1 Einordnung, Themensituierung und Betrachtungsrichtung

Die auslandsdeutschen Medien – und in diesem Rahmen die Presseerzeugnisse deutscher Minderheiten – sind bisher kaum ins Blickfeld der Linguistik gerückt. Sie sind allerdings, zumindest an der Oberfläche, gut dokumentiert: Beispielsweise behauptet Akstinat (2013, S. 13) in seinem Überblickswerk, dass es außerhalb des zusammenhängenden deutschen Sprachraums »über 2000 Periodika komplett oder teilweise in deutscher Sprache« gibt. Eine durchgeführte Auszählung seiner Bestandsaufnahme ergab allerdings nur 1285 Titel. Stößel (2002, S. 19) spricht sogar von 3000 deutschsprachigen Periodika außerhalb des deutschen Sprachraums und in der Bibliographie von Weber (2014, S. 5) werden nach Angaben ihres Herausgebers Titelangaben von nicht weniger als 5226 bibliographisch erfassten Zeitungen und Zeitschriften der deutsch(sprachig)en Minderheiten allein aus dem östlichen Europa aufgeführt.

Die Bedeutung dieser Druckerzeugnisse ist beträchtlich, sie sind Medium im doppelten Sinne: als Kommunikationsmittel, wie jedes Presseprodukt, aber eben auch als Vermittler zwischen Kulturen (und Ländern). Zudem erfüllen diese Blätter eine ganz praktische Funktion als Bindeglied zwischen Deutschsprachigen im gegebenen Staat. Angesichts ihres vielfältigen Potenzials verdient es eine genauere Erschließung, wie sie z. B. Themen formulieren, gesellschaftliche Agenden entwickeln, eigene Narrative generieren, Diskurse sprachkommunikativ gestalten und im öffentlichen Raum daran arbeiten, kulturelle Bedeutungen zu schaffen. Diese Medienerzeugnisse wurden bereits in einer Vielzahl von Publikationen aus gesellschafts- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen thematisiert, so etwa im Hinblick auf historische, pressegeschichtliche, kultur- und literaturwissenschaftliche Fragestellungen. Sprachbezogene Betrachtungen aus linguistischer Perspektive bilden jedoch überraschenderweise bis heute ein Desiderat. Die wenigen existierenden Publikationen zur Gegenwartssprache deutscher Minderheitenpresse stammen selten von Linguist(inn)en, weshalb ihr sprachwissenschaftlicher Wert in Frage zu stellen ist. Vor diesem Hintergrund ist an der Universität Erfurt ein drittmittelfinanziertes Forschungsprojekt etabliert worden, das gezielt Pressetexte im Überschneidungsfeld mehrerer Sprachen und Kulturen speziell am Material der Medialität deutscher Minderheitenzeitungen aus sprachwissenschaftlicher Sicht exponiert. Die einschlägige Bedeutung dieses empirischen Wirklichkeitsausschnitts wird auch an der Feststellung des Sprachwissenschaftlers Moser (1962, S. 8) deutlich: »Die Besonderheiten der deutschen Hochsprache außerhalb Deutschlands offenbaren sich weniger in der Sprache der Wissenschaft und der Literatur, deren Träger sich zumeist bewußt an den ›binnendeutschen‹ Gebrauch anschließen, sondern vor allem und am stärksten in der Sprache der Zeitungen«.

Das basale Ziel des vorliegenden Aufsatzes besteht im Sinne eines Werkstattberichts darin, Untersuchungsdesign und zentrale Inhaltsstrukturen bzw. -elemente des im Blickpunkt stehenden Projekts sowie einige bisherige Beobachtungen und Ergebnisse mit Überblickscharakter zusammenzufassen und zur Diskussion zu stellen. Damit soll zur theoretischen und empirischen Ausleuchtung des avisierten medienlinguistischen Phänomenbereichs beigetragen werden.

2 Arbeitskontext und Reflexionsfeld

Gegenstand des Vorhabens bildet also dezidiert die deutsche Sprache der Presse in spezifischen Mehrsprachigkeitskulturen, in denen für gewöhnlich selbst mehrsprachige Textemittent(inn)en deutschsprachige Medienkommunikation in mehrsprachigen Kontexten ausgestalten. Im Hinblick auf das Wechselverhältnis von Minderheiten und Medien teilen Le/Uribe-Jongbloed (2018, S. 358) die Medien typologisch in vier Untergruppen ein: (1) minority language media, (2) diasporic media, (3) media in (other) minority contexts und (4) ethnic (or indigenous) media/minority media. Im vorliegenden Projekt geht es um Typ (3), der auch als Oberbegriff für (1) und (2) betrachtet werden kann. In diesem Rahmen handelt es sich genauer um den Typ (1): minority language media. Dabei wird hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen Sprache und Medien unter den von Ehrensberger-Dow/Perrin/Zampa (2018, S. 376) ausdifferenzierten Perspektiven die von »language of media« eingenommen.Footnote 1

Ziel ist eine evidenzbasierte qualitative Untersuchung von paradigmatischen Besonderheiten des in Medientexten situierten Sprachgebrauchs, die exemplarisch an deutschsprachigen Minderheitenzeitungen herausgearbeitet werden. Durch Beleuchtung kulturinduzierter sprachkommunikativer Charakterzüge wird zudem eine Erschließung struktureller Manifestationen von Kulturalität im analysierten MediendiskursFootnote 2 angestrebt. Dabei ist der Ansatz nicht normativ-fehleranalytisch, sondern deskriptiv und vorrangig kontakt- bzw. interkulturalitätszentriert. Die Ausführungen beruhen auf dem variationslinguistischen Projekt namens »Deutsche Mediensprache im Ausland – am Beispiel der deutschen Minderheitenpresse in Mittel- und Osteuropa« (Projektnummer: ZMVI2-2519DK0526), welches innerhalb eines dreijährigen Bearbeitungszeitraums (vom 01.04.2019 bis zum 31.03.2022) an der Universität Erfurt und in Kooperation mit Kolleg(inn)en in Russland, Kasachstan, Ungarn, Rumänien, der Ukraine und der Slowakei durchgeführt wird. Projektleiter ist der Verfasser dieses Beitrages, projektfinanzierte Mitwirkende in Erfurt sind ferner Uschi Schmidt, M.A., zur wissenschaftlichen Mitarbeit als Koordinatorin, sowie zwei wissenschaftliche Assistentinnen. Das Vorhaben wird durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) gefördert, wofür ihr an dieser Stelle unser herzlicher Dank gilt.Footnote 3 Die empirische Datenbasis liefert dazu das Deutsche als Minderheitensprache in den mittel- und osteuropäischen Staaten Polen, Slowakei, Ungarn, Rumänien, Russland und Kasachstan,Footnote 4 genauer: die geschriebene Sprache der deutschen Minderheit im KommunikationsbereichFootnote 5 ›Presse‹. Die Auswahl dieser Schwerpunktländer erklärt sich (neben gewissen forschungspraktischen Gründen) vor allem damit, dass diese immer noch über eine deutschsprachige minderheitenbezogene Presselandschaft in nennenswertem Umfang verfügen. Vor diesem Hintergrund setzt sich der vorliegende Aufsatz mit der linguistischen Erfassung der grundlegenden typologischen Strukturen und der aktuellen Verfasstheit in Bezug auf den Medientyp ›Minderheitenpresse‹ auseinander.

