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Straightwashing oder Rosafärbung – War Gleim schwul?

Straightwashing oder pinkdyeing – Has Gleim been gay?

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Deutsche Vierteljahrsschrift für Literaturwissenschaft und Geistesgeschichte Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassung

Der Beitrag untersucht Indizien und Argumente für eine Homosexualität des Dichters Johann Wilhelm Ludwig Gleim, wie sie hauptsächlich in der angloamerikanischen genderorientierten Germanistik vorgetragen werden. Von Bedeutung sind dabei insbesondere Gleims Briefwechsel und Freundschaften mit Johann Georg Jacobi und Johannes von Müller. Der Beitrag bestimmt die Interpretation der empfindsamen Freundschaft des mittleren 18. Jahrhunderts als Homoerotik angesichts der historischen Veränderlichkeit der Freundschaftskultur und etwa auch der Freundschaftspraktik des Freundeskusses als unzulässige heutige Projektion. Er stützt sich maßgeblich auf die Abhandlung von W. Daniel Wilson, »But is it gay? Kissing, friendship, and ›pre-homosexual‹ discourses in eighteenth-century Germany« (2008), hinter welche die Forschung wieder zurückgefallen war.

Abstract

The article examines the evidence and arguments for the poet Johann Wilhelm Ludwig Gleim being homosexual, as they are presented mainly in Anglo-American gender-oriented German studies. Gleim’s correspondence and friendships with Johann Georg Jacobi and Johannes von Müller are particularly important. In view of the historical variability of the friendship culture and, for example, the friendship practice of kissing friends the article determines the interpretation of the sensitive friendship of the middle 18th century as homoeroticism as an inadmissible modern projection. It draws mainly on the treatise by W. Daniel Wilson, »But is it gay? Kissing, friendship, and ›pre-homosexual‹ discourses in eighteenth-century Germany« (2008), behind which the research had fallen back again.

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Notes

  1. Vgl. z. B. Alice A. Kuzniar, »Introduction«, in: Dies. (Hrsg.), Outing Goethe & His Age, Stanford/Ca. 1996, 1–32, hier: 23.

  2. Vgl. Michel Foucault, History of Sexuality (I, 43), zit. n. Kuzniar (Anm. 1), 5; – Paul Derks, Die Schande der heiligen Päderastie. Homosexualität und Öffentlichkeit in der deutschen Literatur 1750 – 1850, Berlin 1990, 86 ff.

  3. Heinrich Detering, Das offene Geheimnis. Zur literarischen Produktivität eines Tabus von Winckelmann bis zu Thomas Mann, Göttingen, 2. Aufl. 2013, 20; dementsprechend auch Simon Richter, »›Non Arrivo‹. Presence and Absence in Eighteenth-Century German Same-Sex Desire«, Historical Reflections/Reflexions Historiques 33/1 (2007), 79–88 (Richter 2007), hier: 80.

  4. Simon Richter, »The Ins and Outs of Intimacy. Gender, Epistolary Culture, and the Public Sphere«, The German Quaterly 69/2 (1996), 111–124 (Richter 1996a), hier: 112, Hervorhebung durch RFL.

  5. Für Winckelmann: Giacomo Casanova Chevalier de Seingalt, Geschichte meines Lebens, hrsg u. eingel. Erich Loos. Erstmals nach der Urfassung ins Deutsche übers. von Heinz von Sauter, VII, Berlin 1967, 240; – zu Johannes von Müller siehe Derks (Anm. 2), Kap. XIII.; zu Friedrich II.: Reinhard Alings, »›Don’t ask – Don’t tell‹ – War Friedrich schwul?«, in: Friederisiko. Friedrich der Große – Die Ausstellung, hrsg. v. d. Generaldirektion der Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, München 2012, 238–247; im Falle des Preußenkönigs ist nicht auszuschließen, dass es sich bei dem Bericht Voltaires, Friedrich habe mit einem fallengelassenen Taschentuch einen Pagen zu einem Stelldichein zitiert, eher um eine gezielte Rufschädigung handelt.

