Zusammenfassung
Hintergrund und Zielsetzung
Während der ersten Coronawelle kam das öffentliche Leben weitgehend zum Erliegen. Viele Beschäftigte haben zum Schutz vor Ansteckung im Homeoffice gearbeitet. Mit der vorliegenden Befragung wurden Veränderungen im Schlafverhalten und der Tagesmüdigkeit bei Personen untersucht, die coronabedingt ins Homeoffice gewechselt hatten.
Methode
Büroangestellte wurden online zu ihrem Chronotyp, ihren üblichen Schlafenszeiten und dem Auftreten von Tagesmüdigkeit befragt. Die Datenerhebung fand zwischen dem 15.07. und 07.08.2020 statt. Zur Chronotypermittlung wurde die Composite Scale of Morningness (CSM) in der deutschsprachigen Version verwendet. Der Zusammenhang von Alter, Geschlecht, Chronotyp, Schlafqualität und Schlafdauer mit der selbst eingeschätzten Tagesmüdigkeit wurde mittels multivariabler logistischer Regression untersucht.
Ergebnisse
Die Daten von n = 228 Personen konnten ausgewertet werden. Unter Homeoffice-Bedingungen verlängerte sich die Schlafdauer. Der Anteil an Personen mit einer „Zeit-im-Bett“ von weniger als 7,5 h verringerte sich von 57 % auf 33 %, und der Anteil mit mehr als 8 h „Zeit-im-Bett“ erhöhte sich von 43 % vor Pandemiebeginn auf 67 % beim Arbeiten im Homeoffice. Der Anteil an Personen, die sich bei der Arbeit immer oder häufig müde fühlten, verringerte sich von 47 % vor Pandemiebeginn mit Präsenzpflicht im Büro auf 15 % unter Lockdown-Bedingungen beim Arbeiten im Homeoffice. Der Chronotyp zeigte einen signifikanten Einfluss auf die Tagesmüdigkeit an Büroarbeitstagen, nicht aber beim Arbeiten im Homeoffice unter Lockdownbedingungen.
Diskussion
Die längere Schlafdauer und die höhere Zufriedenheit mit der eigenen Schlafqualität könnten die Verringerung im Auftreten von Tagesmüdigkeit erklären. Späte Chronotypen scheinen besonders vom Arbeiten im Homeoffice zu profitieren. Ein flexibler Arbeitsbeginn unter Einbeziehung des Chronotyps sowie Maßnahmen für gesundheitsförderlichen Schlaf könnten die Tagesmüdigkeit verringern und dadurch die Gesundheit und Arbeitssicherheit verbessern.
Abstract
Background and objective
During the first corona wave public life largely came to a standstill. Many employees started to work from home to protect themselves from infection. The purpose of this study was to investigate changes in sleep behavior and daytime sleepiness when people changed from working in the office to mobile working from home.
Method
Office workers were asked about their chronotype, their usual sleep routine and the occurrence of daytime sleepiness on office workdays and during mobile working. Data collection took place between 15 July 2020 and 7 August 2020. An anonymized online survey tool was used. The composite scale of morningness (CSM) in the German language version was used to determine the chronotype. The association of age, gender, chronotype, sleep quality and sleep duration with self-rated daytime sleepiness was examined using multivariable logistic regression analyses.
Results
The data of n = 228 individuals could be analyzed. Sleep duration increased while working from home. The proportion of persons with less than 7.5 h time in bed decreased from 56.6% to 33.4% and the proportion of those with more than 8 h time in bed increased from 43.4% on office workdays to 66.6% when working from home. The percentage of people who always or often felt sleepy at work decreased from 47% on office workdays to 15% when working from home. The chronotype showed a significant association with daytime sleepiness on office workdays but not when working from home.
Discussion
The reduction of daytime sleepiness could be explained by longer sleep duration and higher satisfaction with sleep quality. Late chronotypes seem to benefit particularly when working from home. A flexible start of work, the consideration of the chronotype and measures for health-promoting sleep could reduce daytime sleepiness and thus improve occupational safety and health.