Für den vorliegenden Beitrag wurden exemplarisch drei Zeitungen aus Russland, Kasachstan und Ungarn ausgewählt, welche als zentrales überregionales Medium der jeweiligen deutschen Minderheit fungieren. Diese Auswahl zielt auf größere Homogenität und dadurch bessere Vergleichbarkeit ab. Dabei wird angenommen, dass bei deutschen Minderheitenzeitungen in postsozialistischen Ländern (mit zeitverzögerter Entwicklung der Mediensysteme) grundsätzlich eine produktive Vergleichbarkeit gegeben ist, da sie aufgrund ihrer speziellen Veranlagung als eindeutig »content-driven«Footnote 6 zahlreiche wesentliche Gemeinsamkeiten aufweisen, auch wenn es sich um drei verschiedene PressesystemeFootnote 7 handelt. Außerdem besteht ein gemeinsamer Nenner darin, dass die berücksichtigten Zeitungen dezidiert rezipientenorientiert sind, einen mehr oder weniger eng umgrenzten Verbreitungsraum haben und sich in ihrem Themenhaushalt inhaltlich auf Informationen aus der nahen oder näheren (deutschbezogenen) Sinn- und Sozialwelt sowie dem Interessenkreis der Leser(innen) konzentrieren. Diese Zeitungen gelten jeweils nicht als isoliert stehende, unabhängige Einheiten, sondern sind, systemtheoretisch gesehen, in ein Mediensystem einzuordnen. Blum (2005, S. 10) arbeitet in einem pragmatischen Differenz-Ansatz zum Mediensystemvergleich sechs Typen heraus und qualifiziert dabei das Mediensystem in den ost(mittel)europäischen Staaten als »Schockmodell«, während er z. B. Deutschland einem »nordeuropäischen Service public-Modell« zuweist. Diese pauschale Subsumierung unter ein »Schockmodell« erscheint mir trotz der genannten Gemeinsamkeiten als zu undifferenziert, da die Mediensysteme der einzelnen Länder zugleich erhebliche Unterschiede aufweisen. Für die sprachinsulare Massenkommunikation von Minderheiten in multikulturellen Gesellschaften postuliert Reiner (1995, S. 11) als »Sub-Sub-System« die Gattung »Enklavenpublizistik«.

Die 1998 wiedergegründete Moskauer Deutsche Zeitung (im Weiteren: MDZ) ist in Russland das größte und einzige föderationsweite deutschsprachige Druckmedium und hat eine Auflagenhöhe von 25.000 Exemplaren.Footnote 8 Die Zeitung ist ein komplementär mehrsprachiges Medium und besteht zurzeit aus zwei Teilen: der 16-seitigen Moskauer Deutschen Zeitung und der 8‑seitigen Моcковcкая немецкая газета (›Moskovskaja nemeckaja gazeta‹).Footnote 9 Das Blatt wendet sich traditionell an Russlanddeutsche, zunehmend aber auch an Expats aus dem deutschen Sprachraum und sonstige Deutschsprechende und/oder -lernende. Sie erscheint vierzehntägig im A3-Format und bietet Inhalte in den Rubriken Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Zeitgeschehen, Feuilleton und Moskau. Sie wird auf Flughäfen, in Hotels, Restaurants, Businesszentren etc. kostenlos verteilt, wobei es auch zahlende Abonnenten gibt. Der MDZ-Redaktion gehören sechs fest angestellte bilinguale deutsch-russischsprachige Journalist(inn)en an, vier von ihnen sprechen Deutsch und zwei Russisch als Erstsprache.Footnote 10

Die Deutsche Allgemeine Zeitung (im Weiteren: DAZ) wurde 1966 gegründet und ist eine Wochenzeitung in Kasachstan, die in deutscher und in russischer Sprache mit einer Auflage von bis zu 2000 ExemplarenFootnote 11 (Quelle: DAZ 2018) mit 12 deutschsprachigen (und weiteren russischsprachigen) Seiten im A3-Format erscheint. Die Redaktion besteht aus fünf fest angestellten Mitgliedern. Die DAZ richtet sich vornehmlich an Angehörige der deutschen Minderheit in Mittelasien, aber auch an Sprachlernende und an deutschsprachige Tourist(inn)en und Firmenentsandte. Weiterhin wird auch das russischsprachige Publikum – des Deutschen nicht mehr lesekundige Kasachstandeutsche und Interessierte aus anderen ethnischen Gruppen – angesprochen. So behandelt das Medium Themen wie Politik, Wirtschaft und Kultur und informiert über Ereignisse im Zusammenhang mit der kasachstandeutschen Minderheit. Zu ihren Schwerpunktthemen gehören also die deutsch-kasachstanischenFootnote 12 Beziehungen, Tendenzen in Politik, Kultur und den Gesellschaften Zentralasiens und Deutschlands sowie Perspektiven und Ausbildungsmöglichkeiten für die Jugend (Quelle: DAZ 2018). Als bilinguale Zeitung vom Typ komplementäre Mehrsprachigkeit konstituiert sie sich aus deutsch- und russischsprachigen Artikeln, wobei die erste Seite dominant deutsche Texte enthält (Földes 2019, S. 71–72).

Die seit 1957 bestehende Neue Zeitung (im Weiteren: NZ) ist ein öffentlich-rechtliches Wochenblatt in Budapest im A4-Format auf 20 Seiten mit einer Auflage von 2000 Exemplaren. Der Redaktion gehören derzeit fünf feste Mitglieder (der Chefredakteur, die Büroleiterin, eine Reporterin, eine NZjunior-Redakteurin sowie ein Bote) und zwei Mitarbeiter(innen) auf Honorarbasis (ein Umbruchredakteur und eine Übersetzerin) an. Die NZ besteht aus Ressorts wie z. B. Politik, Kultur, Lokales, auch einer achtseitigen NZjunior (im Weiteren abgekürzt als NZj) für Kinder und einer Jugendseite »GJU – Gemeinschaft Junger Ungarndeutscher«, die zweiwöchentlich durch die Beilage »Ungarndeutsche Christliche Nachrichten« und jährlich durch die Beilage für Literatur und Kunst unter dem Titel »Signale« komplettiert wird. Die NZ richtet sich vornehmlich an Angehörige der deutschen Minderheit in Ungarn und setzt sich für die Pflege von Sprache und Kultur ihrer Zielgruppe ein (Quelle: Manherz 1999 und Neue Zeitung 2021). Das Team wird – wie übrigens auch das der MDZ und der DAZ – regelmäßig durch Praktikant(inn)en aus Deutschland in variierender Anzahl bereichert (siehe dazu Földes 2020, S. 35–36).

Das Datenfundament des vorliegenden Aufsatzes konstituieren bei allen drei Zeitungen die Printausgaben des Jahrgangs 2017.

