1 Einleitung

Europas Familienunternehmen bildeten über Jahrhunderte die ökonomische Form schlechthin, ihre Buntheit beschäftigt die Wissenschaft, sie faszinieren und innerhalb der weit reichenden Unternehmenslandschaft machen sie einen Unterschied (Wiechers 2006, S. 11). Laut Schätzungen des IfB Bonn werden in Deutschland im Zeitraum von 2018 bis 2022 insgesamt etwa 150.000 Unternehmen zur Übergabe anstehen, davon betroffen sind ca. 2,4 Mio. Beschäftigte und etwa 53 % realisieren die Übergabe innerhalb der Familie.Footnote 1

Die volkswirtschaftliche Bedeutung dieser Unternehmensform ist unbestritten. Simon (2005) konstatiert, dass im Vergleich dazu, die wissenschaftliche Ignoranz bemerkenswert sei. Er macht die Logik universitärer Strukturen dafür verantwortlich und weist darauf hin, dass die Betriebswirte sich mit Unternehmen beschäftigen und die Familie lediglich als Randbedingung wahrnehmen, und die Familienforschung die Familie betrachtet, ohne zu berücksichtigen, dass diese sehr eng mit einem Unternehmen verflochten ist. Disziplinäre Strukturen brechen (wenn überhaupt) nur langsam auf und „da sich Familienforscher nur für Familien, Ökonomen nur für Unternehmen interessieren, fallen Familienunternehmen, bzw. Familie und Unternehmen als soziale Systeme, die eine gemeinsame Geschichte durchlaufen, durch den Rost der Wissenschaft“ (ebd., S. 9). Dies gilt auch für die psychosozialen Themen, die Unternehmensübergaben flankierend begleiten.

Vermehrt rückt die Nachfolgefrage ins Blickfeld der Wissenschaft, denn wo es Familienunternehmen gibt, wird auch übernommen, übergeben, nachgefolgt, zurückgetreten, vererbt und geerbt. Viele Ambivalenzen sind mittlerweile analysiert und aufgearbeitet, einige Dimensionen werden aber – m. E. zu Unrecht – immer noch stiefmütterlich behandelt.

Die Übergabe des Lebenswerkes (s. dazu ausführlich Lerchster 2011) stellt eine Zäsur für das Unternehmen und die Familien dar, ein Einschnitt, der von besonderen Emotionalisierungen und wirkungsvollen Hintergrunddimensionen begleitet wird. Innerhalb der wissenschaftlichen Forschung werden – je nach disziplinärer Ausrichtung – spezifische Perspektiven eingenommen und analysiert. Zumeist treten dabei juristische, volks- oder betriebswirtschaftliche Perspektiven in den Vordergrund und man bemüht sich die Erkenntnisse in Form von Ratgeberliteratur an die Zielgruppe weiterzugeben. Widerspruchsebenen wie Familie vs. Unternehmen, Individualisierung vs. Kollektiv, Alt vs. Jung, Leben vs. Tod, Selektion vs. Gleichheitsanspruch, Autonomie und Freiheit vs. Dependenz und Zugehörigkeit, Tradition vs. Moderne u. v. a. m. treten bei der Frage der Übergabe und Nachfolge schonungslos in den Vordergrund. Widerspruchsfelder, die dazu führen, dass Übergaben meist hoch emotional determiniert sind und „der Führungswechsel an der Spitze eines Unternehmens im Allgemeinen eine Reihe psychologischer Kräfte freisetzt“ (Gerke-Holzhäuer 1996, S. 30).

Nachfolgend werden jene Widersprüche einer näheren Betrachtung unterzogen, die neben eigentumsrechtlichen und juristischen Fragestellungen (welche oft nicht minder konfliktbehaftet sind, hier jedoch nicht näher ausgeführt werden) jeden Übergabeprozess begleiten, erfahrungsgemäß aber selten jene Aufmerksamkeit erhalten, die ihnen ob ihrer Auswirkungen auf das Gelingen einer Übergabe zustehen würde. Ausgehend von der These, dass Übergeben und Nachfolgen häufig Herzensangelegenheiten und deshalb weit entfernt von losen Zugehörigkeiten sind, konzentriert sich dieser Beitrag auf jene Themen, die bei Betriebsübergaben eine besondere Wirkmacht entfalten können und welche im Sinne van Gennep’s (1986) Übergangsrituale in Form von organisierten Prozessen erfordern würden.

2 Die Familie des Familienunternehmens – ein Ort der Intimität und ein Treibhaus der Gefühle

Familienunternehmen sind spannend und theoretisch schwer erfassbar. Grund dafür ist die Tatsache, dass die Eigenlogiken von Familie und Unternehmen sich in vielerlei Hinsicht widersprechen (Simon 2005, S. 22 f). Die unterschiedlichen Logiken zweier ineinander verwobener Systeme, müssen verwaltet und gemanagt werden, um auf der einen Seite ein erfolgreiches Unternehmen und auf der anderen Seite eine funktionierende Familie zu garantieren.Footnote 2 Die beiden Systeme „nutzen einander auf vielfältige Weise als Ressource, als identitätsstiftendes Vis-à-vis. Es gilt jedoch, auch die Kehrseite dieser schicksalhaften Verzahnung sehr genau ins Auge zu fassen: Die Probleme des Unternehmens prägen den Alltag der Eigentümerfamilie ebenso, wie deren ungelöste Probleme auf die Entwicklung des Unternehmens ausstrahlen“ (Wimmer et al. 2005, S. 7). Die unterschiedliche und sich widersprechende Logik von Familie und Unternehmen wird von Simon (2005, S. 18 f) ausführlich diskutiert und von Groth und Vater (2007, S. 50) idealtypisch wie in Tab. 1 zusammengefasst.

Tab. 1 Idealtypische Gegenüberstellung von Familie und Unternehmen nach Groth und Vater (2007)

Diese Gegenüberstellung zeigt, dass Familie und Unternehmen nicht nur unterschiedlichen, sondern teilweise kontradiktorischen Regeln und Eigengesetzlichkeiten folgen. Die gegenseitige Beeinflussung führt sowohl zur Veränderung der Familiendynamik als auch zur Veränderung der Unternehmenskultur (vgl. Simon 2005).

Der systemtheoretische Blick auf Familienunternehmen, der Familie und Unternehmen als getrennte Systeme konzeptualisiert, die strukturell gekoppelt sind und sich gegenseitig perturbieren, erleichtert eine Ausdifferenzierung zweier Systeme, die (scheinbar) unterschiedlichen Gesetzen unterliegen.

Gleichzeitig sind historische und volkskundliche BetrachtungenFootnote 3 zu berücksichtigen, die zeigen, dass sich sowohl Werte als auch die affektive Dynamik von Familien im Laufe des geschichtlichen Werdens verändert haben. So war die Herausbildung des Bürgertums begleitet von Veränderungen innerhalb der Beziehungsstrukturen in Familien. Familienkonstellationen blieben zunehmend dauerhaft und in Bezug auf ihre Mitglieder gleichbleibend. Der Emotionalität – und damit der Liebe – innerhalb von Ehegemeinschaften wurde fortan erhöhte Aufmerksamkeit geschenkt, die Familie wurde emotional, individuell und ideologisch aufgewertet. Die Familie, die zusehends ein selbständiges Teilsystem innerhalb der Gesellschaft wurde, diente der Befriedigung emotionaler Bedürfnisse wie Sicherheit, Geborgenheit, Erholung und Intimität sowie der emotionalen Stabilisierung der einzelnen Mitglieder. Gefühle innerhalb eines familialen Gefüges wurden immer wichtiger, das Glück, die Liebe und die Intimität waren und sind primäre Voraussetzung für partnerschaftliche (Liebes‑) Beziehungen und Familiengründungen.

