Die vorliegende Übersicht über die Biomarker TIMP‑2 („tissue inhibitor of metalloprokinase 2“) und IGFBP7 („insulin-like growth factor binding protein 7“) wird im Rahmen der Serie „Biomarker“ des Zentralblatts für Arbeitsmedizin, Arbeitsschutz und Ergonomie publiziert [1, 4, 27, 29, 30]. Diese basiert auf Grundlagen der „KDIGO clinical practice guideline for acute kidney injury“, der „Richtlinie 98/79/EG des Europäischen Parlaments“ und des „Rates über In-vitro-Diagnostika“ sowie der Neufassung der „Richtlinie der Bundesärztekammer zur Qualitätssicherung laboratoriumsmedizinischer Untersuchungen – Rili-BÄK“ [5,6,7, 11, 23, 27, 40].

FormalPara Infobox Akute Niereninsuffizienz

Die akute Nierenschädigung zeichnet sich durch eine rapide Verringerung der exkretorischen Funktion der Niere mit einer Akkumulation der Produkte aus dem Stickstoffmetabolismus, Kreatinin, Harnstoff und anderen Abbauprodukten aus [1,2,3,4, 14]. Andere klinische und laborchemische Symptome umfassen eine nicht immer vorhandene eingeschränkte Urinproduktion, eine metabolische Azidose und ansteigende Kalium- und Phosphatkonzentrationen [5,6,7,8, 14, 33, 37, 46].

Eine akute Nierenschädigung liegt vor, wenn mindestens eines der folgenden Kriterien erfüllt wird:

  • Anstieg des Serumkreatinins um mindestens 0,3 mg/dl (26,5 µmol/l) innerhalb von 48 h,

  • Anstieg des Serumkreatinins auf mindestens das 1,5-Fache eines bekannten oder angenommenen Ausgangswerts innerhalb von 7 Tagen,

  • Abfall der Urinausscheidung auf weniger als 0,5 ml/kg Körpergewicht/h für mindestens 6 h ([7, 8, 11, 15, 23, 31, 45]; Tab. 1).

Es kann zusätzlich eine Einteilung in prärenale, intrarenale und postrenale Ursache vorgenommen werden: Die prärenalen Ursachen umfassen eine Hypovolämie, die intrarenalen z. B. entzündliche Erkrankungen und die postrenalen ein Urinabflusshindernis, wie die Urolithiasis [4, 8, 12, 13, 33, 46].

Die akute Niereninsuffizienz stellt auch weiterhin eine häufige, zunehmende und wichtige diagnostische und therapeutische Herausforderung für Kliniker dar: Die Inzidenz variiert bezüglich Definitionen und Populationen von mehr als 5000 Fällen pro einer Millionen Menschen pro Jahr für die nicht dialysepflichtige akute Niereninsuffizienz und bis zu 295 Fällen pro einer Millionen Menschen pro Jahr für die dialysepflichtige akute Niereninsuffizienz [4, 8, 13, 14, 17, 32,33,34,35,36].

Die Inzidenz bei Krankenhauspatienten beträgt 1,9 % und bei kritisch-kranken Patienten 40–50 % [4, 8, 16, 17, 22, 46].

Geographische Unterschiede haben ihren Ursprung meist in der Krankheitsursache, sodass eine prärenale Nierenschädigung aufgrund eines Volumenmangels häufiger in Entwicklungsländern bei Durchfallerkrankungen auftritt und eine schlechte Nierendurchblutung mit ihren Folgen in Industrienationen nach kardiochirurgischem Eingriff [10, 14, 18, 20, 24, 46].

Andere Ursachen in westlichen Ländern stellen u. a. Glomerulonephritis, Vaskulitis, interstitielle Nephritis, Sepsis, große chirurgische Eingriffe (besonders offene Herzoperationen), Traumata mit hämorrhagischem Schock, maligne Hypertension, Pyelonephritis, Amyloidose, Prostataerkrankungen mit konsekutivem Harnstau, Urolithiasis, maligne Erkrankungen, nephrotoxische Substanzen und eine akute dekompensierte Herzinsuffizienz dar [4, 8, 33, 39, 44,45,46,47,48].

In tropischen Regionen wie Mittelamerika, Mexiko, Teilen von Südamerika, der Karibik, Afrika oder Südostasien handelt es sich eher um Durchfallerkrankungen wie Typhus, Post-Streptokokken-Glomerulonephritis, infektgetriggertes hämolytisch-urämisches Syndrom, Pflanzengifte, Schlangenbisse, Sepsis, Malaria, Leptospirose, Dengue- und Gelbfieber [24,25,26].

