Zusammenfassung
Im Spannungsfeld feministischer Diskurse wird Sexarbeit unterschiedlich gerahmt. Die Positionen dazu sind also vielfältig. Die Wahrnehmung dessen, was im Zusammenhang mit Sexarbeit die Probleme sind, ist unterschiedlich. Je nach Problemdefinition und Rahmung werden entsprechende Lösungs- bzw. Veränderungsvorschläge vorgebracht. Dabei werden Dichotomien sichtbar, die es unter kritische Betrachtung zu stellen gilt. Anhand eines Sexarbeitsansatzes einer Migrant_innen- Selbstorganisation, der die Rechte von Sexarbeiter_innen ins Zentrum der Debatten rückt und diesen Kampf als in gesellschaftlichen Verhältnissen eingelassen betrachtet, sollen (Re-)Produktionen von Dichotomien und Repräsentationen in Sexarbeits-Diskursen auf unterschiedlichen Ebenen aufgezeigt und hinterfragt werden.
Abstract
Within the conflicted feminist discourses, the framing of sex work differs. Moreover, the positions are disparate and the perception of what the problems regarding sex work are varies. The proposals for solutions and change correspond to the definition and framing of the so-called problem. Thereby, dichotomies become apparent and are to be critically considered. Based on an approach taken by a migrant women’s* self-organisation, which focuses the debate on sex workers’ rights, and where the struggle is considered to be embedded in social relations, the (re)productions of dichotomies and representations in sex work discourses will be highlighted and challenged on different levels.
Notes
Hier scheint eine kurze Begriffsklärung angebracht: Die Verwendung bestimmter Begriffe, wie bspw. „Sexarbeit“ und „Prostitution“, deutet in der Regel bereits auf eine spezifische Positionierung zur Tätigkeit selbst hin. Der Verwendung des Begriffs Sexarbeit impliziert in der Regel eine politisch liberale (und keine per se neoliberale!) Haltung, die Sexarbeit als Erwerbsarbeit anerkennt, dementsprechende Rechte für Sexarbeiter_innen fordert und sich gegen Stigmatisierung von Sexarbeiter_innen positioniert, während der Begriff „Prostitution“ häufig negativ konnotiert ist und stigmatisierend wirkt, da vorwiegend Zwang und Kriminalität damit verbunden werden.
Die Schreibweisen mit Unterstrich und * sollen darauf hinweisen, dass es mehr als zwei Geschlechter gibt, dass es nicht nur ein „Dazwischen“, sondern auch ein „Darüber-Hinaus“ gibt. Geschlechterrealitäten und -verhältnisse sind vielfältig und werden hier nicht als „natürlich“ definiert.
Um Weißsein als Konstrukt zu entlarven und Dominanzverhältnisse sichtbar zu machen, wird weiß kursiv gesetzt.
An dieser Stelle verweisen wir darauf, dass die Mehrheit der Sexarbeiter_innen im registrierten Bereich, nicht nur in Österreich, Migrant_innen sind (vgl. dazu auch Amesberger 2014, u. a. S. 259).
Wenn Sojourner Truths Rede von 1851 in Akron als Ausgangspunkt genommen wird, kann sogar schon von jahrhundertelanger Kritik gesprochen werden.
Vgl. dazu Diskussionen in Deutschland.
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Hamen, M., Mineva, G. Dichotomien in Diskursen über Sexarbeit: Aufdeckungen und Problematisierungen aus der Perspektive einer Migrant*innen-Selbstorganisation. Österreich Z Soziol 41 (Suppl 3), 119–131 (2016). https://doi.org/10.1007/s11614-016-0234-6
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