Diese Dominanz der Affekte innerhalb von Familien ist in spezifischer Weise für die Betrachtung von Familienunternehmen von Bedeutung. Insofern erweitern die Ausführungen Hildebrands (2005) den systemtheoretischen Blickwinkel, wenn er betont, dass „Familienbetriebe Familien eigener Art“ seien. Die These, „dass die Logik des ‚ganzen Hauses‘, einer vormodernen Familienform, nach wie vor in Familienformen ihre Rolle spielt, mit dem Unterschied jedoch, dass sie heute nicht mehr bruchlos ihre Wirkung entfalten kann, sondern konfrontiert ist mit den Ansprüchen an Affektivität, Intimität und Individualität, die die moderne Kernfamilie kennzeichnen“, wird in Beratungsprozessen immer wieder bestätigt. Er ist der Auffassung, dass „die Strukturlogik der ausdifferenzierten Kernfamilie nicht eine Randbedingung für den Betrieb einer Familie darstellt, sondern dass der Familienbetrieb als eine Einheit zu betrachten ist, in der aus der Logik der Sache heraus Strukturmerkmale des ‚ganzen Hauses‘ notwendig konflikthaft gepaart sind mit solchen der ausdifferenzierten Kernfamilie, und dass diese Kombination die Eigenständigkeit des Familienbetriebs (…) ausmacht“ (a.a.O, S. 118).

Zusammengefasst können die Besonderheiten von Familienunternehmen nur vor dem Hintergrund der familialen (und damit emotionalen und dennoch rationalen) und unternehmerischen Bedingungen (und damit rationalen aber auch emotionalen) diskutiert werden, da der Erfolg eines Unternehmens davon abhängt, in welcher Form die Zusammenführung oder Kopplung dieser beiden Systeme gelingt.

Unternehmensübergaben und Nachfolgeprozesse sind von der Grundparadoxie Verändern versus Bewahren geprägt. Die Alten sollten sich langsam von Lebensinhalten und üblichen Routinen des Lebens, die mit Macht, Kontrolle und Status verbunden waren, verabschieden und die Jungen stehen unter dem Erwartungsdruck, ihren Weg, ihren Stil und ihre Unternehmeridentität zu finden. Die ambivalente Forderung, das Unternehmen in eine neue Ära zu überführen, es den aktuellen Marktanforderungen anzupassen und gleichzeitig die Tradition, die Normen, Werte und Prämissen des Unternehmens und der Familie nicht aus den Augen zu verlieren, ist nicht selten eine ernste Zerreißprobe für die betroffene Sozietät.

Wenn man diese Fakten ernst nimmt und zudem davon ausgeht, dass die Weiterentwicklung von Gruppen und Organisationen, vor allem aber das Finden und Definieren von Identität (vor allem jene der Nachfolgenden) immer mit Konflikten einhergeht (vgl. Schwarz 2001), dann scheint es unabdingbar, sich – neben der Eigenlogik von Unternehmen und Familie – mit den vorherrschenden Kommunikationsmustern in Unternehmerfamilien auseinanderzusetzen.

3 Kommunikation in Familienunternehmen – der Widerspruch von Tabuisierung und Transparenz

Familien haben prinzipiell wenig Übung darin, relevante sowie aktuelle Themen- und Problemstellungen aufzugreifen und in bewusst gestalteten Kommunikationsprozessen zu reflektieren. Es ist eher unüblich, sich in Familienklausuren einzufinden, sich der Aussprache willen Auszeiten zu gönnen, oder gar Konfliktberatung in Anspruch zu nehmen. Kommunikation läuft in ungeordneten Bahnen, zwischen Tür und Angel und häufig findet man die Situation vor, dass familiäre Probleme ihren Niederschlag im Unternehmen finden und unternehmensrelevante Entscheidungen im Ehebett getroffen werden. Das Fehlen von zweckgewidmeten Kommunikationsräumen, die Vermischung von Person und Funktion, d. h. die Unklarheit darüber, wer gerade zu wem spricht (der Vater zum Sohn, der Jungunternehmer zum Vorgänger, der Chef zum Untergebenen, etc.), bei einer gleichzeitig sehr hohen Komplexität an widersprüchlichen Anforderungen, wo Krisen innerhalb der Familie das Unternehmen beeinflussen und umgekehrt, gibt es gerade in Familienunternehmen häufig Anlass zu „tiefgehenden Störungen und Verletzungen“ (Klein 2004, S. 86).

Das Ausscheiden aus dem Unternehmen (der organisatorische Tod) sowie die Übernahme einer verantwortungsvollen Führungsposition und eines traditionsreichen Familienunternehmens stellen Übergangssituationen dar, die Personen und Systeme in eine Art Ausnahmezustand versetzen. Alltagsstrukturen verändern sich, Tätigkeiten fallen weg oder kommen hinzu, alte Geschichten werden an die Oberfläche gespült, Biografien ziehen an einem vorbei, Trauer und Freude geben sich die Hand, alte und neue Konflikte brechen auf, Eigentum wird umgeschichtet und verteilt, Weichen werden Richtung Zukunft gestellt und sowohl das System Familie als auch die Organisation erlebt Veränderung, Wandel und Erschütterung – positiv wie negativ.

In der Forderung, Kommunikation als unverzichtbares Werkzeug und als System für sich verstehen zu lernen, Orte einzurichten, wo konzentriert rückgekoppelt und reflektiert werden kann, Klausuren und Familienratssitzungen einzuberufen, Beratung in Anspruch zu nehmen u. v. m., sind sich die Expert/innen einig (vgl. Simon 2005; Wimmer et al. 2005; Klein 2004; Heintel 1993; Wiechers 2006; Pfannenschwarz 2006 u. a.). Speziell in Krisensituationen, wie Übergabeprozesse sie in der Regel darstellen, bedarf es einer Auseinandersetzung mit potentiellen Mehrfachidentitäten einzelner Personen, die gleichzeitig Familienmitglied, Gesellschafter und Mitarbeiter oder Manager des Unternehmens sind (vgl. Simon 2005). Zu differenzieren ist zwischen

  • dem Wert der „Gerechtigkeit“ im familiären System

  • der „Richtigkeit“ unternehmerischer Entscheidung

  • und der „Rechtmäßigkeit“ juristischer Sachverhalte, insbesondere von Eigentumsverhältnissen (a. a. O., S. 56 f).

Dass die Logik emotional eingefärbter, familiärer Gerechtigkeit, mit der Logik der Richtigkeit sachlich determinierter unternehmensrelevanter Entscheidungen und der Logik juristische Notwendigkeiten (und manchmal auch Winkelzüge) selten in Einklang zu bringen ist, ist selbstredend. Dabei darf aber nicht übersehen werden, dass jene Generation, die zum heutigen Zeitpunkt übergibt, größtenteils dahingehend sozialisiert wurde, autonom, einsam und hierarchisch bis autoritär Entscheidungen zu treffen und in der Regel wenig Erfahrung darin hat, Kommunikation bewusst zu gestalten. Wo sachliche und emotionale Gemengelagen gebündelt der Auseinandersetzung harren, in Situationen, deren Kontingenz und Komplexität einem über den Kopf wachsen können, kann sogar bei eingefleischten Patriarchen der Ruf nach einem „Prozess“ laut werden. Prozesse, wo Kommunikationsräume implementiert und institutionalisiert werden, um mit Hilfe externer Begleitung innerfamiliäre sowie unternehmensrelevante Themen offen und angstfrei bearbeiten zu können.