Das primär psycho- und soziolinguistische Merkmal der »Salienz«Footnote 13 (als Aufmerksamkeit erzeugende Eigenschaft von Objekten) bildet den heuristischen Rahmen der auf induktiven Methoden fußenden theoriegeleiteten Analyse, mittels derer ein Spektrum von Ausprägungen einer transkulturellen Schreibkultur eruiert wird. Das Konstrukt »Salienz« wird auf dem Gebiet der Sprachwissenschaft beispielsweise von Gessinger/Butterworth (2015) hauptsächlich aus dialektologischer und von Rácz (2013) aus soziolinguistischer Perspektive nutzbar gemacht. Die vorliegende Studie stützt sich grundlegend auf den kognitiv und soziolinguistisch bedingten Salienz-Begriff von Auer (2014, S. 8–12). Hier soll das Salienz-Konzept als analytisches Beschreibungsinstrument dienen, wobei es um physiologische (visuelle), kognitive und soziolinguistische Auffälligkeiten geht, die auf der Folie »binnendeutscher«Footnote 14 Pressesprache feststellbar sind. Ein durchweg trennscharfer Einsatz der Analysekategorie »Auffälligkeit« erwies sich jedoch nicht immer als möglich. Deshalb wurden mehrere Gewährspersonen mit Deutsch (aus der Bundesrepublik), Russisch und Ungarisch als – wie auch immer aufgefasster – »Muttersprache« ergänzend und als Korrektiv zum sprachlichen und kulturellen Kompetenzhorizont des Verfassers befragt. Dabei diente operational der Deutschland-deutsche Standard als Bezugsgröße (nicht aber als Wertprämisse).Footnote 15 Neben der textinternen Analyse wurden auch textexterne Faktoren berücksichtigt. Die erkenntnisleitenden methodischen Stichwörter waren dabei (1) die fragestellungsbezogene KollektionFootnote 16 (Sammlung von Vorkommen eines bestimmten Phänomens), (2) die Typenbildung und (3) die Sequenzanalyse. Die Studie bewegt sich gezielt auf einer diskursorientierten Mikroebene, ohne auf die Makroebene (z. B. Akteure und Netzwerke) einzugehen. Die Korpusarbeit basiert auf dem Prinzip des sog. »Analyseparadigmas«, bei dem im Sinne von Steyer (2004, S. 93) Texte als authentische Sprachausschnitte systematisch auf der Suche nach mehrsprachigkeits- bzw. kontaktinduzierten sprachlichen Phänomenen untersucht werden.Footnote 17

3 Das Feld der Salienzen: Typen und Formen

Differenziert wurde beim Einsatz des Instruments Salienzen zwischen Sprachfokussierung (vgl. Abschn. 3.1) und Inhalts-, d. h. Kulturfokussierung (vgl. Abschn. 3.2). Im Folgenden soll nun die Vielfalt der ermittelten als salient eingestuften Vorkommensbelege in einer systematischen Übersicht erfasst und in prototypische Phänomenklassen einsortiert werden.

3.1 Salienzen primär sprachbezogener Natur

Bei den sprachbezogenen Auffälligkeiten lassen sich hinsichtlich ihrer Ursprünge drei Typen ausdifferenzieren: (1) Phänomene des arealen Sprachkontakts (Transfer oder Nachahmung von Elementen, Strukturen und Modellen der Kontaktsprache); (2) VerfremdungsprozesseFootnote 18 (z. B. Kontrastverschiebung oder -übertreibung, die aus einer unsicheren Beherrschung der Mediensprache Deutsch resultieren, etwa Übergeneralisierung des Sprachsystems) und (3) Normverletzungen aus Unachtsamkeit (d. h. Flüchtigkeitsfehler, die selbst bei Textproduzent(inn)en mit exzellenter Kompetenz vorkommen), wobei dann formal inkorrekte Sprachproduktion vorliegt. Im Folgenden wird innerhalb dieses Rasters eine feinere deskriptive Phänomentypologie angestrebt.

3.1.1 Sprachkontaktinduzierte Salienzen

3.1.1.1 Sprachkontaktphänomene explizit

Als explizite Sprachkontaktmanifestationen werden materielle Transfers betrachtet, bei denen eine Übernahme des Zeichenkörpers (des Signifikants) aus der Kontaktsprache erfolgt, z. B. im MDZ-Beleg (1):

(1):

Wsjo budet choroscho (5/16).Footnote 19

In kyrillischer Originalschreibung: Вcё будет хорошо; im Zeitungstext unmittelbar erklärt: ›Alles wird gut‹.

3.1.1.2 Sprachkontaktphänomene semi-explizit

In diesen Typ der sprachfokussierten Salienzen, der häufiger als die expliziten Sprachkontaktphänomene vorkommt, lassen sich hybride Einheiten wie Beleg (2) aus der russlanddeutschen Presse einordnen:

(2):

Angela, dawaj! (MDZ 18/1).

Mit Angela war die deutsche Bundeskanzlerin gemeint, dawaj (kyrillisch: давай) bedeutet etwa ›komm schon‹.

Im folgenden kasachstandeutschen Beleg bedient man sich einer hybriden Sprach- bzw. Schreibpraktik:

(3):

Реклама в DAZ (DAZ 6/8 und 7/8).

Zu Deutsch: ›Werbung in der DAZ‹.

Vereinzelt trifft man mediale Inszenierungen von Mehrsprachigkeit, z. B. das dreisprachige Ensemble im Titel eines Berichts über Kasachstan: Priwet! Rachmet und auf Wiedersehen! (8/9), wobei russ. privet ›Gruß, Grüß dich!‹ und kasachisch rachmet ›danke‹ bedeutet. Analog heißt es im letzten Satz des Artikels (vgl. Földes 2019, S. 87):

(4):

»Rachmet«, rollt es über meine Zunge, worauf er sich lächelnd mit einem »Privet! Rachmet und auf Wiedersehen!«, verabschiedet. (DAZ 8/9).

Gleichfalls werden in Sequenz (5) drei Sprachvarietäten miteinander kombiniert: hier das Standarddeutsche, eine ungarndeutsche Dialektvarietät und Standardungarisch, jedoch ohne Übersetzung oder Interpretation als Verstehenshilfe.

(5):

»Meini liewe Leut! I᾿ bin der Szeitl-Franzl aus Marka, und ich hatte einen Onkel, der Seppl-Josef genannt wurde. Ein bizottságFootnote 20 fragte ihn, ob er ein Ungar oder ein Schwob sei? Er antwortete: Én egy tuskó magyar vagyok!«Footnote 21 (NZ 39/Jubiläumsbeilage 8).

3.1.1.3 Sprachkontaktphänomene implizit

Hierbei handelt es sich um coverte Transferenzerscheinungen, bei denen nur die bildhafte Grundlage (das Konzept), nicht aber das Sprachmaterial übernommen wird, wie in den Belegen (6) bis (10).

(6):

Ob ich einen Inlandspass besitze? (MDZ 5/6 zweimal, aber auch auf Seite 7).

Im Hintergrund des Kompositums Inlandspass steht vermutlich eine sprachkontaktinduzierte Transferenzprägung nach Russisch: внутренний паcпорт (wörtlich ›innerer Pass‹), d. i. russischer Personalausweis. Das Phänomen ließe sich als kontaktsprachlich bedingte Kontrastnivellierung interpretieren.

Im folgenden Satz kasachstandeutscher Herkunft wird eine Transferenzübersetzung von russisch полный букет проблем окружающей cреды sichtbar; eine bundesdeutsche Journalistin/ein bundesdeutscher Journalist hätte sich eher z. B. für die Formulierung ein ganzes Bündel an Umweltproblemen entschieden.

(7):

Die Republik Tadschikistan hat einen vollen Strauß an Umweltproblemen, die oft sehr eng miteinander verbunden sind (DAZ 12/1).

Besonders auffällig ist, dass es für die Bildlichkeit mit Strauß auch ungarndeutsche Pressetextbelege gibt:

(8):

Chorleiterin Ilona Piller-Fódi stellte einen Liederstrauß mit fünf Volksweisen zusammen (NZ 9/2).Footnote 22

(9):

Anschließend erfreute der Schülerchor des DNG die Anwesenden mit einem bunten Strauß von Volksliedern aus Schorokschar, geleitet von Zsuzsanna Győrfi (NZ 40/1).

(10):

Zunächst verzauberte die Tanzgruppe der Grundschule mit einem bunten Strauß verschiedener Schwabentänze das Publikum […] (NZ 9/16).

