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Die Homerrezeption im “Sturm und Drang” und deutscher Nationalismus im 18. Jahrhundert

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Abstract

In the second half of the 18th century German authors turned to the almost entirely neglected early Greek tradition. In the process of establishing a national identity, Germans renounced the community of the paneuropean Romanitas: the “Original Genius” of Homer replaced Vergil. At that time the poets of the “Sturm und Drang” movement viewed what was perceived as the relatively primitive state of German literature as the very proof of its close inner relationship with Homer's time. One who brought about the change from the prevailing aesthetic toward a natural, enthousiastic poetry, was Klopstock. At a later point in time, in 1767/68, Klopstock modified the theory of the “Naturgenie” by changing its poetological conception with its intrinsic enthusiams into a political and national one. He was followed by the poets of the “Goettingen Grove”, who were attracted by his idea of a new patriotic poetry.

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References

  1. Zur Begriffsdefinition vgl. Konrad Fuchs/Heribert Raab (Hsg.), Wörterbuch zur Geschichte, 2. Aufl., München 1976, Bd. 2, s.v. Nationalismus (“Das übersteigerte, kämpferische und intolerante Vertreten des nationalen Gedankens. Der N. gründet auf der Überzeugung eines Volkes, den übrigen Völkern überlegen zu sein”), sowie Otto Dann, Nation und Nationalismus in Deutschland 1770–1950, München 1993, 17 (“Wir verstehen unter Nationalismus ein politisches Verhalten, das nicht von der Überzeugung einer Gleichwertigkeit der Menschen und Nationen getragens ist, das fremde Völker als minderwertig einschätzt und behandelt. Nationalismus tritt auf als Ideologie, als soziale Verhaltensweise und seit den 1880er Jahren auch als organisierte politische Bewegung”). Der Begriff Nationalismus ist eng mit dem Begriff der Nation verbunden, der um die Mitte des 18. Jahrhunderts seine heutige Bedeutung ausbildete. Vgl. U. Dierse und H. Rath, “Nation, Nationalismus, Nationalität”, in: Historisches Wörterbuch der Philosophie Bd. 6, Darmstadt 1984, 406–414. Neuerdings zu Begriffen und Realität in Geschichte und Gegenwart verschiedene Beiträge in: Neonationalismus, Neokonservatismus. Sondierungen und Analysen (=Stauffenberg Discussion 6), hsg. von Michael Kessler, Wolfgang Graf Vitzthum, und Jürgen Wertheimer, Tübingen 1997.

  2. Manfred Landfester, Humanismus und Gesellschaft im 19. Jahrhundert. Untersuchungen zur politischen und gesellschaftlichen Bedeutung der humanistischen Bildung in Deutschland, Darmstadt 1988, 86. Vgl. Wolfgang von Hippel, “Das Land der Griechen mit der Seele suchend? Das klassische Griechenland im Spiegel frühliberaler Weltanschauung”, in: Lebendige Antike. Rezeption der Antike in Politik, Kultur und Wissenschaft der Neuzeit (Mannheimer Historische Forschungen 6), hsg. von Reinhard Stupperich, Mannheim 1995, 153 f.; Suzanne L. Marchand, Down from Olympus. Archaeology and Philhellenism in Germany, 1750–1970, Princeton, New Jersey 1996, 24.

  3. Briefwechsel zwischen Schiller und Wilhelm von Humboldt, hsg. von A. Leitzmann, 3. Aufl., Stuttgart 1900, 143 (=Der Briefwechsel zwischen Friendrich Schiller und Wilhelm von Humboldt, hsg. von Siegfried Seidel, Bd. 1, Berlin 1962, 157).

  4. Goethes Briefwechsel mit Wilhelm und Alexander v. Humboldt, hsg. von Ludwig Geiger, Berlin 1909, 62 f. und 64 (=Goethes Briefwechsel mit den Gebrüdern von Humboldt, hsg. von Franz Thomas Bratranek, 1876, 59 und 61). In einem weiteren Brief an Goethe vom 30. Mai 1800 heißt es: “Wir Deutschen erkennen nicht genau, wieviel wir einzig dadurch gewinnen daß Homer und Sophokles uns nah und gleichsam verwandt geworden sind” (Goethes Briefwechsel mit Wilhelm und Alexander von Humboldt [wie oben], 124=Goethes Briefwechsel mit den Gebrüdern von Humboldt [wie oben], 160).—Die Hervorhebungen in den Humboldt-Zitaten stammen von mir.

  5. Wilhelm von Humboldt, Werke in fünf Bänden, hsg. von A. Flitner und K. Giel, Bd. 2. Schriften zur Altertumskunde und Ästhetik. Die Vasken, Stuttgart 1961, 90. Das folgende Zitat ebd., 87–88 (zitiert bei Walter Rehm, Griechentum und Goethezeit, 4. Aufl., Bern und München 1968, 230).

  6. Genannt sei hier das gründliche Buch von Clemens Menze, Wilhelm von Humboldts Lehre und Bild vom Menschen, Rattingen bei Düsseldorf 1965, wo unter den “Bildungswelten” auf den Seiten 154 bis 170 “Die Welt der Griechen” behandelt wird.

  7. Wilhelm von Humboldt, (wie Anm. 5), Werke in fünf Bänden, hsg. von A. Flitner und K. Giel, Bd. 2. Schriften zur Altertumskunde und Ästhetik. Die Vasken, Stuttgart 1961, 90. Das folgende Zitat ebd., 87–88 (zitiert bei Walter Rehm, Griechentum und Goethezeit, 4. Aufl., Bern und München 1968, 230). Bd. 2, 101.

  8. Wilhelm von Humboldt, (wie Anm. 5), Werke in fünf Bänden, hsg. von A. Flitner und K. Giel, Bd. 2. Schriften zur Altertumskunde und Ästhetik. Die Vasken, Stuttgart 1961, 90. Das folgende Zitat ebd., 87–88 (zitiert bei Walter Rehm, Griechentum und Goethezeit, 4. Aufl., Bern und München 1968, 230), Bd. 2, 92; 94; 109 f.

  9. Über das Studium des Altertums, und des Griechischen insbesondere (wie Anm. 5) Werke in fünf Bänden, hsg. von a. Flitner und K. Giel, Schriften zur Altertumskunde und Ästhetik. Die Vasken, Stuttgart 1961 Bd. 2, 9; Latium und Hellas oder Betrachtung über das klassische Alterthum, ebd., Bd. 3. Schriften zur Sprachphilosophie (1963), 53.

  10. Von dem griechischen Charakter überhaupt und der idealischen Ansicht desselben insbesondere (wie Anm. 5), Werke in fünf Bänden, hsg. von A. Flitner und K. Giel Schriften zur Altertumskunde und Ästhetik. Die Wasken, Stuttgart 1961, 95.

  11. Wilhelm von Humboldt (wie Anm. 5) Werke in fünf Bänden, hsg. von A. Flitner und K. Giel Schriften zur Altertumskunde und Ästhetik. Die Wasken, Stuttgart 1961 Bd. 2, 123.

  12. Wilhelm von Humboldt, Briefe an Johann Gottfried Schweighäuser, hsg. von A. Leitzman, Weimar 1934, 42 (zitiert bei Walter Rehm [wie Anm. 5], Werke in fünf Bänden, hsg. von A. Flitner und K. Giel Schriften zur Altertumskunde und Ästhetik. Die Wasken, Stuttgart 1961, 231).

  13. Brief an Wolf, abgedruckt in: Wilhelm von Humboldt, Gesammelte Werke, hsg. von C. Brandes, sieben Bände, Berlin 1841 ff, dort Bd. 5, 194 f. (zitiert bei Walter Rehm [wie Anm. 5] Werke in fünf Bänden, hsg. von A. Flitner und K. Giel Schriften zur Altertumskunde und Ästhetik. Die Wasken, Stuttgart 1961, 231).

  14. Die 1947 erschienene Untersuchung geht zurück auf die Antrittsvorlesung des lektors für deutsche Literatur an der Universität Amsterdam im Oktober 1937, wurde im Januar 1938 vor der Ortsvereinigung Berlin der Geethegesellschaft vorgetragen und im Reservelazarett Eßlingen a.N. im Herbst 1943 abgeschlossen. (Im Weiteren zitiert als: Begegnung).

  15. Beck, Begegnung (wie vorige Anm.) 20 und 28.

  16. Als Gewährsmann führt Beck in diesem Zusammenhang auch Wilhelm von Humboldt mit der eingangs schon zitierten Bermerkung von 1807 an, die Deutschen seien “durch ein ungleich festeres und engeres Band an die Griechen als an irgendeine andere, auch bei weitem näher liegende Zeit oder Nation geknüpft” (s. Anm. 5)

  17. Eine derartige Entwicklung bahnte sich nach Rehm bereits mit Winckelmann an. In ihm zeige sich zum ersten Mal das “angeborene, innere Griechentum” (52). Winckelmann sei es zu verdanken, “wenn der Deutsch … seines eigenen, in ihm noch schlummernden Griechentums wirklich bewußt war” (55). Im Kapitel über Herder spricht er vom “Sicherinnem des deutschen Geistes an den griechischen” (97). “Der griechische Geist werde sich palingenetisch in dem deutschen erneuern”, davon sei Herder überzeugt gewesen (97). Humboldt habe es ähnlich wie Fichte für die “einzigartige Aufgabe des deutschen Geistes” gehalten, “die Eine Nation” zu sein, die” gleichsam die Brücke zwischen der antiken und modernen Welt” darstellt (231).