Die Offenheit ist von Nöten, weil Unternehmensübergaben meist von häufig tabuisierten Hintergrundthemen überlagert werden, deren Nichtbearbeitung ein Risiko darstellt. Nachfolgend werden die aus meiner Sicht wirkmächtigsten Hintergrundthemen beschrieben und in Bezug auf ihren Einfluss auf den Übergabeprozess diskutiert.

4 Hintergrundthema 1: Das Unternehmen als Identifikationsfigur – der Widerspruch von Vertrauen und Misstrauen bei Nachfolgeprozessen

Unternehmerkinder teilen ihre Eltern zeitlebens mit dem Unternehmen und die Unternehmer selbst stehen permanent unter dem Druck, sowohl den unternehmerischen als auch familiären Verpflichtungen nachzukommen. Das Unternehmen selbst ist „Baby und Lebenswerk“. Die Personalisierung des Objektes, das wie ein Erstgeborenes emotionale Zuwendung seitens des/der Eigentümers/in erfährt, wird für den Nachfolgeprozess insofern relevant, als es zu beachten gilt, wie die Beziehungen der verschiedenen „Babys“ untereinander aussehen. „Lieben sie sich oder hassen sie sich? Rivalisieren sie miteinander oder kooperieren sie? Sehen sie sich gegenseitig als Bereicherung, die ihnen Chancen eröffnen, oder als Bürde und Last, vor der sie möglichst schnell die Flucht ergreifen? Und welche Auswirkungen hat dies auf die Beziehung zur Generation der Übergeber. Dies alles kulminiert in der entscheidenden Frage: Wird das Unternehmen an den Nachfolger vererbt oder wird der Nachfolger an das Unternehmen vererbt?“ (Simon 2005, S. 192.). Die Übernahme wird in diesem Zusammenhang zur Reflexion der eigenen Lebensplanung, die die jeweilige Sozialisation in der Unternehmerfamilie naturgemäß nicht ausblenden kann. Am Übergang zur nächsten Generation wird deutlich, ob es Eltern gelang, den Kindern sowohl die positiven als auch negativen Aspekte eines Unternehmer/innen-Daseins in ausgewogener Form zu vermitteln, denn wenn „ein Vater, zu Hause nur über den Ärger mit dem Betriebsrat, die unerfüllbaren Wünsche der Kunden und das Unverständnis der Steuerbeamten klagt, kann [er] nicht erwarten, [dass] seine Kinder gerne in seine Fußstapfen treten werden, vor allem, wenn damit auch noch ein 12-Stunden-Arbeitstag sechsmal pro Woche und womöglich wenig Urlaub verbunden sind“ (Habig et al. 2004, S. 27). Insofern wird die Sozialisation für die nachfolgende Generation richtungsweisend sein und muss als ernst zu nehmende Einflussgröße im Nachfolgeprozess berücksichtigt werden. Ob die Eltern als positive „role models“ wahrgenommen werden, oder ob man „es völlig anders“ machen will und man sich mit dem eigenen Lebenskonzept massiv von jenem der Eltern abgrenzen will, welche Beziehung man zum Unternehmen hat und welche individuellen Vereinbarkeitsmöglichkeiten von Familie und Unternehmen man selbst kreiert, wird den Prozess einer Übergabe mitbestimmen und phasenweise sogar steuern.

Ein wichtiger Teil der Sozialisation bezieht sich auf die Beziehungskultur innerhalb der Familie. Insbesondere das Verhältnis der Geschwister untereinander spielt in Nachfolgeprozessen eine zentrale Rolle. Da den Rechten und Bedürfnissen der Kinder in der Regel viel Aufmerksamkeit geschenkt wird, muss die Frage der Nachfolge in Familienunternehmen dort, wo mehrere Geschwister zu berücksichtigen sind immer auch unter dem Aspekt der Gerechtigkeit beleuchtet werden.

5 Hintergrundthema 2: Übergabe im Dunstkreis von Schuldenkonten – der Widerspruch von Selektion und Gerechtigkeit

Eltern, die mehrere Kinder haben, wissen um die sensibel ausgeprägten Gerechtigkeitssensoren der Geschwister untereinander. Kinder sind darauf ausgerichtet, ihre eigene Existenz abzusichern. In diesem Bestreben sind Geschwister auf den ersten Blick Rivalen. Nicht dass Geschwister sich primär gegenseitig aus der Welt wünschen würden, vielmehr wird auf einen natürlichen Reflex hingewiesen, der selbstverständlich nicht verhindert, dass Geschwister einander lieben und sich über das Vorhandensein des anderen freuen können. Sowohl das eine als auch das andere wird grundsätzlich vorhanden sein, in jedem Fall kann aber von einer Ambivalenz ausgegangen werden.

Im Zuge des Aufwachsens wird jede Ungleichheit in Bezug auf materielle oder körperliche Zuwendung registriert, abgewogen, kommentiert und letztlich am „Schuldenkonto“ (vgl. Boszormenyi-Nagy et al. 1981) verbucht. Ausgehend von einer dialektischen Beziehungstheorie, in der „das Individuum als Mittelpunkt seines Universums“ gesehen wird, das gleichzeitig „in ontologisch abhängiger Interaktion mit den seine Welt ausmachenden anderen“ steht, wird davon ausgegangen, „dass das dynamische Hauptmoment dieser Gegenseitigkeit in Gerechtigkeitskonten verankert ist. Es geht um die Rechte der Kinder, der Balance von Geben und Nehmen und um Parameter wie Loyalität, Gerechtigkeit, Versöhnung und Schuldenausgleich als wichtige Dimensionen der Individuation. Jenseits der subjektiven Antithese von Ich und Du besitzt jede enge Beziehung eine Verdienstbuchführung als synthetisches, quasi-quantitatives und quasi-objektives Systemmerkmal. Diese Buchführung erfasst die kurzfristigen wie die langfristigen Folgerungen sowohl aus dem offen zutage tretenden als auch aus dem verdeckten Beziehungsgeschehen“ (Boszormenyi-Nagy et al. 1981, S. 63). Auch wenn Begrifflichkeiten wie „Buchführung“ oder „Schuldigkeit“ in innerfamiliären Auseinandersetzungen in dieser Form nicht vorkommen oder verwendet werden, so heißt das nicht, dass das Prinzip der Gerechtigkeit nicht handlungsweisend wäre. Simon weist darauf hin, dass Eltern in der Regel den Anspruch haben, ihre Kinder gerecht zu behandeln, wenngleich es für besagte Gerechtigkeit „keine objektivierbaren Kriterien“ gibt (Simon 2005, S. 48 ff.). Das Gerechtigkeitsprinzip orientiert sich dabei entlang der Personen und die Währung, in der Geben und Nehmen bewertet wird, kann als die Währung der Liebe bezeichnet werden. Ihr liegt die Erwartung zugrunde liegt, dass Eltern ihre Kinder „gleich“ lieben – eine paradoxe und in der Regel kaum zu erfüllende Erwartung. Dennoch „findet man selten Eltern, die frank und frei zugeben würden, dass sie ihre Kinder ungleich behandeln oder gar Kind X dem Kind Y vorziehen. Wenn sie es tun, so reagieren sie im Allgemeinen mit Schuldgefühlen darauf“ (Simon 2005, S. 60). Die Tabuisierung der Ungleichheit und der implizit kommunizierte (überhöhte) Anspruch an Gleichheit und Gerechtigkeit führt letztlich dazu, dass Kinder „um die Aufmerksamkeit, Gunst und Zuneigung der Eltern rivalisieren“ und quasi ermutigt werden, „in der innerfamiliären Kommunikation die ‚Gerechtigkeitskarte‘ zu spielen und den Eltern vorzuwerfen, sie hätten – je nachdem, wer gerade am Zug ist – den einen oder die andere bevorzugt oder benachteiligt“ (ebd.). Selten werden diese Karten offen ausgespielt. Nicht reflektierte bzw. auf der Metaebene nicht kommunizierte und scheinbar unantastbare Themen sind sehr wirkungsvoll und suchen sich ihren Weg an die Oberfläche. Wenn ein direktes An‑, Aus- und Besprechen vermieden wird, gibt es vielerlei Möglichkeiten, derartige Themen und Inhalte zu transportieren und verklausuliert in Sachthemen, wo es um objektivierbare und quantifizierbare Größen geht, zu integrieren. Wenn auf Ebene der Eigentumsverteilung harte Konflikte ausbrechen, lohnt es sich, den Blick auf das Unaussprechbare und Hintergründige zu werfen.

