1 Einleitung

Schüler*innen verbringen einen großen Teil ihres Alltags in der Schule oder mit schulbezogenen Aktivitäten (Böhm-Kasper 2004; Blumentritt et al. 2014; Tillmann 2010). Die Institution Schule ist daher ein wichtiger Lern- und Lebensraum, welcher Auswirkungen auf die Gesundheit und das Wohlbefinden der Schüler*innen hat (Bilz und Hähne 2006). Im Sinne der Selbstbestimmungstheorie der Motivation (Ryan und Deci 2017) wird der Erfolg schulischen Lernens wesentlich davon beeinflusst, inwieweit den Schüler*innen die Befriedigung der drei psychologischen Grundbedürfnisse nach Autonomie, Kompetenz und sozialer Eingebundenheit ermöglicht wird. Schulen sind allerdings häufig bedürfnisfrustrierend ausgerichtet (Reeve und Assor 2011; Ryan und Deci 2016) und es hält sich bei Lehrpersonen die Überzeugung, dass Druck und Kontrolle als externale Anreize im Unterricht wichtig für den Erfolg schulischer Lernprozesse sind (Martinek 2010; Niemiec und Ryan 2009; Reeve 2009). Erlebter Druck kann sich jedoch negativ auf den Lernprozess auswirken (Reeve 2009; Reeve und Assor 2011; Ryan und Deci 2017). Das Druck- und Belastungserleben von Lehrpersonen erfährt im wissenschaftlichen Diskurs große Beachtung (z. B. Bauer 2019; Martinek 2012; Rothland 2013; Stiller 2015). Obwohl auch Schüler*innen in ihrem Alltag vielfältigen Belastungen ausgesetzt sind (Bilz et al. 2004; Böhm-Kasper 2004; Martinek und Carmignola 2020), gibt es derzeit bis auf wenige Ausnahmen (z. B. Blumentritt et al. 2014; Kuhnke und Reißig 2018; Martinek und Carmignola 2020) nur wenig aktuelle Forschung zum Druckerleben von Schüler*innen. Insbesondere aus Perspektive der Selbstbestimmungstheorie steht eine differenzierende Betrachtung des Druckerlebens von Schüler*innen noch aus (Martinek und Carmignola 2020). Außerdem existiert unseres Wissens kein Messinstrument im Sinne der Selbstbestimmungstheorie, das die verschiedenen potenziell druckausübenden Faktoren im Fachunterricht differenziert erfasst. Messinstrumente wie das international weit verbreite „Intrinsic Motivation Inventory“ (IMI; McAuley et al. 1989) erfassen zwar ein situationsspezifisches Druck- und Anspannungserleben, differenzieren dieses jedoch nicht weiter aus. Die für Schüler*innen bedeutsamen Belastungsquellen zu identifizieren und erfassen zu können ist aber ein wichtiger Schritt, um zum einen Konsequenzen zur Gestaltung eines bedürfnissensiblen Unterrichts und zum anderen spezifische Maßnahmen zur Förderung von Problemlöse- und Bewältigungsstrategien ableiten zu können. Verschiedene Studien konnten auf Seiten der Lehrpersonen zeigen, dass sich erlebter Druck im Beruf negativ auf die Befriedigung der psychologischen Grundbedürfnisse auswirkt (Bartholomew et al. 2014; Martinek 2012; Taylor et al. 2008). Ziel dieses Beitrags ist es, in einem Zwei-Studien-Design ein Messinstrument zur Erfassung des Druckerlebens von Schüler*innen zu evaluieren (Studie 1). Dieses Messinstrument wird dann in einem zweiten Schritt anhand einer weiteren Stichprobe überprüft, um darauf aufbauend die Beziehung zwischen dem Druckerleben und der Befriedigung der psychologischen Grundbedürfnisse zu untersuchen (Studie 2).

2 Theorie und Forschungsstand

2.1 Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation

Die Selbstbestimmungstheorie der Motivation (SBT; Ryan und Deci 2017) ist eine psychologische Basistheorie, welche sich im Kontext schulischer Bildungsprozesse mit den Bedingungsfaktoren für erfolgreiches und nachhaltiges Lernen auseinandersetzt. Gemäß dieser Theorie ist allen Menschen Neugier und ein intrinsisches Bestreben zu Lernen inhärent (Ryan und Deci 2002, 2017). Dieses natürliche Bestreben stellt im schulischen Kontext eine bedeutsame Ressource dar (Niemiec und Ryan 2009), welche durch die schulischen Bedingungen und die konkrete Gestaltung der Lernangebote entweder gefördert oder unterminiert werden kann (Ryan und Deci 2017). Als zentrale Voraussetzung für erfolgreiche Lernprozesse führt die SBT die Befriedigung von drei psychologischen Grundbedürfnissen nach Autonomie, Kompetenz und sozialer Eingebundenheit an. Im Hinblick auf den Schulkontext, beschreibt das Bedürfnis nach Autonomie das Bestreben von Schüler*innen sich selbst als Urheber der eigenen Handlungen wahrzunehmen (deCharms 1968; Ryan und Deci 2017). Handlungen werden dabei nicht als aufgezwungen oder fremdbestimmt erlebt, sondern werden aus eigenem Antrieb aufgenommen (Ryan und Deci 2017). Entscheidend ist hier der Grad der Übereinstimmung der eigenen Ziele und Wünsche mit den Erwartungen, die von außen an die Schüler*innen herangetragen werden (Krapp und Ryan 2002). Eng mit dem Autonomieerleben verknüpft, ist das Bedürfnis nach Kompetenz (Ryan und Deci 2017). Schüler*innen streben beim Lernen danach, sich selbst als effektiv, wirksam und fähig zu erleben (Ryan und Deci 2002). Voraussetzung für das Erleben von Kompetenz ist ein Gleichgewicht zwischen den Anforderungen der Aufgabe und den individuellen Fähigkeiten (Ryan und Deci 2002). Das Kompetenzerleben ist somit immer kontextspezifisch und direkt mit der Anforderungsstruktur des Unterrichts verbunden. Als drittes psychologisches Grundbedürfnis identifizieren Ryan und Deci (2017) den Wunsch nach sozialer Eingebundenheit. So ist es für Schüler*innen von Bedeutung, sich von den Mitgliedern in ihrer direkten Umwelt umsorgt zu fühlen und als bedeutsamer Teil der Klassengemeinschaft zu erleben (Ryan und Deci 2017). Soziale Faktoren, wie beispielsweise Unterstützung durch Lehrpersonen oder Peers, können das Erleben sozialer Eingebundenheit positiv beeinflussen, während Konkurrenz, Mobbing und soziale Ausgrenzung einen negativen Einfluss auf dieses Erleben haben (Ryan und Deci 2017).

Eine Lernumgebung, welche es den Schüler*innen ermöglicht, sich als autonom, kompetent und sozial eingebunden zu erleben, hat positive Auswirkungen auf die selbstbestimmte Motivation von Schüler*innen und in der Folge auch auf ihr Engagement und ihre Leistung (Niemiec und Ryan 2009; Ryan und Deci 2016). Eine bedürfnisfrustrierende Lernumgebung hingegen begünstigt fremdbestimmte Motivationsqualitäten, die sich wiederum negativ auf den Lernerfolg auswirken können (Assor et al. 2005; Niemiec und Ryan 2009; Ryan und Deci 2016). Ein zentrales Kennzeichen bedürfnisfrustrierender Lernumgebungen ist das Erleben von Druck und Kontrolle (Niemiec und Ryan 2009; Reeve und Assor 2011; Ryan und Deci 2017). Druck empfinden Schüler*innen beispielsweise dann, wenn die an sie gestellten Anforderungen die individuellen Fähigkeiten übersteigen oder als aufgezwungen erlebt werden (Niemiec und Ryan 2009). Fühlen sich Schüler*innen unter Druck, hat dies einen negativen Einfluss auf das Wohlbefinden und das Lernen (Niemiec und Ryan 2009; Ryan und Deci 2016). Eine erste qualitative Befragung von österreichischen Schüler*innen zeigte, dass diese sich durch diverse Faktoren ihres schulischen Umfelds unter Druck gesetzt fühlen (Martinek und Carmignola 2020). Eine systematische Untersuchung des Druckerlebens von Schüler*innen aus Sicht der SBT steht allerdings noch aus. Im Folgenden wird das Druckerleben von Schülerinnen daher in den deutschsprachigen Forschungskontext schulischer Belastungen eingeordnet.

