Im Vergleich zu ausgebildeten Beschäftigten unterscheiden sich Auszubildende hinsichtlich folgender Merkmale: Sie sind jünger, unerfahren und müssen lernen, für sich und andere Verantwortung am Arbeitsplatz zu übernehmen [6, 12, 13]. Es kann davon ausgegangen werden, dass Auszubildende über weniger Fachkompetenz in ihrem Berufsfeld verfügen und weniger über den Arbeitsschutz wissen. Europäische Daten zeigen, dass das Risiko für einen Arbeitsunfall bei jüngeren Beschäftigten höher ist als bei älteren [28], wobei das Unfallrisiko ab einem gewissen Alter aufgrund von degenerativen Prozessen wieder zunimmt. Jungen Beschäftigten bzw. Auszubildenden fehlt oftmals das entsprechende Training für präventive Maßnahmen. Dies kann nicht nur zu vermehrten Arbeitsunfällen, sondern auch zu arbeitsbezogenen Erkrankungen führen [2, 20, 23, 27]. Studien zeigen, dass Beschäftigte aus Betrieben mit Defiziten im Arbeitsschutz häufiger daran denken, ihren Beruf aufzugeben [21, 34]. Umgekehrt gibt es positive Assoziationen von Arbeitsschutz und Arbeitszufriedenheit [1, 5, 30].

In der dualen Ausbildung in Deutschland werden die branchenspezifischen und -übergreifenden Themen des Arbeitsschutzes auf der einen Seite in den sogenannten Rahmenlehrplänen der Kultusministerkonferenz festgelegt und am Lernort Berufsschule vermittelt [18]. Auf der anderen Seite lernen die Auszubildenden am Lernort Betrieb die Vorschriften und Regularien des Arbeits- und Gesundheitsschutzes kennen, die in den Ausbildungsordnungen geregelt sind. Die Auszubildenden haben im Betrieb die Möglichkeit bzw. Aufgabe, das erlernte Wissen beider Lernorte praktisch umzusetzen. Um einen optimalen Wissenstransfer der Arbeitsschutzthemen von der Theorie in die Praxis zu gewährleisten, muss eine dauerhafte Abstimmung zwischen der Berufsschule und dem Ausbildungsort erfolgen.

Die individuelle Gesundheitskompetenz der Beschäftigten gewinnt für den Arbeitsschutz immer mehr an Bedeutung [10]. Durch den Wandel der Arbeitsformen verwischen in einigen Branchen die Grenzen zwischen dem Privat- und Arbeitsleben immer mehr, sodass der betriebliche Arbeitsschutz nicht mehr die gesamten Berufsaktivitäten abdeckt. Es gibt bereits Überlegungen, den Begriff der individuellen Gesundheitskompetenz konzeptuell zu erweitern und das Setting Arbeit im Sinne des Arbeitsschutzes mit einzubeziehen [10]. Insbesondere für jüngere Menschen gewinnt das Thema der Gesundheitskompetenz im Setting Arbeit an Bedeutung. Stassen et al. beobachten bei jungen Beschäftigten einen positiven Zusammenhang zwischen Gesundheitskompetenz und Arbeitszufriedenheit [32]. Es gibt Hinweise, dass Beschäftigte mit einer hohen Gesundheitskompetenz, definiert nach Sörensen et al. als Fähigkeit, Gesundheitsinformationen erschließen, verstehen, beurteilen und anzuwenden zu können [31], Inhalte der Arbeitssicherheit und des Gesundheitsschutzes besser verstehen und anwenden als Beschäftigte mit einer geringen Gesundheitskompetenz [11, 19]. Entsprechend wurden bei Beschäftigten mit einer geringen Gesundheitskompetenz mehr Arbeitsunfälle und Erkrankungen beobachtet [36]. Bislang gibt es für den deutschsprachigen Raum noch kein validiertes Erhebungsinstrument, welches die arbeitsbezogene Gesundheitskompetenz erhebt.

In der vorliegenden Arbeit soll untersucht werden, welche Themen zum Arbeitsschutz Berufsschulen verschiedener Ausbildungsgänge während der Ausbildungszeit unterrichten. Weiterhin soll gezeigt werden, ob Auszubildende zur Ausbildungsmitte diese Arbeitsschutzkenntnisse bereits erlernt haben und ob diese in der Praxis angewendet wurden.

Darüber hinaus soll untersucht werden, inwieweit Gesundheitskompetenz, erhoben anhand der deutschen Version des HLS-EU-Q16, mit dem Wissen bzw. der Anwendung des Wissens über den Arbeitsschutz bei Auszubildenden korreliert ist [26].