Zum einen tauchen „viele der unaufgearbeiteten und emotional offen gebliebenen Themen, Verletzungen, Ungerechtigkeiten, Fehler etc. im Prozess der Veränderung wie aus dem Nichts wieder auf“ (Boos et al. 2004, S. 185). Gleichzeitig ist die Phase der Übergabe eine gute Gelegenheit, derartige Tabus und Widersprüche auf die Metaebene zu heben und zu bearbeiten, um nachhaltige Entscheidungen für das Unternehmen und die Familie zu treffen. Voraussetzung dafür ist eine dialektische Haltung und die damit im Zusammenhang stehende Akzeptanz vorhandener Widersprüche. Denn „zum Verständnis der Struktur einer Beziehungswelt [ist] nicht ein absoluter oder monothetischer, sondern ein dialektischer Denkprozess notwendig, und der Wesenskern des dialektischen Vorgehens ist das Freisein des Geistes von allen absoluten Konzepten, die als solche den Anspruch erheben, mit ihrer Erklärung eines Phänomens etwas ein für alle Mal Gültiges auszusagen, so als gäbe es keine dem von ihnen vertretenen Standpunkt entgegengesetzte Meinung“ (Boszormenyi-Nagy et al. 1981, S. 42). Gute bzw. bessere Lösungen werden erreicht, wenn Tabuthemen enttabuisiert werden, Transparenz hergestellt wird und der Gerechtigkeitsbegriff Aufklärung erfährt. Reflexion bedeutet Analyse des gemeinsamen Werdens von sozialen Gefügen, historischen „Gewordenseins“, familialen Werten, Normen und Gesetzen sowie „gemeinsam mit der Familie betriebene Erforschung der wechselseitigen schuldbelasteten Verpflichtungen“, die letztlich zu „mehr Individuation“ führt als jede Form der „abrupten Loslösung“ (a. a. O., S. 60).

Die Analyse jener relevanten Größen, die den Übergabeprozess determinieren und erschweren, ist eine der schwierigsten Übungen. Die psychodynamische Bedingtheit von familiären Systemen und die bereits beschriebene emotionale Überdetermination erschweren eine gemeinsame Beforschung immens. Die Befürchtungen, dass Verletzungen passieren, die die Familie als Ganzes und Personen im Einzelnen beschädigen bzw. unüberbrückbare Differenzen auftauchen, alte Rechnungen beglichen werden, auf Defizite und unterschiedliches Können hingewiesen wird etc., hemmen einerseits notwendige Reflexionsprozesse und andererseits schützen sie die Familie tatsächlich oft vor größerem Schaden. Was aber die Familie schützt, muss nicht zwangsläufig für das Unternehmen von Vorteil sein. Die Nachfolgefrage verknüpft Familiäres und Unternehmerisches wie kein anderer Prozess. Wird im Zuge der Prozessgestaltung darauf verzichtet, an der Aufhebung des Gleichheitsparadigmas zu arbeiten, können innerfamiliäre Gerechtigkeitskonzepte auf das Unternehmen überschwappen und Entscheidungen im Sinne der Sache und der Ökonomie erschwert oder gar verhindert werden. Umgekehrt können subjektiv erlebte Ungleichheiten und die damit verbundenen Kränkungen das unternehmerische Miteinander beeinflussen und das Unternehmen gefährden. Wenn auf der Bühne des Unternehmens unschöne Machtkämpfe, Intrigen und Rivalitäten (vgl. Wimmer et al. 2005) Platz greifen, dient dies weder den geschwisterlichen und familiären Beziehungen noch der unternehmerischen Entwicklung.

Die Ignoranz der „vorhandenen Verdienstbuchführung des Systems hat à la longue ,trügerische und selbstzerstörerische‘ Wirkung“ (ebd., S. 250), deshalb bietet die Eröffnung des Dialogs über die Verdienst- und Schuldenkonten einerseits die Chance des gegenseitigen Verstehens, und andererseits können Familiengeschichten, Kulturen und Traditionen einer Reflexion unterzogen werden, denn von den Überlieferungen und der Weitergabe von Werten, Wissen, Kultur, Handlungsmustern und Überzeugungen zehren und profitieren Familienunternehmen, genauso wie sie darunter leiden können.

6 Hintergrundthema 3: Tradition und Ahnenkult – der Widerspruch von Altem und Neuem

An erfolgreiche Ahnen wird mit Stolz verwiesen, Pioniere als Idole hervorgehoben. Ebenso erinnert man sich an herrschsüchtige Vorgänger/innen, die so manchen das Grauen lehrten. Jungunternehmer/innen stehen meist unter Druck, den Anforderungen der Ahnen, der Geschichte, der Tradition und der Kultur gerecht zu werden und gleichzeitig ihre eigenen Innovationen, ihre unternehmerischen Konzepte und Vorstellungen zu implementieren.

Um dieses Spannungsfeld zu verstehen, bedarf es weiter gefasster Überlegungen, was denn die Omnipräsenz der Ahnen rechtfertigt und welchen Bedeutungsgehalt eine Unternehmensüber-Gabe noch in sich trägt. Folgt man der Spur von Mauss (1990), dass man eine Gabe nie im Eigentum besitzt, sondern lediglich ein Nutzungsrecht ausüben darf, ließe sich folgender Befund ableiten: im Begriff Übergabe steckt „geben“ – das (Über‑) Geben oder Schenken stellt Beziehungen und Abhängigkeiten her. Dies gilt auch für die Übergabe von Unternehmen oder Funktionen – indem man etwas (über)gibt, gibt man ein Stück seiner selbst. Daher ist jede Gabe, jedes Geschenk und auch eine Unternehmens- oder Funktionsübergabe keine reine Eigentumsübergabe, sondern lediglich ein Nutzungsversprechen.

Die „Kraft der Sache“ besteht in der „Kraft der Rechte“, die der Übergebende weiterhin über die „Gabe“ (das Unternehmen) und durch sie über denjenigen ausübt, dem er sie gibt und der sie annimmt. Eine Gabe anzunehmen heißt mehr als eine Sache anzunehmen, es bedeutet zu akzeptieren, dass derjenige, der gibt, Rechte über den ausübt, der empfängt. „Sie [die gegebene Sache] ist immer noch Teil der Realien, welche die Identität, das Wesen, die unveräußerliche Essenz einer Menschengruppe oder einer moralischen Person ausmachen. Sie ist, würden wir sagen, ein gemeinschaftliches Gut’, dessen Nutzung abgetreten werden kann, nicht aber das Eigentum daran“ (Godelier 1999, S. 67).