Einleitung
Nichterholsamer Schlaf kann zu Beeinträchtigungen der Gesundheit und zu Einschränkungen der Leistungsfähigkeit führen. Das spiegelt sich auch im Arbeitsunfallgeschehen wider: Laut einer Übersichtsarbeit von 27 internationalen Studien sind ca. 13 % der Arbeitsunfälle müdigkeitsbedingt [1]. Die direkten und indirekten Kosten von Schlafmangel und schlechtem Schlaf sind erheblich [2].
Mehrere Krankenkassen in Deutschland haben das Schlafverhalten und die Schlafdauer in repräsentativen Studien untersucht [3,4,5]. Bei der Panel-Online-Befragung im Auftrag der Barmer Krankenkasse 2018 gaben 26 % der Befragten an, nach persönlicher Einschätzung unter einer Schlafstörung zu leiden [3]. Insgesamt 6,9 % der Befragten hatten bereits einmal die ärztliche Diagnose einer Schlafstörung erhalten. Sogenannter „nichterholsamer Schlaf“ wird in der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM; [6]) als übergeordneter Begriff verwendet, da „diese Beschwerde allen Insomnien, schlafbezogenen Atmungsstörungen, Hypersomnien zentralnervösen Ursprungs, zirkadianen Schlaf-Wach-Rhythmusstörungen sowie einzelnen schlafbezogenen Bewegungsstörungen gemeinsam ist“. Der nichterholsame Schlaf gilt als primäre Ursache für Tagesmüdigkeit. Es gibt jedoch weitere Einflussfaktoren. So können Alter, Geschlecht, Krankheiten oder Medikamente sowie das persönliche Verhalten und der Chronotyp eine Rolle spielen [7]. Die o. g. Leitlinie beschreibt es treffend: „Schläfrigkeit ist in der Gesamtbevölkerung häufig und ein Begleitsymptom vieler anderer Erkrankungen und Umstände, sodass sie als Symptom eine nur niedrige Spezifität aufweist“.
Da der nichterholsame Schlaf über das subjektive Erleben von Betroffenen beschrieben wird, können Schlafstörungen durch Befragungen erhoben werden. Wer mit seinem eigenen Schlaf unzufrieden ist, erlebt vermutlich auch tagsüber Leistungseinschränkungen durch Müdigkeit. Diesem Zusammenhang wird in verschiedenen Untersuchungen am Institut für Arbeitsschutz (IFA) nachgegangen, um Erkenntnisse für die Prävention von Tagesmüdigkeit zu gewinnen. In einer aktuellen Studie am IFA wurden die Auswirkungen der zirkadianen Rhythmik und des Arbeitsbeginns auf die Schlafdauer von Beschäftigten in der holz- und metallverarbeitenden Industrie untersucht [8]. In dieser Studie zeigte sich, dass mehr als die Hälfte der Befragten an Arbeitstagen weniger als 7 h schlief. Je früher der Arbeitsbeginn der Beschäftigten war, desto kürzer war die Schlafdauer.
Im Frühjahr 2020 wurden aufgrund steigender Infektionszahlen im Zuge der COVID-19-Pandemie in fast allen Ländern staatliche Maßnahmen zur Kontaktbeschränkung verordnet. Während manche Forscherteams eine Verschlechterung der Schlafqualität vor allem bei medizinischem Personal feststellten [9, 10], wurde in anderen Studien eine Verlängerung der Schlafdauer sowie ein späteres Schlafzeitfenster berichtet [11,12,13]. Besonders späte Chronotypen, also Menschen, deren natürlicher Tag-Nacht-Rhythmus im Vergleich zum Hell-Dunkel-Rhythmus des Tageslichts in die Nacht hineinreicht, zeigten unter Lockdown-Bedingungen beim Arbeiten im Homeoffice signifikant verlängerte Schlafzeiten [13]. Auch in Deutschland wurde ein Lockdown verhängt, und viele Beschäftigte mussten sich kurzfristig auf mobiles Arbeiten im häuslichen Bereich (Homeoffice) einstellen. Einerseits besteht die Gefahr der Entgrenzung von Arbeits- und Privatleben, sodass ständige Erreichbarkeit, räumliche Enge und gegebenenfalls unzureichende Ausstattung die Arbeitszufriedenheit beeinträchtigen könnten. Andererseits entfallen die Pendelwege und die Arbeitszeitautonomie steigt [14]. Daraus ergibt sich die Frage, ob die größere Arbeitszeitflexibilität das Schlafverhalten veränderte und ob dies einen Einfluss auf die Tagesmüdigkeit der Beschäftigten gehabt haben könnte.