Methoden

Befragung der Auszubildenden

Diese Untersuchung präsentiert Querschnittsdaten einer Studienkohorte von Auszubildenden, die während und nach ihrer Ausbildungszeit beobachtet wurden [33]. Es handelt sich um Auszubildende aus 11 verschiedenen Ausbildungsberufen, zusammengefasst in 3 Gruppen: Büro (Bürokaufmann/-frau, Groß- und Außenhandelskaufmann/‑frau, Industriekaufmann/-frau), Technik/Einzelhandel (Einzelhandelskaufmann/-frau, Anlagenmechaniker/in für Sanitär‑, Heizungs- und Klimatechnik, Elektroniker/in für Betriebstechnik und Gebäudetechnik) und Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (Altenpfleger/in, Gesundheits- und Krankenpfleger/in, medizinische/r Fachangestellte/r, Erzieher/in, Friseur/in).

Die Baseline-Erhebung der Studie erfolgte 2017/18, die Follow-up-Erhebung T1 im Jahr 2019. In der vorliegenden Arbeit werden Ergebnisse einer Reanalyse von T1 als Querschnitt mit dem Schwerpunkt Arbeitsschutz präsentiert, in der vorangegangenen Analyse sind im Längsschnitt (T0-T1) Korrelationen von Gesundheitskompetenz und Gesundheit überprüft worden [16]. Es handelt sich um dieselben Studienteilnehmer/innen. Zu Studienbeginn haben wir nach einer Internetrecherche alle Berufsschulen der genannten Ausbildungsgänge der nördlichen Bundesländer Deutschlands (Schleswig-Holstein, Bremen, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern) kontaktiert. Für das Bundesland Hamburg lag keine Genehmigung der Schulbehörde vor. Ein Ethikvotum der Ärztekammer Hamburg (PV5670) wurde für die Studie eingeholt. Weitere Details finden sich in der entsprechenden Publikation der Baseline-Untersuchung [33].

Von den 321 ermittelten Berufsschulen stimmten 47 einer Teilnahme zu (Responserate 14,6 %). Im Oktober 2017 wurden insgesamt 5052 Auszubildende zur Studienteilnahme eingeladen, von 1797 Auszubildenden erhielt das Studienzentrum einen Fragebogen zurück (Responserate: 35,5 %). Zur Ausbildungsmitte (T1) wurde an 1569 Auszubildende, die ihre Einwilligung für weitere Follow-up-Erhebungen gegeben hatten, ein Papierfragebogen an ihre private Adresse verschickt. Insgesamt wurden 422 Fragebögen an das Studienzentrum zurückgesandt (Follow-up-Rate: 27 %).

Befragung der Berufsschulen

Nach der ersten Befragung der Auszubildenden wurden die teilnehmenden Berufsschulen erneut kontaktiert und zu einer Befragung zu dem Thema „Arbeits- und Gesundheitsschutz im Curriculum“ eingeladen. Insgesamt erklärten sich Berufsschullehrer/innen aus 72 verschiedenen Ausbildungsklassen aus 42 Berufsschulen bereit, an der Befragung teilzunehmen (Responserate Berufsschullehrer/innen: 63 %). Den Fragebogen zu den Arbeitsschutzthemen haben wir anhand der Ergebnisse einer Literaturrecherche im Internet konzipiert. Es flossen Materialien der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV), der Berufsgenossenschaften sowie Berufsschulcurricula aus den verschiedenen Branchen ein. Themen waren Rechtsgrundlagen und Organisation des betrieblichen Arbeitsschutzes sowie Themen des branchenbezogenen Gesundheitsschutzes bzw. der Arbeitssicherheit. In der Befragung sollten die teilnehmenden Berufsschullehrer/innen diejenigen Arbeitsschutzthemen ankreuzen, die in der Ausbildungszeit unterrichtet werden.

Fragebogen Auszubildende

Die soziodemografischen Daten zu Alter, Geschlecht, Geburtsland, Staatsangehörigkeit und höchstem Schulabschluss wurden zu der Baseline-Erhebung erfragt. Gesundheitskompetenz wurde mit dem validierten Kurzfragebogen HLS-EU-Q16 erhoben [26]. Die vierstufigen Antwortkategorien wurden dichotomisiert und ein Summenscore von 0 bis 16 Punkten (P) berechnet. Anhand dessen haben wir eine Einteilung in die 3 GK-Level ausreichend (13–16 P), problematisch (9–12 P) und inadäquat (0–8 P) vorgenommen. Fehlten bei mehr als 2 Items Werte, wurde der Summenscore auf fehlend gesetzt.