2.2 Das Druck- und Belastungserleben von Schüler*innen

Im Rahmen schulischer Belastungsforschung wird in Anlehnung an das Belastungs-Beanspruchungsmodell (Rohmert und Rutenfranz 1975) häufig eine konzeptionelle Trennung zwischen Belastungen und Beanspruchungen vorgenommen (z. B. Berndt et al. 1982; Böhm-Kasper 2004; Böhm-Kasper und Weishaupt 2002). Unter „Belastungen“ werden in diesem Zusammenhang alle Anforderungen und Einflüsse subsumiert, die in der Schule auf die Schüler*innen einwirken (Böhm-Kasper 2004; Rohmert und Rutenfranz 1975). Kennzeichnend ist hier, dass das subjektive Erleben dieser Einflussfaktoren ausgeklammert wird und eine rein objektive Erfassung der Belastungen im Vordergrund steht (Rohmert und Rutenfranz 1975). Aus der Gesamtheit aller Belastungen, die auf die Schüler*innen einwirken, und den Handlungen, welche als Reaktion auf die verschiedenen Belastungen erfolgen, resultiert immer eine physische und psychische Beanspruchung (Böhm-Kasper 2004; Rohmert und Rutenfranz 1975). Diese Ebene adressiert demnach die individuellen Folgen der Belastungen (Rohmert und Rutenfranz 1975). Schüler*innen sind in ihrem Schulalltag diversen Belastungen ausgesetzt (Martinek und Carmignola 2020), welche in Abhängigkeit zu den individuellen Ressourcen ausgehandelt werden müssen (Böhm-Kasper 2004; Rohmert und Rutenfranz 1975; Rudow 2014). Böhm-Kasper (2004) bezeichnet diesen Aushandlungsprozess als „subjektive Deutung“. Diese intrapersonalen Prozesse verlaufen bei jedem Schüler bzw. jeder Schülerin anders und sind dafür verantwortlich, dass die gleichen Belastungen unterschiedlich wahrgenommen werden und auch zu unterschiedlichen Beanspruchungen führen können (Böhm-Kasper 2004). Entscheidend für diesen Aushandlungsprozess ist, wie die jeweiligen Belastungen empfunden werden, also ob und inwieweit sich Schüler*innen durch die schulischen Belastungen unter Druck gesetzt fühlen. Die subjektive Bewertung von Belastungen wird in dieser Arbeit in Anlehnung an die SBT (Ryan und Deci 2017) als Druckerleben bezeichnet.

Berndt et al. (1982, S. 7) klassifizieren sechs Merkmalsgruppen von Belastungsquellen, von denen sich Schüler*innen in ihrem Schulalltag unter Druck gesetzt fühlen können:

  1. 1.

    Die Anforderungsstruktur des Unterrichts, die sich über den Inhalt und dessen Schwierigkeitsgrad definiert;

  2. 2.

    die zwischen Schüler*innen und Lehrpersonen ablaufenden Interaktionen, die durch ein stark hierarchisches Verhältnis zugunsten der Lehrpersonen gekennzeichnet sind (siehe auch Böhm-Kasper 2004; Tillmann 2010);

  3. 3.

    die Selektionsfunktion der Schule, welche sich in Zensuren, Abschlüssen und den damit verknüpften Berechtigungen manifestiert;

  4. 4.

    die äußeren Schulbedingungen, welche z. B. durch die Gestaltung des Schulgebäudes und der Unterrichtsräume bestimmt werden;

  5. 5.

    den Sportunterricht als Sonderfall mit einem hohen Anteil physischer Belastung und

  6. 6.

    den Schulweg.

Das Erleben von Druck, welches durch verschiedenste schulische Belastungsfaktoren (Berndt et al. 1982; Martinek und Carmignola 2020) hervorgerufen werden kann, ist bedeutsam für die Erlebensqualität (Rudow 2014; Ryan und Deci 2017) und Lernleistung von Schüler*innen (Niemiec und Ryan 2009) und ist daher eine wichtige Zielvariable (fach-)didaktischer Forschung.

2.3 Forschungsstand

2.3.1 Erfassung des Druckerlebens

Im Rahmen der SBT wird empfundener Druck bei einer Tätigkeit zum einen als negativer Prädiktor für intrinsische Motivation (vgl. z. B. IMI, McAuley et al. 1989) und zum anderen als bedürfnisfrustrierender Faktor (Ryan und Deci 2017; siehe auch Bartholomew et al. 2014; Martinek und Carmignola 2020; Reeve und Assor 2011; Taylor et al. 2008) diskutiert. Je nach Kontext werden die Begriffe Druck, Anspannung und erlebte Kontrolle allerdings synonym verwendet beziehungsweise nicht weiter differenziert. Die enge Verbindung zwischen den Konstrukten zeigt sich unter anderem in der von Martinek (2012) genutzten Definition von erlebtem Druck: „Von Druck und in weiterer Folge von Kontrolle spricht man im Zusammenhang dieser Theorie [der Selbstbestimmungstheorie], wenn die natürlichen Bestrebungen des Menschen gehemmt werden und das Denken, das Handeln und die Emotionen ohne Rücksicht auf individuelle Perspektiven in eine erwünschte Richtung verändert werden sollen (Reeve und Assor 2011)“ (S. 26). Des Weiteren wird im IMI (McAuley et al. 1989), einem international weit verbreiteten Messinstrument, Druck und Anspannung („tension/pressure dimension“) gemeinsam in einer Subskala erhoben und nicht weiter differenziert. In einer ersten qualitativen Studie, die sich mit erlebtem Druck in der Schule auseinandersetzt, haben Martinek und Carmignola (2020) österreichische Schüler*innen befragt, durch welche schulischen Belastungsfaktoren sie sich unter Druck gesetzt fühlen. Am häufigsten wurden verschiedene Dimensionen der Leistungsbewertung (schriftliche Leistungsfeststellungen [25,1 %], Schularbeiten [18,9 %], Leistungsbeurteilung [10,1 %], mündliche Leistungsfeststellungen [5,2 %]) genannt. Des Weiteren gaben die Schüler*innen an, sich durch Zeitdruck und Stress beim Lernen (19,1 %) sowie durch die jeweiligen Lehrpersonen (8,4 %) unter Druck gesetzt zu fühlen (Martinek und Carmignola 2020, S. 243). Derzeit ist uns kein Messinstrument bekannt, das diese durchaus diversen schulischen Belastungsfaktoren im Fachunterricht evaluiert und differenziert betrachtet. Auf kontextueller Ebene werden in der schulspezifischen Belastungsforschung häufig Messinstrumente verwendet, welche das Ausmaß individueller Beanspruchungen und deren Bewältigungsstrategien in den Vordergrund stellen. In diesem Zusammenhang werden beispielsweise Indikatoren der Beanspruchung wie Schulzufriedenheit, emotionale Anspannung, die mentale Gesundheit oder psychosomatische Beschwerden adressiert (z. B. Bilz et al. 2004; Böhm-Kasper et al. 2000). Diese sind das Produkt eines komplexen Aushandlungsprozesses unter Berücksichtigung aller auf die Schüler*innen einwirkenden Belastungen (Böhm-Kasper 2004; Rohmert und Rutenfranz 1975). Hierbei wird häufig nicht zwischen unterschiedlichen Belastungsquellen und deren spezifischer Bedeutung sowie unterschiedlichen Schulfächern differenziert.

2.3.2 Das Druckerleben und die Befriedigung der psychologischen Grundbedürfnisse

Empirische Befunde über die Wechselwirkungen zwischen dem Druckerleben und lernrelevanten Variablen wie der Befriedigung der psychologischen Grundbedürfnisse sowie selbstbestimmter Motivationsqualitäten liegen derzeit spezifisch für Schüler*innen kaum vor. Dies zeigt sich ebenfalls im deutschsprachigen Belastungsdiskurs. Während das Druck- und Belastungserleben von Lehrpersonen bisher große theoretische und empirische Beachtung gefunden hat (z. B. Bauer 2019; Klusmann et al. 2006; Rothland 2013; Stiller 2015), gestaltet sich der Forschungsstand für Schüler*innen eher dürftig (z. B. Blumentritt et al. 2014; Kuhnke und Reißig 2018), ist vergleichsweise alt (z. B. Berndt et al. 1982; Böhm-Kasper 2004; Böhm-Kasper et al. 2001; Seiffge-Krenke 2006) oder bezieht sich spezifisch auf eine bestimmte Gruppe wie beispielsweise Jugendliche mit deviantem Verhalten (z. B. Rauber et al. 2012). Insbesondere aus der Perspektive der SBT gibt es derzeit deutlich mehr Befunde zum Druckerleben von Lehrpersonen und dessen Auswirkungen, z. B. auf das Lehrverhalten (Bartholomew et al. 2014; Martinek 2010, 2012, 2018; Pelletier et al. 2002; Pelletier und Sharp 2009; Taylor et al. 2008), als von Schüler*innen (Martinek und Carmignola 2020). Es ist allerdings zu vermuten, dass ähnliche Mechanismen auch bei Schüler*innen wirksam sind. Auf Seiten der Lehrpersonen konnten verschiedene Studien zeigen, dass sich erlebter Druck im Beruf negativ auf die Befriedigung der psychologischen Grundbedürfnisse auswirkt (Bartholomew et al. 2014; Pelletier und Sharp 2009; Taylor et al. 2008). Eine Studie von Martinek (2012) zeigt weiterführend, dass für Lehrpersonen verschiedene Dimensionen des Druckerlebens (z. B. Leistungsbewertung, Arbeitsaufwand, Zusammenarbeit mit Eltern) faktorenanalytisch voneinander unterschieden werden können. Diese Faktoren korrelieren je nach Ursprung des Drucks unterschiedlich stark mit dem Ausmaß der wahrgenommenen Bedürfnisbefriedigung (Martinek 2012, S. 30). Diese Befunde deuten darauf hin, dass eine mehrdimensionale Betrachtung des Druckerlebens notwendig ist.