Ziel der Umfrage
Mit dem Beginn der Pandemie 2020 sind auch in der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) viele Beschäftigte auf mobiles Arbeiten zuhause umgestiegen. Diese Umstellung bot die Gelegenheit, Veränderungen im Schlafverhalten bei diesen Beschäftigten zu erforschen. Ziel dieser hausinternen Umfrage war es, die Unterschiede von Schlafverhalten, Tagesmüdigkeit und persönlichen Einflussfaktoren durch einen Vergleich vor und nach Pandemiebeginn zu ermitteln.
Folgende Fragen sollten beantwortet werden:
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Verändert sich das Schlafverhalten (Zeitfenster, Dauer, Qualität) unter Homeoffice-Bedingungen?
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Hat der Chronotyp einen Einfluss auf die Veränderungen?
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Gibt es weitere Einflussfaktoren, wie z. B. Alter oder Geschlecht?
-
Verändert sich die Wachheit am Tage (Selbsteinschätzung der Tagesmüdigkeit) durch anderes Schlafverhalten?
Aus den Ergebnissen sollen Empfehlungen zur Verringerung der Tagesmüdigkeit als Beitrag zur Unfallprävention abgeleitet werden.
Methode
Setting
Es wurde online eine hausinterne Befragung auf freiwilliger Basis durchgeführt. Das Angebot zur Teilnahme richtete sich an Beschäftigte, die seit Pandemiebeginn ausschließlich oder überwiegend von zuhause aus arbeiteten. Die Datenerhebung fand vom 15.07.2020 bis 07.08.2020 statt. Die Umfrage wurde online über die Plattform https://www.soscisurvey.de (SoSci Survey GmbH, München, Deutschland) realisiert. Es handelt sich um eine Querschnittsstudie. Die intraindividuellen Unterschiede wurden durch identische Fragestellungen für zwei Zeiträume erhoben: 1. retrospektiv für die Zeit vor der Pandemie mit Präsenzpflicht im Büro (Büroarbeitstage) und 2. während des dreiwöchigen Befragungszeitraums unter Homeoffice-Bedingungen während der Pandemie (mobile Arbeitstage).
Erhobene Merkmale
Die Online-Befragung setzte sich aus 4 Teilen mit insgesamt 41 Fragen zusammen. Teil 1 (Frage 1 bis 13) bestand aus den 13 Items der Composite Scale of Morningness (CSM) zur Chronotypbestimmung [15, 16]. In Teil 2 und 3 wurden vom Autorenteam selbst erstellte Fragen eingesetzt, um Schlafzeiten, Schlafqualität, Arbeitsbeginn und Tagesmüdigkeit jeweils für die Bedingung „Mobiles Arbeiten“ und „Arbeiten im Büro“ zu erheben. Die Schlafzeitermittlung erfolgte über vordefinierte Halbstundenintervalle für „Zu-Bett-Gehen“ und „Aufstehen“. Ebenso wurde der Arbeitsbeginn in Halbstundenintervallen ermittelt. Die Teilnehmenden machten jeweils auf einer 5‑stufigen Likert-Skala Angaben zur Zufriedenheit mit ihrer Schlafqualität, zur Häufigkeit der Weckernutzung sowie zur Häufigkeit von Tagesmüdigkeit während der Arbeit (nie, selten, häufig, sehr häufig, immer). Der vierte Teil diente der Erhebung von Alter (in 5‑Jahres-Intervalllen) und Geschlecht sowie der allgemeinen Zufriedenheit mit dem Arbeiten zuhause (5-stufige Likert-Skala). Das Auftreten von Tagesmüdigkeit wurde für die Auswertung in 2 Kategorien zusammengefasst: „eher häufig“ (immer, sehr häufig, häufig) bzw. „eher selten“ (selten, nie).