Zu potenziell nephrotoxischen Substanzen zählen u. a. Aminoglykoside, Amphotericin, nichtsteroidale Antirheumatika, Betalactam-Antibiotika, Sulfonamide, Aciclovir, Methotrexat, Cisplatin, Ciclosporine, Tacrolimus, ACE-Hemmer, Angiotensin-Rezeptor-Blocker [7, 32, 33, 46, 50, 51].

Neuere Studien und Leitlinien haben gezeigt, dass das Risiko einer kontrastmittelassoziierten akuten Niereninsuffizienz in vielen Fällen überbewertet zu sein scheint, wobei eine vorbestehende Nierenfunktionseinschränkung den stärksten Risikofaktor darstellt [13,14,15,16, 33, 43].

Zusätzlich sind ein großes Kontrastmittelvolumen, eine wiederholte Gabe innerhalb von 72 h nach der ersten Gabe und eine arterielle Applikation mit einem erhöhten Risiko der akuten Nierenschädigung assoziiert und somit auch mit einer erhöhten Mortalität [8, 25, 26].

Weitere Risikofaktoren umfassen eine bereits vorbestehende chronische Niereninsuffizienz, ein fortgeschrittenes Alter, Diabetes mellitus, eine dunkle Hautfarbe, genetische Faktoren, arterielle Hypertonie und das metabolische Syndrom [20, 28, 38, 39, 44].

Sowohl die akute als auch die chronische Niereninsuffizienz stellen Risikofaktoren für kardiovaskuläre Erkrankungen wie Schlaganfall, Herzinsuffizienz und -infarkt und für eine Einschränkung der Lebensqualität und Erhöhung der Mortalität dar [16, 27,28,29, 32, 33, 38]. In mehreren Studien wurde beschrieben, dass sich auch eine milde akute Niereninsuffizienz im weiteren Verlauf häufig zu einer chronischen Verlaufsform entwickeln kann [16, 27,28,29, 33, 38].

Aus arbeitsmedizinischer Sicht gelten z. B. Kupfersulfat, Oxalsäure, Methyl-Ethyl-Keton-Peroxid, Glyphosat, Paracetamol, nichtsteroidale Antirheumatika und Blei als Risikofaktoren, die zur Entstehung einer akuten Niereninsuffizienz beitragen können [18,19,20,21,22,23].

Die Symptome der akuten Nierenschädigung sind bis zum Erreichen einer erheblichen Funktionseinschränkung minimal, wobei eine Oligurie ein hilfreicher Hinweis, aber weder spezifisch, noch sensitiv, ist [4, 11, 16].

Die Bestimmung der Harnstoff- und Kreatininkonzentrationen stellen die Standard-Diagnostika dar, wobei diese Abbauprodukte nichtsensitive Marker der glomerulären Filtration darstellen und von verschiedenen Faktoren abhängen: Ernährung, Muskelmasse, Alter, Geschlecht, Einnahme von Steroiden, Auftreten von gastrointestinalen Blutungen, Muskelverletzung und Volumenstatus [4, 5, 11, 30, 53]. Zusätzlich treten Konzentrationserhöhungen erst ab einer um 50 % reduzierten glomerulären Filtrationsrate auf [5, 11, 16, 50, 53].

Die Prävention der akuten Niereninsuffizienz besteht in einer ausgeglichenen Flüssigkeitsbilanz, wobei eine Überwässerung auf jeden Fall zu vermeiden ist [8, 33, 34].

Tab. 1 Schweregrade der akuten Nierenschädigung. (Nach [4,5,6])

Biochemie von TIMP-2 und IGFBP7

Die Zellzyklus-Arrest-Proteine „tissue inhibitor of metalloprokinase 2“ (TIMP-2) und „insulin-like growth factor binding protein 7“ (IGFBP7) werden in den renalen Tubulizellen während zellulärer Stressphasen oder bei Verletzungen früh exprimiert [19, 21, 41, 42, 49,50,51,52,53].

Die zellulären Effekte von TIMP‑2 hängen stark vom entsprechenden Umfeld ab: So kann einerseits die Endothelzellproliferation und die Angiogenese inhibiert, andererseits die Zellteilung stimuliert werden, wobei das Protein auch vermehrt im Nierenzellkarzinom nachgewiesen werden kann [24, 25, 33, 34].