Während die in Frage stehenden sprachlichen Strauß-Metaphern in den jeweiligen Kontaktsprachen stilistisch-pragmatisch neutral klingen und weit verbreitet sind, wirken sie aus binnendeutscher Sicht jedoch – wenngleich sie (besonders im Falle des Belegs 9) u. U. nicht unvorstellbar erscheinen – eher antiquiert (und teilweise regional markiert). Ihr Verwendungsprofil unterscheidet sich in den jeweiligen Sprachkontakträumen; für das Russische und Kasachische ist eine negative, für das Ungarische dagegen eine positive Konnotation charakteristisch, was auch in den angeführten kasachstan- und ungarndeutschen Belegen zur Geltung kommt (vgl. Földes 2020, S. 41–42).

3.1.1.3.1 Wortschatz

Für den Komplex ›Lexik‹ (einschließlich der Semantik und Wortbildung) können vielfältige Belege besonders aus dem monolexematischen Bereich angeführt werden.

Am eklatantesten sind diesbezüglich die sog. falschen Freunde des Übersetzers:

(11):

Es gibt keine Privilegien mehr für Professoren und Akademiker. Heute sind alle gleich (MDZ 5/7).

Während das Lexem Akademiker im Deutschen grundsätzlich eine Person mit Hochschulabschluss bezeichnet,Footnote 23 meint man mit seinem russischen Pendant академик ein Akademiemitglied, vor allem ein Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften. Der Schreiber stützt sich auf eine formale Ähnlichkeit der phonologischen Struktur beim Wortpaar Akademiker und академик und generiert eine semantische »Kontrastnivellierung« (Terminus im Sinne von Henn 1978, S. 142). Somit lässt sich dieses Item praktisch als ein Fauxami qualifizieren.

Viele weitere Auffälligkeiten rühren vom unterschiedlichen Bedeutungsumfang oder von der ungleichen semantischen Struktur deutscher, russischer und kasachischer Lexeme her, z. B.

(12):

So leben meine Gedanken zu Kasachstan immer in mir fort (DAZ 11/6).

Im Deutschland-deutschen Usus hieße es: So leben meine Erinnerungen an Kasachstan immer in mir fort. Es scheint, dass der Beleg im kasachischen Қазақcтан туралы еcтелік ойлар seinen Ursprung hat.

Ungarndeutsche Texte enthalten oft das Wort Bewerbung in unterschiedlichen Bedeutungen wie (Projekt‑)Ausschreibung, Antragstellung (z. B. auf Fördermittel) usw.:

(13):

Die Willander Jugend- und Nachwuchskapelle konnte im Jahr 2016 durch Bewerbungen erneut ihren Instrumentenbestand wesentlich verbessern (NZ 1/4).

Belege dieser Art dürften als Bedeutungstransferenz zu explizieren sein, denn in der Kontaktsprache Ungarisch liegt, verglichen mit dem Deutschen, eine Unterspezifizierung vor, indem das Substantiv pályázat, wie oben angedeutet, eine deutlich umfassendere Bedeutung hat als das deutsche Teiläquivalent Bewerbung.

3.1.1.3.2 Figurative Sprache

Die aus der russlanddeutschen Presse stammende Wendung sich Schrammen holen ist im Deutschen nicht gängig (siehe Földes 2020, S. 41):

(14):

Es ist normal, sich Schrammen zu holen. Wenn man eine Idee hat, sollte man versuchen, sie zu realisieren (MDZ 18/6).

Für diese Formulierung könnte eine russische metaphorische Bildlichkeit, nämlich der ironisch-umgangssprachliche Phraseologismus набивать шишки (wörtlich etwa »sich Beulen zuziehen« oder noch genauer: »sich Beulen schlagen lassen« bzw. ›zulassen, dass einem Beulen geschlagen werden‹) in der Bedeutung ›Anfängerfehler machen, Lehrgeld bezahlen müssen‹ als Modell gedient haben. Ob sich dahinter ein unreflektierter zwischensprachlicher Transfer oder vielleicht ein gezieltes Bemühen um größere stilistische Lebendigkeit verbirgt, kann im Nachhinein nicht eindeutig entschieden werden.

Im folgenden Abschnitt aus der DAZ treten sogar mehrere saliente Phraseologieverwendungen auf (vgl. Földes 2019, S. 77–78):

(15):

Die Magie des neuen Jahres spielt bei mir eine wichtige Rolle. Für mich ist das Neujahr »ein neues Blatt« in meinem Leben, das ich mit vollem Wissen über die Vergangenheit und ohne Fehler beginnen will (DAZ 1–2/6).

Hier lassen sich zwei Phraseologietransfers aus dem Russischen erkennen: Anstatt der Wendung ein neues Blatt (nach russ. новая cтраница) würde man im Deutschland-Deutschen ein neues Kapitel verwenden und statt mit vollem Wissen über etw. (nach russ. c полным оcознанием чего‑л.) eher in vollem Bewusstsein um etw. schreiben.

Der NZ-Ausdruck seinen Mund fahren lassen in Beleg (16) ist aus bundesdeutscher Sicht hinsichtlich der Metaphorik nicht gleich eindeutigFootnote 24 und stellt eine Glied-für-Glied-Entsprechung des ungarischen Phraseologismus járatja a száját (»den Mund fahren lassen« = ›den Mund nicht halten können‹) dar:

(16):

Wohl als Kommunist, hatte er 1956 seinen Mund fahren lassen und wurde deshalb beiseite gestellt (NZ 39/Jubiläumsbeilage 11).

3.1.1.3.3 Grammatik

In der Grammatik finden sich ebenfalls zahlreiche und verschiedenartige Manifestationstypen von Salienz auf verschiedenen Ebenen. Durch Besonderheiten geprägt ist in der MDZ z. B. der Umgang mit den Artikeln, was u. U. damit zusammenhängen kann, dass im Russischen die grammatische Kategorie ›Artikel‹ nicht existiert:

(17):

In der höchsten Moskauer »Stalin-Schwester« befinden sich drei Fakultäten, vier Wohnheime und Mensen, Cafés, Geschäfte, Schwimmbad, Waschküche, Friseur, Handwerker. Außerdem sind hier Rektorat, Verwaltung, ein Museum, Lehrbibliothek und Aula (MDZ 5/7).

Es böte sich an, in der Passage (17) sogar an mehreren Stellen die unbestimmten bzw. die bestimmten Artikel einzusetzen, also: In der höchsten Moskauer »Stalin-Schwester« befinden sich drei Fakultäten, vier Wohnheime und Mensen, Cafés, Geschäfte, ein Schwimmbad, eine Waschküche, ein Friseur und ein Handwerker. Außerdem sind hier das Rektorat, die Verwaltung, ein Museum, eine Lehrbibliothek und eine/die Aula.

Ein Adjektiv-Adverb-Dilemma kann man in Beleg (18) beobachten:

(18):

Diesjährig wurden bisher 10 Billionen Tenge von der Regierung für die Beseitigung von Schäden aufgebracht (DAZ 19/1).

Diesjährig ist normalerweise nur als Adjektiv und nicht als Adverb gebräuchlich. Vielleicht geht diese Gebrauchsweise auf das analoge kasachische Adverb биыл zurück.

Im Hinblick auf die Syntax sind Abweichungen in den Satzverbindungen und Satzgefügen eher selten und nicht sehr tiefgreifend. Es fällt z. B. folgender Beleg auf, der mit einer für das Ungarische charakteristischen Satzgliedstellung operiert, bei der das Akkusativobjekt vor dem Dativobjekt steht:

(19):

Er sprach seinen Dank den PädagogInnen, Eltern und Großeltern aus, die sich bei der Vorbereitung für Pflege der Muttersprache einsetzen (NZ 50/NZj 1).