  18. Eliza Marian Butler, The Tyranny of Greece over Germany, Cambridge 1935 (Neudruck als Paperback in der Beacon Press, Boston 1958; verkürzte deutsche Übersetzung unter dem Titel Deutsche im Banne Griechenlands, Berlin 1948). Eine Würdigung der Autorin bei Walter Muschg, Studien zur tragischen Literaturgeschichte, Bern 1965, 228–61.

  19. Trotz aller möglichen Kritik im Einzelnen bleibt es doch bemerkenswert, daß bei Butler (im Gegensatz zum idealistischen Forschungsansatz in Deutschland) die Griechenrezeption aus einer kritischen gesamthistorischen Perspektive betrachtet wird. (Zur Bedeutung der griechisch-römischen Antike für Adolf hitlers Geschichtsbild vgl. jetzt übrigens. Frank-Lothar Kroll, “Geschichte und Politk im Weltbild Hitlers”, Vierteljahrschefte für Zeitgeschichte 44, 1996, 327–353).

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  20. Beck, Begegnung (wie Anm. 14), Die 1947 erschienene Untersuchung geht zurück auf die Antrittsvorlesung des Lektors für deutsche Literatur an der Universität Amsterdam im Oktober 1937, wurde im Januar 1938 vor der Ortsvereinigung Berlin der Goethegesellschaft vorgetragen und im Reservelazarett Eßlingen a.N. im Herbst 1943 abgeschlossen. (Im Weiteren zitiert als: Begegnung). 21.

  21. Walter Rüegg, “Die Antike als Leitbild der deutschen Gesellschaft im 19. Jahrhundert” (1975), in: Ders., Bedrohte Lebensordnung. Studien zur humanistischen Soziologie, Zürich und München 1978 93–105. Das Zitat nach: Ders., “Die Antike als Begründung des deutschen Nationalbewußtseins”, in: Antike in der Moderne, hsg. von Wolfgang Schuller (=Konstanzer Althistorische Vorträge und Forschungen 15), Konstanz 1985, 267–287, dort 274.

  22. Rüegg, “Die Antike als Begründung des deutschen Nationalbewußtseins” (wie vorige Anm.). 280.

  23. “Die Querelle des Anciens et des Modernes, der nationalismus und die deutsche Klassik” (1979), in: Ders, Brechungen. Wirkungsgeschichtliche Studien zur antik-europäischen Bildungs-tradition, Stuttgart 1982, 129–49, dort besonders 141–49 (das Zitat 148).—Weiterhin zitiert als : “Querelle”.

  24. Fuhrmann, “Querelle” (wie vorige Anm.) 146.

  25. Fuhrmann hat Adolf Becks Veröffentlichung offenbar nicht zur Kenntnis genommen (obwohl sie bei Rehm zitiert wird).

  26. Allerdings wird man aus heutiger Sicht Becks positive Einschätzung dieser Entwicklung nicht mehr teilen wollen. Wenn Beck das nationalistische Sonderbewußtsein unkritisch als eine Frucht deutsch-griechischer Begegnung feiert, interpretiert er es als Nationalbewußtsein, als durchaus positive Äußerungsform deutscher “völkischer Artung”, hervorgebracht “durch die Lebensunmittelbarkeit der persönlichen Begegnung” und “ihrer aufwühlenden Wirkung … abseits des stetigen, gemächlich fließenden Stroms der Tradition” (40). Deutsches Nationalbewußtsein läßt sich bereits bei den deutschen Humanisten des 15. und 16. Jahrhunderts nachweisen (etwa bei Hutten oder in den Äußerungen von Jakob Wimpfeling, Konrad Celtis und Heinrich Bebel im Zusammenhang mit dem Tractat De ritu, situ, moribus et conditione Germaniae des Enea Silvio Piccolomini—des späteren Pius II.-, vgl. Griechische und Lateinische Quellen zur Frühgeschichte Mitteleuropas bis zur Mitte des 1. Jahrtausends u.Z., hsg. von Joachim Herrmann. Zweiter Teil, Tacitus Germania. Lateinisch und deutsch von Gerhard Perl [=Schriften und Quellen der Alten Welt Bd. 37,2], Berlin 1990, 63–66 mit weiterer Literatur; Hans Kloft, “Die Germania des Tacitus und das problem eines deutschen Nationalbewußtseins”, Archiv für Kulturgeschichte 72, 1990, 93–114; Klaus von See, Barbar, Germane, Arier, Heidelberg 1994, 61–63). Die von Beck verwendete Begrifflichkeit macht eine Unterscheidung von Nationalbewußtsein und dessen nationalistischer Verzerrung im “Deutschen Sonderbewußtsein” unmöglich. Beck begnügt sich mit dem Nachempfinden und Sich-Einfühlen in die ideologischen Unklarheiten der von ihm behandelten Epoche. Eine kritische Analyse unterbleibt.

  27. Die erste Auflage erschien 1935 mit dem Titel: Das Schicksal des deutschen Geistes im Ausgang seiner bürgerlichen Epoche.

  28. Deutscher Sonderweg—Mythos oder Realität?, Institut für Zeitgeschichte (Hsg.), München 1982, darin Karl Dietrich Bracher (Referat ohne Titel), 46–53, dort 52 f.

  29. So schreibt z. B. der Literaturwissenschaftler Helmut Scheuer 1993: “Es war die französische Revolution, die für den modernen Nationalismus eine besondere Wirkung zeitigte” (Dichter und ihre Nation [=Suhrkamp Taschenbuch Materialien 2117], Frankfurt am Main 1993, dort: Einleitung 9).

  30. Vgl. jetzt aber: Hans-Martin Blitz, “Gib Vater mir ein Schwert!’ Identitätskonzepte und Feindbilder in der ‘patriotischen’ Lyrik Klopstocks und des Göttinger ‘Hain’”, in: Hans Peter Herrmann u.a., Machtphantasie Deutschland. Nationalismus, Männlichkeit und Fremdenhaß im Vaterlandsdiskurs deutscher Schriftsteller des 18. Jahrhunderts (=Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 1273), Frankfurt am Main 1996, dort 80–122.

  31. Beck bezieht sich auf Werner jaeger, Humanistische Reden und Vorträge, 1. Aufl, Berlin 1937, 120 (=2. Aufl., Berlin 1960, 113 f.).

  32. Begegnung (wie Anm. 14) Die 1947 erschienene Untersuchung geht zurück auf die Antrittsvorlesung des Lektors für deutsche Literatur an der Universität Amsterdam im Oktober 1937, wurde im Januar 1938 vor der Ortsvereinigung Berlin der Goethegesellschaft vorgetragen und im Reservelazarett Eßlingen a.N. im Herbst 1943 abgeschlossen. (Im Weiteren zitiert als: Begegnung). 23.-Ursprungsnähe galt als ein entscheidender Vorzug der Griechen.

  33. Den Begriff des Erlebnisses zu verwenden erscheint Beck gerechtfertigt, um “damit die emotionale Färbung, die Gefühlsstörung des geistigen Vorgangs zu erinnern” (Begegnung [wie Anm. 14] Die 1947 erschienene Untersuchung geht zurück auf die Antrittsvorlesung des Lektors für deutsche Literatur an der Universität Amsterdam im Oktober 1937, wurde im Janur 1938 vor der Ortsvereinigung Berlin der Goethegesellschaft vorgetragen und im Reservelazarett Eßlingen a.N. im Herbst 1943 abgeschlossen. (Im Weiteren zitiert als: Begennung). 12).

  34. Werner Krauss, “Zur Periodisierung Aufklärung, Sturm und Drang, Weimarer Klassik”, in: Ders., Perspektiven und Probleme. Zur französischen und deutschen Aufklärung und andere Aufsätze, Neuwied und Berlin 1965, 234–265, dort 250.

  35. Suzanne L. Marchand, Down from Olympus (wien Anm. 2), Archaeology and Philhellenism in Germany, 1750–1970, Princeton, New Jersey 1996, 24. betont mit Recht den pietistischen Einfluß auf den deutschen Philhellenismus des 18. Jahrhunderts, “the Pietist emphasis on inwardness and individual self-disdiscipline, horror of material comforts, and tendency to exalt sentimental (but restrained) emotionality” und weist insbesondere auch auf pietistische Tendenzen bei Winckelmann hin (Gedancken über die Nachahmung der griechischen Wercke in der Mahlerey und Bildhauer-Kunst [1755] und Geschichte der Kunst des Alterthums [1764]), “a sort of aesthetic predilection for words over things, mind over matter, and the creative formulation of ideals over the exact copying of nature” (“The Making of Cultural Obsession. J.J. Winckelmann: The Ascetism of Philhellenistic Aesthetics”, 7–16, das Zitat Seite 11). Zu Winckelmann vgl. auch Barbara Maria Stafford, “Beauty of the Invisible: Winckelmann and the Aesthetics of Imperceptibility”, Zeitschrift für Kunstgeschichte 43, 1980, 65–78.