Geben stellt Beziehung her, hält sie aufrecht und die Gabe erinnert an diese Beziehung. Wenn „das was zum Geben verpflichtet, eben die Tatsache ist, dass Geben verpflichtet“ (Godelier 1999, S. 21. Mauss 1990, S. 27), dann erinnern die „anwesenden“ Ahnen, Pioniere und jene Personen, die einst übergaben, an diese Vereinbarung. Sie sind sozusagen stumme Zeugen des Geschehens, sie mahnen die Aufrechterhaltung der Beziehung, über den Tod bzw. über das Ausscheiden hinaus, ein. Der Übergebende bleibt auch nach der Übergabe präsent, wenn nicht physisch, so mit seinem „Werk“ und der Erwartung, dass der Betrieb in „seinem Sinn“ weitergeführt wird. Diese implizite Verpflichtung kann einerseits Loyalitätskonflikte auslösen (es wird gegen die Erwartung/den ausdrücklichen Wunsch des Gründers oder der Gründerin agiert), gleichzeitig sind die Nachfolger/innen auch stolz auf ihre Abstammung und den Ahnherrn (seltener sind es Ahnfrauen). Der Wille des Übergebers, der Übergeberin wird in der Ahnengalerie aporetisch verewigt, einerseits wird man erinnert, andererseits hat der Wille einen Ort, wo er nicht mehr stört. „Gründer, Ahnen erhalten eine besondere Bedeutung, werden zitiert, herangezogen, zum Schiedsrichter gemacht. Sie ‚wachen‘ gleichsam immer noch über ihr Erbe und ihr Bild hängt am unübersehbaren Ort. Nicht immer sind sie es zwar, von denen der Marschbefehl in die Zukunft ausgeht, oft sind es die Erben, die sie interpretieren, wie sie es gerade brauchen. Dennoch dienen sie als Quelle, als Ursprung, sind Symbol für Unhinterfragbarkeit; denn schließlich kann man sie ja wirklich nicht mehr fragen. So dient manche Ahnengalerie, manch aufgerichtetes Denkmal nicht dem dort Dargestellten, sondern der eigenen Begründung und Befestigung“ (Heintel 2006, S. 5).

Der Übergebende verbleibt in der gegebenen Sache und die empfundene Verpflichtung rührt daher, dass die empfangene Sache letztlich voller Leben ist. „Selbst wenn der Geber sie abgetreten hat, ist sie noch ein Stück von ihm. Durch sie hat er Macht über den Empfänger“ (Mauss, S. 33) und konstituiert Abhängigkeit. Eine Abhängigkeit, die einerseits familiäre Bande festigt und sichert und andererseits das Unternehmen vor konsequenzenreichen Umstrukturierungen und risikoschweren Investitionen schützt. Die Eigentumsübernahme bei einer Nachfolge impliziert nämlich nicht nur die Verantwortung für die Sache, die Gabe, das Unternehmen, sondern für die ganze Sippe, ihre Werte, ihre Kultur, ihre Geschichte und dafür, woran generationsübergreifend geglaubt wurde und wird.

Derartige Formen von Abhängigkeitskonstruktionen haben insofern ihren Charme, als Übergaben immer – ob bewusst oder unbewusst – an die individuelle Endlichkeit erinnern. In einer Unternehmensnachfolge verschmelzen Vergangenheit und Zukunft und sowohl die Nachfolgenden als auch die Übergebenden sind mit der Sinn-Frage konfrontiert.

7 Hintergrundthema 4: Das Diktat der Endlichkeit – Erben und Vererben und der Widerspruch zwischen Leben und Tod

Das Leben verlieren ist keine große Sache, aber zusehen, wie der Sinn des Lebens aufgelöst wird, das ist unerträglich. (Albert Camus)

Das sich aus dem Zeitfaktor ergebende biologische Diktat (biomorphe ZeitformFootnote 4) des Älterwerdens und der damit verbundenen eigenen Endlichkeit erzeugt in jedem Menschen Todesahnungen des eigenen Ablebens.

Zum einen ist es der Tod an sich, zum anderen die Ungewissheit des Danach, das bei den Menschen Ängste auslöst und sie zu Phantasien und Ideen bewegt, wie ein solches Danach aussehen könnte und welche Überreste in Form von Macht und Einfluss vielleicht noch hinübergerettet werden könnten.

Wenn von der eigenen Lebenszeit der Teil der bereits hinter einem liegt größer ist, als jener, den man noch vor sich vermutet, beginnt die Auseinandersetzung mit dem „Lebenswerk“, dem „letzten Willen“, die zwangsläufig in der Frage mündet, ob der Gedanke an eine Weitergabe des Familienbesitzes im Bereich des Erträglichen liegt.

Diese reflexive Hinwendung verändert rasch das Zeitempfinden (psychomorphe ZeitformFootnote 5), es entsteht der subjektive Eindruck, dass die Zeit schneller vergeht. Der Zeitpunkt (Kairos – der Gott der günstigen Gelegenheit und des rechten Augenblicks) einer Übergabe erscheint nun sinnvoll, was wiederum als Akzeptanz des Generationenwechsels und somit des eigenen Alters gedeutet werden kann. Dieser Erkenntnis ist in der Regel ein Prozess vorgeschalten.

Nicht nur der eigene prüfende Blick in den Spiegel gibt Aufschluss über die Jahre, die man hinter sich hat, auch die Umwelt weist direkt oder indirekt auf das fortschreitende Alter hin. Im Zuge anstehender neuer Investitionen werden die Unternehmer/innen häufig vom Fördergeber angefragt, ob Sie sich schon mit der Betriebsübergabe beschäftigt hätten. Andere unternehmensrelevante Umwelten, wie beispielsweise Steuerberater/innen, die die Unternehmensfamilie seit Jahren begleiten und beraten, weisen (wenn auch vorsichtig) auf künftige Schritte im Sinne einer geregelten Übergabe hin. Auch Banken knüpfen die Kreditvergabe häufig an ein vorzulegendes Strategiekonzept, in welchem die Unternehmensnachfolger/innen bereits vorgesehen sind und letztlich auch zur Verantwortung gezogen werden können.

Abgesehen von intervenierenden Umwelten, gibt es in der Regel auch ein individuelles Bewusstsein in Bezug auf die Zeichen der Zeit, dem häufig mit Widerstand begegnet wird. Mann/Frau lässt sich vom Thema der eigenen Endlichkeit ungern konfrontieren und die angstvolle Reaktion ist das Festhalten am Vorhandenen. Das Vorhandene – das Unternehmen als Lebenswerk und Resultat eines Lebens, das mit Herzblut aufgebaut wurde – ist sozusagen als die materialisierte Form des Ich unsterblich, weil nicht lebendig. Daraus folgt, dass das eigentlich Unsterbliche das Tote ist, und das Festhalten an Kontinuierlichem kommt einer indirekten Todesflucht gleich. Die ewige Wiederkehr des Gleichen kann als Metapher für die Unsterblichkeit gesehen werden, in ihr verbirgt sich das Bild der Unerschütterlichkeit.

Übergebende sehen aber nicht nur in ihren Unternehmen ihr eigenes „Fortleben“. Die Erkenntnis, dass man in seinen Kindern – den Übernehmer/innen – weiterlebt und dort seine Unsterblichkeit erfährt, findet nur langsam den Weg vom Unbewussten ins Bewusste. „Verhindern weltanschauliche Barrieren die Zeitachse in ein Jenseits zu extrapolieren, so erlaubt die synchrone Identifikation, sich vorzustellen, wie man in anderen Menschen fortlebt, besonders in den eigenen Kindern“ (Bischof 1985, S. 555).