Eine durch die Einfügung eines bestimmten Artikels etwas optimierte Variante mit unmarkierter Satzstellung lautet: Er sprach den PädagogInnen, Eltern und Großeltern seinen Dank aus, die sich bei der Vorbereitung für die Pflege der Muttersprache einsetzen oder noch besser: Er sprach den PädagogInnen, Eltern und Großeltern, die sich bei der Vorbereitung für die Pflege der Muttersprache einsetzen, seinen Dank aus.

3.1.1.3.4 Stilgestaltung

Stellenweise gibt es Auffälligkeiten z. B. im Bereich der Wortsemantik bzw. infolge des stilistisch-pragmatischen Wertes einzelner Lexeme in der Wortstilistik. Manche russisch gefärbten Begriffe wirken beispielsweise im deutschen Text fremdartig:

(20):

Die Nachfrage nach »vaterländischen« Spielen übertreffe das Angebot (MDZ 6/10).

Statt vaterländisch (nach отечеcтвенный: im Russischen hieße es отечеcтвенные игрушки) wäre hier etwa inländisch oder einheimisch die kontextbedingt neutrale Wortwahl gewesen.

Über punktuelle Salienzen hinaus fällt bei der Sichtung der Texte signifikant etwa der oft wenig abwechslungsreiche, wenig bildhafte Stil mit einer schwerfälligen Ausdrucksweise auf, z. B. MDZ 18/6 (im »Keller«), DAZ 3/1 und 4 sowie NZ 7/NZj 1.

3.1.1.3.5 Text und Diskurs

In Bezug auf die Textbildung bzw. -gestaltung fallen signifikant komplexe – mehr oder weniger verfestigte – kommunikative MusterbildungenFootnote 25 der jeweiligen Kontaktsprachen und diesbezügliche Mischformen auf. Beispielsweise springen einem in allen drei untersuchten Medien zahlreich vorkommende unverbundene parataktische Strukturen ins Auge:

(21):

Wer in der Nähe der Ölvorkommen geboren werde, der habe eben Glück. Die Ölfirmen bauen dort Schulen, Krankenhäuser, investieren Geld in städtische Infrastruktur (MDZ 4/9).

(22):

Das Land importiert Maschinen, elektrische Ausrüstungen, chemische Produkte, Autos und Autoteile, pharmazeutische Erzeugnisse aus Deutschland (DAZ 8/8).

Zwischen den Elementen Autoteile und pharmazeutische Erzeugnisse würde man in der Deutschland-deutschen Standardvarietät statt des Kommas den koordinierenden Konjunktor sowie verwenden. Genauso kann man in Beleg (21) vor investieren und in (23) zwischen den zwei letztgenannten Ortsnamen ein und vermissen:

(23):

Aber eben um diese Stadt holen die Dörfer auf: Nadwar, Hajosch, Tschasartet, Waschkut bauen ihren Kundenkreis rasch aus (NZ 12/1).

Bei der Auseinandersetzung mit der Textwelt der MDZ, der NZ und der DAZ entsteht stellenweise der Eindruck, dass sie viele Sprünge, Brüche und Diskrepanzen (z. B. im Artikel »Ausflug nach Saswar« im sog. Aufsetzer in der NZ 7/16) sowie in besonders zahlreichen DAZ-TextenFootnote 26 eine umständlich-bürokratische Diktion zeigen (so z. B. im Artikel »Russlands Handel mit Zentralasien« in der DAZ 3/1–2). Erstere scheinen mit Besonderheiten der Sprach- und vor allem der Textsortenkompetenz zusammenzuhängen, während letztere auf die postsowjetischen bzw. postsozialistischen Pressetexttraditionen zurückgehen dürften.

3.1.1.3.6 Frequenz

Auffälligkeiten in Frequenz und Variation, etwa vom Deutschland-Deutschen abweichende Frequenzmuster, sind besonders subtil und lassen sich schwieriger und nur durch Sichtung größerer Textmengen eruieren. Einige Beispiele sollen jedoch bereits an dieser Stelle aufgezeigt werden:

(24):

Mädchen (MDZ 5/13).

Das Wort Mädchen wird überzufällig oft und auch in einer erweiterten Bedeutung, die der Sprachkultur im deutschen Sprachraum fremd ist, also im Sinne von ›erwachsene Frau‹ verwendet. Hier dürften die semantisch-pragmatischen Eigenschaften der russischen Entsprechung девушка die Wortwahl im Deutschen beeinflusst haben. Der Bedeutungsumfang des Lexems ist nämlich in der deutschen Gegenwartssprache enger: Es bezeichnet ein Kind weiblichen Geschlechts, während das russische Pendant sich auch z. B. auf Studentinnen etc. beziehen kann und sich letztlich sogar in Bezug auf eine Frau beliebigen Alters verwenden lässt (wenn es etwa um eine Kellnerin, um eine Verkäuferin usw. geht), vgl. Földes (2018b, S. 51).

Der DAZ-Beleg (25) soll die wohl kontaktsprachlich induzierte Bevorzugung einer von mehreren möglichen Varianten illustrieren.

(25):

In Deutschland musste die Familie von Null anfangen (DAZ 11/6).

Diese Variante mit der Präposition von ist – bis auf die Großschreibung von null – zwar korrekt, die sonst gängigere deutsche Version lautet allerdings bei null anfangen (vgl. Dudenredaktion 2019, S. 1297). Als kontaktsprachliches Muster diente offenbar die mit dem Beleg gleichartige Wendung des Russischen начать c нуля, wobei die Präposition c regulär dem deutschen von entspricht.

Bei der Lektüre der NZ stößt man überaus oft auf das Wort Programm, vermutlich als Entsprechung für ungarisch műsor oder program, wobei man im deutschen Sprachraum in ähnlichen Kontexten eher Lexeme wie Aufführung, Vorführung, Darbietung, Auftritt, Unternehmung, Tätigkeit oder Angebot verwenden würde; vgl. Beleg (26):

(26):

In der Eröffnung haben wir die Geschichte und die Ziele unseres GJU-Freundeskreises erzählt, dann kam das Programm der beiden Tanzgruppen: der Wetschescher Rosmarein-Tanzgruppe und der Regionalen Lochberg Tanzgruppe aus Schambek (NZ 1/17).

3.1.2 Verfremdungen

Eine mit der Kontaktsprache Russisch interlingual wohl kaum erklärbare Pluralbildung ist z. B.:

(27):

Ich mache eine Leninka-Führung mit: Wie benutzt man die neuen Terminale, wo ist heute welcher Themensaal? (MDZ 5/7).

Hier wäre ein Suffix -s die normgerechte Pluralendung zum Substantiv Terminal gewesen (siehe Dudenredaktion 2019, S. 1781), also Terminals.

Im Hinblick auf die Adjektivdeklination findet sich eine Fehloption in Beleg (28):

(28):

Während die »Karte« den Forschungsstand abdecken […] soll, will der Ausstellungsbereich zur Stadt die Menschen in deren direkten Lebensumfeld ansprechen (DAZ 21/1).

Nach den Demonstrativ- und Relativpronomen dessen und deren wird das nachfolgende attributive Adjektiv immer stark flektiert (vgl. Wöllstein/Dudenredaktion 2016, S. 962), dementsprechend ist die kanonische Form: […] in deren direktem Lebensumfeld.Footnote 27

Eine missglückte Genuszuordnung findet man im folgenden ungarndeutschen Beleg:

(29):

Ein Glück, dass sie zu dritt sind, und der Schoko auch noch da war als Unterstützung, um die drei bei Laune zu halten (NZ 26/17).

Das kanonische Genus des Wortes Schoko als umgangssprachliche Kurzform des Substantivs Schokolade ist Femininum, also die Schoko. Der in der NZ benutzte maskuline Artikel kann nicht kontaktsprachlich expliziert werden, da das Ungarische die grammatische Kategorie des Substantivgenus nicht kennt.

