an dessen Anblick nicht sattsehen«. Dann aber verhält er sich überraschend: Er heißt Cellini, das wertvolle Stück »wieder nach Hause [zu] tragen«, der Künstler werde zu angemessener Zeit Weiteres erfahren.Footnote 59 Eine Reaktion auf diese Antwort des Königs berichtet der Verfasser der Vita nicht; er tut so, als habe diese Anweisung keinerlei Bedeutung. »Ich nahm es also wieder nach Hause mit, lud alsbald einige meiner treuen Freunde ein und aß mit ihnen in größter Heiterkeit. Das Salzfaß hatte ich mitten auf den Tisch gestellt, und so waren wir die ersten, die es benützten.«Footnote 60

Dies scheint eine typische Anekdote Cellinis zu sein: Der Künstler steht ihr zufolge auf Augenhöhe mit seinem Patron. Dass dieser ihm sein Werk nicht sofort abnimmt, stört ihn nicht, und ebenso wenig, dass von Belohnung keine Rede ist: Er hat das Erstaunen des Königs als Ausdruck höchster Bewunderung, das ist sein Dank; im Vergleich damit wäre der Gedanke an Bezahlung eher eine Vulgarisierung. Künstler und König befinden sich hier auf gleicher Ebene adligen Austauschs. Ersterer muss nicht, er darf vielmehr sein Werk noch einmal nach Hause tragen; es handelt sich aus Cellinis Sicht nicht um ein schnödes Verschmähen von Seiten des Königs, sondern um einen Ausdruck tiefen Vertrauens. Das Werk eines Hofkünstlers gehört nicht unmittelbar dem Auftraggeber (auch wenn er das Material und die Arbeit bezahlt hat), dieser hat nur das Recht zum Kauf für einen bevorzugten Preis.Footnote 61 François Ier hegt aber offenbar keine Befürchtungen für seine Preziose.Footnote 62 Der Künstler wiederum sorgt sich nicht um eine adäquate Belohnung. Den Kampf gegen den erneut Bedenken tragenden Kardinal und einen hinterlistigen Schatzmeister hat er siegreich überstanden,Footnote 63 der König hat das scheinbar Unmögliche möglich gemacht; König und Künstler ziehen als wagemutige Unternehmer gegen Kleingeister an einem Strang. Und beide vertrauen einander. Auf der Folie der ignoblen Akteure, die das Projekt zu obstruieren suchen, bilden sie ein erfolgreiches Duo Großgesinnter.

Dennoch gibt es hier wie in anderen Szenen auch eine Reibung zwischen den beiden. Denn die Gleichrangigkeit besteht nur relativ, nämlich in der Unterscheidung von Akteuren, die nicht auf der Höhe adligen Verhaltens sind. Im Verhältnis von König und Künstler bleibt natürlich eine nicht zu überwindende Asymmetrie. Diese gibt Cellini immer wieder Anlass zu einem Kräftemessen indirekter Art. So auch in diesem Fall.

Cellini veranstaltet nun bei sich zu Hause, was der König in seinem Palast mit ausgewählten noblen Gästen tut oder tun kann.Footnote 64 Welche Funktion hat diese Erzählung?Footnote 65 Zeigt sie einen Künstler, der sich über seinen Herrn mokiert? In Italien betrachtet man zu dieser Zeit dergleichen Geräte schon als überholt, in Mitteleuropa sind sie in die niedrige Sphäre abgesunken, in Frankreich dagegen ist der Gebrauch eines Salzfasses zum steifen Zeremoniell geronnen.Footnote 66 Dem steht die häusliche Runde komplementär gegenüber. An seinem heimischen Tisch hat Cellini die Funktion des Machthabers inne, aber noch mehr: Er überbietet diesen auch, denn er tafelt nicht mit untergebenen Höflingen, die sich verstellen müssen, um ihm zu schmeicheln.Footnote 67 Im amikalen Kreis geht es dagegen ausgelassen zu. Der höfischen grazia des Verhaltens im ritualisierten, offiziellen Rahmen, der die geltende Hierarchie ausdrückt und bekräftigt, steht eine formlose Versammlung vertrauter Personen gegenüber. Und diese ist es, die das Gerät einweiht.