2.4 Übergeordnetes Forschungsinteresse

Der vorliegende Forschungsstand eröffnet somit zwei bedeutsame Forschungsdesiderata: Zum einen fehlt ein Messinstrument, das die verschiedenen potenziell druckausübenden Belastungen des Unterrichts von Schüler*innen erfasst. Des Weiteren ist davon auszugehen, dass sich erlebter Druck je nach Kontext (z. B. bedingt durch die Anforderungsstruktur des Unterrichts oder durch die Beziehung zur Lehrperson, vgl. Berndt et al. 1982; Böhm-Kasper 2004) unterschiedlich auf die Befriedigung der psychologischen Grundbedürfnisse auswirkt. Eine entsprechende Untersuchung des Druckerlebens von Schüler*innen aus Sicht der SBT gibt es bislang nicht. In einem Zwei-Studien-Design wurden diese Desiderata betrachtet. Im Rahmen der ersten Studie wurde ein Messinstrument, welches verschiedene Dimensionen des Druckerlebens von Schüler*innen der Sekundarstufe II erfasst, entwickelt und explorativ hinsichtlich seiner Faktorenstruktur überprüft. In einer zweiten Studie wurde das zuvor überprüfte Messinstrument eingesetzt, um die Beziehung zwischen erlebtem Druck im Fachunterricht und der Befriedigung der psychologischen Grundbedürfnisse von Schüler*innen zu untersuchen.

3 Studie I: Dimensionen des Druckerlebens

3.1 Hypothese

Das Druck- und Belastungserleben von Schüler*innen kann auf verschiedene Arten evaluiert werden. Die meisten Messinstrumente sind allerdings output-orientiert und erfassen ein globales Beanspruchungsempfinden (vgl. z. B. Böhm-Kasper et al. 2000; Kuhnke und Reißig 2018) oder ein undifferenziertes, situationsspezifisches Druck- und Anspannungserleben (vgl. z. B. IMI, McAuley et al. 1989). Spezifisch für den Fachunterricht existiert derzeit kein Erhebungsinstrument, das die verschiedenen potenziell druckausübenden Faktoren auf kontextueller Ebene evaluiert und klassifiziert. Eine vergleichbare Befragung von Lehrpersonen zeigt, dass entsprechend der jeweiligen Quellen verschiedene Dimensionen berufsspezifischen Drucks voneinander zu unterscheiden sind (Martinek 2012, 2018). Es ist daher davon auszugehen, dass das Druckerleben auch bei Schüler*innen ein multidimensionales Konstrukt ist. Die der ersten Studie zugrundeliegende Hypothese lautet daher:

H1

Es können verschiedene Dimensionen des Druckerlebens faktorenanalytisch voneinander getrennt werden.

3.2 Methodik

3.2.1 Stichprobe

Im Rahmen der ersten Studie nahmen 369 Schüler*innen (MAlter = 16,37 Jahre, SDAlter = 0,98 Jahre, 57 % weiblich) der Sekundarstufe II von insgesamt drei verschiedenen Gymnasien in Nordrhein-Westfalen an einer Querschnittsbefragung über ihren Biologieunterricht teil. Innerhalb der Qualifikationsstufen I und II haben insgesamt 85 % der Schüler*innen einen Grund- und 15 % einen Leistungskurs besucht. Insgesamt haben 18 Biologiekurse an der Befragung teilgenommen. Die Erhebung fand dabei in der Regel innerhalb einer Woche statt, in der alle verfügbaren Kurse im Rahmen ihres regulären Biologieunterrichts mit Hilfe eines standardisierten Fragebogens befragt wurden. In Ausnahmefällen haben einzelne Kurse aufgrund anstehender Klausuren nicht teilgenommen. Dies betraf insbesondere Kurse der Qualifikationsstufe II. Die Befragungen fanden in der Zeit von Juni 2017 bis November 2017 statt.

3.2.2 Messinstrumente

Das kontextspezifische Druckerleben (S‑Druckerleben) von Schüler*innen im Fachunterricht wurde mit Hilfe einer fünfstufigen Ratingskala erfasst. Die Struktur des Messinstrumentes orientiert sich an der Skala L_Druck von Martinek (2012, S. 36), welche in der ursprünglichen Version das Druckerleben von Lehrpersonen hinsichtlich verschiedener Belastungsfaktoren erfasst. Die Fragebogenstruktur wurde übernommen und an die spezifischen Bedingungen des Fachunterrichts von Schüler*innen angepasst. Items, die unverändert auf die Schüler*innen übertragen werden konnten (z. B. „Zeitaufwand für Vor- und Nachbereitung“, „Arbeitsaufwand am Wochenende“; Martinek 2012, S. 36 f.), wurden beibehalten. Zudem wurden die Aspekte ergänzt, welche österreichische Schüler*innen in einer qualitativen Befragung von Martinek und Carmignola (2020) als unter Druck setzend aufgeführt haben. Da diese aber nur bedingt auf das deutsche Schulsystem übertragbar sind, wurden insbesondere die Items zu den Prüfungsformaten basierend auf den üblichen Verfahren zur Leistungsüberprüfung angepasst (APO–SI § 6 (1) (2) (3)). Die Items, welche sich im Originalfragebogen auf die Beziehung zwischen den Lehrpersonen und ihren Vorgesetzten beziehen, wurden auf die Interaktion zwischen Schüler*innen und ihren Lehrpersonen angepasst. Alle Items wurden anschließend in einer Expert*innenrunde aus Fachdidaktiker*innen und SBT-Forscher*innen bewertet (Bühner 2011).

Die Schüler*innen wurden durch die folgende Aufforderung gebeten, verschiedene Belastungsfaktoren zu bewerten: „Fühlen Sie sich durch folgende Situationen im Biologieunterricht unter Druck gesetzt?“. Die darauffolgend aufgeführten Einzelitems repräsentieren verschiedene potenziell unter Druck setzende Belastungsfaktoren wie beispielsweise die mündliche Mitarbeit, Erwartungen der Lehrperson, Hausaufgaben oder Klausuren. Diese wurden von den Schüler*innen auf einer verbalen bipolaren Ratingskala (0 = „Setzt mich nicht unter Druck“ bis 4 = „Setzt mich sehr stark unter Druck“) bewertet.

3.2.3 Statistische Auswertung

Zur Überprüfung der Faktorenstruktur des entwickelten Messinstruments wurde mit IBM SPSS-Statistics (Version 27) eine explorative Faktorenanalyse (EFA) durchgeführt. Da sich mögliche Subskalen des Druckerlebens gegenseitig beeinflussen können, wurde ein obliques Rotationsverfahren gewählt (oblimin; Field 2018). Weil eine eindeutige Zuordnung der Items „Schwierigkeitsgrad der Themen“ (Item 4), „Menge an Themen“ (Item 5), „freiwillige Leistungen“ (Item 6) und „Konkurrenz im Kurs“ (Item 13) aufgrund substanzieller Ladungen (größer als 0,4, vgl. Field 2018) auf mehrere Faktoren nicht möglich war, wurden diese Items schrittweise entfernt. Im Anschluss an die EFA wurden die extrahierten Faktoren hinsichtlich ihrer internen Konsistenz überprüft (Bühner 2011; Field 2018).