  36. Edward Young, Conjectures on Original Composition in a Letter to the Author of Sir Charles Grandison, London 1759 (deutsch als Edward Youngs Gedancken über die Originalwerke in einem Schreiben an Samuel Richardson, übersetzt von H.E. v. Teubern, Leipzig 1760); Robert Wood, Essay on the Original Genius of Homer, London 1769 (deutsch als Robert Woods Versuch über das Originalgenie des Homers, übersetzt von Chr. F. Michaelis, Frankfurt am Main 1773).

  37. Walter Hinck (Hsg.), Sturm und Drang. Ein literaturwissenschaftliches Studienbuch, Kronberg/Ts. 1978, Einleitung VII. Vgl. Andreas Huyssen, “Sturm und Drang”, in: Geschichte der deutschen Lyrik vom Mittelalter bis zur Gegenwart, hsg. von Walter Hinderer, Stuttgart 1983, 177–201, dort 177: “In der literaturwissenschaftlichen Rezeption des Sturm und Drang hat sich in den letzten beiden Jahrzehnten eine neue Wertung und Einschätzung dieser Periode in ihrem Verhältnis zum Aufklärungszeitalter durchgesetzt(…).” Huyssen spricht sich dafür aus, “die Aufklärung auch vom Sturm und Drang her zu verstehen. Die Dialektik beider Perspektiven ist auszuhalten, nicht eine der anderen zu opfern.”

  38. Herders Sämmtliche Werke, hsg. von Bernhard Suphan, Bd. 32, Berlin 1878 (reprogr. Nachdruck Hildesheim 1968), S. 72, 73, 78, 79, 81 f. Zur Nähe der Lyrik zum Volkslied vgl. auch Herders “Auszug aus einem Briefwechsel über Ossian und die Lieder alter Völker” in dem von Herder herausgegebenen Sammelband Von deutscher Art und Kunst, erschienen 1773 in Hamburg. Dort heißt es: “Je entfernter von künstlicher, wißenschaftlicher Denkart, Sprache und Letternwerk das Volk ist, desto weniger müßten auch seine Lieder fürs Papier gemacht und tote Lettern Verse seyn: vom Lyrischen (Hervorhebung G.L.), vom Lebendigen und gleichsam Tanzmäßigen (…), davon allein hängt das Wesen, der Zweck, die ganze wundertätige Kraft ab, die diese Lieder haben, die Entzückung, die Triebfeder, der ewige Erb- und Lustgesang des Volkes zu seyn” (Von deutscher Art und Kunst. Einige fliegende Blätter, hsg. von Hans Dietrich Irmscher, Stuttgart [Reclam], 2. Aufl., 1977, 12 f.=Herders Sämmtliche Werke [wie oben], Bd. 5 [1891, Nachdr. 1967], 164).

  39. “Über die neuere deutsche Literatur”. Fragmente, Herders Sämmtliche Werke (wie vorige Anm.), Bd. 1 (1877, Nachdr. 1967), 141.

  40. Vgl. dazu die grundlegende Darstellung von Otto Dann, “Herder und die Deutsche Bewegung”, in: Johann Gottfried Herder. 1744–1803, hsg. von Gerhard Sauder (=Studien zum 18. Jahrhundert, Bd. 9, hsg. von der Gesellschaft für die Erforschung des 18. Jahrhunderts), Hamburg 1957, 308–340.—Zur Reaktion Herders auf Klopstocks nationale Dichtung vgl. unten Anm. 83 und Anm. 87.

  41. Hinzuweisen wäre hier nochmals auf die Beiträge in dem Band Von deutscher Art und Kunst von 1773, worin sich neben Mösers Deutscher Geschichte auch Goethes—von Herder angeregte—Verherrlichung des Straßburger Münsters als spezifisch “deutsche Baukunst” findet.—Die Anteilnahme des Straßburger Kreises an der “deutschen Bewegung” schildert Goethe im neunten bis elften Buch von Dichtung und Wahrheit. Allerdings spricht er von einer “literarischen Revolution” (Goethes Werk. Hamburger Ausgabe in 14 Bänden, hsg. von Erich Trunz u. a., Hamburg 1948–60, Bd. 9 [9. Aufl., München, 1981], 40), während Herders Vorstellungen nicht allein auf den Bereich der Literatur beschränkt blieben (vgl. Otto Dann, Herder und die deutsche Bewegung [wie vorige Anm.], 323 f., hierin der Position Klopstocks und der Göttinger Dichter des Hainbunds näherstehend).

  42. Vgl. dazu nun R. Sowerby, “Early Humanist Failure with Homer (II),” oben in diesem Heft (IJCT 4,2 [Fall 1997]), 179–80.

  43. Stolberg veröffentlichte im Novemberheft des Deutschen Museums von 1776 als Übersetzungsprobe den XX. Gesang der Ilias, der damit beginnt, daß Zeus die Götter auf dem Olymp zusammenrufen läßt: “Und sie traten in den Palast des Wolkenversammlers,/ Setzten sich auf Throne, von strahlenden Säulen gestüzet,/Welche die Arbeit und Kunst des Hefaistos dem Vater verehret”. In der ersten Fußnote zur Übersetzung lesen wir Stolbergs lapidare Bemerkung: “Hefaistos, Vulkan. Was gehen Homer und uns die lateinischen Namen an?” (Die meisten von Stolbergs Anmerkungen erklären die griechische Namensform durch die gewohnte lateinische: V. 32: “Hära/Juno”, V. 33: “Poseidaon/Neptun”, “Hermäs/Merkur”, usw.)—Bürger, der bereits fünf Jahre früher eine Übersetzungsprobe in Jamben veröffentlicht und bei diesem Anlaß seine Ansicht über einen zukünftigen “deutschen Homer” dargelegt hatte (vgl. die folgende Anm.), reagierte zunächst bestürzt. In einem Brief an Boie vom 6. Januar 1777 geht er auf Stolbergs Übersetzung ein und kritisiert insbesondere die von Stolberg gegen die bisherige Konvention eingeführten griechischen Eigennamen: “Die Beibehaltung der griechischen Namen ist albern. Die Namen sind und bleiben dem größten Teil der Leser böhmische Dörfer” (Briefe von und an G.A. Bürger, hsg. von A. Strodtmann, Berlin 1874, Bd. 2, 5).

  44. Gottfried August Bürger, “Gedanken über die Beschaffenheit eines deutschen Homer”, Klotzens Deutsche Bibliothek der schönen Wissenschaften, Halle 1771, Bd. VI, 21. Stück, 1–41 (als Einleitung zu den Übersetzungsproben), zitiert nach: G. A. Bürgers Werke, hsg. von Eduard Grisebach, fünfte, vermehrte und verbesserte Aufl., Berlin 1894 (die Zitate 203; 194 f.; vgl. Beck, Begegnung [wie Anm. 14] Die 1947 erschienene Untersuchung geht zurück auf die Antrittsvorlesung des Lektors für deutsche Literatur an der Universität Amsterdam im Oktober 1937, wurde im Januar 1938 vor der Ortsvereinigung Berlin der Goethegesellschaft vorgetragen und im Reservelazarett Eßlingen a.N. im Herbst 1943 abgeschlossen. (Im Weiteren zitiert als: Begegnung). 62 f.). Eine ausführlichere Rechtfertigung seiner Grundsätze der Homerübersetzung erfolgte im Teutschen Merkur von 1776.

  45. Im Novemberheft des Deutschen Museums von 1776. Klopstocks theoretische Arbeit “Von der Nachahmung des griechischen Versmasses im Deutschen” von 1755 (Ausgewählte Werke, hsg. von K.A. Schleiden, München 1962, 1038–1048), in dem er sich im Zusammenhang mit seinem Messias für den Hexameter und seine Eindeutschung interessierte, war für Stolberg, der an metrischen Theorien nur wenig interessiert war, gewiß weit weniger wichtig als für Voß. Dieser hatte—ebenfalls 1776—anläßlich der Übersetzung von Thomas Blackwells Enquiry into the Life and Writings of Homer (London 1735) erste Proben einer hexametrischen Homerübersetzung vorgelegt (vgl. unten S. 213, Anm. 54). Hatte Klopstock sich um einen neuen “deutschen” Hexameter bemüht, so suchte Voß gerade den Feinheiten des griechischen Hexameters gerecht zu werden. Dazu waren Untersuchungen “Über die Zeitmessung der deutschen Sprache” nötig, die Goethe 1804 veranlaßten, in seiner Rezension der Gedichte von Voß von dessen unsterblichen Verdiensten um die deutsche Rhythmik zu sprechen. Vgl. Alfred Kelletat, “Zum Problem der antiken Metren im Deutschen”, Der Deutschunterricht 16, 1964, 51–85; ferner Günter Häntzschel, Johann Heinrich Voß. Seine Homer-Übersetzung als sprachschöpferische Leistung, München 1977 (zur Auseinandersetzung mit Klopstocks metrischen Theorien insbes. 53–63). Vgl. auch: Weltliteratur. Die Lust am Übersetzen im Jahrhundert Goethes, hsg. von Reinhard Tgahrt u. a., Marbach 1982 (dort 296–317: “Bürger, Stolberg, Voß: ein Wettstreit um Homer”). Zu Vossens Position im Wechselspiel der literaturpolitischen Allianzen im Umfeld Goethes und Schillers vgl. auch Franz Schwarzbauer, Die Xenien. Studien zur Vorgeschichte der Weimarer Klassik (=Germanistische Abhandlungen 72), Stuttgart und Weimar 1992 (insbes. 230–39: “Der Fall des Johann Heinrich Voß”).