Items zu Wissen und Anwendung von Themen des Arbeitsschutzes wurden anhand der Ergebnisse der Befragung der Berufsschulen ausgewählt. Für die Auszubildendenbefragung wurden eine Themenauswahl aus den Bereichen a) Organisation des betrieblichen Arbeitsschutzes, b) Instrumente des betrieblichen Arbeitsschutzes und c) Gesundheitsschutz und Arbeitssicherheit getroffen. Für das Wissen über den Arbeitsschutz waren dies 14 Items (11 Items branchenübergreifend und 3 Items branchenspezifisch) mit der Antwortkategorie „Wissen erworben: ja (1), nein (0)“ (Frage: „Zu welchen Themen des Arbeitsschutzes haben Sie bisher während Ihrer Ausbildung Wissen erworben?“) Die Werte wurden zu einem Summenscore aufaddiert (Skala: 0–14). Für die Häufigkeit der Anwendung des Wissens zum Arbeitsschutz wurden 5 Items zusammengestellt (2 Items branchenübergreifend, 3 Items branchenspezifisch). Die Frage lautete: „Inwieweit können Sie Ihr gelerntes Wissen zu folgenden Bereichen in Ihrem Arbeitsalltag anwenden?“ Hier wurden die Antworten auf einer Skala abgegeben: „kein Wissen erworben (0), nie (1), selten (2), teils/teils (3), meistens (4), immer (5)“. Die Antworten wurden ebenfalls zu einem Summenscore aufaddiert (Skala: 0–25). Es wurde nach dem Stellenwert des Themas Arbeitsschutz gefragt sowie nach der persönlichen Einschätzung zu Erkrankungsrisiken aufgrund der Arbeitsbelastungen.

Statistische Analyse

Die Beschreibung der Daten erfolgte anhand von absoluten und prozentualen Häufigkeiten, arithmetischen Mitteln und Standardabweichungen. Für die Untersuchung von Zusammenhängen wurden Korrelationskoeffizienten nach Spearman berechnet. Für nicht gepaarte Gruppenvergleiche wurde der Chi-Quadrat-Test angewendet. Nicht normalverteilte Daten haben wir mit dem Mann-Whitney-U-Test bzw. dem Kruskal-Wallis-Test analysiert. Das Signifikanzniveau wurde bei 5 % festgelegt. Für die statistischen Analysen wurde die Software SPSS Version 27 (IBM Corp., Armonk, NY, USA) verwendet.

Ergebnisse

Von den 422 teilnehmenden Auszubildenden gaben 27 Personen an, die Ausbildung abgebrochen zu haben, 4 Personen konnten nicht zugeordnet werden. Somit wurden 391 Personen in die Analyse eingeschlossen. 79 % der Auszubildenden waren weiblich, das Alter zum Zeitpunkt der Baseline-Erhebung lag im Mittel bei 21,2 Jahren (SD: 5,1; Tab. 1). Von den Auszubildenden gaben 95 % an, eine deutsche und 5 % eine andere Staatsangehörigkeit zu haben. Der am häufigsten genannte Schulabschluss war Realschulabschluss (47 %), dann Abitur (29 %) und schließlich Fachhochschulabschluss (19 %) sowie Hauptschulabschluss (5 %). Hinsichtlich der Branche war die Gruppe Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (GeWo) am größten (58 %), gefolgt von den Gruppen Büro (31 %) und Einzelhandel/Technik (11 %). Die Mehrheit der Auszubildenden kam aus niedersächsischen (76 %) und aus schleswig-holsteinischen Berufsschulen (20 %). Auszubildende aus Berufsschulen aus Mecklenburg-Vorpommern waren mit 4 % und Auszubildende aus Bremen zu dem Zeitpunkt T1 nicht mehr vertreten (0 %).

Tab. 1 Demografische Merkmale der Stichprobe

Befragung der Berufsschulen

Insgesamt haben sich 72 Berufsschullehrer/innen verschiedener Ausbildungsklassen an der Befragung beteiligt (Bürokaufmann/-frau [N = 9], Groß- und Außenhandelskaufmann/-frau [N = 6], Industriekaufmann/-frau [N = 9], Einzelhandelskaufmann/-frau [N = 7], Anlagenmechaniker/in für Sanitär‑, Heizungs- und Klimatechnik [N = 3], Elektroniker/in für Betriebstechnik und Gebäudetechnik [N = 5], Altenpfleger/in [N = 6], Gesundheits- und Krankenpfleger/in [N = 6], medizinische/r Fachangestellte/r [N = 7], Erzieher/in [N = 5], Friseur/in [N = 9]).