3.3 Ergebnisse

Die Ergebnisse der EFA inklusive der deskriptiven Kennwerte sind Tab. 1 zu entnehmen. Nach Entfernung einzelner Items konnten drei Faktoren, Druck durch zeitliche Anforderungen, Druck durch Leistungsanforderungen und Druck durch die Lehrperson, extrahiert werden.

Tab. 1 Zusammenfassung der explorativen Faktorenanalyse. Dargestellt sind die Items und deren Nummerierung entsprechend der Reihenfolge im Originalfragebogen, die Mittelwerte [M], die Standardabweichung [SD], die Trennschärfe [rit] und die jeweiligen Faktorladungen

Durch die Drei-Faktoren-Lösung können 54,73 % der vorgefundenen Varianz erklärt werden. Der Bartlett-Test auf Spharizität ist signifikant (χ2 = 967,83, df = 78, p < 0,001) und auch der Kaiser-Meyer-Olkin-Koeffizient liegt in einem guten Bereich (KMO = 0,84, ‚Meritorious‘ nach Kaiser und Rice 1974). Dies bestätigt, dass die zugrundeliegenden Daten für die Durchführung einer Faktorenanalyse geeignet sind. Die drei ermittelten Faktoren weisen eine zufriedenstellende interne Konsistenz (siehe Tab. 2) auf (DeVellis 2012). Außerdem korrelieren alle drei Faktoren signifikant miteinander (siehe Tab. 2).

Tab. 2 Deskriptive Statistik, interne Konsistenz und Interskalenkorrelationen. Dargestellt sind die Mittelwerte [M] und deren Standardabweichung [SD], Cronbachs Alpha [α] und die Korrelationskoeffizienten [r]

3.4 Diskussion Studie I

Mit Hilfe der explorativen Faktorenanalyse konnten drei Subdimensionen des Druckerlebens (Druck durch zeitliche Anforderungen, Druck durch Leistungsanforderungen und Druck durch die Lehrperson) extrahiert werden. Die dieser Studie zugrundeliegende Annahme, dass das Druckerleben der Schüler*innen ein mehrdimensionales Konstrukt ist, kann daher bestätigt werden. Um das Risiko, dass es sich lediglich um stichprobenspezifische Befunde handelt (Bühner 2011) reduzieren zu können, sollte die Faktorenstruktur im Rahmen einer weiteren Stichprobe überprüft werden (siehe Studie 2). Auf inhaltlicher Ebene können die drei Faktoren in die bestehenden Ansätze zur schulischen Belastung integriert werden.

Druck durch zeitliche Anforderungen bezieht sich primär auf die subjektive Einschätzung der Schüler*innen bezüglich der zeitlichen Belastung durch Hausaufgaben, die Vor- und Nachbereitung sowie den (daraus resultierenden) Arbeitsaufwand am Wochenende. Hierzu zählt auch der individuell empfundene Zeitdruck. In der Studie von Martinek und Carmignola (2020) haben 19 % der befragten Schüler*innen berichtet, dass sie sich in der Schule von Zeitdruck bedingt durch Termindichte und Prüfungs- bzw. Lernstress unter Druck gesetzt fühlen. Neben den schriftlichen Leistungsfeststellungen war dies die häufigste Nennung für Quellen des Druckerlebens der befragten Schüler*innen (Martinek und Carmignola 2020).

Unter dem Faktor Druck durch Leistungsanforderungen sind die klassischen Formate zur Leistungserbringung (Tests, mündliche Mitarbeit und Klausuren sowie Noten) subsumiert. Die dieser Kategorie zugeordneten Leistungsformate dienen der Berechtigung und Ausführung der schulischen Allokationsfunktion (Fend 2008) und sind demnach der Kategorie „Selektionsfunktion“ schulischer Belastungsmomente (Berndt et al. 1982) zuzuordnen. In Kombination mit der Studie von Martinek und Carmignola (2020), in welcher die verschiedenen Elemente der Leistungserhebung am häufigsten als Ursache für empfundenen Druck in der Schule genannt wurden, betont dies die Bedeutung schulischer Leistungsanforderungen für Schüler*innen.

Die dritte im Rahmen der explorativen Faktorenanalyse extrahierte Dimension Druck durch die Lehrperson adressiert die Ebene der Schüler-Lehrer-Interaktion (Berndt et al. 1982; vgl. auch Böhm-Kasper 2004). Übt eine Lehrperson durch ihr Verhalten Druck auf die Schüler*innen aus, hat dies Auswirkungen auf die Erlebensqualität der Schüler*innen (Ryan und Deci 2017). Verschiedene Studien untersuchen den Einfluss des Verhaltens der Lehrperson auf das Lernen. So hat zum Beispiel autonomieförderliches Lehrverhalten im Vergleich zu kontrollierendem einen positiven Einfluss auf die selbstbestimmte Motivationsqualität (Großmann und Wilde im Druck) und das Engagement (Jang et al. 2016) von Schüler*innen. Kontrollierendes Lehrverhalten wird u. a. durch das Ausüben von Leistungs- und Zeitdruck sowie die Verwendung druckausübender Sprache gekennzeichnet (Reeve 2006, 2009) und ist daher eng mit dem Druckerleben der Schüler*innen verknüpft (Niemiec und Ryan 2009). Kontrollierendem Lehrverhalten wird ein negativer Einfluss auf die Befriedigung der psychologischen Grundbedürfnisse und darüber auch die Motivationsqualität und die Leistung von Schüler*innen zugeschrieben (Assor et al. 2005; Jang et al. 2016; Reeve 2006). Neben dem Verhalten der Lehrperson können jedoch auch die weiteren extrahierten Subdimensionen des Druckerlebens zu einer Frustration der psychologischen Grundbedürfnisse führen (Martinek 2012; Ryan und Deci 2017; Taylor et al. 2008). Die potenziell unter Druck setzenden Belastungen im Alltag von Schüler*innen zu identifizieren und zu überprüfen, inwieweit diese beispielsweise mit der Befriedigung der psychologischen Grundbedürfnisse zusammenhängen, ist ein wichtiger Schritt für die Gestaltung lernförderlicher Unterrichtsangebote.

4 Studie II – Die Auswirkungen des Druckerlebens auf die Befriedigung der psychologischen Grundbedürfnisse

4.1 Hypothesen

Im Rahmen einer ersten Pilotierung konnten für das Messinstrument S‑Druck die drei Subdimensionen Druck durch zeitliche Anforderungen, Druck durch Prüfungsanforderungen und Druck durch die Lehrperson identifiziert werden. Diese Faktorenstruktur sollte anhand einer weiteren Stichprobe überprüft werden.

H2

Die drei Faktoren Druck durch zeitliche Anforderungen, Druck durch Leistungsanforderungen und Druck durch die Lehrperson können faktorenanalytisch voneinander getrennt werden.

Im Sinne der SBT (Ryan und Deci 2017) wird angenommen, dass zwischen erlebtem Druck und der Befriedigung der psychologischen Grundbedürfnisse ein negativer Zusammenhang besteht (siehe auch Bartholomew et al. 2014; Martinek 2012, 2018; Reeve und Assor 2011; Taylor et al. 2008). Studien konnten in diesem Kontext zeigen, dass die verschiedenen Dimensionen des Druckerlebens unterschiedlich stark mit der Bedürfnisbefriedigung korrelieren (Martinek 2012, 2018). Gleichermaßen ist auch anzunehmen, dass bei Schüler*innen differenzielle Beziehungen zwischen diesen Konstrukten existieren.

4.1.1 Druck durch zeitliche Anforderungen

Als Merkmal kontrollierender Lernumgebungen (Reeve 2006) kann das Ausüben von Zeitdruck dazu führen, dass der individuelle Gestaltungsfreiraum der Schüler*innen eingeschränkt und durch externale Anforderungen determiniert wird (Reeve 2006; Ryan und Deci 2017). Stehen diese Anforderungen im Widerspruch zu den individuellen Interessen, kann dies zu einem verminderten Autonomieerleben führen (Ryan und Deci 2002). Des Weiteren kann eine hohe Termindichte und Zeitdruck dazu führen, dass potenziell vorhandene Kompetenzen aufgrund der zeitlichen Belastung nicht ausgedrückt werden können. Dies kann zu einer Frustration des Kompetenzerlebens führen. Gleichsam kann Druck durch zeitliche Anforderungen damit einhergehen, dass Zeitfenster für Interaktionen eingeschränkt und das Erleben sozialer Eingebundenheit beeinträchtigt wird. Für diese Druckdimension sind daher a priori keine differentiellen Effekte zu erwarten.

H3

Druck durch zeitliche Anforderungen ist ein Negativprädiktor des Erlebens von Autonomie (3a), Kompetenz (3b) und sozialer Eingebundenheit (3c).