  46. Begegnung (wie Anm. 14) Die 1947 erschienene Untersuchung geht zurück auf die Antrittsvorlesung des Lektors für deutsche Literatur an der Universität Amsterdam im Oktober 1937, wurde im Januar 1938 vor der Ortsvereinigung Berlin der Goethegesellschaft vorgetragen und im Reservelazarett Eßlingen a.N. im Herbst 1943 abgeschlossen. (Im Weiteren zitiert als: Begegnung). 71.

  47. Die Autoren des Göttinger Dichterkreises werden—falls nicht anders vermerkt—zitiert nach: Der Göttinger Hain, hsg. von Alfred Kelletat, Stuttgart (Reclam) 1967 (im Weiteren: Göttinger Hain). Das zitierte Gedicht dort S. 205 f.—Zum “heiligen” Homer vgl. Goethes “Künstlers Morgenlied” (entstanden, 1773, Erstdruck 1776), das den Gegensatz von Schöpfertum und Kennertum, vor allem den Schöpfungsakt selbst behandelt (vgl. Goethes Werke [wie Anm. 41], Hamburger Ausgabe in 14 Bänden, hsg. von Erich Trunz u. a., Hamburg 1948–60, Bd.1 [12. Aufl. 1981], 54–56, insbes. die Anmerkungen auf Seite 444): “Ich trete vor den Altar hier/Und lese, wie sich's ziemt,/Andacht liturg'scher Lektion/Im heiligen Homer”.

  48. Zur Vorstellung, daß sich mit dem Entstehen von Ilias und Odyssee eine neuerliche Kosmogonie vollziehe, vergleiche man den Schluß von Stolbergs Gedicht “An das Meer” und insbesondere die letzte Strophe: “Der Geist des Herrn den Dichter zeugt,/Die Erde mütterlich ihn säugt,/Auf deiner Wogen blauem Schoß/Wiegt seine Phantasie sich groß.// Der blinde Sänger stand am Meer,/Die Wogen rauschten um ihn her,/Und Riesentaten goldner Zeit/Umrauschten ihn im Feierkleid.//Es kam zu ihm auf Schwanenschwung/ Melodisch die Begeisterung,/Und Ilias und Odyssee/Entstiegen mit Gesang der See.// Hätt er gesehn, wär' um ihn her/Verschwunden Himmel, Erd' und Meer;/Sie sangen vor des Blinden Blick/Den Himmel, Erd' und Meer zurück.”—Zur Interpretation des Gedichts als Kosmogonie: Beck, Begegnung (wie Anm. 14) Die 1947 erschienene Untersuchung geht zurück auf die Antrittsvorlesung des Lektors für deutsche Literatur an der Universität Amsterdam im Oktober 1937, wurde im Januar 1938 vor der Ortsvereinigung Berlin der Goethegesellschaft vorgetragen und im Reservelazarett Eßlingen a.N. im Herbst 1943 abgeschlossen. (Im Weiteren zitiert als: Begegnung) 57.

  49. Zur Platon-Renaissance in England und Deutschland in der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts vgl. Robert E. Norton, The Beautiful Soul. Aesthetic Morality in the Eighteenth Century, Ithaca and London 1995 (darin das Kapitel: “The Eighteenth Century and the Hellenic Ideal of Kalokagathia”, 100–136).

  50. Kelletat, Göttinger Hain (wie Anm. 47) hsg. von Alfred Kelletat, Stuttgart (Reclam) 1967 (im Weiteren: Göttinger Hain). Das zitierte Gedicht dort 193 f.

  51. Vgl. Stolbergs Aufsatz “Über die Begeisterung”, Gesammelte Werke, Bd. 10, Hamburg 1827, 397–411.—Zur Wirkung auf Hölderlin s. Adolf Beck, “Hölderlin und Fr. L. Stolberg. Die Anfänge des hymnischen Stils bei Hölderlin”, Iduna 1, 1944, 88–114 (=Ders., Forschung und Deutung. Ausgewählte Aufsätze zur Literatur, hsg. von Ulrich Fülleborn, Frankfurt a.M. und Bonn 1966, 236–264).

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  52. Kelletat, Göttinger Hain (wie Anm. 47) hsg. von Alfred Kelletat, Stuttgart (Reclam) 1967 (im Weiteren: Göttinger Hain). Das zitierte Gedicht dort 266.

  53. “Der Göttinger Hain” nach Klopstocks Ode “Der Hügel und der Hain” von 1767 (“Des Hügels Quell ertönt von Zeus,/von Wodan der Quell des Hains”). Der Wahlspruch, der das “Bundesjournal” mit den Berichten über die Versammlungen des Bundes und das “Bundesbuch” mit den vom Bund gutgeheißenen Gedichten der Mitglieder schmückte, lautete: “Der Bund ist ewig”. Er bezieht sich auf die Verse 95–96 derselben Ode, die das “Gesetz der heiligen Freundschaft” formulieren: “Erst des hingehefteten Blickes lange Wahl,/ Dann Bund auf ewig!”—Zu der mit dem Begriff “Hain” verbundenen Erinnerungstradition vgl. unten Anm. 89.

  54. Vgl. Edward Young, Conjectures on Original Composition… (wie Anm. 36) in a Letter to the Author of Sir Charles Grandison, London 1759 “‘Must we then’, you say, ‘not imitate ancient authors?’ Imitate them, by all means; but imitate aright. He that imitates the divine Iliad does not imitate Homer, but he who takes the same method which Homer took for arriving at a capacity of accomplishing a work so great. Tread in his steps to the sole fountain of immortality: drink where he drank, at the true Helicon, that is, at the breast of nature. … The less we copy the renowned ancients, we shall resemble them the more” (=Ders., The Complete Workes. Poetry and Prose, ed. by James Nichols, with a Life of the Author by John Doran, London 1854, Bd. 2, 554. Reprogr. Nachdruck bei Olms, Hildesheim 1968).—Youngs Schrift lag bereits kurz nach ihrem Erscheinen in deutscher Übersetzung vor (vgl. Anm. 36) Edward Young, und übte großen Einfluß auf die Geniezeit aus. Dies galt auch für Blackwells Enquiry into the Life and Writings of Homer, 1735 (1776 von Voß übersetzt; vgl. Anm. 45) Alfred Kelletat und Robert Woods Essay on the Original Genius of Homer, der zuerst 1769 in einem Privatdruck für seine Freunde (und 1773 in deutscher Übersetzung von Chr. F. Michaelis; vgl. Anm. 36) erschien, ein Buch, das in den siebziger Jahren auch die Homerstudien des bedeutenden Göttinger Philologen Johann Gottlob Heyne nachhaltig prägte. Als Vermittler dieses starken englischen Einflusses wirkten auch die Schweizer Johann Jakob Breitinger (Critische Abhandlung von der Natur, den Absichten und dem Gebrauche der Gleichnisse, Zürich 1740) und Johann Jakob Bodmer (Critische Abhandlung vom Wunderbaren in der Poesie, Zürich 1740).—Für die neuzeitliche Rezeptionsgeschichte Homers ist immer noch wichtig die materialreiche Darstellung von Georg Finsler, Homer in der Neuzeit von Dante bis Goethe, Leipzig und Berlin 1912 (reprogr. Nachdruck bei Olms, Hildesheim und New York 1973). Neuere Arbeiten: Kirsti Simonsuuri, Homer's Original Genius. Eighteenth-Century Notions of the Early Greek Epic (1688–1798), Cambridge 1979; Howard Clarke, A Historical Introduction to the Iliad and the Odyssey, New York-London-Toronto 1981. Einführend: Hanns W. Eppelsheimer, Homer ein Originalgenie, Fulda 1948; Joachim Wohlleben, Die Sonne Homers. Zehn Kapitel deutscher Homerbegeisterung. Von Winckelmann bis Schliemann, Göttingen 1990.

  55. Goethe schreibt 1771, daß aus Shakespeare “die Natur weissagt”. “Und ich rufe Natur! Natur! nichts so Natur als Schäkespears Menschen” (Zum Schäkespears Tag, in: Goethes Werke [wie Anm. 41] Hamburger Ausgabe in 14 Bänden, hsg. von Erich Trunz u. a., Hamburg 1948–60, Bd. 12 [9. Aufl. 1981], 226). Das Beispiel Shakespeare zeigte, daß Naturdichtung nicht auf die Epoche der griechischen Antike beschränkt war.