Chronotyp-Fragebogen
Der Composite-Scale-of-Morningness-Fragebogen (CSM) in der deutschen Fassung ist ein validiertes Instrument zur Erhebung des Chronotyps [15, 16]. Die Reliabilität wurde in Form von Cronbachs α berechnet und liegt für 3 verschiedene deutsche Stichproben zwischen 0,84 und 0,87 [17]. Der CSM-Fragebogen umfasst 13 Fragen mit je 4 oder 5 Antwortmöglichkeiten. Durch die hypothetischen Fragestellungen, wie z. B. „Wann würden Sie aufstehen/zu Bett gehen?“ oder „Wann würden Sie eine körperlich/geistig anstrengende Tätigkeit terminieren, wenn es nur nach Ihrem Wohlbefinden ginge?“, werden die individuell bevorzugten Zeiten für Schlafen und Aktivitäten erfasst. Außerdem schätzen die Befragten ihre tatsächliche Wachheit früh morgens (6:00 Uhr) bzw. ihre Müdigkeit abends ein. Das Ergebnis liefert eine Zahl von 13 bis 55, den sog. CSM-Wert. Je höher dieser Wert ist, desto mehr tendiert eine Person zu frühem Aufstehen und zeitigem Schlafengehen. Für die grafischen Darstellungen und die statistischen Analysen wurden die CSM-Punkte in 3 Chronotypkategorien zusammengefasst, um eine statistisch auswertbare Anzahl an Datensätzen pro Gruppe zu erhalten: Frühtyp 44–55 Punkte, Intermediärtyp 31–43 Punkte, Spättyp 13–30 Punkte.
Statistische Analyse
Um die relevanten Determinanten von Tagesmüdigkeit zu bestimmen, wurde zunächst eine bivariate logistische Regressionsanalyse durchgeführt. Dabei wurde untersucht, ob es zwischen einem Einflussfaktor, beispielsweise dem Chronotyp, und dem gewählten Outcome, der Tagesmüdigkeit, einen Zusammenhang gibt. Bei dieser Analyse wurden zunächst die folgenden möglichen Einflussfaktoren untersucht: Alter, Geschlecht, Chronotyp, Weckernutzung, nächtliches Aufgeweckt werden, Zeit-im-Bett und Schlafqualität. Bei signifikantem Zusammenhang in der bivariaten Analyse wurden die entsprechenden Einflussfaktoren in der multivariaten Analyse berücksichtigt. In dieser multivariaten logistischen Regression wurde untersucht, wie stark der adjustierte Zusammenhang zwischen einem Einflussfaktor und der Tagesmüdigkeit ist. Die Analysen wurden mit Stata 17 durchgeführt (StataCorp LLC, Texas, USA).
Ergebnisse
Stichprobe
Insgesamt nahmen 235 Personen an der Befragung teil. Wie viele Personen den Fragebogen aufgerufen haben, ohne Angaben zu tätigen, wurde nicht erfasst. Fehlende Angaben zur Tagesmüdigkeit führten zum Ausschluss. In die Auswertung konnten die Angaben von 228 Personen einbezogen werden, davon 38 % männlich. Der Altersdurchschnitt lag bei ca. 46 Jahren. Die Chronotypen verteilten sich auf 23 % Frühtypen, 57 % Intermediärtypen und 20 % Spättypen.
Schlafqualität, Weckernutzung und Schlafdauer – Vergleich an Büro- und Mobilarbeitstagen
Stellt man die Befragungsergebnisse der Büroarbeitstage dem mobilen Arbeiten gegenüber, so fällt die Verringerung der Tagesmüdigkeit auf. Der Anteil an Personen, die sich bei der Arbeit immer oder (sehr) häufig müde fühlten, betrug 46,9 % an Büroarbeitstagen und 15,4 % bei mobilem Arbeiten (Tab. 1).