4.1.2 Druck durch Leistungsanforderungen

Im Sinne der SBT stellen Formen der Leistungsüberprüfung externale Anreizsysteme dar, welche häufig den Wünschen und individuellen Bedürfnissen der Schüler*innen entgegenstehen (siehe auch Hofferber et al. 2018; Niemiec und Ryan 2009; Ryan und Deci 2017). Leistungsüberprüfungen und -rückmeldungen wie Noten können, insbesondere wenn sie kontrollierend eingesetzt werden (siehe z. B. Disziplinierungsfunktion von Noten, Jürgens 2010), die intrinsische Motivation und das Erleben von Autonomie unterminieren (Hofferber et al. 2018; Koestner et al. 1984; Ryan und Deci 2017). Leistungsrückmeldungen besitzen allerdings auch eine Rückmelde- und Überprüfungsfunktion (Jürgens 2010; Koestner et al. 1984; Ryan und Deci 2017). Das Kompetenzerleben bildet sich im Spannungsfeld zwischen dem Anforderungsprofil des Unterrichts, den eigenen Fähigkeiten (Niemiec und Ryan 2009; Ryan und Deci 2017) und den Leistungsrückmeldungen, die an die Schüler*innen herangetragen werden (Nüberlin 2002). Es ist daher davon auszugehen, dass erlebter Druck durch Leistungsanforderungen besonders relevant für das Kompetenzerleben ist. Die hohe institutionelle (Tillmann 2010) und intrapersonale Relevanz (Nüberlin 2002) des schulischen Leistungskonzepts führt allerdings auch dazu, dass ein Großteil schulischer Interaktion dem Leistungs- und Konkurrenzprinzip untergeordnet wird (Tillmann 2010). Dies kann sich negativ auf das Erleben sozialer Eingebundenheit auswirken (Ryan und Deci 2002). Auch wenn Effekte von Druck durch Prüfungsanforderungen auf das Erleben von Autonomie und sozialer Eingebundenheit theoriegeleitet angenommen werden können, ist aufgrund der besonderen Relevanz der Leistungsanforderungen und -rückmeldungen im Zusammenhang mit der wahrgenommenen Kompetenz (Niemiec und Ryan 2009; Nüberlin 2002; Ryan und Deci 2017) von differentiellen Effekten auszugehen.

H4

Druck durch Leistungsanforderungen ist ein Negativprädiktor des Erlebens von Autonomie (4a), Kompetenz (4b) und sozialer Eingebundenheit (4c). Hierbei ist anzunehmen, dass Druck durch Leistungsanforderungen die stärkste Vorhersagekraft hinsichtlich des Kompetenzerlebens hat (4d).

4.1.3 Druck durch die Lehrperson

Im Schulalltag herrscht ein starkes Hierarchiegefälle zwischen Lehrpersonen und ihren Schüler*innen (Tillmann 2010). Schüler*innen können sich in der Schule daher nur innerhalb der institutionell vorgegebenen Rahmenbedingungen entfalten (Böhm-Kasper 2004; Ryan und Deci 2017; Tillmann 2010). Es ist daher davon auszugehen, dass dem Verhalten der Lehrperson eine besondere Bedeutung hinsichtlich des Autonomieerlebens der Schüler*innen zukommt. Des Weiteren obliegt es ebenfalls der Lehrperson, wie Leistungsrückmeldungen eingesetzt (Disziplinierungs- vs. Rückmeldefunktion, siehe z. B. Jürgens 2010; siehe auch Koestner et al. 1984; Ryan und Deci 2017) und gestaltet werden (siehe z. B. Umgang mit Fehlern, Helmke 2017). Folglich kann erlebter Druck durch die Lehrperson das Kompetenzerleben unterminieren. Letztlich prägt die Lehrperson auch das Klassenklima, indem sie beispielsweise Grundregeln des Miteinanders definiert und durchsetzt (siehe z. B. Klassenführung, Helmke 2017). Dies kann das Erleben von sozialer Eingebundenheit beeinflussen. Die soziale Eingebundenheit bildet sich allerdings nicht nur in Interaktion zur Lehrperson, sondern auch (bzw. insbesondere) durch Peer-Beziehungen (Fedesco et al. 2019). Letzteres ist von den Lehrpersonen, auch vor dem Hintergrund des Kurssystems der Oberstufe, nur begrenzt beeinflussbar. Alles in allem sind aufgrund der ungleich höheren Definitionsmacht von Lehrpersonen und der daraus resultierenden Abhängigkeit der Schüler*innen (Tillmann 2010) a priori differentielle Effekte des wahrgenommenen Drucks durch die Lehrperson anzunehmen.

H5

Druck durch das Verhalten der Lehrperson ein Negativprädiktor des Erlebens von Autonomie (5a), Kompetenz (5b) und sozialer Eingebundenheit (5c). Hierbei ist anzunehmen, dass erlebter Druck durch die Lehrperson die stärkste Vorhersagekraft hinsichtlich des Autonomieerlebens hat (5d).

4.2 Methodik

4.2.1 Stichprobe

Aufbauend auf der zuvor dargelegten Studie wurde eine Querschnittserhebung an sieben weiteren Schulen in Nordrhein-Westfalen durchgeführt. Hierfür wurden 39 Biologiekurse mit insgesamt 715 Schüler*innen der Sekundarstufe II (MAlter = 17,30 Jahre, SDAlter = 1,35 Jahre, 68 % weiblich) befragt. Die Studie richtete sich an Schulformen, die eine gymnasiale Oberstufe mit dem Qualifikationsziel „Abitur“ anbieten. Teilgenommen haben insgesamt drei Gymnasien (37 %), zwei Gesamtschulen (36 %), ein Berufskolleg (21 %) und eine Versuchsschule (6 %). Innerhalb der Qualifikationsstufen I und II haben insgesamt 64 % der Schüler*innen einen Grund- und 36 % einen Leistungskurs besucht. Die Befragungen fanden in der Zeit von Dezember 2017 bis Juni 2019 statt.

4.2.2 Messinstrumente

Zur Evaluation des Druckerlebens von Schüler*innen in ihrem Fachunterricht wurde die zuvor überarbeitete Version des Messinstruments S‑Druckerleben eingesetzt. Die drei Subskalen Druck durch zeitliche Anforderungen (4 Items, α = 0,74), Druck durch Leistungsanforderungen (4 Items, α = 0,72) und Druck durch die Lehrperson (4 Items, α = 0,80) weisen eine zufriedenstellende interne Konsistenz auf (DeVellis 2012).

Ergänzend zum Druckerleben wurde die Befriedigung der psychologischen Grundbedürfnisse im Biologieunterricht erhoben. Hierfür wurde eine übersetzte und adaptierte Version der work-related basic need satisfaction scale (W-BNS) von Van den Broeck et al. (2010) verwendet. Diese Skala erfasst mit Hilfe von drei Subskalen das Erleben von Autonomie, Kompetenz und sozialer Eingebundenheit im Biologieunterricht (für Beispielitems siehe zusätzliches Onlinematerial Tab. 1). Die Schüler*innen wurden gebeten, verschiedene Aussagen zu ihrer Selbsteinschätzung im Biologieunterricht auf einer fünfstufigen Ratingskala (0 = „Stimmt gar nicht“ bis 4 = „Stimmt völlig“) zu bewerten. Die einzelnen Subskalen zur wahrgenommenen Autonomie (5 Items, α = 0,78), Kompetenz (5 Items, α = 0,85) und sozialen Eingebundenheit (3 Items, α = 0,76) weisen eine zufriedenstellende interne Konsistenz auf (DeVellis 2012).

4.2.3 Statistische Auswertung

Um die Befunde der ersten Studie zu überprüfen und zu testen, ob das adaptierte Messinstrument auch auf latenter Ebene geeignet ist, die Dimensionen des Druckerlebens von Schüler*innen zu erfassen, wurde eine konfirmatorische Faktorenanalyse (CFA) durchgeführt. Gleichermaßen wurden auch die Skalen zur wahrgenommenen Befriedigung der psychologischen Grundbedürfnisse überprüft.