  56. Stolberg, “Die Begeisterung. An Voß”, Schlußpassage. Kelletat, Göttinger Hain (wie Anm. 47) hsg. von Alfred Kelletat, Stuttgart (Reclam) 1967 (im Weiteren: Göttinger Hain). Das zitierte Gedicht dort, 193 f.

  57. Zusammen mit der überarbeiteten Übersetzung der Odyssee. Die bereits 1778 erschienene hexametrische Übersetzung des Schweizers Bodmer wurde als trocken und unbefriedigend empfunden und konnte sich nicht durchsetzen.

  58. Anspielung auf Klopstocks Ode “Vaterlandslied” (erschienen im Göttinger Musenalmanach für 1774), die folgendermaßen beginnt: “Ich bin ein deutsches Mädchen!/Mein Aug' ist blau und sanft mein Blick; / Ich hab ein Herz, / Das edel ist und stolz und gut. // Ich bin ein deutsches Mädchen! / Zorn blickt mein blaues Aug' auf den, / Es haßt mein Herz / Den, der sein Vaterland verkennt.”—1771 hatte Matthias Claudius bereits gedichtet (“Auch ein Lied”): “Ich bin ein deutscher Jüngling / Mein Haar ist kraus, breit meine Brust / … Beym süßen Namen Vaterland / Schlägt mir das Herz, / Und mein Gesicht wird feuerroth.” —1776 folgte Christian Friedrich Daniel Schubart mit einer sozialkritischen Variation (“Das gnädige Fräulein”), in der er Klopstocks Strophen mit den Aussagen des “gnädigen Fräuleins” alternieren läßt, also: “Ich bin ein teutsches Mädchen! / Mein Aug', ist blau” usw., aber dann: “Mein Aug' ist schwarz, und wild mein Blick”, und später heißt es von dem “gnädigen Fräulein”, daß sie “teutsche Sitte schmäht”.—1779 reimt Gottlieb von Leon ein “Vaterlandslied”: “Ich bin ein deutscher Biedermann, / Mit Mannheit stattlich angetan: / Mein Aug' ist blau, mein Blick ist warm, / Und eisenstark mein Nervenarm.” Aus der Verbindung mit dem “deutschen Biederweib”—“schleuß dich an diese Heldenbrust”—wird das Vaterland dann “herzbrave Söhn' und Töchter sehn, / Gleich deinen Eichen, hoch und schön.”—Die Texte von Claudius, Schubart und Leon sind zitiert nach: Epochen der deutschen Lyrik, hsg. von Walther Killy, Bd. 6. Gedichte zwischen 1770 und 1800. Nach den Erstdrucken hsg. von Gerhart Pickerodt, München 1970, dort 19; 70; 114.

  59. Vgl. dazu Winfried Woesler, “Die Idee der deutschen Nationalliteratur in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts”, in: Nation und Literatur im Europa der Frühen Neuzeit, hsg. von Klaus Garber (=Akten des I. Internationalen Osnabrücker Kongresses zur Kulturgeschichte der Frühen Neuzeit), Tübingen 1989, 716–33, sowie den Artikel “Nationalliteratur” von H. Rükker im Historischen Wörterbuch der Philosophie Bd. 6 (wie Anm. 1), Darmstadt 1984, 415–417.

  60. Walther Ludwig machte mich darauf aufmerksam, daß Stolbergs Strom-Metaphorik angeregt sein könnte durch Quintilian, Inst. or. 10,1,46: Hic enim (sc. Homerus), quemadmodum ex Oceano dicit ipse amnium fontiumque cursus initium capere, omnibus eloquentiae partibus exemplum et ortum dedit. (Vgl. zu dieser Stelle und ihrem Kontext A. Wlosok, “Zur Geltung und Beurteilung Vergils und Homers in Spätantike und früher Neuzeit”, in: Dies., Res humanae—res divinae. Kleine Schriften, hsg. von Eberhard Heck und Ernst A. Schmidt, Heidelberg 1990, 481–483 [=Griechenland und Rom. Vergleichende Untersuchungen zu Entwicklungstendenzen und-höhepunkten der antiken Geschichte, Kunst und Literatur, In Verbindung mit M. Fuhrmann, R. Gordesiani und C. Meier hsg. von E.G. Schmidt, Tbilissi, Erlangen, und Jena, 1996, 534–6].) Naheliegend wäre auch eine Beeinflussung durch die damals verstärkt rezipierte Schrift des Ps.-Longin über den hohen Stil, in der die Dichtung des Archilochos mit einem reißenden Fluß verglichen wird (33,5). Auf Homer wird das Bild des Stroms zuerst bei Kallimachos, Apollonhymnus 108 f. angewendet.

  61. Ovid, Fasti VI, 5 f: est deus in nobis! agitante calescimus illo / impetus hic saevae semina mentis habet. Herder wählt als Motto für seine Schrift Vom Erkennen und Empfinden (Preisaufgabe der Berliner Akademie von 1773 in der Fassung von 1774) est deus in nobis, in der zweiten von 1775 den ganzen fünften Vers (als Autor nennt er versehentlich Vergil vielleicht durch Verwechslung mit Aeneis V, 46 deus ecce deus, den er mehrfach zitiert).

  62. In dem Essay “Über die Begeisterung” (wie Anm. 51), Gesammelte Werke, Bd. 10, Hamburg 1827, 410, spricht Stolberg über die Fähigkeit des Dichters zu “Ahnungen von Ideen, von Wahrheiten, von Empfindungen, die außerhalb dem Gesichtskreis des gewöhnlichen Zustandes der Menschen” liegen. “Diese Kraft ist es, welche den Dichter zum Seher macht.”

  63. Lichtenbergs Briefe, hsg. von A. Leitzmann und C. Schüddekopf, Bd. 1, Leipzig 1901, Nr. 114 (abgedruckt bei Kelletat, Göttinger Hain [wie Anm. 47], hsg. von Alfred Kelletat, Stuttgart (Reclam) 1967 (im Weiteren: Göttinger Hain). Das zitierte Gedicht dort 366 f.).

  64. In welcher Weise dies geschah, wird aus der Schilderung einer Sitzung des Hainbundes deutlich, die Voß am 4. August 1773 in einem Brief an Brückner gibt. Es handelt sich um die Feier von Klopstocks Geburtstag. Voß schreibt: “Gleich nach Mittag kamen wir auf Hahns Stube, die die größte ist (es regnete an, diesem Tag) zusammen. Oben stand ein Lehnstuhl ledig, für Klopstock, mit Rosen und Levkojen bestreut, und auf ihm Klopstocks sämtliche Werke. Unter dem Stuhl lag Wielands Idris zerrissen [gemeint sind die fünf Gesänge von Wielands Idris und Zenide. Ein romantisches Gedicht von 1767, G.L.]. Jetzt las Kramer aus den Triumphgesängen, und Hahn etliche sich auf Deutschland beziehende Oden von Klopstock vor. Und darauf tranken wir Kaffee; die Fidibus waren aus Wielands Schriften gemacht. Boie, der nicht raucht, mußte doch auch einen anzünden, und auf den Idris stampfen. Hernach tranken wir in Rheinwein Klopstocks Gesundheit, Luthers Andenken, Hermanns Andenken, des Bunds Gesundheit, dann Eberts, Goethens (den kennst du wohl noch nicht?), Herders usw. Klopstocks Ode der Rheinwein ward vorgelesen, und noch einige andere. Nun war das Gespräch warm. Wir sprachen von Freiheit, die Hüte auf dem Kopf, von Deutschland, von Tugendgesang, und du kannst, denken, wie. Dann aßen wir, punschten, und zuletzt verbrannten wir Wielands Idris und Bildnis” (J.H. Voß, Briefe, hsg. von A. Voß, Bd. I. Halberstadt 1829, 144 f. Abgedruckt in: Kelletat, Göttinger Hain [wie Anm. 47] hsg. von Alfred Kelletat, Stuttgart (Reclam) 1967 (im Göttinger Hain). Das zitierte Gedicht dort 359).— Später veröffentlichte Voß im Göttinger Musenalmanach auf das Jahr 1775 die Ode “Michaelis” mit den Zeilen über das “entnervte Volk, / Das Wielands Buhlgesängen horchet”, die Wieland schwer getroffen haben.

  65. Kelletat, Göttinger Hain (wie Anm. 47) hsg. von Alfred Kelletat, Stuttgart (Reclam) 1967 (im Weiteren: Göttinger Hain). Das zitierte Gedicht dort 362.

  66. Die beiden Zitate stammen aus zwei Briefen Stolbergs an Miller und Voß vom März 1774; zitiert nach Jürgen Behrens, Briefwechsel zwischen Klopstock und den Grafen Christian und Friedrich Leopold zu Stolberg (=Kieler Studien zur deutsche Literaturgeschichte Bd. 3), Neumünster 1964, 76.

  67. In “Über die Begeisterung” schreibt Stolberg: “Der Begeisterte elektrisiert, der vom Enthusiasmus Erfüllte wird elektrisiert. Tyrtäus war begeistert, und erfüllte die Spartaner mit edlem Enthusiasmus” (Gesammelte Werke [wie Anm. 51] Gesammelte Werke, Bd. 10, Hamburg, 1827, 411).