3.1.3 Normverletzungen aus Unachtsamkeit

Die folgenden Belege sind nicht als Resultate der sprachlich-kulturellen Spezifik des auslandsdeutschen Pressediskurses zu werten, sondern sind als Flüchtigkeitsfehler oder Zweifelhaftigkeiten (z. B. auffälliger Einsatz gesprochensprachlicher Elemente) einzustufen, die u. U. auch in bundesdeutschen Zeitungen denkbar sind.

Eine Verwechslung der Subjunktion dass und des Relativpronomens das tritt an mehreren Stellen auf:

(30):

[…] Tschernucha, ein Wort, dass sich aus Schwarz und Pornografie zusammensetzt und von Themen handelt, die in der Sowjetunion tabuisiert wurden […] (MDZ 17/7).

(31):

Wie kann ein Kind, dass die Verhaftung der eigenen Eltern miterlebt hat, überhaupt auf die Idee kommen, Mitglied der kommunistischen Jugendorganisation zu werden? (MDZ 18/12–13).

Im Bereich der ß‑ss-Schreibungen liefert auch z. B. die DAZ Fehlleistungen. Die Neuregelung der deutschen Rechtschreibung bestimmt, dass man nach einem langen Vokal bzw. einem Diphthong nach wie vor ß schreibt. Dem widerspricht Beleg (32):

(32):

Mit freundlichen Grüssen (DAZ 10/11).

Im NZ-Satz (33) liegt eine spontane intralinguale Kontamination zweier Kollokationen vor: einen Preis bekommen und einen Platz belegen, außerdem ist das Substantiv Sextett normalerweise ein Neutrum.

(33):

Den dritten Preis belegten die Teams »Kvirzedli ᾿n Wein« aus Pußtawam und »Die Winnie the Pooh Sextett aus Saar«, zweite wurde die »Füzes-Tanzgruppe« aus Kleinturwall und auf den ersten Platz kamen »Die lustigi Leid« aus Tarian (NZ 17/17).

Viele der zu dieser Gruppe unter Abschn. 3.1.3 gehörenden Belege betreffen die Orthografie, die Zeichensetzung oder die Typografie oder sind Tipp- und Druckfehler.Footnote 28

3.2 Salienzen primär kulturbezogener Natur

Eine Bandbreite (inter)kulturbezogener Auffälligkeiten lässt sich mittels einer Inhalts-, d. h. Kulturfokussierung eruieren. Das Konstrukt »Xenismus« dient hierfür als analytische Grundlage. Darunter wird im vorliegenden Beitrag als Nominaldefinition verbale, visuelle oder akustische sprachliche und/oder kulturelle – intendierte oder ungewollte – synchron interpretierte ›Fremdartigkeit‹ im Sinne von Fremdheitssignalen verstanden.Footnote 29 Ihr Verstehen setzt ein Zusammenspiel von Äußerungsinformation und Kontextinformation voraus.

Beispielsweise erscheinen viele speziell historische, kulturelle u. ä. Ereignisse für bundesdeutsche Leser(innen) ohne erläuternde bzw. paraphrasierende Kommentare als unbekannt und sogar unverständlich, z. B.:

(34):

Dass das Gedenken an die Erbauer so schwerfällt, liegt laut Galkowa am tragischen Ende der Arbeiten, das in die Zeit des Großen Terrors fiel (MDZ 18/13).

Der Ausdruck Großer Terror (belegt auch in der Ausgabe 2/11) geht auf das russische Wortgruppenlexem Большой террор zurück und steht für eine von Herbst 1936 bis Ende 1938 dauernde umfangreiche Verfolgungskampagne in der Sowjetunion. Diese Terrormaßnahme wurde von Josef Stalin veranlasst, vom Politbüro gebilligt und von den Organen des Innenministeriums der UdSSR (NKWD) durchgeführt. Zielpersonen der brutalen Operation waren in erster Linie mutmaßliche Gegner des stalinistischen Regimes und als unzuverlässig eingestufte »Elemente« oder Gruppen.

Aus der DAZ stammt Beleg (35):

(35):

So nahm ein vielfältiges knapp zweiwöchiges Austauschprogramm, das auf die schönen Nauryz-Feiertage fiel, seinen Lauf (DAZ 16/7).

Nauryz ist ein Frühlingsfest, das den Beginn des neuen Jahres nach dem Sonnenkalender markiert. Es geht auf Nouruz, das persische Neujahrs- und Frühlingsfest zurück. In Kasachstan wird es am 22. März, dem Datum der Tag- und Nachtgleiche – u. a. mit Musik, Gebeten und traditioneller Suppe – gefeiert.

Von Seiten der ungarndeutschen Presse kann z. B. folgende Unterschrift eines Berichts angeführt werden:

(36):

Viktória Kovács, Klasse 7a, Implom-József-Grundschule Jula (NZ 51-52/NZj 8).

Dies dürfte die nicht-ungarndeutschen Leser(innen) überraschen, da im deutschen Sprachraum die Grundschulen – im Gegensatz zu den achtklassigen Grundschulen in Ungarn – keine siebte Klasse besitzen.

Es ist eine Spezifität der interkulturellen Minderheitenpresse, dass sich der Phänomenkomplex ›Intertextualität‹ in den Texten mehrdimensional manifestieren kann (vgl. Földes 2018a, S. 139–140): (1) zum einen intralingual, also innerhalb der deutschen Sprache, wobei sie (a) intrakulturellFootnote 30 und (b) interkulturellFootnote 31 auftreten kann und zum anderen (2) interlingual, also zwischen Deutsch und Russisch/Kasachisch/Ungarisch, wobei hier drei Subtypen (a) intrakulturell, (b) interkulturell und (c) transkulturell möglich sind. Für interlinguale interkulturelle russisch-deutsche Intertextualitätsphänomene liefert der Buchtitel in Beleg (37) ein interessantes Beispiel (Földes 2018a, S. 139–140, 2020, S. 51):

(37):

Der Lärm der Zeit (MDZ 4/11).

Nicht eingeweihte Rezipient(inn)en, die mit dem inhaltlich-kulturellen Background nicht vertraut sind, können solche Kommunikationsinhalte fremder Couleur nicht richtig nachvollziehen. Um den Buchtitel über den Komponisten Dmitri Schostakowitsch adäquat dekodieren zu können, müsste man beispielsweise auch die Anspielung auf den Titel des autobiographischen Werkes des Dichters Ossip Mandelstam aus dem Jahre 1923 unter demselben Titel (im Original: »Шум времени«) erkennen, der wiederum auf eine Metapher von Alexander Blok zurückgreift. Der Ausdruck Der Lärm der Zeit verweist überdies auf die bekannte Prawda-Kritik über Schostakowitsch mit der Überschrift »Chaos statt Musik«. Zwar erwähnt das MDZ-Feuilleton diese Kritik, auf die Intertextualitätsbezüge wird jedoch an keiner Stelle verwiesen.

In Beleg (38) wird deutlich, dass manche Intertextualitätsphänomene sogar einen mehrsprachigen Wirkungsradius haben:

(38):

Wem die Glocke geschlagen hat. Wie Dorfbewohner im Wolgagebiet ihre deutschen Kirchen verteidigen (MDZ 17/1).