Zur Überprüfung des Zusammenhangs zwischen den Dimensionen des Druckerlebens und dem Ausmaß der Befriedigung der psychologischen Grundbedürfnisse von Schüler*innen wurde eine Strukturgleichungsmodellierung durchgeführt. Als abhängige Variablen wurden das Erleben von Autonomie, Kompetenz und sozialer Eingebundenheit getestet. Die drei Dimensionen des Druckerlebens (Druck durch zeitliche Anforderungen, Druck durch Leistungsanforderungen und Druck durch die Lehrperson) stellten in diesem Modell die Prädiktoren dar. Die statistische Auswertung erfolgte mit Hilfe der Statistiksoftware MPlus (Version 8.3; Muthén und Muthén 2019). Da eine multivariate Normalverteilung nicht für alle Variablen gewährleistet werden konnte, wurden robuste Schätzwerte (MLR) für die Analyse genutzt (Geiser 2010; Steinmetz 2015). Des Weiteren wurde die genestete Struktur der Daten berücksichtigt. Geclusterte Daten können die Schätzung der Standardfehler der jeweiligen Regressionskoeffizienten beeinflussen und damit zu verzerrten Signifikanztestungen führen (Geiser 2010; McNeish et al. 2017). Da für die Einzelitems Intraklassenkorrelationen bis zu 0,18 (siehe Tab. 1 und 2 des zusätzlichen Onlinematerials) vorliegen, wurde eine populations-gemittelte Methode (population-averaged method) ausgewählt, bei der clusterrobuste Standardfehler verwendet werden (McNeish et al. 2017). Des Weiteren wurde der potenzielle Einfluss von personenbezogenen Merkmalen wie Alter und Geschlecht kontrolliert, indem diese als zusätzliche Prädiktoren in das Strukturmodell integriert wurden. Zum Umgang mit fehlenden Werten wurde die MPlus Standardeinstellung (Muthén und Muthén 2017) beibehalten, bei der einzelne fehlende Werte auf Grundlage des „Full Information Likelihood“ Verfahrens geschätzt werden (Geiser 2010).

4.3 Ergebnisse

4.3.1 Ergebnisse der konfirmatorischen Faktorenanalyse

Die in der ersten Studie ermittelte Drei-Faktoren-Struktur konnte auch im Rahmen einer zusätzlichen, unabhängigen Stichprobe repliziert werden. Da Chi-Quadrat-Tests bei großen Stichproben, wie der in dieser Studie vorliegenden, besonders sensibel sind (z. B. Hooper et al. 2008), sollten zur Bewertung der Modellgüte weitere Fit Indizes herangezogen werden. Aus diesem Grund wurden RMSEA, CFI, TLI und SRMR mit einbezogen (Hooper et al. 2008). Anhand dieser Werte ist der Modellfit als zufriedenstellend (CFI = 0,93; TLI = 0,91; RMSEA = 0,06; SRMR = 0,05; χ2 = 231,592, df = 62, p < 0,001) zu bewerten (vgl. Bühner 2011; Field 2018; Hooper et al. 2008). Das Messmodell zum Druckerleben ist in Abb. 1 dargestellt.

Abb. 1
figure 1

Messmodell der Skala S‑Druckerleben mit standardisierten Regressionsgewichten. Die Bezeichnung der einzelnen Items entspricht der Nummerierung in Tab. 2

Auch die Faktorenstruktur für die Skala zur wahrgenommenen Befriedigung der psychologischen Grundbedürfnisse konnte theorie- (Ryan und Deci 2017) und empiriekonform (Van den Broeck et al. 2010) bestätigt werden. Die CFA zeigt auch hier einen zufriedenstellenden Modell-Fit (CFI = 0,93; TLI = 0,91; RMSEA = 0,05; SRMR = 0,04; χ2 = 183,77, df = 62, p < 0,001). Das Messmodell zur Skala der wahrgenommenen Bedürfnisbefriedigung ist in Abb. 2 dargestellt. Die beiden CFAs zeigen, dass die genutzten Messinstrumente für Strukturgleichungsmodellierungen auf latenter Ebene geeignet sind. Dies ist eine wichtige Voraussetzung für die Durchführung einer Strukturgleichungsmodellierung (Steinmetz 2015).

Abb. 2
figure 2

Messmodell der Skala zur wahrgenommenen Befriedigung der psychologischen Grundbedürfnisse mit standardisierten Regressionsgewichten

4.3.2 Ergebnisse des Strukturgleichungsmodells

In einem letzten Analyseschritt wurden die beiden zuvor auf latenter Ebene überprüften Konstrukte in einem Strukturgleichungsmodell zusammengeführt. Die deskriptive Statistik und die Interskalenkorrelationen sind Tab. 3 zu entnehmen.

Tab. 3 Deskriptive Statistik und Interskalenkorrelationen. Dargestellt sind die Mittelwerte [M] und deren Standardabweichung [SD] sowie die Korrelationskoeffizienten [r]

Mittels multivariater Regressionsanalyse wurde geprüft, welchen Einfluss die jeweiligen Subdimensionen des Druckerlebens auf die Befriedigung der psychologischen Grundbedürfnisse nach Autonomie, Kompetenz und sozialer Eingebundenheit haben. Auch dieses Modell zeigt einen zufriedenstellenden Modell-Fit (CFI = 0,93; TLI = 0,92; RMSEA = 0,05; SRMR = 0,05; χ2 = 816,28, df = 377, p < 0,001). Der Anteil aufgeklärter Varianz unterscheidet sich dabei zwischen den jeweiligen abhängigen Variablen. Die Zusammenhänge zwischen den drei Dimensionen des Druckerlebens und der Befriedigung der psychologischen Grundbedürfnisse sind in Abb. 3 dargestellt.

Abb. 3
figure 3

Multivariates Regressionsmodell. Dargestellt sind ausschließlich signifikante Pfade (mind. p < 0,05) und deren standardisierte Regressionsgewichte

Das Autonomieerleben (R2 = 0,49) wird signifikant durch das Erleben von Druck durch zeitliche Anforderungen und Druck durch die Lehrperson vorhergesagt. Für das Kompetenzerleben (R2 = 0,33) konnten das Erleben von Druck durch Leistungsanforderungen und Druck durch die Lehrperson als signifikante Prädiktoren identifiziert werden. Die abhängige Variable soziale Eingebundenheit (R2 = 0,12) weist im Vergleich zu den anderen abhängigen Variablen einen niedrigeren Anteil aufgeklärter Varianz auf und wird nur durch das Erleben von Druck durch zeitliche Anforderungen vorhergesagt.

Zusätzlich zu diesen theoretisch legitimierten Pfaden wurden Alter und Geschlecht als Kontrollvariablen in das Modell integriert. In diesem Kontext konnte das Alter als signifikanter Prädiktor des Erlebens sozialer Eingebundenheit (𝛽 = −0,17, p < 0,001) und das Geschlecht als signifikanter Prädiktor des Autonomieerlebens (𝛽 = −0,13, p < 0,001) identifiziert werden. Zwischen dem Geschlecht und dem Erleben von Kompetenz (𝛽 = 0,07, p = 0,071) und sozialer Eingebundenheit (𝛽 = −0,01, p = 0,745) sowie zwischen dem Alter und dem Erleben von Autonomie (𝛽 = −0,03, p = 0,473) und Kompetenz (𝛽 = −0,06, p = 0,201) konnte in dieser Studie kein signifikanter Zusammenhang bestätigt werden.

4.4 Diskussion Studie II

Zum einen zeigen die Ergebnisse dieser Studie, dass die in Studie 1 ermittelte Faktorenstruktur repliziert werden kann. Weiterführend zeigt das Strukturmodell, dass zwischen dem erlebten Druck und der Befriedigung der psychologischen Grundbedürfnisse nach Autonomie, Kompetenz und sozialer Eingebundenheit ein negativer Zusammenhang besteht. Dabei ist hervorzuheben, dass die verschiedenen Druckdimensionen die Befriedigung der psychologischen Grundbedürfnisse im Biologieunterricht unterschiedlich prädizieren.