IGFBP7 (auch als Mac25, „tumor adhesion factor“ [TAF] oder „prostacyclin-stimulating factor“ [PSF] bezeichnet) ist ein sekretorisches Protein, welches zur Superfamilie der „isulin-like growth factor binding proteins“ zählt und die Bioverfügbarkeit der „insulin-like growth factors“ reguliert [24, 25, 33]. Dabei scheint es eine signifikante biologische Rolle bei der Zellproliferation, der Apoptose und der Zellalterung zu spielen [19]. Die Tumorsuppression in Melanomen und kolorektalen Karzinomen und die Induktion der Zellalterung in Mammakarzinomlinien wird ebenfalls IGFBP7 zugeschrieben [24, 44].

Als Zell-Zyklus-Arrest-Proteine werden TIMP‑2 und IGFBP7 bei Gewebestress der Niere exprimiert und scheinen für eine kurze Zeit protektive Eigenschaften zu haben, um bei prolongiertem Stress die Zellalterung einzuleiten [24, 34, 38].

Als Referenzwerte werden je nach Studie, Sensitivität und Spezifität < 0,3 (ng/ml)2/1000 oder < 2,0 (ng/ml)2/1000 angegeben [24, 25, 33,34,35,36,37,38]. Das absolute Risiko einer akuten Niereninsuffizienz mit einem Wert über 0,3 ist dabei etwa 7‑mal höher als mit einer niedrigeren Konzentration [24, 25, 34].

Laut Gebrauchsinformationen des Herstellers sollte der Test bei über 21-jährigen Patienten auf einer Intensivstation mit einer kardiovaskulären oder respiratorischen Beeinträchtigung in den letzten 24 h angewendet werden [24, 34,35,36, 42, 43].

Hohe Konzentrationen von Bilirubin und Albumin interferieren mit dem Test und sollten bei der Interpretation berücksichtigt werden [24].

Die Bestimmung erfolgt aus 10 ml frischem Urin, der innerhalb einer Stunde nach Abnahme zentrifugiert wird, wobei die Ergebnisse ohne Ablaufverzögerung nach ca. 20 min ausgelesen werden können [24, 34, 35]. Die Konzentration von TIMP‑2 in ng/ml wird dabei mit der Konzentration von IGFBP7 in ng/ml multipliziert und das Produkt durch 1000 dividiert [24, 34, 35].

Die Anschaffungskosten für das Prüfgerät betragen etwa 5000 $, bei der Untersuchung einer Probe fallen Kosten von etwa 85 $ an, wobei zu beachten ist, dass jeweils nur eine Probe untersucht werden kann und folglich in einer Stunde nur 3 Messungen durchgeführt werden können [24, 34].

Verschiedene Studien haben gezeigt, dass TIMP‑2 und IGFBP7 im Urin die besten Biomarker sind, das Risiko für die akute Nierenschädigung bei kritischkranken Patienten vorherzusagen; bei einer chronischen Niereninsuffizienz sind die Marker nicht erhöht [24, 25, 33, 34, 36,37,38, 47, 52, 53].

Studien bezüglich Patienten nach einer kardiopulmonalen Bypassoperation oder nach TAVI zeigten, dass eine erhöhte Konzentration 4 Stunden nach dem Eingriff mit einer akuten Nierenschädigung korreliert [24, 35, 37, 38].

Der Konzentrationsverlauf könnte ein Vorhersageparameter der Nierenerholung nach kardiochirurgischen Eingriffen darstellen, wobei hierzu noch weitere Studien nötig sind [5, 9].

Bei Kindern werden erhöhte Konzentrationen beobachtet, sodass der Test nur für Erwachsene ab 21 Jahren zugelassen ist [24, 34].

Dennoch waren TIMP‑2 und IGFBP7 in Studien nach pädiatrischen Herzoperationen sensitive, spezifische und hoch prädiktive Biomarker für die akute Nierenschädigung [39, 40]. In einer Untersuchung aus dem Jahr 2015 hatte die einmalige Messung eine gute Diagnostikleistung bezüglich der Mortalität in einer kombinierten Kohorte von Säuglingen und Kindern mit einer akuten Nierenschädigung [19].

In Studien zeigten sich teilweise eine negative Korrelation der Konzentration mit dem Alter und leicht erhöhte Konzentrationen bei Diabetes mellitus und pulmonalen Erkrankungen [33,34,35].