  68. Klare und knappe Darstellung zum Naturrecht bei Ernst Troeltsch: “Naturrecht und Humanität in der Weltpolitik” (1922), in: Ders., Deutscher Geist und Westeuropa. Gesammelte kulturphilosophische Aufsätze und Reden, hsg. von Hans Baron, Tübingen 1925 (vgl. Hans-Georg Drescher, Ernst Troeltsch. Leben und Werk, Göttingen 1991, 3–27). Heranzuziehen ist jetzt vor allem die aus Einzelabhandlungen erwachsene Studie von Knud Haakonssen, Natural law and moral philosophy. From Grotius to the Scottish Englightenment, Cambridge 1996, welche die Entwicklung der Naturrechtstheorie von Grotius und Suárez im frühen 17. Jahrhundert bis hin zur amerikanischen Revolution und zum Utilitarismus behandelt. Hingewiesen sei auch auf die umfangreichen Artikel zum Naturrecht in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politischen Sprache in Deutschland, hsg. von Otto Brunner, Werner Conze und Reinhard Kosellek, Bd. 4, Stuttgart 1978, 245–313 (Karl-Heinz Ilting), sowie im Historischen Wörterbuch der Philosophie, Bd. VI [wie Anm. 1], Darmstadt 1984, 560–623 (mehrere Verfasser). Ich verzichte im Folgenden aus Platzgründen auf die Angabe von Belegen und vertiefende Diskussion.

  69. Die Fremdheit des universalistischen Naturrechts und dementsprechend die Betonung der positiven Rechtsnormen bleibt in der Folgezeit insbesondere für Deutschland charakteristisch. Es gab offenbar, nachdem sich der Rechtspositivismus um die Mitte des 19. Jahrhunderts durchgesetzt hatte, keine tragfähige deutsche Tradition, die ein natürliches Recht des Einzelnen in einer Notwehrsituation gegenüber dem Staat und den in ihm, geltenden Gesetzen rechtfertigen konnte, in einer “Grenzsituation der sittlichen Entscheidung”, von der Theodor Heuss anläßlich des zehnten Jahrestages des Staatsstreichversuchs gegen Hitler am 20. Juli 1954 sprach. Über die Probleme, die sich aus diesem Mangel für den rechten Wiederstand gegen Hitler ergaben, vgl. Klemens von Klemperer, “Naturrecht und der deutsche Widerstand gegen den Nationalsozialismus”, Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 40, 1992, 323–37; jetzt auch Wolfgang Graft Vitzthum, “Nation, Rechtsstaat, Menschenrecht. Diskurse, Motive und Zielvorstellungen im ‘nationalkonservativen’ Widerstand gegen den Nationalsozialismus”, in: Neonationalismus, Neokonservativismus. Sondierungen, Analysen (wie Anm. 1), Darmstadt 1984 177–204. Einen Überblick über die deutsche Nachkriegsdiskussion zum Naturrecht bei Werner Maihofer (Hsg.), Naturrecht oder Rechtspositivismus (=Wege der Forschung, Bd. 16), Darmstadt 1962 (3. Aufl. 1981).

  70. Mit der Abkehr von der Gleichheit der Menschen (im Sinne der für jeden gleichen Möglichkeit, die göttliche Wahrheit wahrzunehmen) entfernt sich Stolberg von den Ansichten der großen protestantischen Naturrechts-Lehrer Philipp Melanchthon (1497–1560) und Hugo Grotius (De Groot) (1583–1645), die beide von einem prinzipiell für alle Menschen gleichen Zugang zur natürlich-göttlichen Wahrheit ausgehen (“Legem naturae esse notitiam legis divinae naturae hominis insitam” [Ph. Melanchthon, Loci theologici (=Corpus Reformatorum 21), Halle 1854, 712]). Ein ähnlicher Unterschied besteht sowohl gegenüber Pufendorf (1632–94) mit seiner Unterscheidung von physischer und vernünftig zu ordnender moralischer Welt, dessen grundlegende Einsichten später die amerikanische Unabhängigkeitsbewegung und die französische Revolution beeinflußten, wie gegenüber Rousseaus (1712–78) volonté générale.

  71. Mit diesem Anspruch etabliert sich eine neue, aus dem Mittelstand erwachsende Elite, die sich durch Bildung und “Genie” aus der Zweitrangigkeit löst und zum Träger des deutschen Nationalbewußtseins wird. Vgl. dazu. Norbert Elias, Über den Prozeß der Zivilisation, Bern 1969, Bd. 1, 36–42 (text- und seitenidentisch mit Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 158, 6. Aufl. Frankfurt 1978). Über den charakteristischen Unterschied zwischen “Kultur” und dem englischen und französischen Begriff der “Zivilisation” und der Rolle dieser Begriffe bei der Definition des eigenen Selbstverständnisses ebd. 2–7.—Daß die aggressive, enthusiastische Ausdrucksform die Sprache der aufstrebenden und nicht der beharrenden Kräfte ist, scheint in der Logik der Sache zu liegen. Zugleich zeigt sich darin aber auch ein Gewaltpotential, das—wie es scheint—noch nach einem Gegenstand sucht, an dem es sich entladen kann.

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  72. In Stolbergs Gedicht “Die Freiheit” (Druckfassung von 1775, s. Kelletat, Göttinger Hain [wie Anm. 47] hsg. von Alfred Kelletat, Stuttgart (Reclam) 1967 (im Weiteren: Göttinger Hain). Das zitierte Gedicht dort 174) heißt es: “Schwerter fliegt auf, dem gesandten Gottes”, der offenbar als Führerfigur gedacht ist, wie der Cheruskerfürst Hermann (Arminius). Der Führer ist vorgestellt als der befreier, der Angreifer, Kriegsheld und Täter, nicht als weiser Herrscher eines schon bestehenden Reiches, das er mit Gerechtigkeit regiert. Das Bewußtsein des Mangels bestimmt auch hier das vorstellungsvermögen.—Vergleichen läßt sich auch aus Stolbergs “Mein Vaterland” die Aussage, es seien “Blitze Gottes die Jünglinge”. Auch sie handeln nicht selbstverantwortlich oder in Abstimmung mit der Gemeinschaft, sondern wie Naturgewalten (Blitze) und aufgrund metaphysischer Lenkung, die rationalem Verständnis verschlossen bleibt.

  73. Kelletat, Göttinger Hain (wie Anm. 47) hsg. von Alfred Kelletat, Stuttgart (Reclam) 1967 (im Weiteren: Göttinger Hain). Das zitierte Gedicht dort 196.

  74. Kelletat, Göttinger Hain (wie Anm. 47) hsg. von Alfred Kelletat, Stuttgart (Reclam) 1967 (im Weiteren: Göttinger Hain). Das zitierte Gedicht dort 174. Die zuvor genannte, 1770 in Dänemark entstandene Fassung des Zwanzigjährigen ebd. 173.

  75. Kelletat, Göttinger Hain (wie Anm. 47) hsg. von Alfred Kelletat, Stuttgart (Reclam) 1967 (im Weiteren: Göttinger Hain). Das zitierte Gedicht dort 184 f.

  76. Kelletat, Göttinger Hain (wie Anm. 47) hsg. von Alfred Kelletat, Stuttgart (Reclam) 1967 (im Weiteren: Göttinger Hain). Das zitierte Gedicht dort 187 f.