Eine derartige Aktion dürfte ausgesprochen heikel gewesen sein. Schon die empfindlichen Materialen stünden ihr entgegen. Gold ist weich, Email kann absplittern, und die Figuren überstehen keinen unvorsichtigen Griff. Doch eine derartige Gefahr für das kostbare Ding bereitet dem Hersteller in der Erzählung keine Sorge. Im Gegenteil manifestiert sich gerade in dieser Unbekümmertheit seine sprezzatura. Er verhält sich wie der Reichste und Mächtigste überhaupt, dem ein immens teurer Gegenstand für einen profanen häuslichen Zweck gerade gut genug ist. Das Objekt wird damit degradiert, der Nutzer aber extrem aufgewertet. Er stellt sich mit der Geste höchsten Luxuskonsums auf die Ebene seines Herrn. Eine Spur am Gegenstand hätte er vielleicht sogar in Kauf genommen, wäre er selbst doch der Einzige, der sie auch wieder hätte beseitigen können.Footnote 68

Zivilisationsgeschichtlich gilt das Gerät als Zeichen der zunehmenden körperlichen Distanz bei Tisch. Die Essenden tauchen nicht mehr gemeinsam in die gleiche Schüssel, und eben auch nicht das Brot oder Fleischstück in die Salzschale, sondern jeder zieht diese zu sich heran, um das Gewürz mit der Messerspitze zu entnehmen. So gesehen manifestiert sich in der Saliera, die einerseits zum Anfassen verlockt, andererseits Scheu davor erweckt, ein bestimmter Moment in der Entwicklung kollektiver Triebregulierung. Das häusliche Mahl konterkariert indes genau diese Deutung. Im informellen Kreis ist sorgsames Distanzhalten kein Thema; man gebärdet sich vielmehr – das legt die Anekdote nahe – grobianisch. Oder ist selbstkontrollierte Körperlichkeit so selbstverständlich, dass es keinen Hinweis darauf geben muss? Braucht niemand Angst zu haben, er könne die Saliera beschädigen? Dann wären die Akteure den Höflingen auch noch in dieser Hinsicht voraus. Nicht die cortegiani verkörperten sprezzatura, sondern die sozial Inferioren, insbesondere aber der seine Aufwertung beanspruchende Künstler; eine derartige Inversion der Verhältnisse zwischen diesem und den Noblen kehrt in Cellinis Vita immer wieder.

Nicht zu übersehen ist indes auch eine sexuelle Konnotation der Episode. Der Gebrauch diesseits der höfischen Sphäre gemahnt an das ius primae noctis; das macht der Künstler hier dem König streitig.Footnote 69

Beide verbindet ein Gabenverhältnis miteinander, d.h. kein vertraglich geregeltes Arbeitsverhältnis, sondern eine personale Beziehung von Dienen und Gunst. Darin bleibt vieles offen; unerwartete Gewinne sind ebenso möglich wie Frustrationen. Beide Seiten geben Außerordentliches, der Künstler sein besonderes Können, der König seine exzessiven Mittel. Und für beide steht etwas auf dem Spiel, vor allem in Hinsicht auf das Ansehen. Das kostbare Produkt ist u.a. dinglicher Ausdruck dieser hoch empfindlichen Beziehung.

Doch wem gehört es in der vorliegenden Situation? Der Künstler hat es dem König schon gebracht, nachdem dessen großzügige Finanzierung und Risikobereitschaft die Realisierung ermöglicht haben. Andererseits gehört demjenigen, der Material bearbeitet, der daraus gemachte Gegenstand.Footnote 70 Cellini beruft sich an anderer Stelle darauf, dass er mit einem von ihm geschaffenen Objekt machen kann, was er will.Footnote 71 Der König hat den Gegenstand in Empfang genommen, aber dann wieder zurückgegeben. Die zu transferierende Sache ist noch nicht endgültig empfangen und noch nicht endgültig gegeben. Es scheint, dass sie in diesem Moment weder ganz dem Künstler noch ganz dem König gehört. Keiner von beiden ist der Eigentümer oder beide sind es, nur bedeutet dieses Verhältnis für beide Seiten nicht das Gleiche. Beide haben unterschiedliche Rechte am Umgang mit diesem Gegenstand. Der (königliche) Empfänger gibt es dem (künstlerischen) Geber zurück als eine Art Leihgabe; Cellini bekommt den Gegenstand ausdrücklich nur für eine gewisse Zeit, deren Länge allerdings unbestimmt bleibt. ›Zu angemessener Zeit‹ werde er weitere Anweisungen erhalten. Er hat also mitnichten das Recht, mit diesem Objekt zu tun, was ihm gefällt.