Druck durch zeitliche Anforderungen (H3) steht in einer negativen Beziehung zum Erleben von Autonomie (H3a) und sozialer Eingebundenheit (H3c). Das Aufbauen von Zeitdruck ist ein Merkmal kontrollierender Lernumgebungen, die sich negativ auf das Erleben von Autonomie auswirken können (Reeve 2006). Die Anforderungsstruktur und konkrete Ausgestaltung des Unterrichts determinieren, über die Menge der Hausaufgaben, den Zeitaufwand für die Vor- und Nachbereitung und den Arbeitsaufwand an den Wochenenden, die Zeit inner- und auch außerhalb des Unterrichts. Dies beschränkt die Gestaltungsfreiräume der Schüler*innen und greift in ihre Freizeit ein. Stehen die schulischen Anforderungen im Widerspruch zu den Interessen und Wünschen der Schüler*innen, kann dies zu einer Frustration des Autonomiebedürfnisses führen (Ryan und Deci 2017). Da in der SBT eine gegenseitige Abhängigkeit der Bedürfnisse nach Autonomie und Kompetenz angenommen wird, sollten sich ähnliche Befunde auch für das Grundbedürfnis nach Kompetenz zeigen (vgl. Krapp 2005; Ryan und Deci 2017). Eine negative Beziehung zum Kompetenzerleben (H3b) konnte jedoch nicht nachgewiesen werden. Dies könnte daran liegen, dass enge Zeitvorgaben zwar als unter Druck setzend empfunden werden können, diese aber gleichzeitig den Arbeitsprozess strukturieren. Struktur ist wichtig für das Erleben von Kompetenz (Ryan und Deci 2017), was dazu führen könnte, dass Druck durch zeitliche Anforderungen das Kompetenzerleben der Schüler*innen nicht unterminiert. Druck durch zeitliche Anforderungen steht in einer negativen Beziehung zum Erleben sozialer Eingebundenheit. Dies könnte daran liegen, dass mit hohem empfundenen Zeitdruck auch die Zeitfenster, die für soziale Interaktionen zur Verfügung stehen, eingeschränkt oder als qualitativ weniger hochwertig empfunden werden.

Druck durch Leistungsanforderungen (H4) ist ein Negativprädiktor des Kompetenzerlebens (H4b) der Schüler*innen im Fachunterricht, nicht aber des Erlebens von Autonomie (H4a) und sozialer Eingebundenheit (H4c). Dies ist insofern überraschend, als dass die Schulpflicht aber auch sämtliche Formen der Leistungsüberprüfung kennzeichnend für den Zwangscharakter der Institution Schule sind (Tillmann 2010) und damit zu einer Frustration des Autonomiebedürfnisses der Schüler*innen führen können (Reeve und Assor 2011; Ryan und Deci 2017). Dies konnte im Modell der vorliegenden Studie allerdings nicht bestätigt werden. Ein Grund hierfür könnte sein, dass viele Schüler*innen die Sinnhaftigkeit der an sie gestellten Leistungsanforderungen und die institutionellen Rahmenbedingungen der Schule nicht hinterfragen, sondern im Gegenteil von dessen Notwendigkeit überzeugt sind (Nüberlin 2002). Die positive Bewertung schulischer Charakteristika im Hinblick auf beispielsweise Prüfungen, Zeitdruck und Konkurrenz sowie die Bedeutung, die dem schulischen Erfolg für die eigene berufliche Zukunft zugeschrieben wird (Nüberlin 2002; siehe auch Köhler et al. 2017), deutet darauf hin, dass die dem Leistungskonzept zugrundeliegenden Anforderungen in das Normen- und Wertesystem der Schüler*innen integriert wurden. Nach Nüberlin (2002) sind die schulischen Leistungsanforderungen eine wichtige Einfluss- und Vergleichsgröße für die Entwicklung des Selbstkonzepts der Schüler*innen. Die Integration von external an ein Individuum herangetragenen Normen und Werten wird gemäß der SBT als Internalisierung bezeichnet (Ryan und Deci 2002, 2017). Führt dies dazu, dass Verfahren zur Leistungsüberprüfung und Notengebung von den Schüler*innen als wichtig erachtet werden (Nüberlin 2002), können Diskrepanzen zwischen den individuellen Wünschen und den von außen herangetragenen Anforderungen abgemildert werden (Ryan und Deci 2002, 2017). Ein hoher Grad an Internalisierung führt somit dazu, dass das Erleben von Autonomie trotz hoher Leistungsanforderungen, die durchaus als Druck ausübend empfunden werden können (siehe Martinek und Carmignola 2020), gewährleistet werden kann (Ryan und Deci 2017). Eine Integration des Leistungsprinzips in das Selbstkonzept der Schüler*innen führt jedoch im Umkehrschluss auch zwangsläufig dazu, dass Notenrückmeldungen und Prüfungsanforderungen eng mit dem Kompetenzerleben verknüpft sein müssen. Wird das Leistungsprinzip als wichtig konstruiert (Nüberlin 2002), wird dieses auch zum Maßstab anhand dessen die eigene Leistung eingeschätzt wird. Als zentrales Element des individuellen Selbstkonzepts steht dies in einem reziproken Verhältnis zum kontextspezifischen Kompetenzerleben der Schüler*innen (Dickhäuser 2006).

Zuletzt konnte im Rahmen dieser Studie empfundener Druck durch die Lehrperson (H5) als Prädiktor des Autonomie- (H5a) und Kompetenzerlebens (H5b), nicht aber als Prädiktor des Erlebens von sozialer Eingebundenheit (H5c) bestätigt werden. Die Ergebnisse hinsichtlich des Autonomie- und Kompetenzerlebens sind theoriekonform und betonen die besondere Bedeutung, die der Lehrperson für die Befriedigung der psychologischen Grundbedürfnisse von Schüler*innen zukommt (Ryan und Deci 2017). Des Weiteren hat sich die Vermutung bestätigt, dass Druck durch die Lehrperson die stärkste Vorhersagekraft hinsichtlich des Erlebens von Autonomie besitzt (H5d). Diese Befunde stehen in Einklang mit verschiedenen quasi-experimentellen Studien, in denen der Grad an Autonomie, den die Lehrperson durch ihr Verhalten ermöglicht, variiert wurde (Großmann und Wilde 2020; Hofferber et al. 2016; Mittag et al. 2009). Die nicht signifikante Beziehung zwischen dem Erleben von sozialer Eingebundenheit und Druck durch die Lehrperson (H5c) sowie durch Leistungsanforderungen (vgl. H4c), könnte auf psychometrischer Ebene erklärt werden. Die im Rahmen dieser Studie eingesetzte Subskala erfasst, inwieweit das Bedürfnis nach sozialer Eingebundenheit im Fachunterricht befriedigt wird. Dies impliziert nicht nur die Interaktion zwischen den Schüler*innen und ihren Lehrpersonen, sondern auch die Interaktion zu den Peers. Es ist davon auszugehen, dass Schüler*innen, die sich von ihrer Lehrperson unter Druck gesetzt fühlen auch ein niedrigeres Erleben sozialer Eingebundenheit in Bezug auf die jeweilige Lehrperson berichten (Ryan und Deci 2017). Dies muss aber nicht zwangsläufig auch das Erleben sozialer Eingebundenheit in Bezug auf die Peers beeinflussen. In zukünftigen Studien sollte daher in Anlehnung an Fedesco et al. (2019) das Erleben sozialer Eingebundenheit getrennt nach Peers und Lehrpersonen evaluiert werden, um den Einfluss des Druckerlebens durch die Lehrperson differenziert untersuchen zu können.

In Ergänzung zu diesen theoretisch legitimierten Prädiktoren wurde zusätzlich der Einfluss von potenziellen Störvariablen überprüft. Die Ergebnisse dieser Studie deuten auf einen Zusammenhang zwischen dem Erleben sozialer Eingebundenheit und dem Alter der Befragten hin. Je älter die Schüler*innen sind, desto niedriger ist deren Erleben sozialer Eingebundenheit. Diese Beziehung könnte durch die Charakteristika der Stichprobe bedingt sein. Das Alter der Befragten streut zwischen 14 und 32 Jahren. Die starke Streuung liegt darin begründet, dass fast 30 % der befragten Schüler*innen ein Berufskolleg oder eine Versuchsschule besuchen. Die Vielfalt verschiedener Bildungsgänge und die Offenheit des Berufskollegs für alternative Bildungsbiografien (siehe z. B. Köhler et al. 2017) führt zu einer vergleichsweise starken Diversität des Alters der gymnasialen Oberstufe. Da ältere Schüler*innen trotzdem in dem jeweiligen Klassengefüge weniger stark vertreten sind (1 % aller befragten Schüler*innen sind zwischen 21 und 32 Jahre alt, die restlichen 99 % sind zum Befragungszeitpunkt 20 Jahre oder jünger gewesen), kann dies zu einer mangelnden Passung zwischen den Interessen, Biografien und Lebenskontexten der älteren Schüler*innen und den anderen Klassenmitgliedern führen, was das Erleben sozialer Eingebundenheit mindern kann (Ryan und Deci 2017).