Es ist anzunehmen, dass die Artikelüberschrift »Wem die Glocke geschlagen hat« in einer interessanten interkulturellen Weise auf den Titel von Ernest Hemingways berühmtem Roman aus dem Jahr 1940 anspielt. Die deutsche Übersetzung Wem die Stunde schlägt kann hier nicht Impulsgeber gewesen sein, da in dieser Version keine Glocke vorkommt. Dagegen liegt die russische Variante nahe: По ком звонит колокол (wörtlich: »Wem die Glocke schlägt«).Footnote 32 Dem Textproduzenten war die russische Titelform vermutlich mental präsent, die er dann automatisch ins Deutsche übersetzte (vgl. Földes 2018a, S. 140).

Ein einschlägiges ungarndeutsches Beispiel ist die Artikelüberschrift (39), die ein zum satzwertigen geflügelten Wort tradiertes Zitat beinhaltet:

(39):

»Sie sind mit einem Bündel gekommen, so sollen sie auch gehen!« (NZ 16/16).

Dieser im Text nicht erläuterte Intertextualitätsfall ist den nicht-ungarndeutschen Leser(inne)n wohl kaum verständlich. Er bezieht sich auf den berüchtigt gewordenen Ausspruch von Imre Kovács, einem bekannten Politiker der Nationalen Bauernpartei, der in der Ausgabe vom 10. April 1945 der Zeitung »Szabad Szó« die obige Forderung gestellt hat (also Vertreibung der Ungarndeutschen nach Deutschland mit vollständiger Vermögenskonfiszierung).

4 Gesamtbild und Fazit

Aus den Betrachtungen geht hervor, dass sich die analysierten Mediensysteme zwar untereinander natürlich etwas unterscheiden, aber auch durch eine Reihe von Ähnlichkeiten geprägt sind. Die zentralen Befunde gravitieren prototypisch um vier Kernaspekte, die zunächst nur stichwortartig angesprochen werden sollen: (1) Aufgrund von Mehrsprachigkeit – und in diesem Rahmen speziell von Mehrschriftlichkeit – bildet vor allem eine Bandbreite sprachkontaktinduzierter Phänomene das wichtigste Alleinstellungsmerkmal dieser Zeitungen. (2) Es liegen viele etwas eklektische und stilistisch-pragmatisch inkonsistente Textarrangements vor. (3) Inhaltliche und kulturinduzierte Auffälligkeiten prägen das Gesamtbild des untersuchten medialen Mikrokosmos. (4) Die Kompetenzbesonderheiten der mehrsprachigen Textproduzent(inn)en färben auf die Textperformance ab.

Hinsichtlich der Details ist festzustellen, dass besondere – Emergenzen hervorbringende –Formen von Mehrschriftlichkeit (im Sinne von Riehl 2018, S. 188) die schriftkulturelle Praxis der drei Minderheitenzeitungen auszeichnen, wobei Mehrschriftlichkeit hier im Sinne von multiliteracy zu verstehen ist, also der Beherrschung mehrerer Sprachen im schriftsprachlichen Ausdruck.Footnote 33 Dabei kann man sich grundsätzlich fragen, ob diese Texte von mehrfacher Literalität zeugen oder lediglich einen literaten Ausbau in unterschiedlichen skribalen Formen (vgl. Maas 2008, S. 478) aufweisen. In jedem Falle liegt den untersuchten Zeitungen eine hochgradig komplexe sprachlich-kulturelle Basiskonfiguration zugrunde, da die verwendete Sprache nicht der jeweils umgebenden Dominanzkultur entspricht (siehe Földes 2020, S. 54–55). Vornehmlich der DAZ ist eine mannigfaltige Kulturturbulenz zu attestieren. Erstens, weil sie in einem Wirkungsraum zwischen Deutsch, Russisch und Kasachstanisch funktioniert, zweitens, weil eine ganz besondere Oszillation mit einer schillernden Mehrfachzugehörigkeit feststellbar ist: Das Formmaterial der Sprache ist grundsätzlich deutsch, während die Text- bzw. Formulierungstradition (z. B. das textprofilgebende Konzept und die Formulierungsmuster) infolge der langjährigen Hegemonie des Russischen als Kultur- und Bildungssprache in Kasachstan eine dominant russische Prägung aufweist und zudem der soziokulturelle Referenzrahmen grundsätzlich kasachische Provenienz ist (vgl. Földes 2019, S. 92).

Die Sichtung der Datenquellen hat ergeben, dass die Sprachlichkeit der MDZ, der DAZ und der NZ weder der bundesdeutschen noch der russischen/kasachstanischen/ungarischen Pressesprache entspricht; die spezifischen Produktions‑, Verbreitungs- und Rezeptionsbedingungen wie auch andersartige kommunikative Aufgaben haben anscheinend zu einem differenten sprachlich-kommunikativen Profil (mit spezifischen Handlungs- bzw. Bewertungserwartungen und -konventionen) geführt. Das Ergebnis sind inter- bzw. genauer: transkulturelle Texte, sodass diesen Presseprodukten ein relationaler Charakter und ein Status als kulturasymmetrische ›Grenzgänger‹-Zeitungen – einer Species sui generis – zuzuschreiben sind.Footnote 34 Man kann im Hinblick auf die Verfasstheit der Texte u. U. auch – Begrifflichkeiten der kontrastiven Linguistik und Translationswissenschaft aufgreifend – von einem »dritten Kode« (third code, vgl. Frawley 1984, S. 168) oder von einer »translationese« (Gellerstam 1986 und McEnery/Xiao 2008, S. 22–23) sprechen, was auf den Einfluss eines Ausgangstextes/Quellentextes auf einen Übersetzungstext/Zieltext zurückgeht. Ein ähnlicher Explikationsrahmen ist das Konzept der ›Quasi-Korrektheit‹. Sie liegt vor, wenn ein Text als Ganzes nicht den Erwartungen entspricht, die ein einsprachig Deutschsprechender bezüglich eines bestimmten Texttyps hegt, obschon der Text durchaus grammatisch korrekt ist und insbesondere die Sätze eigentlich logisch miteinander verbunden sind (vgl. Papp 1972, S. 27–30 und Vehmas-Lehto 1989, S. 29).

Man findet insgesamt eher wenig bravouröse Textgestaltungsakrobatik und dabei nicht viele sprachliche Finessen, da andere textuelle Mechanismen dominieren, die aus dem Mehrsprachigkeitssetting – und der sich daraus ergebenden Mehrschriftlichkeit – resultieren und durch komplexe Interrelationen zwischen den schriftsprachlichen Erfahrungen und Kompetenzen in den beherrschten Sprachen gesteuert werden. Die Textproduzent(inn)en verwenden dabei eine deutschbasierte Pressesprache, gleichzeitig übernehmen sie jedoch regulär auch vorgeprägte Schemata aus der jeweiligen Kontaktsprache. Dadurch kongruiert der entstandene textuelle Mikrokosmos in gewisser Weise mit der der jeweiligen Kontaktsprache, wozu auch russisch/kasach(stan)isch/ungarisch orientierte Frames gehören. Er weist infolgedessen reichlich Konzepttransferenzen und sogar Konzeptkonvergenzen auf. Außerdem gewinnen sprachkontaktbedingte Formen an Frequenz und Umläufigkeit (Stichwort Bevorzugungsstrategie). Das heißt, die überwiegende Mehrheit der erschlossenen Salienzen basiert auf kontaktsprachlichen Bauplänen und Konstruktions- bzw. Formulierungsmustern; folglich treten z. B. bei Kollokationen, Rektionen, syntaktischen Strukturen etc. vielgestaltige implizite Kontaktmanifestationen auf, man könnte sie auch zwischensprachliche Parallelstrukturiertheiten nennen. Die bestimmenden Wesenszüge dieses Pressediskurses werden also vor allem durch extrinsische und kontextbedingte Mehrsprachigkeitsphänomene und Xenismen konstituiert. In diesem Rahmen ergeben (virulente und vor allem latente) sprachkontaktbedingte Erscheinungen mit einiger Dynamik auf verschiedenen Strukturebenen die Dominante: vorrangig Transferenz-Bildungen verschiedener Art. Dadurch entstehen oft symmetrische Bezeichnungsmuster und kongruierende konzeptuelle Deutungsmodelle von ›Welt‹, anhand derer von einer Interkonzeptualität die Rede sein kann. Einige der interkulturalitätsbezogenen Besonderheiten üben mitunter auch eine Signalfunktion aus, indem sie das pragmatische Potenzial des Textkosmos erhöhen und ihr eine authentische russlanddeutsche/kasachstandeutsche/ungarndeutsche Färbung verleihen können, vgl. Földes (2018a, S. 144). Daher ist anzunehmen, dass sie gelegentlich auch beabsichtigt eingesetzt oder von der Redaktion zumindest in Kauf genommen werden. Größtenteils scheint es sich allerdings um nicht intendierte Folgen der mehrsprachigen und inter- bzw. transkulturellen Umwelt bzw. Lebensgestaltung zu handeln.