Der Transfer einer Gabe – eines Dienstes und dessen Anerkennung – ist hier nicht vollständig; im Dreischritt von Geben, Annehmen und Erwidern gibt es eine Verzögerung, eine Vervielfältigung der Handlungen. Die Gabe geht zurück, um noch einmal gegeben zu werden. Sie wird weder angenommen noch zurückgewiesen, sondern vorübergehend restituiert. Zwischen der einen und der anderen Geste dehnt sich Zeit von unbestimmter Länge aus. Normalerweise gibt es ein Zeitintervall zwischen Gabe und Gegengabe; dieses Intervall macht einen Transfer erst zum Geschenk; eine sofortige Gegengabe sähe nach Äquivalententausch aus oder machte offensichtlich, dass es sich tatsächlich um einen solchen handelt, während die sozialen Akteure die Selbsttäuschung der Gabenrelation pflegen.Footnote 72 König und Hofkünstler spielen das Spiel, einander Handlungen im Sinn ihrer jeweiligen virtù zu erweisen, statt Partner einer vertraglich-ökonomischen Transaktion zu sein. In der Episode hier erstreckt sich Zeit zwischen Geben und Annehmen; die letztere Geste wird verunsichert: Ist es ein Annehmen unter bestimmten noch zu erfüllenden Bedingungen, z.B. nach bestimmten Veränderungen an dem Objekt, das mithin noch nicht wirklich fertig ist? Oder ist es eine Ablehnung auf Raten? Camoufliert der Aufschub eine Zurückweisung? Ist das dilatorische Empfangen eine höfliche Form des Nein? Dann wäre auch die Geste des Gebens tangiert, wenn nicht gar aufgehoben.

In jedem Fall macht die zeitliche Dehnung die Beziehung zwischen den Akteuren vieldeutig; in der Phase des Aufschubs kann viel geschehen. Wenn sie sich lange hinzieht, ermöglicht sie sogar das Vergessen der ganzen Aktion, einschließlich der zu gebenden Sache. Sollte François Ier die Saliera nie auf den Tisch gestellt, sondern (nach der erneuten Übergabe) in seinem Kabinett eingeschlossen haben, dann wäre sein vorübergehendes Zurückgeben nur der erste Schritt in der Geschichte ihres Verschwindens. Statt wie eine Diva auf der Bühne des königlichen Mahls zu agieren – der Produzent selbst mag das ebenso gewünscht haben wie Vertreter*innen heutiger Kunstgeschichte –, hätte sie nur eine Nebenrolle bekommen oder gar keine; und das Weder-Noch des Empfängers bedeutete nur den Anfang ihrer zeitweiligen historischen Marginalisierung.

Cellinis Erzählung gibt dem unklaren Sachverhalt dagegen eine andere Wendung: Für ihn ist es eine weitere Gelegenheit, sich als Künstler im Verhältnis zum König zu profilieren.

Eine zurückgegebene Statue stünde einfach weiter in der Werkstatt ihres Produzenten, die Saliera aber ist sowohl Kunstwerk wie Gebrauchsding. Diese Ambivalenz hat der König in Cellinis Episode offenbar nicht bedacht, als er das Ding wieder aus der Hand gab, der Hersteller macht sie sich indes zunutze. Der Künstler Cellini hat sein Werk zurückerhalten, der Gastgeber, Zechbruder, Genießer, sozial Ambitionierte nimmt es jedoch in Gebrauch. Er bedient sich des Gegenstandes, während dieser doch ebenso wie sein Produzent dem König zu dienen hätte. Damit geht Cellini allem Anschein nach über das vom König Gemeinte hinaus.Footnote 73 Dass er an dem Gegenstand nicht nur weiterarbeitet, sondern ihn tatsächlich als Salzfass benutzt, ist die Cellini-typische Behauptung einer Transgression. Mit ihr zeigt er dem König – dem Ersten bei Tisch – seine Grenzen auf. François Ier ist aus dieser Perspektive nur ein Zweitnutzer. Sein einmaliges Salzfass ist ein gebrauchtes, ein second hand-Objekt. Der Künstler, so demonstriert die Anekdote, kommt vor dem König.

Der prachtvolle, sophistizierte Gegenstand bildet einen Kontrast zum bescheidenen Tisch der Freunde. Und das nicht nur in puncto Ausstattung, sondern auch im Umgang mit den zum Essen gehörigen Utensilien. Wenn die Tischordnung dem Haushalt entspricht, dann gilt das auch hier, nur steht sie nicht im Dienst der Inszenierung universaler Machtansprüche.