In Tab. 2 sind insgesamt 11 verschiedene branchenübergreifende Themen zum Arbeitsschutz beschrieben. Für jeden Ausbildungsgang wurden jeweils weitere drei branchenspezifische Themen des Arbeitsschutzes erhoben, die in der Tabelle aus Gründen der Übersichtlichkeit nicht präsentiert worden sind. Die Befragung der Berufsschulen zeigt, dass in keinem Fall ein Arbeitsschutzthema zu 100 % unterrichtet wird. Eine große Übereinstimmung zeigt sich für Aufgaben der Mitarbeitervertretung (97 %), Vorgehen bei Arbeits- und Wegeunfällen (93 %) und Aufgaben der Jugend- und Ausbildungsvertretung (87 %). Am wenigsten werden die Themen Aufgaben der Fachkraft für Arbeitssicherheit (39 %), des Betriebsarztes (44 %) und des Sicherheitsbeauftragten (52 %) im Unterricht behandelt. Die Nichtübereinstimmungen zeigten sich nicht nur zwischen den Ausbildungsgängen, sondern auch innerhalb eines Ausbildungsgangs zwischen den Berufsschulen (Daten nicht aus Tabelle ersichtlich).

Tab. 2 Themen des Arbeitsschutzes laut Berufsschulen und Auszubildenden

Befragung der Auszubildenden

Bei der Befragung der Auszubildenden gaben 94 % an, über Wissen in Bezug auf Erste-Hilfe-Maßnahmen zu verfügen, 90 % in Bezug auf Arbeits- und Wegeunfälle und 83 % hinsichtlich der Vorbeugung von Muskel-Skelett-Erkrankungen (MSE). Die am wenigsten häufigen Nennungen betreffen die Arbeitsschutzinstrumente Gefährdungsbeurteilung (52 %) und Unterweisung (59 %) sowie die betriebliche Organisation des Arbeitsschutzes (Aufgaben Betriebsarzt mit 60 % bzw. Sicherheitsbeauftragter mit 65 %). Im Vergleich der zusammengefassten Berufsgruppen sieht man ungleiche Verteilungen hinsichtlich des Kenntnisstands bei Themen wie Vorbeugung von MSE bzw. psychischen Belastungen (höchster Anteil GeWo: 90 %), Erste-Hilfe-Maßnahmen (höchster Anteil GeWo: 97 %), Unterweisung (höchster Anteil Büro: 69 %), Gefährdungsbeurteilung (höchster Anteil GeWo: 58 %). Abgesehen von den Aufgaben der Fachkraft für Arbeitssicherheit und dem Vorgehen bei Arbeits- und Wegeunfällen sind bei allen übrigen Aufgaben von Organen/Ämtern im Arbeitsschutz die Unterschiede zwischen den Berufsgruppen statistisch signifikant.

In Abb. 1 ist die Verteilung des Wissens über den Arbeitsschutz in den 3 Berufsgruppen dargestellt. Die Variable spiegelt die Anzahl der verschiedenen Themen wider und ist zusammengefasst aus 11 branchenübergreifenden (Tab. 2) und 3 branchenspezifischen Items (nicht präsentiert). Für die Gruppe Büro haben wir den höchsten Median beobachtet (Median: 12, IQA: 4), den zweithöchsten für die Gruppe GeWo (Median: 11, IQA: 4), Beschäftigte aus der Gruppe Einzelhandel/Technik haben die geringste Ausprägung (Median: 10, IQA: 5,3). Hinsichtlich der Anwendung des Wissens über den Arbeitsschutz zeigt sich deutlich (Abb. 2), dass die Gruppe GeWo die höchste Ausprägung auf der Skala hat (Median: 19, IQA: 5), die Gruppe Büro erreicht einen Median von 14, IQA: 7 und die Gruppe Einzelhandel/Technik von 10, IQA: 13. Dieser Unterschied ist statistisch signifikant (p < 0,001).