Die empfundene Schlafqualität veränderte sich ebenfalls. Der Anteil an Personen, die mit ihrem Schlaf zufrieden oder sehr zufrieden waren, verdoppelte sich fast von 37,3 % an Büroarbeitstagen auf 65,8 % bei mobiler Arbeit, während sich die Unzufriedenheit mit der Schlafqualität anteilsmäßig etwa halbierte von 17,5 % auf 9,2 %. Die Häufigkeit der Weckernutzung verringerte sich bei mobilem Arbeiten. Der Anteil an Personen, der den Wecker nur noch selten oder nie nutzte, hatte sich mehr als verdoppelt von 13,2 % an Büroarbeitstagen auf 30,3 % bei mobilem Arbeiten. Als Kontrollvariable für die Schlafqualität und die Tagesmüdigkeit wurde außerdem erfragt, ob die Teilnehmenden nachts oder früh morgens von Familienmitgliedern (z. B. kleinen Kindern), Haustieren oder lauten störenden Geräuschen aufgeweckt wurden. Dreiviertel der Befragten gaben eine weitgehend störungsfreie Schlafumgebung an, in der sie nachts selten oder nie aufgeweckt wurden.
Die „Zeit-im-Bett“ errechnete sich aus den Zu-Bett-Geh- und Aufstehzeiten, die in Halbstundenintervallen erfragt wurden. Sie wurde hier unterteilt in ≤ 7,5 h oder ≥ 8 h, da man bei einer Zeit-im-Bett von 7,5 h – abzüglich einer maximalen Einschlafdauer bei guten Schläfern von 30 min – mit einer Schlafdauer von ca. 7 h rechnen kann [18]. Eine ausreichende Schlafdauer liegt für die meisten Menschen oberhalb von 7 h vor [19]. Der Anteil an Personen, die 8 oder mehr Stunden Zeit-im-Bett hatten, erhöhte sich von 34,4 % an Büroarbeitstagen auf 66,6 % bei mobilem Arbeiten. Die Zeit-im-Bett und damit vermutlich auch die Schlafdauer verlängerte sich für 60 % der Befragten um mindestens ein Halbstundenintervall bei mobilem Arbeiten (nicht in der Tabelle abgebildet).
Einflussfaktoren von Tagesmüdigkeit
Chronotyp
Die Häufigkeit von Tagesmüdigkeit verringerte sich bei mobilem Arbeiten gegenüber dem Arbeiten im Büro für alle Chronotypen (Abb. 1). Am stärksten zeigte sich diese Veränderung bei den Spättypen. Von den späten Chronotypen gaben 71 % an, sich beim Arbeiten im Büro häufig müde zu fühlen, während dies bei mobilem Arbeiten nur auf 16 % der Spättypen zutraf.
Die multivariate Analyse zeigte, dass der Chronotyp einen erheblichen Einfluss auf die Tagesmüdigkeit an Büroarbeitstagen hatte. Späte Chronotypen hatten ein 4‑faches und signifikantes Risiko (OR = 4,16; 95 % Konfidenzintervall [KI] 1,51–11,44) für Tagesmüdigkeit an Büroarbeitstagen; für intermediäre Chronotypen war es tendenziell erhöht aber nicht signifikant (OR = 1,75; 95 % KI 0,78–3,90). Bei mobilem Arbeiten zeigte sich diese Dosis-Wirkung-Beziehung – je später der Chronotyp, umso häufiger die Tagesmüdigkeit – nicht mehr (Tab. 2).
Alter und Geschlecht
Jüngere Beschäftigte unter 30 Jahren hatten ein höheres Risiko für Tagesmüdigkeit als die Älteren. Bei mobilem Arbeiten war dieser Effekt stärker und signifikant (Tab. 2). Frauen fühlten sich an Büroarbeitstagen häufiger müde als Männer. Allerdings war dieser Effekt nicht signifikant und zeigte sich nicht bei mobilem Arbeiten.