Hier wird eine solche vielmehr als Fiktion deutlich. Wie die höfische Tischgesellschaft die soziale Hierarchie im festlichen Miteinander produziert, so bestätigen die hier Versammelten ihre Freundschaft. Auch ihre Zusammenkunft ist ein festlicher Akt; die üblichen Rituale eines derartigen Treffens werden dabei nur ein wenig verändert: Auf den Tisch hat der Wirt das Salzfass platziert. Es bildet den Anlass zur Einladung und das Zentrum der Aufmerksamkeit. Dabei hat der Künstler analog zum Gastgeber-König sein Werk vor sich und zur Hand: Auch ihm veranschaulicht es seine Macht, sein Reich, nämlich dasjenige, das er mit den Fingern beherrscht, weil er es mit den Fingern hervorgebracht hat. Er ist derart in zutreffenderem Sinn ›Herrscher‹ über die dargestellte Welt.

An der königlichen Tafel stünde das Salzgefäß wie beschrieben am Platz des Herrschers.Footnote 74 Sollte dieser es in Bewegung gesetzt haben, hat er es vermutlich nicht beliebig herumgerollt, sondern zu seinem Favoriten hin oder seinem Lieblingsfeind oder einer anderen von ihm ausgesuchten Person unter den Geladenen. Cellini hat es dagegen in die Mitte des Tisches (»in mezzo alla tavola«) gestellt, wo es Gastgeber und Gäste gleichermaßen erreichen können. Die Freunde werden auch ihm den ersten Zugriff überlassen haben, aber das Detail macht die Szene einmal mehr zu einem Komplement zur königlichen Zeremonie: Die Runde ist eine von Gleichrangigen und unterstreicht zugleich Cellinis Vorzugsstellung unter ihnen und die Statusanalogie mit dem König.

VII. Selbstgabe des Künstlers

An der royalen Tafel ist François Ier mehrfach präsent: in der Repräsentation seiner Macht im Kunstwerk, als Herrscher, der in Ausübung seines Amtes symbolische Akte vollzieht, und als Individuum, das isst, trinkt, spricht, Objekte bewegt usw. Der Künstler dagegen, dem sich die symbolische Vergegenwärtigung der königlichen Autorität verdankt, ist nicht anwesend. Jedenfalls nicht als Tischgenosse des Königs. Präsent ist er aber doch: Denn in der Saliera sind nicht nur die Hand des virtuosen Goldschmieds und das Ingenium des künstlerischen Entwerfers verewigt, sondern auch dessen Gesicht. Die Salzschale trägt an dem Neptun zugewandten Ende bzw. am Heck der Barke das Bildnis eines Bärtigen mit aufgeworfenen Lippen und eingedrückter Nase; es gilt als Selbstporträt Cellinis (Abb. 4; vgl. Abb. 1).Footnote 75 Wer die Saliera benutzt und auf die Seite mit der Salzschale blickt, sieht das Gesicht im Profil; wer sie um neunzig Grad dreht, also Neptun von hinten und Tellus von vorne in den Blick nimmt, sieht den Bärtigen en face. Diese Sicht ist, nur leicht angeschnitten, diejenige des Königs zu Beginn des Mahls; wenn und solange das prunkvolle Gerät neben seinem Gedeck steht,Footnote 76 kann er nicht umhin, das ihm zugewandte Gesicht zu sehen. Die optimale SichtFootnote 77 rückt auch den Künstler ins Blickfeld. Dieser ist also, wenn auch nicht von allen Seiten, beim festlichen Akt unter den Tafelnden zugegen; er wird nicht nur metonymisch durch seinen ›Sohn‹ vertreten, sondern er repräsentiert sich auch selbst in diesem Werk; sein eigenes Konterfei ist Teil des Artefakts.

Abb. 4
figure 4

Benvenuto Cellini: Salzfass, 1540-43. Gold, Ebenholz, Elfenbein. Höhe 26,3 cm, Breite 21,5 cm, Länge 28,5 cm. Abb. 1, Detail, vergrößert. (Kunsthistorisches Museum Wien, Kunstkammer. © KHM-Museumsverband)

Das Selbstbild zeigt sich nicht sofort, es ist aber auch nicht so diskret und subtil wie der Feuersalamander. Diesen muss man suchen, der Kopf dagegen befindet sich auf dem, was das funktionale Zentrum des Gegenstands ausmacht: der Schale für das Salz. Wenn es sich um Cellinis Gesicht handelt, dann ist dieses weit prominenter platziert als das den König vertretende Reptil. Und wenn Ersteres von vorn zu sehen ist, verschwindet Letzteres gerade aus der Sicht;Footnote 78 Künstler oder König, Porträt des einen oder heraldisches Element des anderen sind perspektivische Alternativen.