  6. Johann Georg Jacobi, Briefe des Herrn Johann Georg Jacobi, Berlin 1768; – Johann Wilhelm Ludwig Gleim und Johann Georg Jacobi, Briefe von den Herren Gleim und Jacobi, Berlin 1768. Das Schrifttum zu diesem Briefwechsel ist inzwischen umfangreich; siehe vor allem Beat Hanselmann, Johann Wilhelm Ludwig Gleim und seine Freundschaften oder Der Weg nach Arkadien, Bern 1989; – Christiane Holm, »Intimität als Medienereignis. Die ›Briefe von den Herren Gleim und Jacobi‹ und ihre Öffentlichkeiten«, in: Thomas Bremer (Hrsg.), Materialitätsdiskurse der Aufklärung. Bücher – Dinge – Praxen, Halle 2016 (Wissensdiskurse im 17. und 18. Jahrhundert 4), 67–80; – Bianca Fechtner, »Briefe von Herrn Johann Georg Jacobi. Eine (fast) vergessene Sammlung und ihr Verhältnis zu ihrem berühmteren Pendant Briefe von den Herren Gleim und Jacobi«, Gemeinnützige Blätter 25 (2018), 19–33.

  7. Undat., Jacobi (Anm. 6), 21.

  8. Wolfdietrich Rasch, Freundschaftskult und Freundschaftsdichtung im deutschen Schrifttum des 18. Jahrhunderts, Halle/S. 1936, 206 f.

  9. Eve Kosofsky Sedgwick, Epistemology of the Closet, Berkeley, Los Angeles 1990, 52 und öfters.

  10. 13.242 Küsse und 260.022 Umarmungen, siehe Hanselmann (Anm. 6), 13.

  11. Bernd-Ulrich Hergemöller, Mann für Mann. Biographisches Lexikon zur Geschichte von Freundesliebe und mannmännlicher Sexualität im deutschen Sprachraum, Hamburg 1998, 391.

  12. Helmut Walser Smith, »Same-Sex Male Love and Patriotic Sacrifice in Prussia: On the Death of Ewald von Kleist, 1759«, German History 34/3 (2016), 402–418, hier insbes. 404 f.

  13. Ebd., 405.

  14. Ebd., 406.

  15. Richter 1996a (Anm. 4), 115.

  16. Simon Richter, »Winckelman’s Progeny. Homosocial Networking in the Eighteenth Century«, in: Kuzniar (Anm. 1), 33–46 (Richter 1996b), hier: 35; außerdem Richter 2007 (Anm. 3).

  17. Richter 1996a (Anm. 4), 115.

  18. Richter 1996b (Anm. 16), 35 f.

  19. Johann Wolfgang von Goethe, »Tag- und Jahres-Hefte«, in: Ders., Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche, hrsg. Friedmar Apel u. a., XVII, hrsg. Irmtraut Schmid, Frankfurt a. M. 1994, 176.

  20. Richter 1996b (Anm. 16), 37.

  21. Johann Georg Jacobi, in: Iris. Ein Taschenbuch für 1804, 60 ff., zit. nach: Wilhelm Körte, Johann Wilhelm Ludwig Gleims Leben. Aus seinen Briefen und Schriften, Halberstadt 1811, 152 f.

  22. Richter 1996a (Anm. 4), 117.

  23. Ebd.

  24. Ebd.

  25. W. Daniel Wilson, »But is it gay? Kissing, friendship, and ›pre-homosexual‹ discourses in eighteenth-century Germany«, Modern Language Review 103 (2008), 767–783, hier: 768.

  26. Ebd., 767.

  27. Ebd., 770 ff.

  28. Jacobi an Gleim, 24.8.1767, Gleim/Jacobi (Anm. 6).

  29. Daniel Chodowiecki, Briefwechsel zwischen ihm und seinen Zeitgenossen, hrsg. Charlotte Steinbrucker, I, Berlin 1919, 82; siehe auch Wolfram Mauser, »Zu Chance und Scheitern einer sozialethischen Utopie um 1750«, in: Karl Eibl (Hrsg.), Entwicklungsschwellen im 18. Jahrhundert, Heidelberg 1990, 5–36.

  30. Friedrich von Hagedorn, Sämtliche poetische Werke, Hamburg 1771, I, 50.

  31. Vgl. Wilson (Anm. 25), 773, mit David M. Halperin, How to Do the History of Homosexuality, Chicago 2002, 119 f.; zur Kusskultur vgl. Dieter Martin, »Der Freundschaftskuß im 18. Jahrhundert«, in: Klaus Manger, Ute Pott (Hrsg.), Rituale der Freundschaft, Heidelberg 2006 (Ereignis Weimar – Jena, Kultur um 1800, Ästhetische Forschungen 7), 51–67.