Abb. 1
figure 1

Wissen über Arbeitsschutz nach Berufsgruppen (p = 0,087)

Abb. 2
figure 2

Anwendung des Wissens über Arbeitsschutz nach Berufsgruppen (p < 0,001)

Die Einschätzungen der Auszubildenden zu verschiedenen Erkrankungsrisiken aufgrund von Arbeitsbelastungen ist Tab. 3 zu entnehmen. Die höchsten Werte gaben die Auszubildenden für Erkrankungen der Psyche (74 %) und für MSE (72 %) an. Im Gruppenvergleich zeigen sich für MSE die höchsten Risikoeinschätzungen bei Beschäftigten aus dem GeWo (80 %), Haut (GeWo: 53 %), Psyche (GeWo: 81 %) und Allergie (GeWo: 53 %), wobei die Einschätzungen zur Psyche in den Gruppen Büro (64 %) und Einzelhandel/Technik (63 %) ähnlich hoch sind. Ein mittleres bzw. großes Unfallrisiko am Arbeitsplatz nannten 64 % der Gruppe Einzelhandel/Technik, in der Gruppe GeWo sind dies 53 % und in der Gruppe Büro nur 17 %. Alle Unterschiede sind statistisch signifikant.

Tab. 3 Einschätzung von Erkrankungsrisiken durch Arbeitsbelastungen

Rund drei Viertel der Auszubildenden räumen dem Arbeitsschutz einen wichtigen Stellenwert ein, 23 % tun dies teilweise, und 3 % halten ihn für unwichtig (Tab. 4). Im Gruppenvergleich zeigt sich, dass vor allem Auszubildende aus dem GeWo den Arbeitsschutz für wichtig halten (80 %), bei den Befragten aus den Gruppen Einzelhandel/Technik sind dies 68 % und aus der Gruppe Büro 65 %. Der Unterschied ist statistisch signifikant (p < 0,01).

Tab. 4 Stellenwert des Arbeitsschutzes

Rund 40 % (N = 155) gaben an, dass es in ihrem Arbeitsalltag Hindernisgründe gibt, das Wissen zum Arbeitsschutz anzuwenden. Der dafür am häufigsten genannte Grund war Zeitmangel (67 %; Tab. 5). Ein weiterer großer Teil gab an, dass im Arbeitsumfeld keine Notwendigkeit für Arbeitsschutzmaßnahmen gesehen werde (40 %), und 30 % gaben an, dass Schutzmaterialien bzw. Arbeitsmaterialien fehlten. Einem Viertel (26 %) war es nicht immer klar, wann Arbeitsschutzmaßnahmen notwendig sind, und 21 % fühlten sich unsicher bei der Durchführung.

Tab. 5 Hindernisgründe bei der Anwendung von Arbeitsschutz im Arbeitsalltag (Mehrfachantworten; N = 155)

Die Häufigkeit des Erlernens von Fertigkeiten im Arbeitsschutz anhand von Praxisanleitungen für Auszubildende aus den Pflegeberufen ist in Abb. 3 dargestellt. Es gaben 45 % an, häufig Fertigkeiten zu erlernen, und 36 % gaben an, dies manchmal anhand von Praxisanleitungen zu tun. 15 % der Befragten gaben an, dies selten und 3 % es nie zu tun. Eine Person gab an, gar keine Praxisanleitungen im Betrieb zu haben.

Abb. 3
figure 3

Erlernen von Fertigkeiten im Arbeitsschutz während der Praxisanleitungen im Ausbildungsbetrieb (Pflegeberufe, N = 73)

Gesundheitskompetenz und Anwendung des Wissens über den Arbeitsschutz

Der Anteil von Auszubildenden mit einer ausreichenden Gesundheitskompetenz (GK) betrug 51 %, bei 36 % beobachteten wir eine problematische und für 13 % eine limitierte GK. Hinsichtlich des Zusammenhangs von GK und Wissen über den Arbeitsschutz beträgt der Spearman-Korrelationskoeffizient rspear = 0,23 (p < 0,001), beim Zusammenhang zwischen GK und Anwendung von Wissen über den Arbeitsschutz liegt er bei rspear = 0,26 (p < 0,001). Im Vergleich beider Arbeitsschutzvariablen über die Gruppen der GK zeigen sich statistisch signifikante Unterschiede in den Ausprägungen von Wissen über den Arbeitsschutz und der Anwendung dieses Wissens (Abb. 4 und 5). So ergab sich beim Wissen über den Arbeitsschutz in der Gruppe von Auszubildenden mit ausreichender GK ein höherer Median (12, IQA: 3,5) als in den Gruppen mit problematischer GK (Median: 11, IQA: 4) und mit inadäquater GK (Median: 9,5, IQA: 5). Diese Unterschiede sind statistisch signifikant (p < 0,001). Ein eindeutiger Trend zeigte sich auch für die Anwendung des Wissens über den Arbeitsschutz: Hier haben wir über die GK-Gruppen einen steten Abfall des Medians beobachtet (ausreichende GK Median: 18, IQA: 7, problematische GK Median: 17, IQA: 8 und inadäquate GK Median: 14, IQA: 8). Die Unterschiede sind statistisch signifikant.