Es gibt mithin kein festliches Zusammenkommen mit Saliera, an dem nicht auch Cellini teilnähme. Wo auch immer sich Personen um sie scharen, stoßen sie früher oder später auf dieses Gesicht. Er ist ungebeten mitten unter ihnen. Der König und seine Tischgenossen bemerken irgendwann den goldenen Gast – und sobald sie das getan haben, sprechen sie vermutlich auch über ihn. Sollte dann aber nicht die Art, in der Cellini hier zusammen mit dem kunstvollen Ding die eigene Person präsentiert, in der er mit der Sache und in ihr zugleich sich selbst gibt, die Konversation in besonderem Maße beschäftigen? Entsteht nicht daraus eine Konkurrenz um den Mittelpunkt der festlichen Versammlung? Ist dieser zusätzliche Gast auch benvenuto?

Michael Cole sieht eher am Rande die politische und beleuchtet gar nicht die soziale Dimension der Saliera, sondern fokussiert auf ihre naturkundlichen und poetologischen Implikationen: Wenn die Tischgenossen der Schale – dem Hinterkopf des fiktiven Cellini – Salz entnehmen, setzen sie ihm zufolge die Redewendung pigliare il sale in die Praxis um: Sie erwerben Kenntnis, sie lernen – nämlich von der Intelligenz des Künstlers, auf die das Salz im Sinn geläufiger Ausdrücke wie sale nella testa und sal in mente verweist.Footnote 79 Das Gespräch der Gäste würde sich auf dieser Linie um die Einheit der Elemente, Hydrodynamik, Geologie und Alchimie drehen.Footnote 80

In der häuslichen Runde dürfte das nicht unbedingt das Thema gewesen sein (eher schon die Beinstellung der schönen Tellus). Auch die Freunde genießen, wenn sie sich erstmals ›aus dem Kopf‹ ihres Gastgebers bedienen, die Intelligenz des Künstlers. Aber noch mehr: Cellini hat nicht nur invenzione und opera in diesen Gegenstand investiert, er hat nicht nur seinen Einfallsreichtum, seine Belesenheit, seine handwerkliche Meisterschaft darin vergegenständlicht, also seine professionelle Person; er macht seine Urheberschaft auch explizit mit seinem Selbstporträt. Den Tafelnden zeigt er ausdrücklich, dass sie es nicht nur mit einem Ding, sondern auch mit einer Person zu tun haben. Die Saliera bleibt ein Stück von ihm. Sie ist mit seiner Person verwachsen, und er mit ihr. Die Schale ist sein Kopf, der Künstler eine Barke mit kostbarer Fracht; sie hat herangebracht, was allem erst seinen Sinn, seinen Witz, seine Würze verleiht. Der Künstler hat sich in seinem Werk selbst gegeben, er bietet sich als offene Schale und deren Inhalt dar. Die Rezipienten verzehren diese Gabe. Sie verleiben sie sich ein.

Cellini spielt mit der Vermischung von Artefakt und lebendiger Person auch in anderen Zusammenhängen: in der illusionistischen Belebung der Jupiterstatue, die sich, auf Rollen gesetzt, im Fackellicht selbst zu bewegen scheint; oder in der des Kolossalkopfes, in dem sich eine Frau verborgen hat; ihre Beleuchtung und Bewegungen verleihen ihm in der Nacht ein unheimliches Leben. Inszenierung im einen Fall, emergente Wirkungen im anderen schaffen diese Zweideutigkeit. Jede Animierung eines Artefakts knüpft an die Legende vom Künstler als Schöpfer von Leben an, immer werden das anthropologisch tief verankerte Interesse an der Verlebendigung von Totem, die Scheu und Angst, die sich damit verbinden, wieder aufgerufen.Footnote 81 Auch spielerische technische Tricks zur Täuschung anderer verfehlen diese Wirkung nicht. Im Gegenteil ist die Bereitschaft der Rezipienten, jenen Konnex wenn nicht zu erinnern, doch irgendwie zu fühlen, die Voraussetzung dafür, dass es überhaupt ein Verlangen nach dergleichen Manövern gibt. Deren ambivalente Wirkung von Faszination und Furcht gemahnt von ferne an alte magische Praktiken.

Die Verquickung von Sache und Person ist auch ein Moment der zeremoniellen Gabe. Weil der Geber selbst oder etwas wie seine ›Seele‹ in der Gabe enthalten sei, müsse diese in Form einer Gegengabe an ihn zurückkehren; das hau darin erzwinge dies, es strebe zum Ausgangspunkt zurück.Footnote 82 Die Nötigung zur Erwiderung einer Gabe wird derart mit einer magischen Kraft im gegebenen Ding selbst mythisierend gedeutet; der Gegenstand ist als Teil oder Fortsetzung der Person ein Akteur in der Gabenbeziehung.