Schlafqualität und Schlafdauer
Der Zusammenhang zwischen der Schlafqualität und der Tagesmüdigkeit schwächte sich bei mobilem Arbeiten ab, blieb aber signifikant: Personen, die mit ihrem Schlaf „unzufrieden/sehr unzufrieden“ waren, hatten an Büroarbeitstagen ein deutlich höheres Risiko für Tagesmüdigkeit (OR = 23,82; 95 % KI 7,84–72,38) als bei mobilem Arbeiten (OR = 4,39; KI 1,46–13,21) im Vergleich zu Personen, die mit ihrem Schlaf „zufrieden/sehr zufrieden“ waren. Es zeigt sich auch hier eine Dosis-Wirkung-Beziehung: Je schlechter die empfundene Schlafqualität, umso häufiger wurde Tagesmüdigkeit berichtet. Die Zeit-im-Bett und damit vermutlich auch die Schlafdauer zeigte unter Büroarbeitsbedingungen einen unerwarteten Zusammenhang mit der Tagesmüdigkeit: Je 30 min längerer Zeit-im-Bett erhöhte sich das „Risiko“ für Tagesmüdigkeit um 50 % (OR = 1,50; 95 % KI 1,17–1,91). Bei mobilem Arbeiten zeigte sich dieser Zusammenhang nicht.
Diskussion
Während des Erhebungszeitraumes vom 15. Juli bis 7. August 2020 waren im sommerlichen Deutschland die meisten Beschränkungen aufgehoben. In Nordrhein-Westfalen waren Sommerferien, die Schulen waren geschlossen. Über die Öffnungszeiten von Kindertagesstätten ist aufgrund der Variabilität keine Aussage möglich. Großveranstaltungen und private Feiern mit mehr als 50 Gästen waren weiterhin untersagt. Das gesellschaftliche Leben fand bei niedrigen Inzidenzen im Sommer weitgehend wie vor Pandemiebeginn statt, Freizeitaktivitäten waren kaum eingeschränkt. Für die Gruppe der befragten Beschäftigten ist daher anzunehmen, dass das Arbeiten im Homeoffice die größte Veränderung gegenüber der Zeit vor Pandemiebeginn darstellte.
Verändert sich das Schlafverhalten (Zeitfenster für Schlaf, Dauer, Qualität)?
Die Befragten gaben an, dass sie bei mobilem Arbeiten später aufstehen, mehr Zeit im Bett verbringen und mit ihrer Schlafqualität zufriedener sind als an Büroarbeitstagen. Die Nutzungshäufigkeit des Weckers verringerte sich. Letzteres lässt sich durch den Wegfall des Arbeitsweges und einen flexibleren Arbeitsbeginn erklären. Für die größere Zufriedenheit mit der eigenen Schlafqualität könnte eine Verringerung der sog. Schlaferwartungsängste verantwortlich sein. An normalen Büroarbeitstagen besteht ein gewisser Druck, gut zu schlafen, um am nächsten Tag fit und leistungsfähig zu sein [20]. Bei mobiler Arbeit könnte allein die Möglichkeit, nach einer schlechten Nacht später aufzustehen oder tagsüber ein Nickerchen zu machen, genau diesen Schlaferwartungsdruck mindern und dadurch besseren Schlaf erlauben. Beim rein rechnerischen Zusammenhang zwischen einer längeren Zeit-im-Bett und höherer Tagesmüdigkeit könnten Schlaferwartungsängste eine Rolle spielen, da der Zusammenhang zwischen Zeit-im-Bett und Tagesmüdigkeit bei mobiler Arbeit nicht mehr zu beobachten ist. Dass die maßgebliche Ursache für die veränderte Schlafdauer und -qualität in der Homeoffice-Arbeit zu sehen ist, zeigten Staller und Randler in ihrer Studie zur Schlafgesundheit von 681 in Deutschland lebenden Erwachsenen (Befragungszeitraum 18. Mai bis 17. Juni 2020) [13].
Hat der Chronotyp einen Einfluss auf die Veränderungen?