Abb. 4
figure 4

Wissen über Arbeitsschutz nach Kategorien der Gesundheitskompetenz (p < 0,001)

Abb. 5
figure 5

Anwendung des Wissens über Arbeitsschutz nach Kategorien der Gesundheitskompetenz (p < 0,001)

Diskussion

Die Untersuchung zum Thema Arbeitsschutz in der Ausbildung hat ergeben, dass die unterschiedlichen Themen nur teilweise in den befragten Berufsschulen unterrichtet werden. Die Auszubildenden verfügen in der Ausbildungsmitte über mehr Wissen in Bezug auf praktische Themen des Gesundheitsschutzes (Vorbeugung von Erkrankungen, Erste-Hilfe-Maßnahmen, Arbeits- und Wegeunfälle) als über eher theoretische Themen wie die betriebliche Organisation des Arbeitsschutzes. In Bezug auf die Anwendung des Wissens über den Arbeitsschutz erreichen Auszubildende aus dem GeWo die höchsten Anteile, 40 % der Gesamtgruppe fühlen sich aber behindert bei der Ausübung von Arbeitsschutzmaßnahmen im Alltag. Des Weiteren sind das Wissen über und die Anwendung von Arbeitsschutzmaßnahmen positiv mit der Gesundheitskompetenz assoziiert.

Die Befragung der Berufsschulen ergab ein heterogenes Bild hinsichtlich der unterrichteten Arbeitsschutzthemen. Unterschiede bestehen nicht nur zwischen den Ausbildungsgängen, sondern auch zwischen den Berufsschulen innerhalb eines Ausbildungsgangs. Grund dafür können die im dualen System der Berufsausbildung eingesetzten flexiblen Rahmenlehrpläne sein. Für den Lernort Berufsschule werden in der Kultusministerkonferenz Rahmenlehrpläne für den berufsbezogenen Unterricht erstellt, diese stellen eine Mindestanforderung dar. Die Länder aber haben die Freiheit, die Rahmenlehrpläne so zu übernehmen oder sie gemäß ihren Erfahrungen in eigene Lehrpläne umzusetzen, sodass in den Bundesländern verschiedene Inhalte gelehrt werden können [18]. Die Befragung der Berufsschullehrer/innen ergab, dass insbesondere Themen zur betrieblichen Organisation des Arbeitsschutzes (Aufgaben Betriebsarzt, Fachkraft Arbeitssicherheit, Sicherheitsbeauftragter) sowie zu den Instrumenten des betrieblichen Arbeitsschutzes (Konzepte Gefährdungsbeurteilung und Unterweisung) weniger gelehrt werden. Möglicherweise, weil die entsprechenden Akteure im Betrieb tätig sind. Dennoch stellt sich die Frage, ob ein Aufgreifen dieser Themen vonseiten der Berufsschulen nicht zu einer besseren Verzahnung der beiden Lernorte Betrieb und Berufsschule führen könnte und damit ein besserer Wissenstransfer der Arbeitsschutzthemen gewährleistet würde.

Die heterogenen Ergebnisse sind aber auch auf die unterschiedlichen Arbeitsschutzanforderungen in den jeweiligen Branchen zurückzuführen. An verschiedenen Arbeitsplätzen unterscheiden sich die Arbeitsgefahren: In den Gesundheitsberufen gibt es mehr Gefahren, und sie können folgenschwerer sein (mechanische, biologische, chemische und psychosoziale Gefahren) als beispielsweise die Gefahren eines Büroarbeitsplatzes [3, 9, 35]. Folgenschwere und Eintrittswahrscheinlichkeit dieser Arbeitsgefahren führen in Gesundheitsberufen zu einem höheren Risiko, nicht zuletzt dadurch, dass bei der Arbeit mit Menschen nicht alle potenziellen Gefahren verhindert werden können. Das höhere Risiko zeigt sich auch in den Befragungsergebnissen der Auszubildenden – die Auszubildenden aus dem GeWo verfügen über ein größeres Wissen bezüglich des Gesundheitsschutzes und der Arbeitssicherheit (Vorbeugung MSE, psychische Belastungen, Erste-Hilfe-Maßnahmen) als diejenigen aus den Gruppen Büro und Einzelhandel/Technik, in denen die Gesundheitsgefahren naturgemäß geringer sind. Das gilt auch für die Einschätzung der Erkrankungsrisiken. Das größere Gefahrenpotenzial für die Auszubildenden aus dem GeWo spiegelt sich ebenfalls in einer größeren Anwendungskompetenz hinsichtlich des Wissens über den Arbeitsschutz wider und darin, dass sie dem Arbeitsschutz einen höheren Stellenwert einräumen. Aus den Ergebnissen wird deutlich, dass die Lerninhalte zum Arbeitsschutz an die branchenbezogenen Belastungen und Gefahren angepasst werden und das Erlernte umgesetzt wird.