  77. Im Zusammenhang mit der Kritik an Wieland schrieb Voß am 16. Juni 1773 an Ernestine Boie: “Wir drei (Voß, F. L. Stolberg und Hahn, G. L.) gingen bis Mitternacht in meiner Stube ohne Licht herum, und sprachen von Deutschland, Klopstock, Freiheit, großen Thaten, und von Rache gegen Wieland, der das Gefühl der Unschuld nicht achtet. Es stand eben ein Gewitter am Himmel, und Bliz und Donner machten unser ohnedies schon heftiges Gespräch so wütend und zugleich so feierlich ernsthaft, daß wir in dem Augenblick ich weiß nicht welcher großer Handlungen fähig gewesen wären” (J. H. Voß, Briefe [wie Anm. 64] hsg. von A. Voß, Bd. I, Halberstadt 1829, 144f.; abgedruckt bei Kelletat, Göttinger Hain [wie Anm. 47] hsg. von Alfred Kelletat, Stuttgart (Reclam) 1967 (im Weiteren: Göttinger Hain). Das zitierte Gedicht dort, 360 f.).—In einem Brief Hahns an Klopstock vom 30. Juli 1774 steht der bezeichnende Satz: “Wir tatenlose aber tatendurstige Jünglinge dürfen noch zur Zeit nur Büsche (aus Eichenlaub, G.L.) tragen” (Briefe von und an G.A. Bürger [wie Anm. 43], hsg. von A. Strodtmann, Berlin 1874, Bd. I, 203. Abgedruckt bei Kelletat, Göttinger Hain [wie Anm. 47] hsg. von Alfred Kelletat, Stuttgart (Reclam) 1967 (im Weiteren: Göttinger Hain). Das zitierte Gedicht dort 364 f.).—In Dichtung und Wahrheit berichtet Goethe von einer charakteristischen Begebenheit anläßlich des Besuchs der Brüder Stolberg in Frankfurt im April 1775 (anschließend trat man gemeinsam die Reise in die Schweiz an): “Man hatte nur einige Male zusammen getafelt, als schon nach ein oder der anderen genossenen Flasche Wein der poetische Tyrannenhaß zum Vorschein kam, und man nach dem Blute solcher Wütriche lechzend sich erwies”. Um nun die “immer heftiger werdenden Äußerungen ins Heitere zu wenden”, holte die Mutter Goethes aus dem Keller einen besonders alten, “nur bei feierlich bedeutenden Gelegenheiten angesprochenen” Wein. “Indem sie nun in geschliffener Flasche den hochfarbigen Wein hinsetzte, rief sie aus: Hier ist das wahre Tyrannenblut! Daran ergötzt euch, aber alle Mordgedanken laßt mir aus dem Haus!” (Goethes Werk [wie Anm. 41] Hamburger Ausgabe in 14 Bänden, hsg. von Erich Trunz u. a., Hamburg 1948–60, Bd 10 [7. Aufl., 1981] 126).— Der “poetische Tyrannenhaß” richtete sich vor allem gegen ausländische Unterdrücker wie P. Quinctilius Varus oder Karl den Großen, der für französische Unterjochung steht. Daneben gab es auch das Anprangern sozialer Tyrannei. Erkennbar wird die Tendenz zu sozialer Emanzipation vor allem bei Voß, aber auch in Stolbergs “Lied eines Deutschen in fremden Kriegsdiensten”. In der Systematik dieses Denkens handelt es sich dabei gewissermaßen um “undeutsches” Verhalten, das von Deutschen ausgeht, und stellt insofern eine Unterkategorie des Protestes gegen fremde Unterdrückung dar, als hier die moralischen Anforderungen, die mit dem Deutschtum verbunden werden, nicht erfüllt sind.

  78. Kelletat, Göttinger Hain, (wie Anm. 47) hsg. von Alfred Kelletat, Stuttgart (Reclam) 1967 (im Weiteren: Göttinger Hain). Das zitierte Gedicht dort 254 f.

  79. Kelletat, Göttinger Hain (wie Anm. 47) hsg. von Alfred Kelletat, Stuttgart (Reclam) 1967 (im Weiteren: Göttinger Hain). Das zitierte Gedicht dort 228–230.—Eine gewisse Konkretheit zeigt sich in diesem Punkt allerdings auch schon 1775. Am 25. Mai 1775 berichtet der fünfundzwanzigjährige Stolberg in einem Brief aus Strasburg an Klopstock von einer Begegnung mit dem Prinz Constantin (1758–93), Bruder des Herzogs Karl August von Weimar. “Er sprach wohl eine halbe Stunde lang mit mir von Deutschen, Engländern und Franzosen (…). Die Engländer wären die erste Nation. Ich hoffe Ew. Durchlaucht nehmen uns Deutsche aus? O das versteht sich! Ich nehme uns nicht mit unter die andern, wir über alles! Wir thaten zusammen warme Wünsche die Deutschen bald gegen die Franzosen fechten zu sehen (…). Aber das Herz that mir weh beim Anblick des bezwungenen, nun französischen Ufers” (Jürgen Behrens [Hsg.], Friedrich Leopold Graf zu Stolberg Briefe [=Kieler Studien zur Deutschen Literaturgeschichte, Bd. 5], Neumünster 1966, Brief Nr. 31, S. 44). Ludwig XIV. hatte umfangreiche Gebiete des linken Rheinufers annektiert, Strasburg wurde 1680 französisch.

  80. Wenn Arndt antwortet: “Die einzigste gültigste Naturgrenze macht die Sprache”, so folgt er damit einerseits Herderschen Gedankengängen, andererseits in seinem weiterführenden nationalistischen Anspruch aber auch Fichtes, in den Reden an die deutsche Nation (1807/8) vorgetragener Vorstellung, daß das Deutsche die ursprünglichste “Ursprache” der Welt sei. Stolberg nimmt in seinen Versen das Stichwort auf: “an beiden Ufern tönet des Deutschen Sinn/aus deutschem Wort; dem edelsten Weine gleich, / … Vom eitlen Nachbar, der sich in Schaum berauscht, / verstanden nimmer, nimmer empfunden! Laßt / Ihm seinen Schaum im Becher! ihm die / Sprache, die an der Empfindung hinstreift”.

  81. Zum Begriff des Fanatismus (nach W. Hehlmann, Wörterbuch der Psychologie, 2. Aufl., Stuttgart o.J., 149 “eine aggressive Affektform von besonderer Stärke und Nachhaltigkeit, meist im Dienste einer Idee”) vgl. Werner Conze / Helga Reinhart, “Fanatismus”, in: Geschichtliche Grundbegriffe (wie Anm. 68), Bd. 2, Stuttgart 1975, 303–327 (zu den begrifflichen Übergängen zwischen Enthusiasmus und Fanatismus insbesondere 314–16), sowie Susie I. Tucker, Enthusiasm. A Study in Semantic Change, Cambridge 1972.

  82. Die politischen Zustände waren schon seit dem Westfälischen Frieden von 1648 schlecht. Die Deutschen waren seitdem daran gewöhnt, nicht ein Vaterland, sondern derer dreihundert zu haben. Schillers Xenie: “Deutschland? Aber wo liegt es? Ich weiß das Land nicht zu finden” beschreibt einen Sachverhalt, der bereits 125 Jahre vor dem nationalen Protest der Göttinger bekannt war. Deutschland hatte sich nur sehr langsam vom Dreißigjährigen Krieg erholen können und dreihundert absolute Herrscher machten das Land nach Herders Urteil zu einer “terra oboedientiae”. Es gab auch keine Zentralgewalt, die die Abspaltung ganzer Regionen hätte verhindern können. So befand sich z. B. der Göttinger Dichterkreis nicht auf deutschem, sondern auf englischem Boden, da der Kurfürst von Hannover 1714 den englischen Thron bestiegen hatte.—Aufs Ganze gesehen gab es aus der äußeren Situation keinen aktuellen Anstoß für einen nationalen Protest. Allerdings bildeten die unbefriedigenden Zustände den Resonanzboden für politische Appelle einer zunehmend selbstbewußten bürgerlichen Intelligenz.

  83. Zum Einfluß von MacPhersons alten Vorlagen frei nachempfundenen “Ossian”—Dichtungen in Deutschland und Europa vgl. Howard D. Weinbrot, Britannia's Issue. The Raise of British Literature from Dryden to Ossian, Cambridge 1993, dort: Part V, 14, S. 526–56: “Ossian in Scotland, Great Britain, and Modern Europe: Joining Britannia's Issue”.—Vgl. jetzt auch: Fania Oz-Salzberger, “National Identity in Scotland and Germany in the Late Eighteenth Century. Affinities, Impact, and Divergences”, in: 1650–1850. Ideas, Aesthetics, and Inquiries in the Early Modern Era 2, 1996, 137–66, die besonders auf Herders Vermittlerrolle hinweist (“Briefwechsel über Ossian und die Lieder alter Völker” in: Von deutscher Art und Kunst, erschienen 1773): “MacPhersons work was thus incorporated into the search for German cultural origins”, ebd. 161. Man darf allerdings nicht übersehen, daß die nach dem 20. Juni 1771 begonnene, im Mai 1773 erschienene und von Herder herausgegebene Aufsatzsammlung ein Beitrag zu einem bereits ausgebildeten Diskurs war, welcher von Kopstock und Gerstenberg die entscheidenden und richtungweisenden Impulse empfangen hatte, nicht zuletzt durch Klopstocks Bardiet “Hermanns Schlacht”, das im Dezember 1767 abgeschlossen ist (vgl. unten Anm. 85). Dies wird aus Herders Worten auch hinreichend deutlich, wenn er nach kritischen Bemerkungen zur deutschen Übersetzung des schottischen Textes auf Klopstocks Bardiet zu sprechen kommt: “Wie ganz anders hat hier Klopstock z. E. in der Sprache gearbeitet! Der sonst so ausfließende, ausströmende Dichter, wie kurz! wie stark und abgebrochen! wie altdeutsch hat er sich in seiner Hermanns-Schlacht zu sein bestrebt! Welche Prose gleicht da wohl seinem Hexameter! welch lyrisches Sylbenmaaß seinen sonst so strömenden griechischen Sylbenmaaßen! (…) Ich bins gewiß nicht allein, der diesen veränderten, härteren Bardeton im neuen Klopstock empfindet, und (…) gehe ich gern mit den Jahren des Dichters, und mit der Natur fort, und bin stolz darauf, das Deutsche Bardenmaaß zu empfinden” (Von deutscher Art und Kunst [wie Anm. 38] hsg. von Bernhard Suphan, =Herders sämmtliche Werke [wie Anm. 38] hsg. von Bernhard Suphan, Bd. 5 [1891, nachdr. 1967] 175 und 176). Zu vergleichen ist hier Herders Gedicht “Eine Erscheinung” von 1770 (“Ich saß im alten Bardenhain” usw. Die Erscheinung ist der Geist Hermanns des Cheruskers), mit dem Herder seinerseits Klopstocks Thematik—auch im Sinne einer hommage—übernimmt, die “Hain”-Metaphorik Klopstocks aufgreift und damit der Pointe in der Namenswahl des Göttinger Hainbunds zuvorkommt.—Zum “schottischen Homer” jetzt auch Thomas P. Miller, The Formation of College English. Rhetoric and Belles Lettres in the British Cultural Provinces, Pittsburgh, PA 1997 (insbes. 139 und 240–243) sowie Katie Trumpener, Bardic Nationalism: The Romantic Novel and the British Empire, Princeton 1997.—Ausgehen müßte jede Darstellung der Schottisch-Deutschen Affinitäten übrigens von Tacitus, Agricola 11,2, wo berichtet wird, daß Agricola in der entscheidenden Schlacht sogar die Kaledonier bezwang, gewissermaßen die britannischen Germanen: magni artus Germanicam originem asseverant.