Ein Einfluss des Chronotyps auf die Tagesmüdigkeit zeigte sich nur an Büroarbeitstagen. Bei Spättypen war dieser Effekt signifikant. Die Verschiebung im Schlaf-Wach-Muster zwischen Arbeitstagen und freien Tagen wird als sozialer Jetlag bezeichnet. An normalen Büroarbeitstagen bestimmen externe Faktoren wie Arbeitsbeginn und Dauer des Arbeitsweges sowie ggf. familiäre Verpflichtungen den Schlaf-Wach-Rhythmus. Bei mobilem Arbeiten kann sich das Schlaf-Wach-Muster dem an freien Tagen annähern, der soziale Jetlag kann sich verringern. Die Aufstehzeiten (nicht abgebildet) bestätigen diese Annahme, denn sie verschieben sich bei mobilem Arbeiten, und zwar umso mehr, je später der Chronotyp einer Person ist. Dies steht im Einklang mit den Ergebnissen von Blume et al., die in den ersten 6 Wochen des Lockdowns eine signifikante Reduzierung des sozialen Jetlags sowie eine verlängerte Schlafdauer im deutschsprachigen Raum feststellen konnten [11]. In einer Studie, die den Zusammenhang zwischen dem individuellen Schlafverhalten (Timing und Dauer) und der subjektiv empfundenen Tagesmüdigkeit untersuchte, fanden Wey et al., dass späteres Zu-Bett-Gehen mit kürzerer Schlafdauer und größerer Tagesmüdigkeit assoziiert war, weil trotz flexibler Arbeitszeiten die kulturell bedingte Erwartung eines frühen Arbeitsbeginns nicht überwunden werden konnte [21]. Dies stützt die Vermutung, dass ein Aufstehen ohne Wecker eher dem Schlaf im eigenen Rhythmus entspricht und zu mehr Wachheit und Erholung am Morgen führt.
Gibt es weitere Einflussfaktoren wie z. B. Alter oder Geschlecht?
Die Ergebnisse zeigen einen altersabhängigen Effekt der subjektiv empfundenen Tagesmüdigkeit: Jüngere Personen unter 30 Jahren fühlten sich tagsüber müder als ältere. Unter mobilen Arbeitsbedingungen war dieser Effekt signifikant. Dieses Ergebnis findet sich ebenfalls in der Literatur wieder. Dijk et al. maßen die objektive Einschlafneigung in 3 Altersgruppen zu 5 verschiedenen Tageszeitpunkten. Die Unterschiede zwischen allen Altersgruppen waren signifikant mit der höchsten Einschlafneigung bei jüngeren Probanden. Und dies, obwohl die älteren Probanden im Vergleich zu den jüngeren in den EEG-Auswertungen eine kürzere Schlafdauer und deutlich längere und häufigere Wachzeiten im Verlauf der 8‑stündigen Nacht aufwiesen [22]. Junge Erwachsene haben vermutlich aufgrund ihres späteren Chronotyps einen stärkeren sozialen Jetlag, der umso ausgeprägter ist, je früher die Arbeit beginnt [8].
Der geschlechtsspezifische Unterschied mit tendenziell vermehrter Tagesmüdigkeit bei Frauen an Büroarbeitstagen könnte aufgrund einer zusätzlichen Belastung durch familiäre Aufgaben hervorgerufen worden sein. Entsprechende Parameter wurden allerdings in dieser Studie nicht erhoben.
Verändert sich die Tagesmüdigkeit bei mobilem Arbeiten?