Dennoch zeigen die Daten, dass es bezüglich der Anwendung Optimierungspotenzial gibt. 40 % der Auszubildenden geben an, dass sie bei der Anwendung von Arbeitsschutzmaßnahmen im Alltag behindert werden. Die drei häufigsten Gründe dafür sind a) Zeitmangel, b) Kollegen, die keine Notwendigkeit für Arbeitsschutzmaßnahmen sehen, und c) fehlende Schutz- bzw. Arbeitsmaterialien. In der Pflege ist angesichts des Personalmangels das Arbeiten unter Zeitdruck schon länger üblich; dies kann zur Gefährdung der eigenen Person und der Versorgungsqualität für die Patienten führen [8, 14, 24]. Auszubildende in den Gesundheitsberufen haben durch eine mangelhafte Ausübung von Arbeitsschutzmaßnahmen im Vergleich zu examinierten Kräften ein noch größeres Risiko für Arbeitsunfälle, da sie sich das Wissen und die Anwendung erst aneignen müssen. So wurde bei Auszubildenden in der Pflege in internationalen Studien ein höheres Risiko für Nadelstichverletzungen beobachtet als bei examinierten Kräften [4, 29, 37]. Das praktische Erlernen von Arbeitsschutzthemen soll in Form von Praxisanleitungen stattfinden, die dazu dienen, Inhalte der theoretischen Ausbildung in den Arbeitsalltag im Ausbildungsbetrieb zu integrieren. Unter Praxisanleitung wird nach den Ausbildungs- und Prüfungsverordnungen der Pflegeberufe die schrittweise Heranführung an die eigenständige Wahrnehmung der beruflichen Aufgaben verstanden [15]. Konkret heißt dies nach dem Pflegeberufegesetz, dass mindestens 10 % der praktischen Ausbildungszeit, also mindestens 250 h, als Praxisanleitung stattfinden müssen (vgl. ebd.). 18 % der Pflegeauszubildenden gaben an, selten bis nie und 36 % manchmal Fertigkeiten im Arbeitsschutz während der Praxisanleitungen im Betrieb zu erlernen. Man muss hierzu einschränkend erwähnen, dass die Befragung zur Mitte der Ausbildung stattgefunden hat und die Auszubildenden während der verbleibenden Ausbildungszeit weitere Gelegenheiten dazu haben werden. Dennoch sind die Auszubildenden der Pflege seit Beginn des ersten Ausbildungsjahres in die praktische Arbeit ihres Lehrbetriebs eingebunden und gegenüber den arbeitsspezifischen Gefahren exponiert. Eine Untersuchung zu diesem Thema zeigte, dass Praxisanleitungen zum Arbeitsschutz geeignet sind, das theoretische Wissen der deutschen Pflegeschüler/innen in den praktischen Arbeitsalltag einzubringen [22]. Generell lassen sich die beobachteten Ergebnisse zu dem Wissen und der Anwendung im Arbeitsschutz bei Auszubildenden schwer in einen Kontext stellen, da uns keine publizierten Daten dazu bekannt sind.