In Untersuchungen wurde gezeigt, dass ein Wert über 0,3 das Risiko einer moderaten oder schweren Niereninsuffizienz in den nächsten 12 h mit einer Sensitivität von 92 % anzeigt, wobei die Spezifität für diesen Grenzwert lediglich 46 % beträgt [24, 34, 36].

Der Biomarker sollte nicht im ambulanten Setting angewendet werden und bringt keinen Benefit bei einer bereits diagnostizierten akuten Nierenschädigung, außerdem sollte die Messung nicht die Bestimmung des Serumkreatinins ersetzen [24, 25, 33,34,35,36, 38, 49].

Höhere Konzentrationen von TIMP‑2 und IGFBP7 gelten als mehr spezifisch für die Bewertung einer akuten Nierenschädigung [24, 34, 35, 47, 51, 53].

In Studien wird die Rolle der Biomarker zum Monitoring der Entwicklung der Nephrotoxizität von z. B. Aminoglykosiden, Amphotericin B, Cisplatin, Calcineurin-Inhibitoren, Antibiotika und Röntgenkontrastmittel diskutiert [24, 46, 48, 49].

Zurzeit gibt es noch keine Daten, ob die frühe Detektion einer akuten Nierenschädigung die Progression verhindert oder mit einer Kostenersparnis vergesellschaftet ist, wobei ein falsch-positiver Test zu unnötigen teuren Diagnostik- und Therapiemaßnahmen führen kann [24, 31,32,33,34,35,36].

Indikation von TIMP-2 und IGFBP7

Unter folgenden Bedingungen ist die Indikation der TIMP-2- und IGFBP7-Bestimmung gegeben:

  • ab dem 21. Lebensjahr ist der Test aussagekräftig

  • einem Risikofaktor für die akute Niereninsuffizienz,

  • stattgehabte kardialer Bypassoperation oder anderen großen Hochrisiko-Operationen,

  • Sepsis

Aufgrund geringer Organ- und Tumorspezifität sowie eines geringen positiven prädiktiven Werts sind Biomarker zum Screening asymptomatischer Patienten in Check-up-Untersuchungen generell ungeeignet [3, 16, 33, 34, 36,37,38, 47, 50,51,52].

Ausblick

Werden die unterschiedlichsten Aspekte der arbeitsmedizinischen Vorsorge, wie sie aktuell im Zentralblatt für Arbeitsmedizin, Arbeitsschutz und Ergonomie publiziert und diskutiert werden, betrachtet, so wird klar, dass TIMP-2- und IGFBP7-Bestimmungen keine Berechtigung im Rahmen von iGeL-Leistungen bzw. Managerchecks im Kontext der Arbeitswelt haben, wohl aber im Bereich der Intensivmedizin.

Fazit für die Praxis

  • Die Biomarker TIMP‑2 und IGFBP7 eignen sich zur Risikoabschätzung einer akuten Niereninsuffizienz bei kritisch-kranken Patienten

  • Höhere Konzentrationen von TIMP‑2 und IGFBP7 gelten als spezifischer für die Bewertung einer akuten Nierenschädigung.

  • In der Primärdiagnostik ist die Bestimmung von TIMP‑2 und IGFBP7 aufgrund einer zu geringen diagnostischen Sensitivität begrenzt einsetzbar, daher sind diese Biomarker nicht unkritisch im Rahmen von Screeninguntersuchungen zu verwenden.

  • Die Konzentrationen können bei Kindern, Hyperalbuminämie, Hyperbilirubinämie, Diabetes mellitus und pulmonalen Erkrankungen vom Referenzwert abweichen.

  • Nicht geeignet ist die Bestimmung bei Patienten unter 21 Jahren, in einem ambulanten Setting, bei kleinen operativen Eingriffen, bei Patienten mit einem geringen Risiko einer akuten Nierenschädigung im Krankenhaus und in der Notaufnahme, bei Patienten mit einer bereits bekannten akuten Niereninsuffizienz der Stadien 2 und 3 nach KDIGO und als tägliche Messung oder in Serie und als Ersatz zur Kreatininbestimmung.

  • Analog zu anderen Biomarkern sollte die Bestimmung von TIMP‑2 und IGFBP7 nur bei Risikopatienten für eine akute Nierenschädigung in Verbindung mit anderen Untersuchungen angewendet werden.