Während rund die Hälfte der Befragten an Büroarbeitstagen häufig Tagesmüdigkeit empfand, waren es bei mobilem Arbeiten 15 %. Tagesmüdigkeit kann medizinische, psychologische oder in den Lebensumständen begründete Ursachen haben. Schlafstörungen und Schlafmangel tragen erheblich zur Tagesmüdigkeit bei. Da das mobile Arbeiten eher selbstorganisiert ohne vorgegebenen Arbeitsort und weniger festgelegten Arbeitsbeginn stattfindet, könnten Arbeitsrhythmus und Pausenzeiten selbstbestimmter durchgeführt werden. Wer sich tagsüber müde fühlt, könnte sich eine Pause oder ein Nickerchen gönnen. Schlafen und Arbeiten im Homeoffice passten bei den meisten Befragten in dieser Studie besser zum eigenen Biorhythmus. Weniger Schlaferwartungsängste, individuellere Arbeitszeit- und Pausengestaltung sowie eine verlängerte Schlafdauer könnten die verringerte Tagesmüdigkeit bei mobilem Arbeiten erklären.
Ist die Studie repräsentativ?
Die vorliegende Studie liefert aufgrund ihres Studiendesigns und der Größe des Studienkollektivs einige Trends, ohne den Anspruch auf eine allgemeine Repräsentativität zu erheben. Die Trends sind jedoch deutlich und zeigen, dass die meisten Beschäftigten die zeitliche Flexibilisierung, bedingt durch das mobile Arbeiten zuhause, positiv für ihre individuellen Schlafbedürfnisse nutzen konnten.
Limitierende Faktoren
Der Befragungsteil zur Arbeitsgestaltung und zum Schlafverhalten unter Büroarbeitsbedingungen wurde retrospektiv erhoben. Zum Erhebungszeitraum arbeiteten die Beschäftigten bereits seit ca. 4 Monaten ganz oder teilweise im Homeoffice. Es ist nicht auszuschließen, dass die von den meisten Beschäftigten empfundenen Vorzüge der mobilen Arbeit zu einer positiveren Einschätzung der Schlafqualität und der Tagesmüdigkeit führten. Dass die Befragung während der Sommerferien stattfand, könnte für Familien mit Kindern sowohl zu einer Entlastung als auch zu einer zusätzlichen Belastung geführt haben, je nach Alter der Kinder, Wohnsituation und familiären Umständen. Diese Faktoren wurden nicht erhoben.
Mögliche negative Auswirkungen von mobilem Arbeiten, wie z. B. räumliche und zeitliche Entgrenzung, waren nicht Thema der vorliegenden Studie.
Schlussfolgerung
Die flexiblere Arbeitszeitgestaltung durch das mobile Arbeiten zuhause kam den individuellen Bedürfnissen der Beschäftigten bezüglich Schlafdauer und Schlafrhythmus entgegen. Wurde das Schlafverhalten dem Chronotyp angepasst und erlaubten die Rahmenbedingungen ausreichenden und ungestörten Schlaf, so konnte dies die Tagesmüdigkeit reduzieren.
Empfehlungen für die Prävention von Tagesmüdigkeit zur Unfallvermeidung
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Die frühzeitige Erkennung von Tagesmüdigkeit und deren Ursachen sowie die Erhebung des Chronotyps sollten grundsätzlich Bestandteil der arbeitsmedizinischen Vorsorge sein.
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Informationsangebote sowie Schlafberatungs- und Präventionsangebote sollten im betrieblichen Gesundheitsmanagement und in Kooperation mit den Betriebsärzten und Krankenkassen etabliert werden.
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Jüngere Erwerbstätige sollten im Rahmen von Sicherheitsunterweisungen für einen gesunden und ausreichenden Schlaf sensibilisiert werden, vor allem, wenn sie in aufmerksamkeitsintensiven Berufen arbeiten.
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Beschäftigte in Tätigkeiten mit hoher Verantwortung hinsichtlich Unfallfolgen (z. B. Steuerungstechnik, Überwachung, öffentlicher Verkehr) sollten bzgl. Chronotypbestimmung und Schlafhygiene unterstützt und beraten werden.
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Interessenkonflikt
B. Hirschwald, Y. Sun, A. Nold und F. Bochmann geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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Hirschwald, B., Sun, Y., Nold, A. et al. Persönliche Einflussfaktoren auf die Tagesmüdigkeit. Zbl Arbeitsmed 72, 147–153 (2022). https://doi.org/10.1007/s40664-022-00459-9
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DOI: https://doi.org/10.1007/s40664-022-00459-9