Jenseits magischer Vorstellungen besteht zumindest in der westlichen Kultur bis heute immer die Bereitschaft, im Bereich der Kunst Person und Sache miteinander zu vermengen. Die frühneuzeitliche Tendenz zur Divinisierung von Kunst und Künstlertum und die Viten-Literatur legen dies nahe; das 19. Jahrhundert wird es mit der romantischen Charismatisierung der Kunst und methodisch qua Biographismus zur Doktrin erheben. Beide Epochen kultivieren nicht nur Schöpfermythen, sondern auch das Begehren danach, die kategoriale Trennung von Dingen und Personen zu unterlaufen. Seit der Antike, spätestens seit dem römischen Recht, ist deren striktes Auseinanderhalten ein Charakteristikum europäischer Kultur.Footnote 83 Das Feld der Kunst bildet darin bis zu einem gewissen Grad eine Ausnahme. Denn ein Werk von XY ist ›ein XY‹, und diese Verschiebung stellt mehr als eine rhetorische Figur dar; aus ›einem XY‹ lässt sich, so wird unterstellt, auch die Person XY selbst erkennen, die Sache ist ein Teil von ihr, und dieser Teil lässt auf das Ganze schließen, oder pathetischer: Künstler oder Künstlerin geben sich in ihren Werken selbst – sie ergeben sich der Kunst, verausgaben sich, geben sich ganz, etc. –, daher erhält das Publikum, die passiven Empfänger dieser Gabe, darin seine oder ihre Person.Footnote 84 So das bis heute geläufige Klischee.

Cellini ist zeittypisch in magisches, alchimistisches, astrologisches Denken verstrickt, aber in der Vita macht er dergleichen nicht geltend, wenn es um die Belebung seiner Artefakte geht. Diese scheinbare Animation veranstaltet er selbst, gezielt, mit allen Möglichkeiten der Technik und indem er räumliche Gegebenheiten und Lichtverhältnisse geschickt nutzt. Die Belebung des silbernen Jupiters ist ein Effekt, den ein versierter Praktiker zustande bringt; dabei wirkt nicht Magie, sondern Magie ist selbst eine Wirkung, erzeugt von Mechanik, Apparaten und Beleuchtung.

Bei der Saliera dürfte der Anblick des Gesichts Überraschung, einen kleinen Schreck, Bewunderung, Gelächter ausgelöst haben.Footnote 85 Die Person ist im Ding, sie begegnet als Ding, sie zwingt den Gast sogar, mit ihr als Ding umzugehen, nämlich sobald er sich mit Salz bedient. Benvenuto ist die Schale. Benvenuto ist ihr Inhalt. Die Vermischung der Kategorien ist dabei ein köstliches Spiel.

Wenn die Freunde sich zum gemeinsamen Mahl versammeln, bilden sie wie jede Tischgesellschaft eine communio. Die Gabe des Künstler-Freundes und den Künstler-Freund als Gabe nehmen sie gemeinschaftlich zu sich; statt Leib und Blut Christi konsumieren sie sein Salz und seinen Witz. Dementsprechend geht es nicht weihevoll zu, sondern lustig; »con grandissima lietitudine«Footnote 86 begehen sie eine säkulare Kommunion.Footnote 87 François Ier ist dabei unsichtbar anwesend, er ist der eingeschlossene Ausgeschlossene dieser Zusammenkunft, einer alternativen communion de vraye amour.

VIII. Das Salz der Gabe. Schluss

Im frühneuzeitlichen Europa entscheiden über die Machtverteilung Kriege und das Knüpfen verwandtschaftlicher Bande durch Heiraten. Nicht nur zu diesen gehören Gabenpraktiken, sie machen vielmehr einen Teil der Politik aus, sorgen für Allianzen, sind aber auch agonistisch;Footnote 88 das Interesse an Bündnissen oder Pazifizierung und das Rivalisieren stellen keinen Gegensatz dar. Gabentausch findet hier innerhalb eines politischen Gebildes statt und zwischen verschiedenen derartigen Gebilden, als Akte der Diplomatie und bei festlichen Gelegenheiten, aber er wird im Rahmen vorausgesetzter Strukturen vollzogen. (Dass diese bestehen, heißt freilich nicht, dass sie nicht permanent behauptet, gesichert oder erkämpft werden müssten; sie sind mitnichten ›stabil‹.) Die Gabe ist in diesem Kontext nicht strukturbildend,Footnote 89 sie begleitet und unterstützt vielmehr andere Verfahren der Solidarität und der Konkurrenz, der Dominanz und der Loyalität. Die Leistungen der Gabe sind jedoch auch unter diesen Bedingungen kaum zu überschätzen. Die permanente, öffentlich sichtbare Repräsentation der Macht, wie sie in Akten reichlichen Gebens stattfindet, ist hier kein Surplus, sondern ein unabdingbares Konstituens der politischen Autorität.