Das Hinauszögern der Übergabe (die Gründe dafür sind meist zahlreich, selten aber plausibel bzw. rational nachvollziehbar) ist ein Hinweis darauf, dass synchrone Identifikation auch mit einem geliebten Objekt (vgl. dazu Habermas 1999) – einer Firma – denkbar ist. Ein von eigener Hand geprägtes Werk des Lebens berechtigt die Annahme, im und durch den Betrieb weiterzuleben. Ein Fortleben, das kalkulierbarer ist, weil unternehmerisch beinfluss- und steuerbar und einschätzbarer als Kinder und (noch schlimmer) Schwiegerkinder, die sich erfahrungsgemäß unplanbar entwickeln und damit die Berechenbarkeit der Zukunft erschweren.

Die nicht überall vorhandene doch häufig beobachtbare (Nicht‑) Loslassproblematik in vielen Familienbetrieben weisen in diese Richtung. Es scheint naheliegend(er), sich in einer ersten Reaktion an den Besitz, das unsterbliche Ich, zu klammern, um dadurch die Illusion der Unsterblichkeit aufrecht zu erhalten. Die Ernüchterung, dass das Festhalten keine endgültige Lösung darstellt und dass, positiv betrachtet, durch die Kinder Zukunft weitergedacht werden kann als bis zur eigenen „Deadline“, verläuft in unterschiedlichen Zeitlichkeiten und führt zu ebenso unterschiedlichen Ergebnissen. Summa summarum ist sichergestellt, dass im Zuge dieses Prozesses mit diversen Konfliktkonstellationen zu rechnen ist und ein erhöhtes Maß an Kommunikation und Reflexion von Nöten wäre.

Aber die Bearbeitung familieninterner Veränderungen und der damit verbundenen Gefühlslagen hat wenig Tradition, es „gehört nicht zu deren Gewohnheit, (…) sich gemeinsam in wohlwollender Selbstdistanz über eigene Probleme zu unterhalten“ (Heintel 2006, S. 19). Und „es darf auch nicht vergessen werden, dass Familien lange Geschichten mit sich führen, die dann in ganzer Wucht bei jedem einzelnen Thema zum Ausbruch gelangen können. Ist es schon so nicht leicht, in Familien sich über ihren jeweiligen Standort zu besprechen (das Schuldzuweisungs- und Dankbarkeitsforderungsmuster ist von großer Macht und Verhinderungskraft), so erst recht in einschneidenden Veränderungssituationen“ (a. a. O., S. 20).

Ebenso beinhaltet der Generationenwechsel ein Bündel an Tabuthemen, deren Bearbeitung nützlich und gleichzeitig irritierend oder gar kontraproduktiv sein kann. Zudem ist Tabu nicht gleich Tabu. Es kann vorkommen, dass die fehlende Eignung eines potentiellen Nachfolgers innerhalb der Familie tabuisiert ist, das Thema hingegen in Gesprächen mit Externen wie Freund/innen und Berater/innen offen angesprochen wird (vgl. Habig et al. 2004, S. 61). Innerhalb von Familien, wo man über Generationen verbunden ist, meist mehr Nähe als Distanz hat, Abhängigkeiten bestehen und die emotionale Dichte sehr hoch ist, fürchtet man die destruktive Energie von Konflikten in ganz besonderem Maße.

Ein besonders heikles Thema, das speziell bei Nachfolgefragen auftaucht, ist das testamentarisch verfügte Erbe. An dieser Stelle wird der existenzielle Widerspruch von Leben und Tod schlagend. Thomas Mann beschreibt den Umgang mit dem Tod auf die ihm eigene Weise: „Tatsächlich ist unser Sterben mehr eine Angelegenheit der Weiterlebenden als unserer selbst; [gültig ist], daß die Zeit in ihrer still strömenden Art rastlos fortschreitet“ (Mann 1982, S. 314). „Dass [aber], solange wir sind, der Tod nicht ist, und daß, wenn der Tod ist, wir nicht sind; daß also zwischen uns und dem Tode gar keine reale Beziehung besteht und er ein Ding ist, das uns überhaupt nichts und nur allenfalls Welt und Natur etwas angeht, – weshalb denn auch alle Wesen ihm mit großer Ruhe, Gleichgültigkeit, Verantwortungs-losigkeit und egoistischer Unschuld entgegenblicken“ (a. a. O., S. 560).

Aufgrund der hier beschriebenen Verdrängungsbemühungen und der Tatsache, dass einen spätestens beim Generationenwechsel der Tod „angeht“ und nicht mehr verdrängt werden kann, wird der behutsame Umgang mit diesem Thema nachvollziehbar: „Einmal will man sein Gegenüber nicht vorzeitig ins Grab legen, ihn sozusagen mit dem Ernst der Lage direkt konfrontieren, zum anderen selbst nicht in den Geruch kommen, nur mehr am Erbe interessiert zu sein“ (Heintel 2006, S. 12). Der so genannte letzte Wille ist meist das bestbehütete Geheimnis und die Testamentseröffnung birgt oft ungeahnte Überraschungen in sich. Auf der Seite des Erblassers ist es nicht minder schwierig: „Man wird an sein eigenes Ende erinnert, mit dem man sich sogar noch nicht ‚befreundet‘ hat, man soll eine Entscheidung treffen und transparent machen, die man bisher geflissentlich und aus guten Gründen vermieden hat und überhaupt kann man sich des Eindruckes nicht erwehren, plötzlich von lauter Erbschleichern umgeben zu sein; noch dazu vor solchen, die sich anscheinend gegenseitig nichts gönnen wollen. Ganz frei fühlt man sich auch nicht vor eigenen egoistischen Absichten. Man bleibt interessant und umworben, solange man alle in Ungewissheit hält. Man sichert sich auch Nähe, die man sonst nicht hätte, das Erbe wird gleichsam zum letzten Strohhalm der Bedeutsamkeit, ja vielleicht wirkt all das zusammen sogar lebensverlängernd“ (a. a. O.). Wenngleich das Bewusstsein darüber, dass eine frühzeitige Auseinandersetzung mit der Nachfolgefrage sinnvoll und notwendig ist, steigt, wird das Thema in vielen Familienunternehmen zu spät oder gar nicht in Angriff genommen. Die Übergabe in Familienbetrieben gestaltet sich auch aufgrund der Gerechtigkeits- und Gleichheitsforderung oft sehr schwierig und wenn die Übergabe nicht zu Lebzeiten über die Bühne gegangen ist, entscheidet eben das Testament sowie das Erbrecht, was mit dem Unternehmen geschieht.