Gemeinsam ist allen drei Presseorganen, dass ihre Texte bis zu einem gewissen Grad von Heterogenität, Schwankungen und stilistisch-pragmatischen Inkonsistenzen durchzogen sind, beispielsweise werden oft stark umgangs- bzw. nähesprachliche Elemente und Strukturen mit formell-gehobenen Formulierungen unmotiviert gemischt (z. B. der Beitrag »Von Kopf bis Fuß« in der MDZ 17/12 oder der Artikel »Interessante – aber auch fruchtbare – Einzelheiten der Verschleppung erfahren« in der NZ 7/16) oder doppelte Genitivattribute (wohl als Modelltransferenzen aus dem Russischen) in der DAZ (z. B. im Bericht »Zukunftsmusik auf der Baustelle« in der Ausgabe 21/1) beeinträchtigen den Stileffekt und erschweren das Textverständnis. Für die Blätter scheint zudem eine Textsortenverschmelzung – mitunter gleichsam eine Gattungstransformation – charakteristisch zu sein: Oft erfolgt keine klare Unterscheidung zwischen informations- und meinungsbetonten Texten, insbesondere zwischen Bericht und Kommentar, z. B. im DAZ-Beitrag »Zukunftsmusik auf der Baustelle« (21/1 und 4) oder im NZ-Text »Beispielhafte Zusammenarbeit der Komitate und viel Spannung« (10/NZj 1 und 2).

Im Hinblick auf Inhaltliches und im engeren Sinne verstandenes Kulturelles fällt u. a. ein starker Fokus auf bestimmte (z. B. deutsch-russische, deutsch-kasachstanische und deutsch-ungarische) Themenfelder auf, was sich aus der Anlage der jeweiligen Zeitung ergibt. Darüber hinaus entsteht ein Eindruck von Meinungsjournalismus (›Gesinnungspublizistik‹), denn der Duktus ist häufig mit einer offensichtlichen Parteinahme auf Wertung hin angelegt. Es ist auch zu bedenken, dass Texte nicht nur kommunikative sowie kognitive Ressourcen sind, sondern zugleich als »soziale Werkzeuge« (Fritz 2013, S. 14) fungieren und auf eine beständige Konstituierung einer ethnisch-kulturellen Identität abzielen. Dabei lassen sich bestimmte Unterschiede beobachten: In der NZ wird meist das speziell Deutsche in Ungarn (z. B. ungarndeutsche Volksbräuche) hervorgehoben und als hoher Wert herausgestellt, während in der MDZ und der DAZ eher eine positive Berichterstattung von und mit viel Sympathie für Russland bzw. Kasachstan allgemein zu überwiegen scheint. Ein typisches Merkmal ist die Emotionalisierung (etwa durch Einsatz emotionalisierender Metaphorik und frame-evozierender Elemente), die z. B. dank einer sog. »journalistischen Basisstrategie«Footnote 35 entsteht.

Es gibt dabei empirische Evidenz dafür, dass sich der sprachlich-kommunikative Kompetenzbestand der Textemittenten von dem bundesdeutscher Journalist(inn)en häufig in seiner Substanz unterscheidet, allen voran ihre Sprach- bzw. Text(sorten)kompetenz (besonders z. B. die figurative Kompetenz) in Hinsicht auf konzeptual-schriftliche Fähigkeiten. Hauptsächlich bei der verbalen, vorrangig der lexikalischen, Enkodierung entstehen dadurch Auffälligkeiten, etwa lexikalische Formvariationen aufgrund mangelnder Routinen bei der Verwendungsweise lexikalisierter Formen.

Außerdem tritt ein spezifisches Beziehungsgefüge von Mündlichkeit vs. Schriftlichkeit bzw. von Nähe- vs. Distanzkommunikation zutage: Die untersuchten Medienbeiträge repräsentieren zu großen Teilen Formen und Strukturen schriftlicher Alltagssprache, man könnte sie metaphorisch als »Parlando-Texte« bezeichnen, also als ein »textuelles Strickmuster zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit« (Nussbaumer/Sieber 1994, S. 320). Es sind Texte gemeint, die als spezifisches kommunikatives Grundmuster typische Merkmale der gesprochenen Sprache aufweisen (wie Dialogizität, Vertrautheit mit dem Partner, freie Themenentwicklung und Affektivität), auch wenn sie schriftlich und daher in etwas veränderter Form realisiert werden. Parlando als textuelles Phänomen soll ein Gefühl von Vertrautheit erzeugen, eine entsprechende Grundstimmung vermitteln und die affektive Verhaltenskomponente bei den Rezipient(inn)en ansprechen (Sieber 1998, S. 191).

Zum Schluss ist darauf zu verweisen, dass weitere Analyseschritte eruieren sollen, was für Aspekte auf den verschiedenen Ebenen eines Diskurses auftreten. Das diskurslinguistische Beschreibungskonzept DIMEAN von Spitzmüller/Warnke (2011, S. 199) scheint wohl dazu »ein methodologisches Integrationsmodell« zu bieten, »das Orientierungen im Diskurs ermöglicht« und zur Einheitlichkeit in der empirischen Forschung der Diskurslinguistik beiträgt. Dabei sind drei Ebenen von Bedeutung: die transtextuelle Ebene, die Ebene der Akteure und die intratextuelle Ebene. Ferner soll die in der Forschung meist vorherrschende Produktorientierung (Fixierung auf den Text bzw. die Diskursrealisation als das Ergebnis von Kommunikation) allmählich – unter Einschluss der Textproduktionsforschung und der Formulierungstheorie – durch eine Prozessorientierung ergänzt werden und dementsprechend auch deren semiotische, kulturelle und kognitive Einbettung in ihrer Komplexität in Betracht ziehen, um zu einer wirklich vertieften Interpretation der Befunde zu gelangen.

Im Ensemble kultureller Mehrdimensionalität bieten die Presseorgane dieser Art ein facettenreiches und produktives Forschungsfeld. Die interkulturell-linguistische und medienlinguistische Untersuchung der auslandsdeutschen Medientexte sollte – anders als z. B. Pelka (2013, S. 336–337) anhand der Oberschlesischen Nachrichten und ihrer Folgezeitungen fordert: Es »[…] ist in einer Zeitung wichtig, die Letzteren [Sprachstrukturen] standardsprachlich korrekt zu gebrauchen und sich an die einsprachige Norm zu halten, […]« – sensitiv berücksichtigen, dass die sprachlichen Innovationen der Minderheitenpresse kulturfair, somit dezidiert aus dem spezifischen Blickwinkel von Mehrsprachigkeit zu betrachten und zu beurteilen sind.