Der Blick auf die historischen Zusammenhänge der Jahre um 1540 zeigt, in welchem Sinn Gaben zur Entspannung von Konflikten beizutragen suchen. Der Transfer des Künstlers selbst hat diese Bedeutung auf ›internationaler‹ Ebene. Das von ihm geschaffene Artefakt wiederum vermag politisch und ökonomisch schwierige Umstände in Frankreich zu euphemisieren: Ein durch Rebellion im Inneren und Kriege mit anderen Nationen bedrohtes Reich inszeniert sich als weltumspannend und unerschütterlich. Die Saliera vergegenständlicht, was es sein möchte, und leistet damit propagandistische Dienste. Die intendierte Symbolik wird dabei nicht nur veranschaulicht, sondern auch zur Aufführung gebracht. Damit erfüllt das Objekt die genuine Funktion herrscherlicher Prachtentfaltung und der Bestätigung der politisch-sozialen Ordnung. Es bietet Gaben dar, figuriert das reichliche Schenken und ermöglicht den Gabentausch der Anwesenden, mit dem sich diese zur Festgemeinschaft vereinen. Denn in Frankreich ist zwar, so die Äußerung eines zeitgenössischen Juristen, der Wille des Königs das Gesetz, aber es muss auch eine »gegenseitige Freundschaft zwischen dem König und seinen Untertanen« geben.Footnote 90 Dieser ist nicht nur Gott verpflichtet, sondern auch seinem Volk, und das will bei festlichen Akten z.B. durch Vertreter von Ständen an der Modalität der Gegenseitigkeit beteiligt sein.

Ein königliches Mahl mit Saliera verquickt Politik, Moral, (Luxus‑)Ökonomie, Ästhetik und, verschoben ins Spiel mit paganen Göttern, Religion. Ein derartiges Geschehen an der royalen Tafel ist – wie jedes Fest – ein Ereignis von ›totalem‹ Charakter. Ganzheit wird in der Symbolik des kostbaren Objekts und der die Elemente verknüpfenden künstlerischen Komposition explizit beansprucht; im Zirkulieren des Gegenstands kommen dessen Vielansichtigkeit, Multimodalität und Polyvalenz zur Geltung; sie benötigen die Interaktion. Und im gemeinsamen Essen und Konversieren wird die beschworene Ganzheit performativ realisiert.

Sie ist jedoch nicht wirklich eine solche, sondern hat ein Außen. Und noch mehr: Dieses Außen macht sich im Innern geltend. Das Objekt selbst enthält mindestens ein Element, das zum panegyrischen Anliegen nicht passt. Das Konterfei des Künstlers fordert rivalisierende Aufmerksamkeit mitten im offiziellen festlichen Ereignis. Die dingliche Objektivation des universalistischen royalen Anspruchs birgt ein ironisches Einsprengsel. Dieses ›Stör‹-Element lässt sich indes mit manieristischer Raffinesse gut vereinbaren; der König müsste, wenn er es wahrnähme, so kontern, dass er sich als noch gewitzterer Kopf erwiese, oder es mit Gelächter quittieren, womit er erneut seinen Großmut demonstrierte. Was im Programm des Herrscherlobs nicht aufgeht, krönt derart das künstlerische Programm der greifbar gewordenen Intelligenz.

Anders verhält es sich mit der Unvollständigkeit der Gaben tauschenden Interaktion zwischen König und Hofkünstler. Die Rückgabe des Gegenstands ist eine uneindeutige Geste, und der Verzug zwischen dieser Handlung und der nächsten schafft für Cellini Unsicherheit. Er erbringt seine Leistung, aber findet sie wirklich Anerkennung? Und findet er selbst die Anerkennung, die er sucht, nämlich als jemand, der kraft seiner künstlerischen Exzellenz dem Machthaber ebenbürtig ist, der als Einziger dem Einzigen gegenübersteht?

Cellini deutet sein Verhältnis zu François Ier in diesem Sinn – und täuscht sich damit. Denn nicht nur ihn nennt der König mon ami, und die Bedeutung dieser Titulierung dürfte er missverstanden haben. Äußerungen und Gesten des Königs legt er sich nach Maßgabe seiner eigenen Wünsche zurecht, insbesondere stilisiert er sie für die Nachwelt zu Erfolgen, Auszeichnungen oder Vorzugsbehandlungen. So verfährt er auch, wenn er sein Werk wieder mitnehmen darf. Aus welchem Grund auch immer das geschieht, in der Vita macht er daraus einen Punktsieg in seinem Kampf um die Ranggleichheit mit dem König. Er repliziert auf das ritualisierte Mahl am Hof, indem er eine profane Parallelaktion im häuslichen Ambiente veranstaltet. Das Ereignis an der royalen Tafel erhält in diesem rustikalen Festakt sein burleskes Pendant. Unabhängig davon, ob die festlichen Runden je stattgefunden haben, suggeriert die Erzählung damit eine Machtbalance.