Das Testament, die Hinterlassenschaft, die Letztverfügung, der letzte Wille – viele Begriffe für ein und dasselbe und dennoch verweisen sie alle auf etwas, das nach dem eigenen Tod noch Wirkung zeitigt, denn nichts trägt so deutlich „die Würdenkrause des Gewesenen“ (Mann 1982, S. 523) als der Tod. Wie kaum sonst irgendwo, spiegelt sich im Testament der Widerspruch von Leben und Tod wieder und Erben und Vererben ist neben juristischen Determinanten flankiert von einem schwer zu beschreibenden Gefühlskonglomerat. Wird das Erbe nicht zu Lebzeiten verteilt, bleibt Erben an den Tod gebunden. Auf der einen Seite steht der Wunsch, Nachkommen zu beschenken, sie damit auch gleichzeitig in die Schuld zu nehmen, nicht gleich vergessen zu werden und in guter Erinnerung zu bleiben. „Die Erbschaft vom Erblasser hinterlassen und übergeben erhält ihn gleichsam noch in einer gewissen Anwesenheit, (…) diese ‚Realunsterblichkeit‘ bekommt dort umso mehr Bedeutung, wo der Glaube an das Jenseits verschwindet“ (Heintel 2006, S. 3 f). Sowohl ein „gelungenes“ als auch ein weniger gut gemeintes Erbe radikalisieren den Widerspruch. „Im Erbe ist der Tote immer noch lebendig und da, obwohl er unwiederbringlich fort ist.“ Die Artefakte können traurig stimmen, man kann sich an ihnen täglich erfreuen, oder man leidet an den Bedingungen, die an das Erbe geknüpft worden sind und die Zukunft beeinflussen. Nicht selten werden Objekte vererbt und gleichzeitig mit einem Verkaufsverbot belegt oder der Erbende muss die „Sorgepflicht“ für den hinterbliebenen Partner übernehmen, etc. Speziell bei Unternehmen können derartige Bedingungen die Nachfolger „knebeln“ und in ihrer Handlungsfreiheit stark einschränken, denn selten geht es „nur um Besitz und Güter, sondern um ein wesentliches und einsetzbares Steuerungselement des gesamten Sozialgefüges Familie und des Generationenverhältnisses“. Denn „die Erben sollen für ihre Erbschaft etwas tun müssen. Sonst sind sie ihrer nicht würdig. Schon verstummt, will man noch weiterhin Aufträge verteilen“ (vgl. a. a. O., S. 5 ff). Stellvertretend für die Toten haben die weniger oder gar nicht Begünstigten ein wachsames Auge auf die Einhaltung eben dieser Bedingungen und klagen bei „Nichterfüllung“ an und ein. Natürlich sind „Erbverpflichtungen keineswegs immer eine Last. Sie schaffen Orientierungen und Verbindlichkeiten für alle Betroffenen. Im Erbe leben die Ahnen weiter und überwinden zumindest fiktiv den Tod. Die Unsterblichkeitsphantasie wird damit aufrechterhalten, man vererbt weniger den Besitz an sich als vielmehr sich selbst. Man bleibt bei seinen Erben, sie schützend, ihnen helfend, Kultur und Tradition bewahrend. So gibt bereits die Religion des Ahnenkultes ein Zeugnis einer menschlichen ‚Lösung‘ des Widerspruches Leben-Tod. Sie lässt es nicht zu, dass der Tod ‚bloß‘ als natürliches Ereignis zur Kenntnis genommen wird“ (Heintel 2006, S. 6).

So betrachtet ist Erben und Vererben viel mehr als lediglich ein juristischer Akt.

Somit ist weder Erben noch Vererben eine „leichte Übung“. Da der Widerspruch von Leben und Tod in diesem Zusammenhang „nicht gerade zur Entkrampfung beiträgt“, sind „Erbschaften [häufig] Orte des Streites, der Auseinandersetzung, lebenslänglicher Entfremdungen, [in welchen] ein ganzer Kosmos von Familiengeschichten und eigenen Wünschen abgehandelt wird“ (a. a. O., S. 24). Da die emotionale Belastbarkeit in der Regel Grenzen hat, wird ein ökonomischer Umgang mit diesen Grenzen sinnvoll sein, ohne den gesamten Themenkomplex aus der Familie auszulagern. Erbangelegenheiten werden aufgrund ihrer emotionalen Dichte gerne an Dritte delegiert und Personen der Judikative werden zu „Hohepriestern“ und Geheimnisträgern. Die Intransparenz, die dabei entsteht, sorgt selten für eine Beruhigung der emotionalen Gemengelagen, vielmehr verunsichert sie, schürt Phantasien (die selten positiv sind) und entfremdet die betroffenen Beteiligten. Der existenzielle Widerspruch Leben-Tod wird bewusst und unbewusst innerhalb jedes Generationen- bzw. Nachfolgewechsels mit verhandelt und tritt oft in aller Härte auf. Erfolgreiche Übergaben können Lösungen für diesen Widerspruch bieten, am Beginn der Beschäftigung jedoch steht der Konflikt und es bedarf der aktiven Auseinandersetzung, um versöhnliche Lösungen zu erreichen.

Die bisherigen Ausführungen zeigen, dass Familienunternehmen mehr als nur Unternehmen sind, dass Traditionen, Mythen, emotionale Bindungen, Identifikation und Objektliebe sowie generationsübergreifende Verantwortlichkeiten eine wirkmächtige Hintergrundfolie darstellen. Daraus folgt, dass man sich konsequenterweise und abschließend die Frage stellen muss, in welcher Form das vielfach eingeforderte Loslassen von statten gehen soll.

8 Hintergrundthema 5: Das Loslassen als ritualisierter Prozess – zum Widerspruch von Bewahren versus Verändern

Das Ende einer Lebensphase bewusst einzuleiten und das damit verbundene, zweifelhafte Vergnügen, sich mit der eigenen Endlichkeit zu konfrontieren, ist letztlich in die Entscheidung des Unternehmers, der Unternehmerin gelegt. Erst wenn die Eltern Klarheit darüber haben, wie ihre Perspektiven nach der Übergabe aussehen, ob sie finanziell ausreichend abgesichert sind, welches Kind übernehmen wird und wie viel Vertrauen sie dem/r jungen Unternehmer/in entgegenbringen, kann ein partielles Loslassen von statten gehen. Partiell deshalb, weil ein/e Unternehmer/in, der/die das Unternehmen wie ein eigenes Kind mit Herz und Seele großgezogen hat, sich mit dem Haus identifiziert und aus der jahrzehntelangen Tätigkeit Identität generierte und Macht schöpfte, wohl erst loslassen wird, wenn er tatsächlich und für immer seine Augen schließt.

In diesem Sinne ist nicht nur das Loslassen, sondern eine Übergabe als Prozess zu sehen, der das Ritual darstellt, welches die Zeit des Übergangs erträglich macht.

Geht es um die Analyse eines Nachfolgeprozesses, muss man sich an dieser Stelle jedoch noch einmal dem Widerspruch zwischen Funktion und Person vor Augen führen. Während Unternehmen/Organisationen dadurch gekennzeichnet sind, dass Funktionen im Vordergrund stehen und die Personen austauschbar sind, ist dies in Familien genau nicht der Fall: Wer einmal dazugehört, gehört sein ganzes Leben dazu. Familien entwickeln eigene Rituale (klassisch: Weihnachten als Markierung von Zugehörigkeit, weshalb „Firmenweihnachtsfeste“ eigentlich „Themenverfehlungen“ sind, da familiäre Zugehörigkeit in einer Organisation nachrangig ist). Es soll mit bestimmten „Wertschätzungsritualen“ (wie goldene Uhren oder den „Weihnachtsputer“ für das Mittelmanagement) „verdunkelt“ werden, dass alle austauschbar sind – da dies eine Kränkung für den Einzelnen darstellt. In Familienunternehmen müssen diese unterschiedlichen Logiken ausbalanciert werden. Bei Betriebsübergaben in Familienunternehmen überlässt der Übergebende seine Funktion an den Nachfolger, er/sie „stirbt“ in seiner Funktion als Chef/in und Eigentümer/in der Organisation, gleichzeitig bleibt er/sie Mitglied der Familie. Und seine Zugehörigkeit zur Familie, in der er „weiterlebt“, muss rituell sichergestellt werden. Die Übergabe ist für die Beteiligten ein Wechsel von einem Lebensabschnitt in den nächsten, ein Vorbote auf den eigenen Tod, ein „stückweises“ Sterben. Für die Nicht-Akzeptanz dieses organisationalen Todes spricht, dass viele Übergebenden als Funktion – bspw. als Senior Consultant – im Unternehmen bleiben und sich weiter einmischen. Nicht selten wird dieses funktionale Verbleiben auch von den Nachfolger/innen eingefordert.