  32. Vgl. Wilson (Anm. 25), 776 ff.

  33. Karsch an Gleim, 18.7.1768, zit. nach: »Mein Bruder in Apoll«. Briefwechsel zwischen Anna Louisa Karsch und Johann Wilhelm Ludwig Gleim, hrsg. Regina Nörtemann, Göttingen 1996, I, 312; diese Passage wurde als Entlarvung der Homosexualität verstanden; so Robert Tobin, Warm Brothers. Queer Theory and the Age of Goethe, Philadelphia 2000, 37. Waltraud Naumann-Beyer (»Ein Thier, was Verse macht ...« Das Leben der Dichterin Anna Louisa Karsch, genannt »Die Karschin«. Eine Romanbiografie, Berlin 2019, 327 ff.) erklärt die Tatsache, dass Karschs Liebe von Gleim nicht erwidert wurde, mit dessen Homosexualität, als wäre seine Heterosexualität die Gewähr dafür gewesen, dass die beiden ein Paar geworden wären.

  34. Tatsächlich verstand Jacobi diese Passage als Anspielung auf sodomitische Neigungen – und reagierte empört; siehe seinen Brief an Karsch vom 6.9.1768, zit. »Mein Bruder in Apoll« (Anm. 33), I, 492.

  35. Ebd.

  36. Gleim an Karsch, 23.7.1768, zit. nach ebd., 316.

  37. Ebd.

  38. So Rasch (Anm. 8), 194 ff., mit ihm Albrecht Koschorke, Körperströme und Schriftverkehr. Mediologie des 18. Jahrhunderts, München 22003, 238 f.

  39. Wilson (Anm. 25), 775, im Anschluss an Hanselmann (Anm. 6), 7–45.

  40. Vgl. Ute Pott, »Der scherzhafte Brief«, in: Scherz – die heitere Seite der Aufklärung, Ausst.-Kat. Gleimhaus Halberstadt, hrsg. Reimar F. Lacher, Göttingen 2019 (Schriften des Gleimhauses 10), 21–29.

  41. Richter 1996b (Anm. 16), 40.

  42. Vgl. vor allem Derks (Anm. 2), Kap. XIII.

  43. Johannes von Müller, »Einen Spiegel hast gefunden, der in allem Dich reflectirt«. Briefe an Graf Louis Batthyány Szent-Iványi 1802 – 1803, hrsg. André Weibel, Göttingen 2014.

  44. Vgl. zu Müllers Orientierung an Winckelmann und dessen Ideal der heroischen Freundschaft Derks (Anm. 2), 181 und 275, sowie Richter 1996b (Anm. 16), 40 ff.; das Ideal der heroischen Freundschaft als exklusiv homoerotisch zu verstehen, wäre unangemessen; siehe z. B. auch Herders Verständnis des Konzepts der heroischen Freundschaft als Steigerungsstufe der geselligen Freundschaft, vgl. Derks (Anm. 2), 197 f.

  45. Vgl. Briefe zwischen Gleim, Wilhelm Heinse und Johann von Müller. Aus Gleims litterarischem Nachlasse, hrsg. Wilhelm Körte, 2 Bde., Zürich 1806; Hannes Alder, »Johannes von Müllers erster Berliner Aufenthalt (1780/81) (nach dem z. T. unveröffentlichten Briefwechsel Müller-Gleim)«, in: Christoph Jamme, Otto Pöggeler (Hrsg.), Johannes von Müller – Geschichtsschreiber der Goethezeit, Schaffhausen 1986, 99–126.

  46. Körte (Anm. 21), 169.

  47. »Gleim[,] den ich verehre auch liebe«, Johannes von Müller an Friederike Brun und Karl Viktor von Bonstetten, 5.2.1803, zit nach: Müller (Anm. 43), II, 393.

  48. Wolfgang Burgdorf, »Rezension über: Reimar F. Lacher, ›Friedrich, unser Held‹– Gleim und sein König«, Göttingen 2017, Zeitschrift für Historische Forschung (ZHF) 45/4 (2018), 68–70, https://doi.org/10.15463/rec.1450498951, hier: 69.

  49. Ebd.

  50. Zit. n. Müller (Anm. 43), II, 263 f.

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Lacher, R.F. Straightwashing oder Rosafärbung – War Gleim schwul?. Dtsch Vierteljahrsschr Literaturwiss Geistesgesch 95, 313–325 (2021). https://doi.org/10.1007/s41245-021-00130-w

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