Hinsichtlich GK und Wissen bzw. Anwendung von Arbeitsschutzmaßnahmen haben wir kleine bis mittlere Korrelationsstärken sowie statistisch signifikante Unterschiede zwischen den GK-Gruppen beobachtet. In vorherigen Untersuchungen wurde festgestellt, dass Beschäftigte mit hoher GK für Arbeitsschutzelemente ein besseres Verständnis aufweisen als Beschäftigte mit geringer GK [11, 19]. Die hier beobachtete Korrelation von GK, erhoben mit dem HLS-EU-Q16, und Arbeitsschutz sollte weniger als eine Ursache-Wirkungs-Beziehung verstanden werden, sondern eher als Hinweis auf eine mögliche konzeptuelle Erweiterung des Konstrukts Gesundheitskompetenz im Setting Arbeit. Die Einbindung des Settings Arbeit in das Konstrukt der GK wurde bereits in internationalen und nationalen Studien konzeptuell mit Begrifflichkeiten wie „occupational health literacy“, „work-related health literacy“ oder auch „Arbeitsschutzkompetenz“ vollzogen [7, 17, 25, 36]. Unter anderem wurde auch hier der nach Sörensen et al. definierte Begriff der GK analog auf das Setting Arbeit übertragen (Gesundheitsinformationen erschließen, verstehen, beurteilen und anwenden können; [31]). Ehmann et al. geben hierzu in einem Scoping Review eine umfassende Übersicht über die verschiedenen Konzepte, Instrumente und Interventionen zu arbeitsbezogener GK [7]. Die Autoren schlussfolgern, dass die Beachtung der jeweiligen Branche, des Kulturkreises sowie der Aspekte von Sörensen et al. wesentlich für die Entwicklung eines validen Instruments sei. Ein deutschsprachiger Fragebogen zur arbeitsbezogenen GK existiert bislang nicht. Der von uns beobachtete Zusammenhang von GK und Arbeitsschutz bei Auszubildenden stellt somit einen Ausgangspunkt für die konzeptuelle Entwicklung eines Instruments dar, das Arbeitsschutzkompetenz bzw. berufsbezogene Gesundheitskompetenz auf der Basis des HLS-EU-Q16 operationalisieren könnte. In Anbetracht der Tatsache, dass Auszubildende ein vergleichsweise erhöhtes Unfall- bzw. Erkrankungsrisiko haben, wäre ein solches branchenbezogenes Instrument sinnvoll, um die Arbeitsschutzkompetenz zu beobachten und bei Bedarf Wissens- und Fertigkeitslücken schließen zu können.

Limitationen

Aufgrund einer niedrigen Follow-up-Rate kann ein Selektionsbias nicht ausgeschlossen werden. Die Drop-out-Analyse der Follow-up-Studie zeigte, dass Auszubildende, die zur Baseline angaben, die Ausbildungswahl sei eine Notlösung gewesen, das höchste Risiko für einen Drop-out hatten [16]. Hierzu muss man anfügen, dass diese Personen strenggenommen laut dieser Begründung nicht Teil der Zielpopulation waren. Weitere Risikofaktoren für ein Drop-out waren männliches Geschlecht und Rauchen, hinsichtlich der Gesundheitsindikatoren gab es keine Unterschiede. Wegen der relativ niedrigen Fallzahlen in den Ausbildungsberufen erfolgte eine Kategorisierung, die zum Teil unterschiedliche Ausbildungsberufe in einer Kategorie zusammenfasst. Die Gruppe der Erzieher/innen (Teil der Gruppe GeWo) ist aufgrund einer mehr verschulten Ausbildung weniger gut vergleichbar mit den Beschäftigten der anderen dualen Ausbildungen, da sie weniger Zeit im Ausbildungsbetrieb verbringen. Hinsichtlich der Erfassung des Wissens über den Arbeitsschutz und dessen Anwendung haben wir nicht alle Aspekte berücksichtigt, wie z. B. die Rechtsgrundlagen des betrieblichen Arbeitsschutzes. Es wurden aber zusätzlich zu den übergreifenden Themen ausbildungsspezifische Themen erfasst, um den Unterschieden bei den Arbeitsgefahren in den verschiedenen beruflichen Settings gerecht zu werden. Zudem erfassen die subjektiven Einschätzungen zum Arbeitsschutz nicht das tatsächlich vorhandene Wissen und könnten durch soziale Erwünschtheit verzerrt sein. Eine Prüfung des Wissens anhand von Testfragen hätte validere Daten geliefert, aber den Umfang des Fragebogens deutlich erhöht. Möglicherweise hätten testähnliche Fragen das Antwortverhalten der Auszubildenden negativ beeinflusst. Bei allen erhobenen Informationen unserer Befragung handelt es sich um subjektive Angaben.

Schlussfolgerung

Allgemein sollte auf eine bessere Verzahnung von Lehrinhalten zum Arbeitsschutz aus der Berufsschule und der praktischen Anwendung dieser Inhalte im Lehrbetrieb geachtet werden. Bei Pflegeberufen sind Praxisanleitungen von entscheidender Bedeutung. Denkbar wäre eine regelmäßige Teilnahme einer Vertretung des Lehrkörpers der Berufsschule an dem Arbeitsschutzausschuss des Lehrbetriebs. Über diese Plattform unterschiedlicher Funktionsträger des Arbeitsschutzes könnte durch Absprachen das Aufgreifen der Themen zu Arbeitsschutz von beiden Seiten aus gemeinsam geplant und durchgeführt werden. Um die Entwicklung der GK bei Auszubildenden im Setting Arbeit besser abbilden zu können, erscheint die Entwicklung eines validierten Instruments zur arbeitsbezogenen Gesundheitskompetenz sinnvoll, auch um die Ergebnisse verschiedener Erhebungen besser vergleichen zu können.