Man könnte meinen, dass unsere Kultur wenige Werkzeuge an der Hand hat, um Abschiede und Übergänge rituell zu begleiten, obwohl man davon ausgehen kann, dass Abschieds- oder Angliederungsriten, wie van Gennep (1986) sie beschreibt, da und dort hilfreich sein könnten. Bei genauerem Hinsehen, kann man bei Unternehmensübergaben durchaus ritusähnliche Vorgehensweisen erkennen. Abschiedsrituale erleichtern dem Übergeber/der Übergeberin oft, sich von seinem „Baby“, dem Betrieb, zu trennen. Der vorsichtig geäußerte Wunsch, nicht mehr im Unternehmen zu verbleiben oder gar zu wohnen und den Sessel zu räumen, kann als erster Schritt dahingehend gewertet werden, dass man beginnt, sich räumlich zu entfernen um sich dem Pensions-Reich anzugliedern. Diesen Umwandlungs- und Angliederungsriten ist größere Bedeutung zuzumessen, als Abschiedsriten (a. a. O., S. 142). Wird der Übergang wörtlich und räumlich, gesehen, werden Territorien verlassen bzw. anderen überlassen und neue Gebiete werden für sich erschlossen. Man überschreitet territoriale Grenzen. Auf dem Weg von der einen zur anderen Seite durchquert man symbolisch ein Niemandsland. „Derartige Zonen waren in der klassischen Antike, vor allem in Griechenland, von großer Bedeutung; sie wurden als Marktplätze und Schlachtfelder benutzt“. Dieses Niemandsland war sakral, „jeder, der sich von einer Sphäre in die andere begibt, befindet sich eine Zeitlang sowohl räumlich als auch magisch-religiös in einer besonderen Situation: er schwebt zwischen zwei Welten“ (van Gennep 1986, S. 27).

Übersetzt man diese Bilder ins Hier und Jetzt und legt sie auf Nachfolgeprozesse um, dann wird auf dem Marktplatz Geben und Nehmen ausbalanciert, Existenz abgesichert und künftiger Arbeitskrafteinsatz verhandelt. Auf dem Schlachtfeld werden die dazugehörenden Konflikte ausgetragen, gekämpft, erobert, aufgegeben und der Rückzug angetreten. Unter Berücksichtigung der familiären Beziehungen und eines (wenn möglich) sakralen Nicht-Angriffspaktes im Hinblick auf die emotionalen Bande sind Übergänge dieser Art von Trauerphasen geprägt. Die Alten suchen Orientierung in einer noch unbekannten Zukunft, suchen sich an das Reich der Alten anzugliedern und die Jungen müssen sich von gewohnten Strukturen verabschieden und Verantwortung für ein Unternehmen übernehmen, das Inbegriff familiärer Traditionen ist. Die Akzeptanz, dass es sich um heikle Übergänge (Schwellenphasen) handelt, wo auf ein komplexes emotionales Gefüge Rücksicht genommen werden muss, führt (in der Regel) dazu, dass in dieser Zeit auf Umstrukturierungen oder Neuerungen verzichtet wird. Ebenso ist zu beobachten, dass Unternehmer/innen dazu neigen, den Nachfolgeprozess zu versachlichen und externe Umwelten wie Notare, Steuerberater/innen und/oder Jurist/innen mit der Abwicklung zu betrauen. Die Konzentration auf rechtliche und betriebswirtschaftliche Themenstellungen kann selbstverständlich richtig und notwendig sein, eine Lösung der widersprüchlichen, und in der Regel hoch emotionalen, familiären und unternehmerischen Fragestellungen ist davon jedoch nicht zu erwarten. Vielmehr kreuzen sich hier wieder familiäre und unternehmerische Logik, die vertragliche „Verschriftlichung“ des Übergabeprozesses in Familienunternehmen kann als Versuch gewertet werden, Organisation in die Familie „hineinzutragen“ und als Versuch all jenes fest zu schreiben, wofür man in Familien üblicherweise keine Verträge braucht, vorausgesetzt die Kommunikation funktioniert.

Zusammengefasst bedeutet die Übergabe als gelöster Generationenkonflikt für die Übergebenden Verzicht und das viel beschworene Loslassen liegt in letzter Konsequenz in der Akzeptanz der eigentlichen Endlichkeit und des eigenen Endes.

9 Fazit

In Zeiten, wo Zugehörigkeiten zu Organisationen immer loser werden, individuelle Karrieren und Entwicklungen der Mitarbeiter/innen in den Vordergrund rücken, Teamzusammenhalt zunehmend zweckgebunden ist, wird die emotionale, unfreiwillige Bindung von Mitgliedern eines Familienunternehmens verschärft. In Organisationen findet ein stetiger und fluider Wandel statt, der Kulturen, Strukturen und Unternehmenskonzepte bewegt, auflöst, neu gestaltet und damit verlässliche, tradierte Organisationsmuster in Frage stellt. Was früher noch durch Tradition und ein überliefertes Wertekorsett – dem sich Familien unreflektiert beugten – zusammengehalten wurde, steht nun umso mehr im Spannungsfeld von individuellen Lebens- und Arbeitsvorstellungen einer jungen Generation Y und Z.

In diesem Spannungsfeld finden gegenwärtig Übergabe- und Nachfolgeprozesse statt, sie sind „Rites de passage“ – Übergangsphasen im Lebenszyklus der Familie, der beteiligten Individuen und des Unternehmens. Übergänge haben die Eigenschaft, schwer planbar zu sein, das Unvorhergesehene steht auf der Tagesordnung, Emotionen und Irrationalitäten kommen ins Spiel, Themenstellungen auf der Sachebene sind zu bearbeiten und den Betroffenen werden Entscheidungen abverlangt, welche in der Regel langfristige Konsequenzen haben. Im Augenblick der Unsicherheit, dort wo es darum geht, ein Risiko eingehen zu müssen und sich viele Fragen auftun (ist der ausgewählte Nachfolger, die auserkorene Nachfolgerin, geeignet? Ist der Zeitpunkt des Aus- und Einstiegs gut gewählt? Werden die Jungen die Schuldenlast des Unternehmens managen können? Spielen die Umwelten mit? Haben die Nachfolger/innen den nötigen Weitblick, um auf Marktveränderungen vorausschauend zu reagieren? Wie sieht die Zukunft im „Ausgedinge“ aus und gefällt mir die Vorstellung u. dgl. mehr) entsteht bei den meisten Unternehmer/innen eine besondere Form der Emotionalität, der Lebendigkeit, der Wachsamkeit und der Sensibilität.

Insofern kann im Zusammenhang mit Familienunternehmen kaum von losen Bindungen gesprochen werden. Beziehungen, Zugehörigkeiten, Loyalitäten, Gerechtigkeitsvorstellungen und das Diktat der Endlichkeit entwickeln hier ihre besondere Wirkmacht. Eine Macht, die dergestalt kaum andernorts in Unternehmen oder organisationalen Zusammenhängen zu finden sein wird. Dieser Cocktail an Zwischenmenschlichem kann gleich förderlich wie hinderlich sein. Was letztlich überwiegt bzw. welche Formen der Widerspruchsbalance entwickelt werden, entscheidet sich (im besten Fall) in einem partizipativen innerfamiliären sowie unternehmerischen Prozess, in dem offen gefragt und mutig geantwortet werden kann – dies könnte eine wichtige Bedingung für den künftigen ökonomischen Erfolg darstellen.