Bezüglich des Geschlechts deuten die Befunde dieser Studie auf kleine geschlechtsspezifische Unterschiede hinsichtlich des Autonomieerlebens hin. Schüler berichten ein etwas niedrigeres Autonomieerleben als Schülerinnen. Auch andere Autor*innen zeigen diesen Zusammenhang auf (siehe Budde 2008; Großmann et al. 2018). Zudem stehen diese Befunde in Einklang mit verschiedenen Studien, in denen Schülerinnen angaben, stärker identifiziert reguliert zu sein als Schüler (Kaiser et al. 2020). Schüler hingegen berichten im Gegensatz dazu etwas höhere Ausprägungen introjizierter und externaler Regulation (Kaiser et al. 2020). Dies deutet darauf hin, dass Schülerinnen die dem Biologieunterricht zugrundeliegenden Normen und Werte stärker internalisiert haben als Schüler. Diese Internalisierung erlaubt es Individuen, sich auch unter eher kontrollierenden Bedingungen autonom und selbstbestimmt zu fühlen (Ryan und Deci 2002). Eine weiterführende Diskussion potenzieller Ursachen für geschlechtsspezifische Unterschiede im Autonomieerleben finden sich bei Großmann et al. (2018).

5 Limitationen

Bedingt durch die Stichprobe und das Studiendesign ergeben sich methodische Besonderheiten, die bei der inhaltlichen Verortung der Ergebnisse zu berücksichtigen sind. Zum einen ist anzumerken, dass die Operationalisierung des Druckerlebens ausschließlich auf der subjektiven Bewertung verschiedener potenziell druckausübender Faktoren (auch Belastungen oder Stressoren genannt) basiert. Sie ist damit kontextspezifisch. Diese Skala erhebt nicht den Anspruch, Aussagen über Beanspruchungen und Beanspruchungsreaktionen (z. B. Stress) der Schüler*innen im Sinne des Belastungs-Beanspruchungsmodells treffen zu können. Des Weiteren ist kritisch auf das querschnittliche Design der Studien zu verweisen, das keine Interpretationen über kausale Zusammenhänge erlaubt (Döring und Bortz 2016; Stein 2014). In diesem Zusammenhang ist noch einmal explizit zu erwähnen, dass zwar theorie- und empiriegemäß angenommen werden kann, dass erlebter Druck die Befriedigung der psychologischen Grundbedürfnisse beeinflusst (siehe z. B. Bartholomew et al. 2014; Reeve und Assor 2011; Ryan und Deci 2016, 2017; Taylor et al. 2008), es aber weiterführend denkbar ist, dass das Erleben von Autonomie, Kompetenz und sozialer Eingebundenheit auch Einfluss auf das Druckerleben nimmt (siehe z. B. Martinek 2012; Rudow 2014; Wudy und Jerusalem 2011). So kann beispielsweise das Autonomie- und Kompetenzerleben auch von anderen inter- und intrapersonalen Faktoren (z. B. Interesse am Gegenstand, einem positiven schulischen Selbstkonzept (Wudy und Jerusalem 2011) oder elterlicher Unterstützung (Soenens und Vansteenkiste 2005)) beeinflusst werden, die nicht mit der konkreten Unterrichtsgestaltung zusammenhängen (Ryan und Deci 2016). Das Erleben von Autonomie und vor allem Kompetenz kann in diesem Zusammenhang als wertvolle personale Ressource fungieren (Rudow 2014) und die subjektive Deutung (Böhm-Kasper 2004) der Druckfaktoren beeinflussen. So könnte beispielsweise empfundener Druck vor dem Hintergrund eines hohen Fachinteresses oder hoher Selbstwirksamkeitserwartungen relativiert werden (für eine weiterführende Diskussion siehe z. B. Wudy und Jerusalem 2011). Zudem können ein stabiles soziales Umfeld und das Vertrauen auf Unterstützung durch dieses, sowie das daraus resultierende Erleben sozialer Eingebundenheit, ebenfalls wertvolle Ressourcen sein (Rudow 2014), die zu einem produktiven Umgang mit Druck beitragen können. Zuletzt bleibt anzumerken, dass sich die Ergebnisse dieser Studien ausschließlich auf Schüler*innen der Sekundarstufe II beziehen. Da die Anforderungen zwischen den verschiedenen Sekundarstufen divergieren und abhängig von der Schulform sind, sollten die vorliegenden Ergebnisse differenziert für verschiedene Altersstufen und Schultypen überprüft werden.

6 Praktische Implikationen

Trotz der aufgeführten Limitationen kann anhand der Befunde festgehalten werden, dass das Druckerleben von Schüler*innen ein mehrdimensionales Konstrukt ist, welches eng mit dem Ausmaß empfundener Bedürfnisbefriedigung verknüpft ist. Die psychologischen Grundbedürfnisse dienen im Sinne der Selbstbestimmungstheorie der Motivation (Ryan und Deci 2002, 2017) als Indikatoren für das Wohlbefinden und die Zufriedenheit von Individuen. Verschiedene Studien zeigen in diesem Kontext, dass sich ein bedürfnissensibler Unterricht positiv auf verschiedene lernrelevante Variablen wie zum Beispiel das Engagement, das Interesse und selbstbestimmte Motivationsqualitäten und darüber vermittelt auch auf die Lernleistung (Assor et al. 2002; Großmann und Wilde 2020; Mittag et al. 2009; Soenens und Vansteenkiste 2005) auswirkt. Druck und Kontrolle bewirken hingegen eine Beeinträchtigung dieser Variablen (Assor et al. 2005; Bartholomew et al. 2014; Großmann und Wilde 2020; Ryan und Deci 2017). Für eine differenzierte Darstellung autonomieförderlicher Maßnahmen im Biologieunterricht sowie weiterer Implementationsmöglichkeiten eines bedürfnissensiblen Unterrichts siehe Großmann und Wilde (2020).

Ob Schüler*innen sich letztlich durch Elemente ihres Schulalltages wie beispielsweise dem Arbeitsaufwand an den Wochenenden, Hausaufgaben, dem Verhalten der Lehrperson oder Klausuren unter Druck gesetzt fühlen, hängt maßgeblich von den individuellen Ressourcen (Rudow 2014) und den (teilweise von diesen abhängigen) subjektiven Verarbeitungsprozessen (Böhm-Kasper 2004; Rohmert und Rutenfranz 1975; Rudow 2014) ab. Dies führt dazu, dass dieselben Belastungsfaktoren bei verschiedenen Schüler*innen unterschiedliche Beanspruchungen hervorrufen können (Böhm-Kasper 2004). Es ist daher weder möglich noch im Hinblick auf die Funktionen von Schule (Fend 2008) sinnvoll, sämtliche potenziell druckausübenden Faktoren aus dem Unterricht zu eliminieren. Entscheidend für den Erfolg schulischen Lernens ist in diesem Zusammenhang, einen produktiven Umgang mit den Herausforderungen des Unterrichts zu finden und fachbezogene sowie allgemeine Bewältigungsstrategien (Coping-Strategien) zu etablieren (Seiffge-Krenke 2006). Da das Leistungsprinzip in der Schule allgegenwärtig ist (Jürgens 2010; Martinek und Carmignola 2020; Tillmann 2010; Pekrun und Götz 2006), gilt es in diesem Zusammenhang, insbesondere Strategien zur Bewältigung schulischer Leistungsanforderungen zu fördern, um Prüfungsstress und Prüfungsangst entgegenzuwirken (Pekrun und Götz 2006). Auf methodisch-inhaltsbezogener Ebene stellen beispielsweise Lernstrategien ein wichtiges Element solcher Coping-Strategien dar (Pekrun und Götz 2006). In der schulischen Praxis ist es daher wichtig, den Schüler*innen verschiede Problemlöse- und Lernstrategien an die Hand zu geben, um dadurch sowohl explizit als auch implizit das Lernen zu lernen (siehe z. B. Lernstrategietraining Schuster et al. 2018). Auf affektiver Ebene können des Weiteren Entspannungstechniken eingesetzt werden, um eine emotionale Entlastung zu ermöglichen und somit das situative Empfinden von Druck zu reduzieren (Pekrun und Götz 2006). Solche Strategien können bei Bedarf mit den Schüler*innen trainiert und in den Unterrichtsalltag eingebunden werden.

Alles in allem sollte dieser Beitrag demnach nicht als Plädoyer verstanden werden, sämtliche (potenziell) druckausübenden Faktoren aus dem Fachunterricht zu eliminieren, sondern leistet einen Beitrag, diese zu differenzieren und im Hinblick auf eine lernrelevante abhängige Variable – die Befriedigung der psychologischen Grundbedürfnisse – zu reflektieren. Zu berücksichtigen bleibt, dass diese nur eine von vielen erstrebenswerten Qualitätsvariablen im Unterricht darstellt. In weiterführenden Untersuchungen könnten neben der Befriedigung der psychologischen Grundbedürfnisse weitere lernrelevante Variablen, wie beispielsweise die motivationale Regulation und die Leistung der Schüler*innen adressiert werden.