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  84. Zur Biographie vgl. Franz Muncker, Friedrich Gottlieb Klopstock. Geschichte seines Lebens und seiner Schriften, Berlin, 2. Aufl., 1900. Zur Hinwendung zur “nordischen” Mythologie s. auch: Sven Aage Jörgensen/Klaus Bohm/Per Öhrgaard, “Aufklärung, Sturm und Drang, Frühe Klassik. 1740–1789”, in: Geschichte der deutschen Literatur von den Anfangen bis zur Gegenwart, begründet von Helmut de Boor und Richard Newald, Bd. 6, München 1990, 246.

  85. Zu vergleichen ist Klopstocks Brief aus Kopenhagen an Gleim vom 19.12.1767, in dem er zunächst darüber berichtet, daß “Hermanns Schlacht, ein Bardiet für die Schaubühne” druckfertig sei. “Und meine Oden, die Sie sonst ein wenig lieb zu haben pflegten, werden auch bald im M(anu)S(cript) oder gedruckt zu ihnen kommen. Wo Mythologie vorkommt, da ist es celtische, oder die Mythologie auch unserer Vorfahren. Die lange Ode an meine Freunde ist daher, was die Ausbildung betrifft, jezt ganz anders. Sie heißt jetzt Wingolf (ist der Tempel der Freundschaft). Sie haben doch Mallets Auszug aus der Edda gelesen?” (Friedrich Gottlieb Klopstock, Briefe 1767–1772, Bd. 1, Text, hsg. von Klaus Hurlebusch [Historischkritische Ausgabe, Bd. V,1], Berlin und New York 1975, Brief Nr. 31, S. 46). Die erste von Klopstock selbst besorgte Sammlung seiner Oden erscheint 1771.

  86. So polemisierte Voß 1773 gegen die “goldene Fessel/Aus der Griechen Gesang geschmiedet”. Vgl oben S. 212.

  87. Vgl. Herder, Über die Wirkung der Dichtkunst auf die Sitten der Völker in alter und neuer Zeit (1778), Viertes Kapitel, in: Herders Sämmtliche Werke (wie Anm. 38) hsg. von Bernhard Suphan, Bd. 8 (1892, Nachdr. 1967) 388 f: “Wir kommen hier wieder in ein lebendiges Feld der Dichtkunst, wo sie wirkte, wo sie lebendige Thaten schuf. Alle nordischen Völker, die damals wie Wellen des Meers, wie Eisschollen oder Wallfische in großer Bewegung waren, hatten Gesänge, in denen das Leben ihrer Väter, die Thaten derselben, ihr Mut und Herz lebte. So zogen sie nach Süden, und nichts konnte ihnen widerstehen: sie fochten mit Gesange wie mit dem Schwert. (…) Daß Rom über Deutschland nichts vermochte, haben wir ihren Helden und Barden zu danken: dem Schlacht- und Freiheitsgesange, der zwischen den Schilden ihrer Väter tönte. O hätten wir diese Gesänge noch, oder fänden wir sie wieder!”

  88. Mario Rainer Lepsius, “Nation und Nationalismus in Deutschland”, in: Ders., Interessen, Ideen und Institutionen, Opladen 1990, 232–46 (=Grenzfälle. Über neuen und alten Nationalismus, hsg. von Michael Jeismann und Henning Ritter, Leipzig 1993, 193–214), dort 233, 235, 239.

  89. Zur Bedeutung der Germania des Tacitus für das nationale Selbstverständnis der Deutschen vgl. oben Anm. 26. Zur Schlacht im Teutoburger Wald und der daran anknüpfenden Erinnerungstradition jetzt Simon Schama, Landscape and Memory, London 1995, dort das Kapitel “Wood”, insbesondere die Abschnitte “Blood in the Wood” und “Arminius redivivus” auf den Seiten 81–120 (“In Germany … the forest primeval was the site of tribal self-assertion against the Roman empire of stone and law” [15]. Darauf läßt sich auch die Namenswahl des Dichterbunds des Göttinger Hains beziehen).

  90. Ich zitiere hier nur die ersten zwei Zeilen des zuerst 1771 in der Hamburger Neuen Zeitung gedruckten Epigramms “Unsere Sprache”: “Daß keine, welche lebt, mit Deutschlands Sprache sich/In den zu kühnen Wettstreit wage!” (Epigramm Nr. 68, in: Klopstock, Sämmtliche Werke, Leipzig 1834, Bd. 5, 325=Werke und Briefe. Historisch-kritische Ausgabe, begründet von A. Beck, K. L. Schneider, H. Tiemann, hsg. von H. Gronemeyer u.a., Abt. Werke II: Epigramme. Text und Apparat hsg. von K. Hurlebusch, Berlin und New York 1982, Nr. 50, S. 20). Zur entsprechenden Auffassung bei Stolberg s. oben S. 223 mit Anm. 80.

  91. Vgl. Elke Emrich, “Der janusköpfige Deutsche. Zum Nationalen Selbstverständnis in der deutschen Literatur von Herder bis Nietzsche (1770–1870)”, in: Europa und das nationale Selbstverständnis. Imagologische Probleme in Literatur, Kunst und Kultur des 19. und 20. Jahrhunderts (=Aachener Beiträge zur Komparatistik, Bd. 8), hsg. von Hugo Dyserinck und Karl Ulrich Syndram, Bonn 1988, 147–69, dort 155.—Das aggressive Auftreten nach außen scheint mit dem Übergang von der ständischen zur bürgerlichen Gesellschaft zusammenzuhängen. Die Soziologen Bernhard Giesen und Kay Junge sehen in der moralischen Abwertung des Fremden eine Verhaltensweise, die charakteristisch ist für die im 18. Jahrhundert entstehenden Vereine, in denen sich die heraufkommende bürgerliche Gesellschaft ihrer selbst bewußt wurde. “Die institutionelle Verfassung der patriotischen Vereine, der Lesekreise und Aufklärungszirkel des 18. Jahrhunderts läßt sich durch eine (…) geringe Innendifferenzierung und eine dieser entsprechende Tendenz zur Ausgrenzung kennzeichnen. Diese Merkmale geben dem Vereinswesen deshalb eine den Sekten ähnliche Dynamik” (Bernhard Giesen/Kay Junge, “Vom Patriotismus zum Nationalismus. Zur Evolution der ‘Deutschen Kulturnation’”, in: Nationale und kulturelle Identität. Studien zur Entwicklung des kollektiven Bewußtseins in der Neuzeit [=Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft 940], hsg. von Bernhard Giesen, Frankfurt am Main, 3. Aufl., 1996 [1991], 255–303, dort 271).

  92. Vgl. z. B. Stolbergs Zeilen: “Ich bin ein Deutscher (…)/fühlte die erbliche Tugend/in den Jahren des Kindes schon” (s. oben S. 221 mit Anm. 77) oder Klopstocks Gedicht “Vaterlandslied”, gegen dessen offenen Nationalismus sich Lichtenberg wendet (s oben S. 214 mit Anm. 58).

  93. Herder bemerkt zur Ambivalenz der im Enthusiasmus angelegten Möglichkeiten: “Ohne Begeisterung schlafen die besten Kräfte unseres Gemüts… Es ist ein Zunder in uns, der Funken will; eine ideen- und tatengebärende Kraft, die, wenn sie nicht recht befruchtet wird, Ungeheuer gebiert” (Adrastea, Sämmtliche Werke [wie Anm. 38], hsg. von Bernhard Suphan, Bd. 24 [1886, Nachdr. 1967], 151).—Vgl. auch Anm. 72. Stolbergs Gedicht.

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Bearbeitete Fassung eines Vortrags gehalten auf der dritten Tagung der International Society for the Classical Tradition (ISCT) vom 8. bis 12 März 1995 in Boston. Für förderliche Kritik und Literaturhinweise inbesondere aus dem angelsächsischen Bereich schulde ich dem Herausgeber Wolfgang Haase besonderen Dank.

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Lohse, G. Die Homerrezeption im “Sturm und Drang” und deutscher Nationalismus im 18. Jahrhundert. Int class trad 4, 195–231 (1997). https://doi.org/10.1007/s12138-997-0002-x

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