Im Geschehen um die Saliera spielen Gabenpraktiken und Gabendenken in mehreren Personenkonstellationen eine Rolle: im diplomatischen Gabentausch europäischer Machthaber; im Agon des ambitionierten Goldschmieds mit den Gelehrten um den Entwurf; im Verhältnis des französischen Königs zu seinen Noblen bei einer möglichen Nutzung des Geräts; in der ambivalenten Beziehung von Patronage und Rivalität zwischen Cellini und François Ier; in der zur königlichen Tischgesellschaft komplementären des Künstlers und seiner Freunde.

Gegeben wird jeweils eine Sache, die mehr ist als eine solche. Sie lässt sich von der Person des Gebenden nicht abtrennen wie die Abstrakta Ware und Geld. Der König gibt sich den Vertretern seines Landes und schafft damit Bindungen der Treue und Ergebenheit. Die Angehörigen des Hofes nehmen die Gabe an und erwidern sie mit ihren Diensten. Da es sich dabei nicht um messbare Äquivalente handelt, sind jene als Personen in den Tausch involviert. Der Künstler gibt sich seinem Herrn und allen Rezipienten seines materialen wie verbalen Werks und betreibt dabei einen permanenten Kampf um Anerkennung.

Alle Akteure teilen das Prinzip der Gabe und spielen deren Spiel – und doch zeichnen sich signifikante Differenzen ab: Cellini verfährt immer nach der Regel agonistischer Reziprozität; er konkurriert, streitet, provoziert, liefert sich mit seinen Gegnern Duelle – und seiner Selbsteinschätzung nach gewinnt er, sofern nur fair gespielt wird. Wenn all das, was man an der Saliera an Möglichkeiten der Deutung und des gestischen Umgangs erkennt, nicht nur Phantasmen sind, dann haben sie damit zu tun, dass ihr Produzent sich das festliche Geben offenbar als einen wechselseitigen Austausch tendenziell gleichrangiger Partner vorstellt. Für einen solchen eignet sich das Objekt in herausragender Weise. Das Verhältnis der Beteiligten ist in diesem Fall – wie bei dem Götterpaar – ein dramatisches Mit- und Gegeneinander, bei dem keine Seite ohne die andere auskommt. Cellini sieht auch seine Beziehung zu François Ier als eines von Kontrahenten, die einander als gleichwertig betrachten. Er gibt seine besonderen Dienste und erwartet die Gegengabe besonderer Wertschätzung.

Sein königliches Gegenüber aber mag das nicht in der gleichen Weise verstanden haben. François Ier liegt ein anderes Spiel näher: das der einseitigen Gabe. Er praktiziert largesse nach seinem eigenen Gutdünken; er kann einen Austausch von Diensten und Wohlwollen initiieren und fördern, aber den Strom des Gebens und Erwiderns auch erschweren, verzögern, verlangsamen oder versickern lassen. Künstler und König brauchen einander, der eine ist jedoch abhängiger als der andere. Beide pflegen eine Beziehung der höfischen grazia, in der jeder seine Leistung und sich selbst gibt; aber François Ier und andere seinesgleichen machen in dieser Zeit aus der wechselseitigen grazia zunehmend die asymmetrische Gnade: Sie ist die Gabe des absolutistischen Herrschers.Footnote 91 Aus dieser Verschiebung resultieren andauernde Spannungen in einem Patronageverhältnis, das zunächst eine win-win-Situation zu werden versprach. Immer wieder kommt es zwischen François Ier und Cellini zu Missverständnissen, und diese gehen nicht auf die beteiligten Personen zurück; sie sind vielmehr strukturell bedingt. Beide Seiten agieren im Sinn der Gabe und im Sinn von grazia, nur gehört es zu dieser besonderen historischen Konstellation, dass das Agieren je nachdem anders ausfällt: als Streben nach Reputation und gegenseitiger Verbindlichkeit oder als unilaterales Gewähren. Die schillernde Semantik von grazia lässt beide Arten des Gebens zu.

Ungewissheit und Risiko sind das Salz der Gabe. Als einseitige Machtdemonstration aber droht das Salz, ›dumm zu werden‹.